Es war ein Schock, als ich aufwachte. Ich hatte so schön geträumt von Eleaouniaoiuosiu und mir am Strand. Und nun saß ich wieder in dieser düsteren Höhle und stieß mir prompt meinen edlen Kopf am Fels. Ich stöhnte, unterdrückte jedoch tapfer einen Schmerzensschrei. Vorsichtig betastete ich meinen Kopf. Meine Kopfform war unversehrt, sie wurde nicht von einer Beule entstellt. Hoffentlich hatte auch mein Gehirn keinen Schaden genommen. Ich liebte mein Gehirn, es hatte mir stets gute Dienste geleistet und ohne es würde ich hier womöglich nie wieder herauskommen.
„He, Bell?“, rief eine fröhliche Stimme. Nicht schon wieder Eddy!, dachte ich. Aber die Stimme klang nicht nach Eddy, sie war weiblich.
„Komm frühstücken, wir warten schon alle.“
Ich öffnete langsam meine Augen, natürlich nicht zu weit, das war nicht gut hier. Aber Penny hatte es auf mich abgesehen, denn sie zündete eine Kerze an, so dass ich leider viel zu viel sah.
„Es gibt extra Bierpudding dir zu Ehren“, strahlte sie mich an und offenbarte eine Vulkanlandschaft aus kaputten Zähnen.
„Oh, ich hab keinen Hunger“, hauchte ich. Und wirklich, ich fühlte mich sterbenselend.
„Ach was, der kommt schon noch“, sagte sie unbarmherzig und zog mir einfach die alte löchrige Decke weg. „Du hast ja noch gar nichts hier gesehen, ich muss dir unbedingt dein Hochzeitskleid zeigen!“
Sie war anders als Eddy. Eddy pflegte meistens dumm vor sich hin zu glotzen und einsilbige Aussagen zu machen, Penny dagegen redete penetrant viel. Die Sehnsucht nach den Alawari und ihren wohlüberlegten, tiefreichen Gesprächen drohte mich zu überwältigen.
Aber welche Wahl hatte ich, als abzuwarten, bis sie mich retteten? Es konnte ja nun nicht mehr lange dauern. Also raffte ich mich auf und folgte Penny zuerst auf dieses furchtbare Etwas, das sie Toilette nannte, und dann hinunter in die Halle.
Dort saßen bereits die unzähligen Trolle und hoben grölend ihre Bierkrüge.
„He, Bell!“, begrüßten sie mich.
„Oh Mann, bist du schön“, sagte Pupsi und Eddy strahlte vor Stolz.
Er winkte mir, mich neben ihn zu setzen. Dann grinste er mich eine Weile an. Hedi schob mir einen widerlich riechenden Bierkrug und eine noch viel widerlichere Pampe in einer Schüssel zu.
„Bierpudding“, erklärte sie. „Mit Zimt, extra für dich.“
Ich lächelte gequält, während um mich herum alle ihre Schüsseln an den Mund hielten und sie schmatzend leerten. Die Augen konnte ich verschließen, doch die Ohren nicht. Meine Gehörgänge schmerzten und mein Trommelfell protestierte gegen die brutale Behandlung.
Als ich nach einer Weile immer noch mit angespanntem Lächeln dasaß und versuchte, Augen und Ohren zu verschließen, stieß plötzlich etwas gegen meine Nase. Ich fuhr erschrocken zurück.
„Willich füddern!“, artikulierte Eddy. Das Ding, das gegen meine Nase gestoßen war, – hoffentlich trug ich keine Verletzung davon, denn dann musste ich mir die Nase richten lassen und sie würde nie wieder so schön werden, wie sie war – war ein großer Holzlöffel mit undefinierbarer Pampe.
„Wie bitte?“, fragte ich höflich.
Eddy schluckte mit einem Mal alles hinunter und rülpste dann ausführlich. „Ich wollt dich füttern. Du isst ja nichts. Außerdem ist das so üblich bei Braut und Bräutigam.“
Ich erstarrte.
Eddy aß schon wieder weiter, während er immer noch mit dem Löffel vor meiner Nase herumwedelte. „Iss schon. Sonst stirbst du vor der Hochzeit und das wär echt blöd. Weil dann müsste ich mir ’ne Neue suchen.“ Er rülpste bekräftigend.
Das sollte nun also mein zukünftiger Mann sein. Er fand es blöd, wenn ich starb. Es wäre nicht blöd, wenn ich sterben würde, es wäre eine absolute Katastrophe für die Menschheit, zumal mich hier keiner finden würde und so niemand über meiner Leiche schluchzen konnte. Oh, wie würden sie alle um mich trauern:
Mein dementer Vater, meine depressive Mutter, all meine Blogfans, die Polizisten, die Lehrer, meine Mitschüler, sogar der böse Masseur. Und die armen hungernden Kinder, die nur durch meine Stiftung noch lebten, und die Tiere im Wald, der schon längst abgeholzt wäre, wenn ich mich nicht so eingesetzt hätte. Oh, und mein allerliebster Eleaouniaoiuosiu würde sich womöglich das Leben nehmen, um wieder mit mir vereint zu werden. Nein, das durfte ich nicht zulassen. Ich durfte nicht sterben. Aber was tötete mich eher: eine Weile fasten oder dieser ekelhafte minderwertige Bierpudding?
Der Löffel stieß gegen meine Lippen. Ich schluckte. Und dann öffnete ich sie ein wenig und versuchte mir vorzustellen, es wäre Eleaouniaoiuosius Zunge, die um Einlass bat.
Der Pudding schmeckte nicht so, wie ich mir Eleaouniaoiuosiu vorgestellt hatte. Er war etwas bitter, zimtig, aber eigentlich gar nicht mal so schlecht. Nun ja, verglichen mit einem Komposthaufen.
„Unn?!“, machte Eddy begeistert. „Gut, gell?“
Ich nickte hastig, schon um die Gelegenheit zu nutzen, mit dem Essen aufzuhören.
„Schmeckt wunderbar, Eddy.“
Eddy und seine Familie strahlten und Eddy schob mir schnell noch eine riesige Portion hinein. Es ging so schnell, dass ich keine Gelegenheit hatte, auszuweichen, und versehentlich alles hinunterschluckte. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass die zweite Portion nicht so schlimm wie die erste war. Das lag wohl daran, dass ich sie so schnell geschluckt hatte. Jetzt verstand ich auch, warum die Trollen so schlangen.
Ich war sehr tapfer. Ich verschlang noch einige Löffel dieses grauslichen Breis. Als Eddy jedoch Nachschub holen wollte, wehrte ich rasch ab. Die Löffel waren so groß, dass ich fürchtete, meinen süßen kleinen Mund damit zu deformieren.
„Nein wirklich, da geht nichts mehr hinein. Du willst doch nicht, dass ich dick werde, oder?“ Ich lächelte. Oh je, wo bekam ich hier nur Zahnpasta her? Holly! Aber ich hatte sie ja fortgeschickt, um Eleaouniaoiuosiu zu rufen.
„Oh, du bist bestimmt dick auch noch toll“, sagte Eddy unbekümmert. „Und wenn nicht, such ich mir eine andere.“
Wieder einmal bewies er jeglichen Mangel an Takt und Anstand. Wer war denn schon in der Lage, MICH zu ersetzen?
Nach und nach erhoben sich die Trolle vom Tisch, was wenigstens eine kleine Erleichterung war. Eddy und seine schreckliche Familie blieben jedoch sitzen.
„Tja“, sagte Eddys Vater nach einem Moment. „Ich geh mich dann mal betrinken.“ Er erhob sich und ging.
Ich starrte ihm fassungslos hinterher.
„Ich komm mit.“ Eddy und seine Brüder erhoben sich ebenfalls.
Penny fing meinen Blick auf und sagte erklärend: „Die Königsfamilie arbeitet nicht.“
„Aber wieso … Ich meine, tun sie das immer?“
„Was? Sich besaufen? Meistens. Was sollen sie denn sonst tun?“
Es gab so unendlich viel, womit man sich seine Zeit sinnvoll vertreiben konnte. Lesen, Gedichte aufsagen, Gedichte schreiben, Blog schreiben, Gedecke aus Blumen, zarte Stoffe weben und schöne Kleider nähen, Schmuck aus Blumen und Edelsteinen flechten, Wandteppiche knüpfen … Alles, was die Alawari taten. Aber ich schwieg. Nichts davon hätten die Trolle gekonnt.
„Du könntest Bell mal die Hochzeitsvorbereitungen zeigen“, sagte Hedi zu Penny. Sie wandte sich an mich. „Wir hatten dir schon ein Brautkleid genäht, aber das, was du da anhast, ist noch schöner.“
Das bezweifelte ich nicht. Ich überlegte. Ich hatte ganz gewiss keine Lust, mir von dieser dummen Penny diese scheußlichen Hochzeitsvorbereitungen zeigen zu lassen. Andererseits war es vielleicht gut, wenn ich mich ein bisschen umsah. Vielleicht fand ich einen Fluchtweg. Natürlich konnte es nicht mehr lange dauern, bis mich Eleaouniaoiuosiu rettete, aber ich konnte ihm ja vielleicht helfen, indem ich ihm den Eingang zeigte. Also folgte ich Penny.
„Das ist unser Tanzsaal“, erzählte Penny und deutete auf eine riesige Halle. „Wir haben sogar eine Orgel. Guck mal.“ Und bevor ich wusste, was geschah, griff sie in die Tasten und spielte so grässlich, dass ich laut aufstöhnte vor Schmerz.
„He, du singst gut!“, rief sie.
Ich blickte sie ein wenig irritiert an. Natürlich sang ich wunderschön, aber wann hatte sie mich denn gehört?
Penny zeigte mir noch die Spielhalle und den Flur und es war alles schrecklich trist und schmutzig. Erschreckend war die Vorratskammer, die eigentlich keine Kammer, sondern auch eine Halle und von oben bis unten mit Bier vollgestopft war.
„Du kannst dich jederzeit hier bedienen“, erklärte Penny mir mit einem stolzen Grinsen. „Und jetzt gehen wir in die Küche.“
Wir betraten den nächsten Raum. Zahlreiche Trollinnen grinsten uns an, jubelten, als sie mich sahen und schwenkten grinsend ihre unästhetischen Hände. Die sie gerade aus der Nase geholt hatten. Oder den Ohren. Oder dem Bauchnabel.
„Was tun sie da?“, fragte ich entsetzt.
„Popelproduktion“, erklärte Penny. „Man muss sie morgens früh ernten, dann sind sie am besten.“
Mir wurde wieder übel, ich schwankte bedrohlich.
„Oh, ich glaube, du hast nicht genug gegessen, du bist ja ganz bleich. He Leute, rückt mal ’n bisschen Rotz raus.“'
Sofort rannte jemand zu uns und gleich darauf drückte Penny mir eine Handvoll Popel hin.
„Ich vertrage doch keine Popel“, sagte ich schwach vor Elend.
„Das sind keine Popel. Das ist Augenrotz.“
Ich schlug mir schnell die Hand vor den Mund, als der Drang, mich zu entleeren, übermächtig wurde.
„Penny, wo kann man sich denn hier übergeben?“, fragte ich.
„Wie, du willst kotzen? Komm mit.“
Penny führte mich in irgendeine Ecke mit einem tiefen Loch.
„Darunter ist die Klärgrube. Kotz einfach da rein.“
Immerhin gab es eine Klärgrube. Ich trat näher heran und wartete, dass Penny mich allein ließ. Sie blieb einfach stehen. Offenbar durfte man hier sich nicht einmal ungestört übergeben. Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung hatte, wie man das tut, da ich mich noch nie übergeben hatte. Ich habe davon gehört und ich finde das einfach widerlich. Nun aber spürte ich so ein seltsames Gefühl in der Kehle, dass es vielleicht nötig sein könnte. Mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen, weil ich dieses Gefühl nicht kannte.
„Na, musst du jetzt kotzen, oder nicht?“, fragte Penny ungeduldig.
„Ich würde es vorziehen, dies allein und unbeobachtet zu tun.“
Penny schüttelte grunzend den Kopf. „Na, meinetwegen, dann warte ich da hinten, bis du dich entschieden hast, ob du nun kotzt oder nicht.“
Ich schaffte es schließlich mithilfe meines starken Willens und Durchhaltevermögens, doch nicht zu erbrechen.
Penny musterte mich stirnrunzelnd, als ich zurückkam. „Sag mal, habt Eddy und du vielleicht was gemacht, dass dir jetzt so schlecht ist?“
„Wie bitte? Was meinst du mit gemacht?“
Sie verdrehte die Augen. „Na ja, bist du vielleicht schwanger?“
Eine Sekunde lang sah ich sie verwirrt am. Dann ging mir auf, was genau sie meinte, und ich rannte zurück und übergab mich unter schmerzhaften Krämpfen in diesen Brunnen. Es war wirklich ein grausiges Erlebnis und es machte meinen Wunsch nach Zahnpasta noch dringlicher.
Penny betrachtete mich ungerührt, als ich zurückkam. „Und, genug gekotzt?“
Ich verzog bei der vulgären Sprache das Gesicht und nickte steif.
Penny grinste. „Willst du mal das Superschlaue Buch der Superschlauen Sprüche sehen?“
Ich erinnerte mich, dass Eddy schon einmal so ein Buch erwähnt hatte, aber ich hatte keine Ahnung, was es sein sollte. Bis jetzt hatte ich hier noch gar kein Buch gesehen. Ich bezweifelte, dass die Trolle überhaupt lesen konnten.
„Komm mal mit, ich zeig dir’s“, fuhr Penny fort und grinste verschwörerisch.
„Ihr habt eine Bibliothek?“, fragte ich.
„Bibbiwas?“
Ich seufzte tief. „Schon gut“, wehrte ich ab.
„Das Superschlaue Buch der Superschlauen Sprüche is unser Allerheiligstes“, plapperte Penny weiter. „Da stehen ganz viele Sachen drin und die meisten stimmen. Weißt du, Proffezeihungen.“
Ein Buch der Prophezeiungen hier bei den Trollen? Ich wunderte mich.
Penny führte mich in eine kleine Kammer, die bis auf eine kleine gläserne Vitrine leer war. Sie warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, legte den Stummelfinger an ihre Lippen und näherte sich der Vitrine. Mit einem glücklichen Strahlen hielt sie mir ein altes Taschenbuch hin.
„Schau mal. Die Seiten sind aus echtem Klopapier“, flüsterte sie, als sie es ehrfürchtig aufschlug. „Uralte Weissagungen.“
Ich sah über ihre Schulter. In krakeliger Schrift standen dort Dinge wie „Ein schlauer Mann ist immer schlau“, „Wenn sich vier mutige Trolle mit drei mutigen Trollen zusammentun, werden es sieben mutige Trolle sein“ und „Der Weise sucht den Popel nicht nur, er isst ihn auch“.
„All diese Worte haben sich bewahrheitet“, flüsterte Penny. „Und schau mal, hier ist die Weissagung, in der du vorkommst.“
Ich las: „Ein guter Troll wird eine schöne Frau finden.“
Penny blickte mich erwartungsvoll an. „Na?“
Ich hätte so vieles dazu sagen können. Die Aussage stimmte schon mal nicht, weil Eddy kein guter Troll war. Was mich etwas stutzig machte, war die Sache mit der schönen Frau. Die Trollinnen waren gewiss nicht schön. Aber andererseits war ich ja auch nicht die einzige schöne Frau auf der Welt. Es gab ja auch noch die Alawarinnen. Aber ich verstand auch, dass ich für die Trolle wohl die schönste Frau war, die sie je gesehen hatten.
Aber ich musste Penny ja in dem Glauben lassen, dass ich Eddy heiraten wollte. Dennoch schüttelte ich den Kopf. „Diese Aussage kann vieles bedeuten. Ich gebe zwar zu, dass ich sehr hübsch bin“, ich lachte verlegen, „aber ich bin doch nicht die einzige schöne Frau auf der Welt.“
„Ja, aber du bist sehr schön. Eddy ist ein guter Troll und er hat dich gefunden. Das kann ja kein Zufall sein.“
Ich seufzte.
Es wurde nicht besser, je länger ich bei den Trollen lebte. Ich weiß nicht, wie lange ich dort weilte. Mir schien es wie Jahre, aber es können auch nur ein paar Wochen oder Tage gewesen sein. Mein einziger Trost in dieser Zeit war Eleaouniaoiuosius Brief, den ich stets auf meiner Haut trug. Es gab mir ein wenig das Gefühl, von Eleaouniaoiuosiu selbst umarmt zu werden. Des Abends, wenn ich traurig und mutterseelenallein auf mein erbärmliches Lager sank, nahm ich ihn hervor. Ich las ihn immer wieder, sog die liebevollen, zärtlichen Worte in mich hinein, achtete jedoch stets darauf, beim Lesen nicht zu weinen, damit er nicht nass wurde. Ich strich sacht über das Papier und roch daran. Eleaouniaoiuosius Duft brachte einen Hauch des Glückes, das ich in seiner Gegenwart empfunden hatte, zurück.
Ich wollte gar nicht wissen, was die Gefangenschaft mir antat. Ich fürchtete, dass sie nicht nur meinem Verstand schaden würde, sondern auch meinem Aussehen. Es gab keine Spiegel bei den Trollen, doch einmal sah mir aus dem Bierkrug ein Gespenst entgegen, das nichts mehr mit der strahlenden Schönheit von einst zu tun hatte. Würde Eleaouniaoiuosiu mich überhaupt wiedererkennen? Ich wusste, dass er mich auch hässlich lieben würde. Er wusste ja, dass ich nicht durch eigene Schuld so verwahrlost war. Und er wusste, wie unwichtig Äußerlichkeiten sind, solange die Seele rein ist. Doch wie lange noch konnte ich den dunklen Mächten, die mich umringten, widerstehen?
Nach und nach begann ich etwas mehr Bier zu trinken. Ich hasste es nach wie vor, doch verlor es allmählich den unsagbaren Schrecken. Ich bekam Angst, dass ich die andere Welt, die Welt, in der ich glücklich gewesen war, eines Tages vergessen würde. Dass ich Eleaouniaoiuosiu vergessen würde.
Eleaouniaoiuosiu. Was war mit ihm? Und was war mit Holly? War ihr etwas zugestoßen? War sie gefangen oder – schlimmer noch – ermordet? Der Gedanke, dass Holly, meiner lieben kleinen Freundin, etwas Böses geschehen war, schmerzte sehr, doch noch schlimmer war der Gedanke, nun selbst für immer hier festzustecken. Was sollte die Welt nur ohne mich tun? All die Hilfsorganisationen, die ich ins Leben gerufen hatte, würden ins Leere laufen. Niemand würde den armen und behinderten Menschen helfen.
Irgendwann plötzlich geschah es, dass sich mir ein Hoffnungsschimmer zeigte. Als ich gerade auf dem Weg zum Waschraum war, sah ich plötzlich etwas Zartes, Kleines in der Luft schweben.
„Holly!“, rief ich überglücklich. „Liebste Freundin!“
„Ich kenne keine Holly“, sprach die Zahnfee.
Sie kam näher und nun sah ich, dass sie ein bisschen anders aussah, ihre Haare waren weiß und ihre Flügel dunkelblau, aber ansonsten sah sie ganz genau wie Holly aus. Was war mit Holly? Vielleicht wusste sie es.
„Holly ist eine deiner Schwestern. Sie ist meine liebste kleine Freundin und sie ist auf dem Weg, mich zu retten. Sprich, wie geht es ihr? Oh bitte sag, dass ihr nichts geschehen ist.“
„Ich kenne keine Holly.“
„Aber sag, was ist mit Eleaouniaoiuosiu, meinem Liebsten?“, fragte ich mit bebenden Lippen. Mein großes Herz hämmerte schmerzhaft in meiner Brust.
Die Zahnfee, die nicht Holly war, grinste. „Dem geht’s gut.“
Ich ließ die Luft mit einem befreienden Knall entweichen. Meteoriten fielen mir vom Herzen. „Gott sei Dank! Oh sprich, sorgt er sich sehr um mich?“
„Oh ja, ganz furchtbar sogar. Er hat mich geschickt, um dich zu suchen.“
„Oh liebste Holly“, rief ich aus.
„Blenda.“
„Oh liebste Brenda! Sag ihm, dass ich ihn über alles liebe und seiner sehnsüchtigst erwarte!“
Sie lächelte mir zu. „Oh ja, mach ich. Ich glaube, er kommt schon ganz bald.“ Sie lächelte auf eine Weise, als könne sie sich kaum beherrschen, einen großen Freudenschrei auszustoßen.
Mir selbst ging es genauso, nur noch millionenmal stärker. Endlich. Nach so langer Zeit würde ich wieder mit Eleaouniaoiuosiu vereint werden, ihn heiraten und glücklich bis an mein Lebensende werden.
„Sag mir, Brenda, meine teure Freundin, wie geht es ihnen allen, meinen lieben Freunden? Wie geht es der guten Aleratiroanouleionala? Wie sehr sehne ich mich danach, alle wiederzusehen! Und Iraeliat’o’eilpat’ra, die mir wie eine Mutter war! Und Orileiaoulaioleonalauloeor, meine liebste Freundin. Wir haben uns nicht oft gesehen, doch wir waren uns in der Seele tief verwandt. Und all den lieben Tieren und Blumen und deinen Schwestern …“
„Denen geht’s gut. Wirklich saugut.“
„Wie sehr erfreut es mein armes verlassenes Herz, das zu hören!“, rief ich unter Tränen der Freude. Doch ich wusste, dass es ihnen erst wieder wirklich gut ging, wenn sie mit mir vereint waren, denn ich fehlte noch zu ihrem Glück.
„Richte ihnen allen meine tiefste Liebe aus, ja? Und auch der guten Holly, wenn sie noch lebt.“
„Ich kenne immer noch keine Holly. Aber gut, ich werde es ihnen ausrichten.“
„Oh ich werde dir auf ewig dankbar sein!“
„Oh. Das ist praktisch. Dann kann ich jetzt tun, was ich will?“
Ich lächelte sie liebevoll an. „Nichts wird meine Dankbarkeit je schmälern, meine treue Freundin.“
„Oh, das ist nett. Tja, ich muss dann mal wieder zurück zu den Elben.“
„Und du denkst daran, ihnen meine Nachricht zu überbringen?“
„Jaja.“
„Und sag Eleaouniaoiuosiu, dass ich Tag und Nacht an ihn denke.“
„Jaja.“
„Er ist der Einzige in meinem Herzen.“
„Ach?“
Ich nickte glücklich. So eine tiefe Liebe, wie sie zwischen Eleaouniaoiuosiu und mir bestand, hatte noch nie jemand gesehen.
„Und wie sehr ich mich nach ihm sehne.“
„Das auch noch?“, fragte sie ungläubig.
„Ja“, erwiderte ich inbrünstig. „Das auch noch. Du denkst doch an alles, ja?“
„Klar doch.“
„Auch daran, dass du Eleaouniaoiuosiu sagst, wie sehr ich ihn liebe?“
Sie seufzte, sicher hingerissen ob der Romantik. „Ja, ja, ich sag ihm, dass du ihn liebst und dich nach ihm sehnst, dass er dein Seelenpartner ist, dass du dich nach ihm verzehrst, dass du immer an ihn denkst und dass er dein unsterbliches, einziges Herzblatt ist. Sonst noch was?“
Ich lächelte sie voller Wärme an. Zahnfeen sind wirklich liebe, süße, kleine Geschöpfe. „Das hast du sehr schön ausgedrückt. Und sag ihm auch noch, dass ich ihn ewig lieben werde, ja?“
„Ja doch. Tschüss.“
„Lebe wohl, meine kleine Freundin“, rief ich ihr nach, als sie sich voller Energie aufmachte. „Gott sei mit dir, er behüte und beschütze dich!“
Ich sah ihr nach. Bald schon würde ich Eleaouniaoiuosius Lippen an den meinen spüren, seine Zunge in meinem Mund. Sie wurde über meine Zähne strei– oh!
„Holly!“, rief ich ihr hinterher. „Holly!“
„Ich heiße immer noch nicht Holly.“
„Gott sei gelobt, du bist noch da! Liebste Holly, meine Freundin, kannst du mir Zahnpasta besorgen?“
„Sicher. Soll sie rosa und mit Herzchen sein?“
„Oh ja, das wäre wunderbar, wenn du so etwas bekommst. Ich danke dir von Herzen.“ Und ich habe ein sehr großes Herz. Dem, der mir einen Gefallen tut, bin ich mein Leben lang dankbar und tue Gutes für ihn.
---
Womöglich wirkt es so, als hätte ich es auf die Feen von Belletristica abgesehen, weil hier eine Belle und eine Penny vorkommen. Das ist aber reiner Zufall, die Story entstand bereits, bevor es Belletristica gab.