»Beyond these clouds you can hide all your tears. Beyond this world you'll be safe from their wicked fears.« ~ Lucifer's Angel, The Rasmus
Lucy wachte von einem Geräusch auf, das sie im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Es musste leise gewesen sein, vielleicht ein Kratzen oder ein Rascheln, doch trotzdem war sie in dem Moment, in dem sie die Augen aufschlug, bereits hellwach.
Ihr Puls raste. Ihr Atem ging flach und schnell. Im Lager war es kalt, die kleine Feuerstelle längst erloschen. Lucy hielt den Atem an und lauschte in die Dunkelheit. Die Nacht war undurchdringlich. Alles mögliche konnte dort lauern.
Wieder erklang das Geräusch, kaum hörbar über dem regelmäßigen Atem der Schlafenden. Ein Rascheln. Leise Schritte. Und ein Knurren.
Lucy stieß einen entsetzten Schrei aus, als etwas ihr ausgestrecktes Bein berührte. Sie sprang förmlich in die Luft und rappelte sich auf, während ein Geräusch wie ein kehliges Bellen erklang. Sie spürte eine Bewegung und wich blindlings aus. Nicht weit von ihrem Arm entfernt krachten Kiefer aufeinander. Nur Lucys schnelle Reaktion hatte sie gerettet.
Jetzt kam Bewegung in das Lager. Die anderen waren aufgewacht. Irgendwer fragte laut, was los sei. Lucy achtete nicht darauf, sondern schlug nur nach dem Gehör in die Richtung, aus der das Knurren kam. Ihre Faust trat auf Schuppen. Das Wesen knurrte, dann schnappte es wieder nach ihr. Eine Welle stinkenden Atems schwappte über Lucy, als die Zähne beinahe ihre Nase erwischten.
Endlich war auch den anderen aufgegangen, dass man sie angriff. Es war Nokori, die einen Ast aus dem Feuer zog, dessen Asche sich durch den plötzlich Wind, als er herumgewirbelt wurde, erneut entzündete. Es war schwaches Licht, das die verletzte Frau so erschuf, doch es reichte den an die Dunkelheit gewöhnten Augen der anderen, um zwei große Wesen zu erkennen, die sich in ihr Lager geschlichen hatten.
Die Tiere waren riesig, aber das hielt sie offenbar nicht davon ab, die kleineren Menschen als schmackhafte Zwischenmahlzeit zu interpretieren. Riesige, lange Kiefer wie die eines gewaltigen Krokodils, rasten auf Lucy zu. Sie sprang mit einem Aufschrei nach hinten.
„Weg hier!“, brüllte Thanatos mit seinem Bass, der sogar den Kampflärm übertönte.
Der Krieger selbst packte Nokori am Nacken und warf sie sich über die Schulter. Die Frau ächzte bei der unsanften Behandlung, aber Thanatos achtete nicht darauf, sondern stürmte ins Gebüsch. Lucy folgte ihm sofort. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die zwei Echsen die Verfolgung aufnahmen und auch, dass Kassia, Henry und Ashley schnellstens flohen.
Dann brachen sie durch das Gebüsch. Die Fackel von Nokori erlosch. Aus der Schwärze schlugen Lucy Blätter ins Gesicht, nassen Ohrfeigen gleich. Sie stolperte über Wurzeln und rannte gegen Baumstämme. Fast sofort hatte sie jegliche Orientierung verloren. Sie hörte Schritte um sich her, Schreie und das seltsame Bellen der Echsen. Äste krachten, aber Lucy konnte niemals sagen, ob die Geräusche von den anderen Menschen oder von den Angreifern stammten. Manchmal brach ein Baum unter dem Ansturm der Verfolger, dann wusste sie, dass sie noch nicht in Sicherheit war. Sie rannte blind weiter, stolperte, fiel, sprang wieder auf, stieß gegen Holz, fiel Hänge hinab und lief einmal in eisiges Wasser hinein, lief weiter und stellte zu ihrem Glück heraus, dass es nur ein Fluss gewesen war, und kein Meer oder etwas in der Art.
Als ihr schließlich die Luft ausging, war es still um sie her. Es war kein Knurren zu hören, trotzdem ging Lucy langsam weiter. Sie keuchte, aber sie würde jetzt nicht anhalten, bevor sie sehen konnte, wo die Wesen waren.
Von den anderen Menschen war nichts zu sehen. Offenbar war Lucy in der Dunkelheit von ihnen getrennt worden. Sie kämpfte sich einen kleinen Hang hinauf, doch es war zu dunkel, um viel zu erkennen. Nervös sah sie sich um.
Es tauchten keine Fackeln auf, aber glücklicherweise auch keine hungrigen Monster. Lucy stolperte weiter, ihre Schienbeine schmerzten von der überstürzten Flucht. Sie brauchte ein Versteck, wurde ihr klar.
Und eine Waffe.
Als es wieder Tag war, durchstreifte Lucy hungrig und müde einen Wald voller dicker Baumstämme, die ihr viel zu wenig Sicht in die Ferne boten. Sie hätte nach den anderen gerufen, wollte aber keine Raubtiere auf sich aufmerksam machen. Sie hoffte deshalb, dass einer der anderen diesen Fehler für sie machte.
Als einzige Waffe trug sie einen kleinen Stock in der Hand. Sie suchte nun schon eine Weile nach einem Ausgang aus dem Wald, denn sie war sich ziemlich sicher, dass ein gefährliches Tier sie deutlich schneller entdecken würde, als das andersherum der Fall wäre.
Fast, als wäre ihr Gedanke ein geheimes Zeichen gewesen, zischte etwas hinter ihr und sie spürte einen Schlag in den Rücken. Sie stolperte nach vorne, drehte sich jedoch noch im Fallen um und schwang den Ast in einem weiten Bogen hinter sich. Der schlanke Saurier huschte jedoch außer Reichweite. Lucy fing ihr Stolpern ab und schaffte es, auf den Beinen zu bleiben. Ihr Angreifer war kleiner als sie und sehr schnell. Schon wendete das Wesen und kam zurück. Hinter dem unförmigen Kopf klappte plötzlich ein bunter Kragen auf.
Lucy warf sich mehr auf einen Verdacht hin zur Seite und sah Tropfen eines grünen Sekretes über ihren Kopf segeln. Die Flüssigkeit traf auf einen Baum und die Rinde färbte sich schwarz. Lucy sah nicht weiter zu, denn der Angreifer versuchte, sie zu beißen. Sie wirbelte herum und schlug mit einer Faust seitlich auf den knochigen Kopf.
Der Saurier quiekte, taumelte ein paar Schritte zurück und fiel dann um. Lucy lag halb am Boden, nur auf den Armen aufgerichtet, und starrte keuchend auf ihren gefällten Gegner.
„Na, wie gefällt dir das?“, fragte sie hämisch und stand dann auf. Der Saurier bewegte sich leicht und knurrte, aber offenbar war er bewusstlos.
Lucy wollte nicht herausfinden, wie lange das so bleiben würde. Sie fing wieder an zu laufen und merkte dabei, dass ihr Rücken schmerzte. Offenbar hatte sie sich bei dem Angriff ein paar Verletzungen zugezogen. Jedoch heilten die Kratzer auf ihren Armen zusehens. Sie konnte nur wieder darüber staunen, wie schnell man an diesem Ort heilte.
Andererseits war sie sich sicher, dass der Hunger sie umbringen könnte, ganz zu schweigen von dem Hunger eines Sauriers. Sie duckte sich durch Farne und hoffte inständig, diesen unübersichtlichen Wald bald verlassen zu können.
Und tatsächlich machte bald einer der anderen den erwünschten dummen Fehler.