»Galileo. Galileo. Galileo. Galileo. Galileo, Figaro – magnifico!« ~ Bohemian Rhapsody, Queen
„Galileo Figaro“, murmelte er müde, während er die Augen öffnete.
Helles Sonnenlicht blendete ihn. Er rollte sich auf die Seite und erhob sich schwankend, sein Kopf dröhnte furchtbar. Dazu kam ein stechender, juckender Schmerz in seinem Arm, wo ein blauer Stein im Fleisch steckte. Er strich darüber, doch besann sich schnell darauf, dass er besser nicht daran herum tastete.
Er stand auf, vertrieb den Schwindel, der ihn überkam, und sah sich um.
Er war auf einer Weise. Hohes Gras wogte um seine Beine, und außerdem trug er nur einen Lendenschurz, was kein allzu großes Problem darstellte, da es ein warmer Tag war. Allerdings hörte er ein Zischen, das ganz und garnicht freundlich klang, und drehte sich um, nur, um ein kleines, gefiedertes Wesen auf sich zu fliegen zu sehen.
Mit einem erschrockenen Aufschrei warf er sich nach hinten und stieß einen Fuß vor, mit dem er das Tier am Bauch erwischte und über sich hinweg befördern konnte. Er schlug mit dem Kopf hart auf der Erde auf, was seiner Übelkeit nicht eben abträglich war. Als er sich auf die Seite rollte, hatte sich der Angreifer schon wieder aufgerappelt und rannte, die kurzen Arme mit drei Klauen daran ausgestreckt, auf ihn zu.
Er rollte weiter zur Seite und trat dem Wesen gegen das echsenartige Gesicht, einmal, zweimal, bis der Angreifer unvermittelt zusammensackte.
Atemlos hockte er da und starrte auf das seltsame Tier. Gras schlug gegen seine Arme. Er hörte fremdartige Geräusche, die er nicht einordnen konnte. Dinge kreischten, andere Dinge röhrten. Es war eine fremdartige Welt, doch schon im nächsten Moment merkte er, dass ihm kaum etwas einfiel, das er als normal bezeichnen würde.
Sein Kopf war leer. Er konnte sich an kein Vorher erinnern, keine Gesichter, Stimmen oder Namen tauchten in seinem Gedächtnis auf.
Auch nicht sein eigener Name.
Das einzige, was ihm geblieben war, waren ein paar Fetzen Musik, die durch seinen Hinterkopf geisterten: „Galileo, Galileo, Galileo, Figaro.“ Doch selbst der Name des Liedes war ihm entfallen.
Er fuhr zusammen, als sich die Echse vor ihm regte. Sie war nur bewusstlos! Er sprang auf und brachte eiligst ein paar Schritte zwischen sich und das Wesen, bevor er sich umsah, um zu wissen, in welche Richtung er sich überhaupt bewegte.
Das Grasland erstreckte sich nicht weit. Ein Wald mit niedrigen Bäumen schoss sich an, deren Kronen sich eng verzweigten, bis eine niedrige Halle voller breiter Rindensäulen entstand. Zu einer Seite führte das Gelände zu einer Linie von Klippen, hinter denen er einen Fluss entdeckte.
Und dann erhob sich noch ein Berg über die Ebene.
Als er dorthin sah, entdeckte er Bewegung auf der Seite des Berges, winzige Gestalten, die dort herumkrabbelten wie Ameisen. Er entdeckte auch eine Art Lastenaufzug.
Konnten das Menschen sein? In diesem seltsamen Land, das er noch überhaupt nicht verstand?
Er merkte fast sofort, dass er diesen Fremden misstraute. Waren sie ihm freundlich gesinnt, oder würden sie ihn angreifen, wenn sie ihn entdeckten? Was für eine Zivilisation konnte sich überhaupt hier entwickeln?
Er ging weiter und ließ seinen betäubten Gegner hinter sich zurück. Er schlug entgegen seiner Zweifel trotzdem den Weg zum Berg ein.
Alleine, das wusste er, hatte er keine Chance. Er hielt sich am Waldrand, obwohl sich in den Schatten unter den Blättern alles Mögliche verbergen konnte.
Er wollte nicht vom Berg aus gesehen werden, bevor er bereit war, sich zu zeigen. Er würde sich die Fremden ansehen und dann entscheiden, ob er ihnen vertraute oder nicht.
Sein Vorhaben wurde allerdings dadurch zunichte gemacht, dass er von den Menschen so gut wie nichts sehen konnte.
Sie befanden sich irgendwo auf einer Klippe über ihm, während er ziemlich frustriert im Gebüsch zum Fuß des Berges saß. Nur zwei der Menschen hatte er bisher aus der Nähe sehen können, als sie Holz gebracht hatten, dass mit dem Aufzug nach oben gebracht wurde. Das eine war ein untersetzter, dicklicher Mann gewesen, seine Begleitung eine blasse Frau mit schulterlangen, braunen Haaren, die eine fies aussehende Narbe von einem Stoß durch Bauch und Rücken hatte.
Die beiden kamen mit Bündeln von Holz an, füllten diese in eine Doppelschlinge am Ende des Seils, worauf sich das Holz schwankend in die Höhe erhob und bald außer Sicht verschwand, während die beiden anderen sich den Weg hinauf quälten, unachtsam und erschöpft von einer Reise.
Ihr Beobachter blieb weiter im Gebüsch und versuchte, sich aus dem Wenigen, was er sah, eine Meinung zu bilden.
Um ehrlich zu sein fand er die beiden sehr normal und harmlos. Sie wirkten nicht wie Kannibalen oder Wilde, und falls sie den Aufzug gebaut hatten, könnten sie wertvolle Verbündete sein.
Er merkte, dass sein Gehirn, anstatt sich mit der Frage seiner Zukunft zu beschäftigen, auf einen winzigen Fetzen Musik konzentrierte.
„Galileo! Galileo! Galileo! Galileo!“ wurde in seinem Kopf offenbar in Endlosschleife abgespielt. Er ertappte sich sogar dabei, dass er fast lautlos mitsummte.
Wütend schüttelte er den Kopf. Es gab Wichtigeres, um das er sich kümmern musste! Er war alleine in einer, wie er bereits hatte feststellen müssen, tödlichen Welt und wusste nicht, wem er vertrauen sollte und wem besser nicht.
„Was soll ich nur tun?“, murmelte er halblaut vor sich hin, vielleicht auch teilweise aus Neugier darauf, wie seine Stimme wohl klingen würde.
Er kam allerdings nicht dazu, sich eine Meinung zu bilden.
„Du könntest sich vorstellen“, antwortete eine sehr viel tiefere Stimme hinter ihm.
Er fuhr mit einem Schreckensschrei in die Höhe und fand sich einem erschreckend großen und breitem Mann gegenüber, der lässig an einem Felsen in seinem Rücken lehnte und ihn mit verschränkten Armen betrachtete.
„I-i-ich“, stotterte er und starrte den anderen an, dessen breites, grobschlächtiges Gesicht und die beinahe onyxschwarze Haut.
„Freut mich“, sagte der Andere in einem Tonfall, der alles andere als Freude ausdrückte, und streckte ihm eine Hand entgegen.
Er ergriff die Pranke des Fremden vorsichtig und bemerkte seinen Fehler zu spät. Innerhalb eines Augenblicks wurde ihm der Arm auf den Rücken gedreht. Er schrie auf.
„Stell dich nicht so an“, brummte der Andere und führte ihn den Berg hinauf.
Die Gruppe bestand, abgesehen von dem, der ihn den Berg hinauf zwang, aus sieben Leuten. Fünf Mädchen oder junge Frauen und zwei Männer starrten ihn neugierig an, als er zu ihrem Lager geführt wurde wie ein Schwerverbrecher.
„Wer ist das?“, fragte ein kleines, dunkelhaariges Mädchen misstrauisch.
„Lass den Armen doch los, Thanatos!“, meinte eine andere Frau mit sehr langen, roten Locken.
Er wurde losgelassen und stolperte in den Kreis der Versammelten.
„Wer bist du und warum spionierst du uns nach?“, knurrte ihn der Dunkelhäutige wütend an.
„Ich – ich weiß nicht“, antwortete der Gefangene wahrheitsgemäß: „Ich bin hier aufgewacht, und – und ich wusste nicht, wer ihr seid.“
Er merkte, dass ihm die anderen zuhörten, mal mehr, mal wenige geduldig, deswegen erzählte er knapp von dem Angriff, den er überlebt hatte, und wie er versucht hatte, sich einen Reim auf die kleine Siedlung zu machen.
„Er sieht schwächlich aus, aber dumm ist er wohl nicht“, brummte derjenige, der ihn gefangen genommen hatte, als er fertig war.
Einer der anderen Männer, ein braungebrannter, muskulöser Charakter mit unordentlichen Haaren, lächelte ihn an: „Wie heißt du?“
Das war das Problem, fand der Namenlose. Er wusste es einfach nicht, also zuckte er mit den Achseln.
„Wenn du bleiben willst, müssen wir dich irgendwie nennen“, hakte der junge Mann nach.
„Galileo“, entschied er sich spontan: „Galileo Figaro.“
Und bis auf den Dunkelhäutigen begrüßten ihn die Mitglieder der Gruppe freundlich.