»Man beachtet erst Jemanden, wenn man ihn nicht mehr beachten kann.« ~ FireFlyFoxy
Foxy taumelte zurück. Vor ihr ging es steil in die Tiefe, und der Boden war schwindelerregend weit entfernt. Ihr Herz schlug sofort schneller. Schritt für Schritt wich sie von dem Abgrund zurück und bekämpfte den Schwindel, der in ihr aufstieg.
Sie konnte erst nach einer Weile wieder ruhig durchatmen. Es war ein Fehler gewesen, blindlings drauf los zu rennen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie sich nicht rechtzeitig ausgebremst hätte. Dann wäre sie jetzt tot.
Sie dankte ihren Schutzengeln, während sie ihre zitternden Finger beruhigte und sich wieder umsah. Von dem großen Wesen, dass ihr überhaupt erst diese Mordsangst eingejagt hatte, war nichts mehr zu sehen. Es war generell recht wenig zu sehen. Foxy sah sich aufmerksam um und lauschte. Sie musste sich beruhigen. Sie musste herausfinden, wo sie war, und was für Regeln an diesem Ort galten. Sie hörte fernes Gebrüll, irgendwo schnatterte etwas. Die Bäume standen hier zu dicht, um weit zu sehen. Hohe Farne beschränkten Foxys Sicht weiter. Alles mögliche könnte sich hier an sie heran schleichen.
Und das musste sie verhindern.
Sie schlich sich lautlos durch die Schatten unter den Bäumen. Ihre Haut hatte sie mit Schlamm bedeckt, der Vermutung folgend, dass die rätselhaften Wesen hier sie wittern konnten. Sie war sich nicht sicher, dass der Schlamm viel helfen würde, aber er machte auch Hitze und Kälte besser erträglich und verbarg sie vor neugierigen Blicken.
Als erstes brauchte sie einen Aussichtspunkt. Einer der Bäume wäre vielleicht eine Idee gewesen, aber das kam nicht in frage. Sie würde eher herunter fallen, als ein sicheres Versteck mit Aussicht zu erreichen.
Also hielt sie sich im Schatten, huschte von Deckung zu Deckung und lauschte dabei mit angehaltenem Atem auf die Geräusche um sich her.
Das Brüllen wiederholte sich immer wieder. Aber an sich war es sehr still. Es fehlte der Lärm, der ihr vertraut war. Foxy runzelte die Stirn. Woher vertraut? Sie konnte sich wage an ein anderes Leben erinnern. Alles, was länger als die halbe Stunde zurücklag, die sie hier durch das Gestrüpp kroch, war verschwommen und von vergessenen Wortfetzen durchzogen. Sie meinte sich zu erinnern, an einem Ort gelebt zu haben, wo es meist sehr viel lauter gewesen war. Die Stille machte sie nervös. Die großen Echsen waren noch schlimmer.
Dinosaurier!, fiel es ihr ein. Das waren Dinosaurier. Nur – sollten die nicht tot sein?
Die große Lücke in ihrem Gedächtnis war besorgniserregend.
Sie verließ den Wald einige Minuten später und kam an den Rand einer größeren Lichtung. Mehrere massige Dinosaurier trotteten über die Wiese. Einige sahen nicht einmal so schrecklich aus, da sie weder Hörner, noch Dornen oder Keulen hatten und auch nicht besonders groß waren. Plumpe Vögel watschelten durch ihre Reihen. Foxy beobachtete die Wiesen eine Weile, unsicher, ob sie sich ins Sonnenlicht wagen sollte.
Dann bemerkte sie einen größeren, schlangen Dinosaurier, der direkt auf einen der Vögel zu rannte und ihn angriff.
Erschrocken konnte sie nur zusehen, wie der Räuber, der ihr vielleicht zur Hüfte reichte, den wehrlosen Vogel mit zwei Bissen erledigte. Die anderen Vögel glotzen nur verständnislos und machten keine Anstalten, die Flucht zu ergreifen.
Als der schlanke Saurier weiter jagte, musste Foxy den Blick abwenden. Gut, dass sie nicht die Beute dieses Wesens geworden war!
Aber jetzt hörte sie ihren Magen rumoren, und ihr Verstand sagte ihr, dass dort Fleisch auf sie wartete.
Sie hätte ihren Magen am liebsten ignoriert, aber sie wusste auch, dass sie keine andere Nahrungsquelle kannte als die plumpen Vögel. Der Raubsaurier war noch damit beschäftigt, die verstreuten Vögel zu jagen.
Wenn sie schnell wäre … Foxy kroch vorsichtig vorwärts. Einen Schritt. Noch einen.
Nach der Geschwindigkeit des jagenden Sauriers zu urteilen könnte sie ihm sogar davon rennen. Sie nahm all ihren Mut zusammen, rannte zu dem toten Vogel und hob ihn auf, bevor sie die Flucht antrat. Der blutige Haufen mit einzelnen Federn daran schlug ihr beim Rennen gegen die Beine. Aber Foxy würde nicht anhalten. Sie hechtete in den Wald, dann einen Berg hinauf und erst hier blieb sie mit ihrer Beute keuchend stehen.
Sie grinste.
Wenig später suchte sie sich einen Lagerplatz am Rand des Waldes. Sie konnte die Wiese von hier überblicken und jeden sehen, der sich von dort näherte. Sie hoffte, dass sie es hören würde, wenn etwas aus dem Wald käme. Der Hunger war schlimmer geworden und sie merkte, dass sie ungeduldig und ungeschickt wurde, als sie versuchte, einen Stapel trockenen Holzes zum Brennen zu überreden.
Ihr kleines Feuer rauchte extrem stark und würde wohl auf Meilen zu sehen sein. Falls es Menschen gab, konnten sie es nicht übersehen. Foxys Hoffnung bestand darin, dass die Saurier Angst vor den Flammen haben würden. Sie briet das Fleisch, das sie dem Vogel entnommen hatte, indem sie es auf einen Spieß über das Feuer hielt. Die Sonne senkte sich bereits über den Horizont, während ihr langsam der Geruch von gebratenem – und geräuchertem – Fleisch in die Nase stieg.
Einmal watschelte einer der kleinen Vögel aus dem Dickicht und erschreckte sie fast zu Tode. Er gab ein Gluckern von sich und beobachtete sie neugierig aus schwarzen Augen. Das Tier zeigte keine Furcht, obwohl die Überreste eines toten Kameraden neben Foxy lagen. Sie hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Das Blut hatte sie zwar in einem Bach abgewaschen, und sie hatte den Vogel nicht getötet, aber es klebte doch noch an ihren Händen?
Grimmig zog sie die Nase hoch. Sie musste essen, wenn sie nicht verhungern wollte. Was sollte sie sonst tun?
Der Vogel zog schließlich wieder ab. Foxy sah dem plumpen Tier nach und versuchte krampfhaft, es nicht niedlich zu finden. Sie hoffte, dass sie Beeren oder etwas anderes finden würde, um sich nicht weiter von Fleisch ernähren zu müssen.
Als ihr Fleisch endlich gar war, aß sie schnell und hungrig. Das Fleisch war zäh und schmeckte fad. Sie fragte sich, an was ihre Geschmacksnerven wohl gewöhnt waren, dass sie das Fleisch jetzt verschmähten. Aber eine wirkliche Erinnerung hatte sie nicht. Vielleicht hatte sie schon immer hier gelebt, vielleicht war es ganz normal, ohne Erinnerung irgendwo aufzuwachen?
Ein Knacken unterbrach sie. Da war etwas im Gebüsch!
Foxy sprang auf und sah sich nach einer Waffe um. Alles, was sich ihr bot, war ein Holzscheit aus dem Feuer. Sie hob die Fackel auf und schwenkte sie über ihren Kopf, um dieses Wesen, was auch immer es war, zu vertreiben. Es wurde langsam dunkel, und die Schatten zwischen den Bäumen wirkten bedrohlich.
Es wurde sehr still. Foxy spürte nur allzu deutlich, dass sie beobachtet wurde.
„Komm raus!“, knurrte sie wütend. Sie wollte wenigstens wissen, mit was für einem Wesen sie es zu tun hatte.
Sie hatte nicht mit dem gerechnet, was sich daraufhin aus dem Schatten der hohen Bäume schob.