Ich war entzückt. Man bekommt nicht jeden Tag eine kostenlose Taxifahrt mit dem Polizeiauto. Aber natürlich war das das Mindeste, was sie mir als Entschädigung für diesen Tag geben konnten. Sicher würden sie mich auch noch in ein Luxusrestaurant ausführen. Alles auf Staatskosten, versteht sich.
Die Fahrt dauerte nicht lange. Ich folgte dem netten Polizisten ins Polizeirevier.
„Belle!“, rief jemand.
„Daad!“, rief ich strahlend. „Wie nett, dass du auch kommst.“
Er fuhr mich an: „Verdammt, was soll das? Weißt du, dass ich die halbe Stadt nach dir abgesucht habe?“
Ich war gerührt. „Keine Angst, Daad, alles in Ordnung. Die Leute im Ort haben versucht, mich reinzulegen, und ich habe Hunger, aber mir ist nichts passiert.“
„Ähem“, sagte ein Polizeibeamter.
Es roch angenehm nach Kaffee hier und im Hintergrund lief das Lied, das James Blunt einst für mich geschrieben hatte: „You’re beautiful“. Zufrieden ließ ich mich auf einen freien Stuhl fallen und schenkte mir eine Tasse ein.
Der Polizeibeamte glotzte mich mit offenem Mund an. Kein Wunder, ich sehe unglaublich anmutig aus beim Kaffeeeinschenken.
Ich schenkte ihm mein berühmtes Lächeln. „Vielen Dank für den Kaffee.“
„Ja, ich sehe, was Sie meinen“, wandte sich der Polizist an meinen Vater.
Die Polizisten erzählten mir, dass ich in Zukunft in die Schule gehen solle, und mein Vater unterstützte sie natürlich. Es fällt mir schwer, es zuzugeben, aber mein Vater ist verwirrt, man muss sehr auf ihn achten. Ich versuchte den Polizisten das mit Blicken zu signalisieren, aber sie verstanden nicht.
Mein Vater wollte mich unwirsch rausschieben, aber ich hielt ihn kurz auf.
„Warte mal, Daad. Ich würd gern allein mit dem Herrn Polizeiobermeister sprechen, ja?“, fragte ich sanft. Ich lächelte ihn an und tätschelte ihm die Schulter.
Er blickte böse zurück.
„Äh, schon in Ordnung“, sagte der Wachtmann, der immer noch ganz durcheinander wegen mir war. Ich weiß schon, wie verblüffend und umwerfend ich bin.
„Sicher?“, fragte Dad misstrauisch.
„Aber klar!“, strahlte ich.
„Na gut.“ Er zog sich zurück, die Tür hinter sich schließend.
Ich wandte mich an den Wachtmann und lächelte ihn entwaffnend an. „Nun ja, entschuldigen Sie bitte meinen Vater. Er hat psychische Probleme, Sie haben ihn ja gerade erlebt.“
„Ach ja? Ich fand ihn eigentlich ganz vernünftig.“
Ich lächelte nachsichtig. „Ja, man merkt es ihm nicht immer gleich an. Manchmal hat er auch ganz lichte Momente, aber insgesamt ist es sehr schwierig.“ Ich lachte verlegen. „Sie können sich sicher denken, dass ich viel mit ihm zu tun habe. Wobei ich es natürlich gerne mache, er ist mein Daad und ich liebe ihn.“
Er blickte mich meine ganze Rede hindurch nur starr an. So eine dramatische Geschichte hört wohl auch ein Polizist nicht jeden Tag. Es war schon einiges, was ich zu tragen hatte, ich weiß. Das glaubt man nicht, wenn mich so sieht, so hübsch und gutgelaunt, wie ich bin.
„Na ja, also, was ich meine, ist … mein Vater … hat da was falsch verstanden. Ich habe nicht geschwänzt, ich habe nur Pause gemacht. Und die Sache mit dem Masseur …“ Ich lachte wieder nervös. „Ich meine, Sie als Polizist wissen ja wohl am besten, wie die Sache liegt, nicht wahr?“
„Ja. Ganz genau.“ Er schien immer noch unter Schock zu stehen.
„Wunderbar!“, strahlte ich.
„Auf Wiedersehen“, sagte er steif. Ich fand das etwas unhöflich, aber ich nahm an, dass er betroffen über die Sache mit meinem Vater war, also schenkte ich ihm ein charmantes Lächeln zum Abschied und schüttelte warm seine Hand. Ich hätte ihn gern in den Arm genommen und getröstet, aber das hätte mein neues Kleid beschmutzt. Dann ging ich nach draußen zu meinem Vater, um mit ihm heimzufahren.
Er sah verstimmt aus, als er mit düsterem Gesichtsausdruck fuhr, also tätschelte ich ihm liebevoll die Schulter und sprach aufmunternde Worte. „Schon gut, Daad, so schlimm ist es ja nicht. Ich hab nicht dran gedacht, dass du dir solche Sorgen machst, tut mir leid. Komm, wir gehen jetzt erst mal gut was essen. Ich hab da vorhin ein nettes kleines Lokal gesehen.“
Er schüttelte meine Hand unwirsch ab. „Du gehst nirgendwohin! Du weißt schon, dass du die nächsten zwei Wochen Hausarrest hast, nicht?“
Ich lachte. Mein Vater ist manchmal ein richtiger Scherzkeks. „Ich kann mich nicht erinnern, dass mich die Polizei unter Arrest gestellt hat.“
„Du weißt genau, was ich meine.“
Ich seufzte und nickte verständnisvoll. So kam man mit ihm am besten klar. Mein Vater glaubt nämlich, er hätte ein Recht, mir zu befehlen, nur weil ich minderjährig bin. Ich bin siebzehn, in der Blüte meiner Jugend, meiner Schönheit, meiner Intelligenz. Wie lächerlich ist die Vorstellung, dass ich mir von einem alten Mann von über 50 Jahren, der schon graue Haare hat und nicht mehr alle Zähne (denn mein Vater hat sich einen Zahn ausgefallen, weil er nicht aufgepasst hat – ich sage ja: Man muss ständig auf ihn aufpassen!) etwas sagen lassen muss! Zudem bin ich sehr schön und werde nächstes Jahr, wenn ich 18 bin, einen Millionär heiraten, der mich auf Händen trägt.
………….
Dad war den ganzen Tag und den nächsten noch so schlecht drauf. Er bestand darauf, mich in die Schule zu fahren und wieder abzuholen. Zudem hatte er den Lehrern allen seine irrsinnige Sichtweise erzählt und sie hatten ihm sofort geglaubt. Ich habe ja schon gesagt: Mit Lehrern ist es schwierig, sie sind oft so unverständig! Jedenfalls kam meine Klassenlehrerin vorbei und hielt mir eine Predigt über meine „mangelnde Arbeitsmoral“. Vollkommener Unsinn natürlich. Nur weil ich auf meine Gesundheit achtete, hielt man mich für faul.
„Ach hi“, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und wollte mit einem fröhlichen „Hi“ antworten, als ich sah, dass es der trollartige Typ von der Cafeteria war.
Mein Lächeln verrutschte etwas. Aber er konnte ja nichts dafür, dass er so hässlich war, also antwortete ich mit einem freundlichen „Hallo“.
„Bis du eigentlich neu? Hab dich vorher nie gesehn.“
„Ich bin zuvor in New York auf die School of the United States gegangen“, lächelte ich. „Es war recht nett dort, aber meine Mutter und ich waren uns einig, dass ich neue Herausforderungen brauche wegen meiner Hochbegabung. Tja, und dann bin ich hier gelandet.“ Ich lachte verlegen. „Ich muss schon zugeben, dass ich mich hier erst noch ein wenig … eingewöhnen muss.“
Er glotzte nur blöd. „Ehrlich? Du kommst aus New York? Is das nicht in Amerika, oder so?“
Ich fuhr schockartig zusammen. So wenig Bildung konnte ein Mensch doch nicht haben!
„Ich war auch mal in New York. War glaub ich ganz nett. Aber die Pommesbude hatte so wenig Essen. War nach einer Portion schon alles leer.“
„Aha.“ Mir fiel nicht ein, was ich mit einem derart ungebildeten und ungehobelten Menschen, der sich nur für Essen interessierte, reden konnte, und so war ich erleichtert, als der Lehrer eintrat, und widmete mich ganz dem Studium der Literatur. Es war natürlich für mich nicht sehr spannend, da ich das alles schon kannte, aber es ist immer wieder interessant, es aus anderen Quellen in anderen Formulierungen zu hören.
Als der Unterricht fertig war, packte ich schnell zusammen. Plötzlich tauchte vor mir eine Klaue auf.
„Ich bin der Eddy, übrigens.“
„Wie bitte?“
Der trollartige Typ grinste mich an und zeigte mir damit sein schreckliches Gebiss.
„Ich bin der Eddy. Und du?“
„Grazielle Anastasia Belle Amelie Aurelia Mary Rose Sue de Cygne von Undzu“, antwortete ich hoheitsvoll.
„Wow, langer Name.“
Immerhin war er ein wenig beeindruckt. Ich bin sehr stolz auf meinen Namen.
„Nun denn“, leitete ich freundlich die Verabschiedung ein. „Ich muss dann mal weiter zum nächsten Fach.“
„Aber jetz is Pause.“
„Oh ja. Ich wollte ein wenig durch die Stadt bummeln, Kleider kaufen.“
„Darf ich mitkommen?“
„Oh äh … nein, das tut mir jetzt wirklich leid, aber ich wollte nach Unterwäsche sehen.“
Er sah mich beeindruckt an. „Das macht doch nix. Ich kann dich beraten. Du siehst bestimmt toll aus in Unterwäsche.“
Das war ja wohl die Höhe! Das war sexuelle Belästigung!
„Nein, danke“, sagte ich steif. Sollte ich ihn bei der Lehrerin melden? Ich beschloss, ihm noch eine Chance zu geben, denn ich wusste, wie schwer es für Männer ist, mir zu widerstehen. Sie alle wollen mich schließlich in Unterwäsche sehen, was man ihnen ja auch nicht verdenken kann, ich sehe nämlich sehr gut aus in Dessous. Dennoch war das wirklich eine niveaulose Anmache.
„Oh. Na dann nicht. Aber wir sehn uns ja bestimmt noch.“
„Vielleicht“, antwortete ich ausweichend und ging eilig Richtung Ausgang.
Als ich das Schulgelände verlassen wollte, stellte sich mir eine Frau entgegen.
„Belle!“, rief sie.
Ich überlegte fieberhaft, wer sie war. Aber woher sollte ich das schon wissen? Sie kam mir vage bekannt vor, aber sie hatte so ein Allerweltsgesicht, dass ich nicht mehr sagen konnte, wer sie war. Ich kann mir ja nicht alle Leute merken, mit denen ich zu tun habe, wenn sie alle so ähnlich aussehen. Umgekehrt habe ich aber eine solch umwerfende Wirkung, dass jeder, der mich gesehen hat, mich im Gedächtnis behält. Ich lasse mir natürlich nie anmerken, dass ich mich nicht an jeden Einzelnen meiner Fans erinnere, sie freuen sich ja so, wenn ich mit ihnen rede.
Ich lächelte ihr also freundlich zu und schenkte ihr einen fragenden Blick.
„Du darfst das Schulgebäude nicht verlassen, nach dem, was du dir gestern geleistet hast.“
Ich war entsetzt, ich war schockiert, ich war völlig am Ende.
„Aber … ich bin schon in der Zwölften.“ Hielt sie mich für zu jung? Zu schutzbedürftig?
Sie lächelte, aber es war nicht das herzliche warme Lächeln, das ich mir erhofft hatte. Es wirkte kalt. „Das ist mir durchaus klar. Aber auch für Oberstufenschüler gelten gewisse Regeln, und wenn sie nicht eingehalten werden, haben wir das Recht, zu härteren Maßnahmen zu greifen.“
Das war es. Meine Geduld riss. Sie hatte es herausgefordert.
„Das ist gar nicht wahr!“, rief ich. „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie glauben, mir befehlen zu können? Meine Mutter ist Bankkauffrau und ich bin mit der Polizei persönlich befreundet!“
„Mit der Polizei, ja?“
„Ganz recht. Wer sind Sie denn schon? Wahrscheinlich die Putzfrau.“ So gewöhnlich wie sie aussah, nicht einmal richtig angezogen. Sie trug eine einfache Bluse und Jeans und war vollkommen farblos. Ungepflegt.
Ihr Blick verdüsterte sich. „Ich bin Frau Gartenzwerg, deine Klassenlehrerin, und du wirst heute Mittag nachsitzen.“