Ihre Vorräte wurden knapp. Zwar hatte sie gemeinsam mit Lucy eine Menge Fleisch gesammelt, aber für die große Gruppe reichte das kaum aus – besonders, da sie auch noch Oskar mit versorgen mussten, der genug für drei von ihnen fraß.
Ashley hatte zögerlich angeboten, ein paar Beeren zu sammeln. Lucy wollte sofort mitkommen – samt Oskar – und auch Kassia, Foxy und Galileo hatten beschlossen, ihr zu helfen.
Jetzt waren sie plötzlich eine größere Gruppe, in der sich Ashley nicht unbedingt wohl fühlte, aber es erhöhte ihre Chancen, nicht gefressen zu werden. Nur Thanatos, Nokori, Mikail und Henry würden in der Zwischenzeit weiter an dem Haus bauen.
Das kleine Team kletterte bis zum Fuß des Berges und verteilte sich von dort aus im Gebüsch. Kassia hielt sich an die Beerenbüsche in der Nähe vom Berg, weit weg von Oskar. Der Saurier streifte mit Galileo und Lucy in Richtung Wald davon. Die beiden wollten weiteres Fleisch jagen. Kassia hatte sie gebeten, in Sichtweite zu bleiben, aber Ashley bezweifelte, dass Lucy darauf hören würde.
Im Endeffekt blieben Ashley, Kassia und Foxy zurück. Während die beiden anderen nach Wurzeln gruben und die Büsche nach Beeren abgrasten, spähte Ashley in alle Richtungen. Sie fand das Gelände ein wenig zu unübersichtlich, um sich wohl zu fühlen.
„He, Kassia!“, rief Foxy und winkte der Rothaarigen: „Hier ist eine gute Stelle!“
In einer kleinen Senke hatte das blasse, blonde Mädchen ein Dornengestrüpp gefunden, dessen Äste von Beeren nur so überquollen. Kassia und Ashley liefen beide dort hin.
„Wir müssen auf die verdammten Dornen aufpassen“, erklärte Foxy und hob zum Beweis eine Hand, die bereits arg zerkratzt war. Ashley hockte sich an den Rand der Grube. Von da unten könnten sie eine Gefahr überhaupt nicht bemerken, wenn sie sich ihnen näherte.
Auch Kassia bemerkte ihr Zögern und fragte: „Hältst du uns den Rücken frei?“
Ashley nickte eilig. Auch Foxy sah jetzt auf: „Dann geh am Besten ein wenig in Deckung. Du kannst ja eine unauffällige Wächterin sein.“
„Okay ...“, sagte Ashley langsam und sah sich um. Sie machte einen Baum in der Nähe aus, immer noch in Hörweite, in dessen Geäst sie sich verstecken konnte.
„Das ist eine gute Idee“, hörte sie Kassia zu Foxy sagen.
Das zierliche Mädchen zuckte mit den Schultern: „Ich glaube, ich habe sowas mal gelernt.“
Ashley musterte Foxy neugierig, während sie in den Baum kletterte. Nach einigen Tagen schien ihre Vergangenheit tatsächlich langsam zurückzukehren. Allerdings fühlte sie sich darüber nicht gerade glücklich. Sie hatte eher das Bedürfnis, sich alleine in irgendeinen Schatten zurückzuziehen, wann immer sie an ihre Vergangenheit dachte.
Vielleicht war das auch einfach ihr Wesen. Sie war nicht gerne in der Nähe von Menschen. Auf dem Baum zu hocken, in Hörweite, aber nicht mehr Teil des Gespräches, eine stumme Zuhörerin, das lag ihr am meisten.
Kassia und Foxy stellten Vermutungen über ihre Vergangenheit an, ohne etwas Spezielles zu wissen. Ein paar Erinnerungen an eine andere Welt schienen zurück zu kommen.
„Ich erinnere mich an Uhren“, meinte Foxy und sah in den Himmel: „Sie machten den Tag viel strukturierter.“
„Ich habe das Gefühl, die Tage hier sind länger“, meinte Kassia: „Aber wir haben auch wenig zu tun. Wir müssen nur überleben.“
„Das war einfacher, glaube ich.“
„Zumindestens gab es keine Dinosaurier.“
„Da hast du verdammt noch eins recht!“
Die beiden hörten sich an, als hätten sie ihre Träume verglichen und festgestellt, dass es erschreckend viele Gemeinsamkeiten gab. Ashley lächelte schwach. Aber ihre Gedanken wanderten zu Lucy. Sie hoffte, dass sie und Galileo sich nicht in Gefahr bringen würden. In dieser Welt gab es so vieles, was einen töten könnte.
Sie wanderten über den Verlauf des Tages durch den Wald. Kassia und Foxy hatten bald riesige Haufen mit Beeren angesammelt. Sie brachten die Ausbeute zu dem kleinen Aufzug. Mikail hatte inzwischen einen Korb geflochten, der mehrere Male in die Höhe gehievt werden konnte, bis keine Beeren mehr zurück blieben. Dann zogen sie wieder los.
Schon beim Sammeln knabberten Kassia und Foxy an den ersten Beeren. Die Rothaarige dachte auch daran, Ashley eine handvoll zu geben. Ashley war so überrascht und erschreckt, dass sie kaum etwas sagte und sich nur in ein neues Versteck zurück zog und die Beeren nacheinander aß.
Irgendwann hörte sie ein hohes Sirren, das sie sofort alarmierte. Sie sah auf und entdeckte ein seltsames Wesen, das direkt auf ihre kleine Gruppe zuflog. Es könnte eine Mücke sein, wenn sie nicht so riesig wäre.
„Vorsicht!“, rief sie. Kassia und Foxy hoben die Köpfe und erblickten das seltsame Wesen ebenfalls.
„Was ist das zur Hölle?“, fragte Foxy angewidert.
„Sieht fies aus“, meinte Kassia und die beiden wichen aus der Flugbahn des Rieseninsektes zurück.
Doch die Mücke kam nicht allein. Knapp hinter den beiden Frauen tauchte plötzlich eine weitere aus dem Gebüsch auf.
„Hinter euch!“, quiekte Ashley und sprang aus dem Busch.
„Lauft!“, sagte Kassia und lief voraus.
Die anderen folgten ihr, und die Mücken bildeten eine große, schwarze Wolke hinter ihnen. Es waren erschreckend viele, vielleicht zwanzig, vielleicht auch mehr. Ashley rannte an der Seite der anderen. Die bisher gesammelten Beeren fielen auf den Boden und tanzten über Steine und Äste.
Sie flüchteten um eine Biegung des Berges. Dahinter sahen Lucy und Galileo erstaunt auf, die eben den Korb mit Fleisch befüllen wollten.
„Weg hier!“, schrie Foxy ihnen zu. Dann sahen die beiden auch die schwarze Wolke hinter ihnen, die aggressiv summte.
„Zum Wasser!“, rief Galileo und deutete in eine Richtung. Blindlings liefen die Fünf los. Die Mücken waren schneller als sie. Ashley spürte schmerzhafte Stiche, als die Moskitos sie angriffen. Sie schlug nach den Wesen, traf aber kaum welche. Die Tiere waren schnell!
Mit Galileos Führung erreichten sie einen kleinen Fluss und sprangen eiligst in das flache Wasser. Ashley lag auf dem Bauch und hob nur den Kopf über das Wasser. Die Mücken sirrten über ihr. Plötzlich musste sie an Helikopter denken. Das Bild der Maschinen tauchte plötzlich vor ihrem Inneren Auge auf. Ein Stück Vergangenheit.
„Oskar!“, rief Lucy neben ihr. Der Saurier war an Land geblieben und sprang jetzt dort herum. Die Mücken griffen auch ihn an. Das Mädchen hatte furchtbare Angst um ihr Haustier. Sie wollte aufspringen, aber Ashley streckte einen Arm aus. Sie hielt Lucy fest und zog sie zurück ins Wasser: „Nein!“
Lucy wehrte sich. Ashley hielt sie weiter fest, ihr Herz raste vor Angst. Aber sie wollte nicht zulassen, dass Lucy sich in Gefahr begab.
Wenige Minuten später hatte Oskar die Mücken besiegt. Das Tier blutete aus mehreren kleinen Wunden. Ashley ließ Lucy los, die sofort zu dem hässlichen Tier lief und seine Wunden untersuchte.
Die toten Tiere ließen sich besser untersuchen. Tatsächlich waren es riesige Libellen. Und es waren bloß sechs gewesen.
„Wo kamen die Mistviecher her?“, keuchte Foxy.
„Blut, nehme ich an“, sagte Lucy: „Die haben uns schon eine Beute streitig gemacht.“
„Aasfresser“, murmelte Galileo und hob eine der Libellen an: „Bringen uns Fleisch.“
Ashley ließ sich erschöpft ins Wasser sinken. Immerhin war sie mal dazu gekommen, ein Bad zu nehmen.
„Ich hasse diese Insel“, murrte Lucy, während die Gruppe sich aus dem Wasser begab, und das Fleisch der Insekten einsammelte.