„So. Bitte sehr!“, sagte Mikail stolz.
Nokori sah von dem Speer auf, an dem sie bis eben gearbeitet hatte. Auch der Rest der Gruppe erhob sich von den jeweiligen Plätzen, die sie um das Feuer herum eingenommen hatten. Der Geruch nach gebratenem Fleisch erfüllte den aufziehenden Abend.
Mikail war der Einzige gewesen, der nicht das Licht und die Wärme des Feuers gesucht hatte. Jetzt kam er grinsend auf sie zu und präsentierte einen recht unidentifizierbaren Haufen.
„Was ist das?“, fragte Lucy und schnüffelte.
„Kleidung!“, sagte Mikail stolz und breitete die Sachen aus gegerbtem Leder vor ihnen aus. Es waren neun Hosen und neun Oberteile, sehr einfach gefertigt aus Lederstreifen, die mit groben Schnüren verbunden waren.
„Wolltest du nicht am Haus arbeiten?“, fragte Thanatos misstrauisch.
„Ja, aber als ich überlegt habe, ob man das Leder für Wände verwenden könnte, bin ich auf die Idee mit der Hose gekommen, und immerhin sind die Sachen praktisch, oder?“, fragte Mikail und grinste wie ein kleines Kind: „Ist ja auch wärmer so.“
Die anderen verteilten sich. Mikail begann, die Kleidung herum zu reichen.
Nokori stellte sich genau wie die anderen an. Mikail hatte ihre Größen geschätzt, aber er war erstaunlich gut darin. Ein wenig zögerlich schlüpfte Nokori in eine einfache Hose und zog das Oberteil über. Das Leder war steif und fühlte sich kühl an, aber nach einer Weile gewöhnte sie sich daran.
Knarzend durch die neue Kleidung setzten sie sich zurück ans Feuer, wo Lucy in den Flammen stocherte und auf das Fleisch achtete.
„Hey, ich habe eine Idee“, plapperte Lucy aufgeregt und sah Thanatos an: „Wir könnten doch noch mehr Dinosaurier zähmen!“
Thanatos zog sofort die Stirn in tiefe Falten: „Bist du übergeschnappt?“
Lucy zuckte mit den Schultern: „Wir müssen ja keine Raubtiere nehmen.“
Thanatos schnaubte. Niemand sonst sagte etwas. Nokori konnte in den Gesichtern der anderen nicht ablesen, was sie dachten. Sie selbst fand die Idee ganz gut – wenn man bedachte, dass die Dinosaurier irgendwie ernährt werden wollten.
Thanatos seufzte: „Was sollen uns diese Dinos bringen?“
Lucy grinste: „Es sind Dinosaurier! Sie sind cool.“
„Sie könnten uns im Kampf helfen“, sagte Nokori langsam: „Aber sie könnten uns auch die Haare vom Kopf fressen.“
„Wenn sie uns helfen sollen, müssen sie ja stark sein“, sagte Galileo und rückte ein wenig näher ans Feuer: „Ich würde so etwas nicht überfallen.“
„Wir müssen sie nur mit den schwarzen Beeren betäuben“, erklärte Lucy.
Nokori war sich selbst nicht sicher, was sie von der Idee hielt. Bis auf Lucy schien sich überhaupt Niemand sicher zu sein.
Thanatos knurrte: „Wir werden sehen. Unsere erste Aufgabe ist das Haus.“
Nachdem sie gebratenes Fleisch gegessen hatten und mit ihrer neuen Kleidung die Nacht endlich einmal durchschlafen konnten, waren die Überlebenden am nächsten Morgen schon zuversichtlicher. Mikail machte neue Pläne für das Haus, die er schon im nächsten Moment über einen Haufen warf. Schließlich setzte sich Kassia zu ihm und zwang ihn, von seinem Plan mit einer riesigen Brücke zu den in der Ferne sichtbaren Bergen abzusehen.
„Nicht mal einen Balkon?“, hörte Nokori ihn fragen.
„Keinen Balkon“, sagte Kassia streng.
Nicht weit entfernt bearbeitete Lucy Galileo: „Komm schon! Du findest Dinos doch auch toll!“
„Nein, finde ich nicht!“, schimpfte Galileo unfreundlich: „Ich kenne sie. Die meisten würden uns zum Frühstück verspeisen!“
„Ach, bitte! Nur einen kleinen! Einen Dodo – komm schon!“
Nokori nahm ihren Speer auf, der an der Hüttenwand lehnte und trat an den Rand der Klippe.
„Verschwinde!“, fuhr Galileo Lucy an. Da die Stimme des Mädchens nicht nochmals erklang, schien er damit endlich Erfolg zu haben.
„Hey, Noko!“, hörte Nokori eine Stimme hinter sich.
Sie schloss einen Moment die Augen, bevor sie sich umdrehte: „Hallo Lu.“
Sie gab sich alle Mühe, freundlich zu wirken, aber um ehrlich zu sein war sie schon im Voraus genervt.
„Du warst doch auch dafür, einen Dino zu zähmen. Kommst du mit?“
„Ob ich mitkomme?“, fragte Nokori entsetzt: „Nein! Und du bleibst besser auch hier!“
„Ich muss Oskar füttern!“, sagte Lucy mit vor der Brust verschränkten Armen.
Nokori stöhnte unwillig: „Aber du wirst keine Dinosaurier zähmen!“
„Na gut“, sagte Lucy sofort: „Kommst du dann kurz mit runter? Du bist doch eine gute Wächterin.“
Nokori traute dem plötzlichen Frieden nicht. Allerdings war es wohl besser, ein Auge auf Lucy zu haben.
Sie folgte dem Mädchen den geschwungenen Weg herunter. Lucy hüpfte sorglos voraus.
Am Fuß des Berges wartete Oskar schon ungeduldig. Er gurrte, als Lucy ihn erst streichelte und ihm dann mehrere Batzen Fleisch gab. Der Dino verschlang sie gierig.
Nokori stützte sich auf ihren Speer und sah sich wachsam um. Sie merkte, dass Lucy Recht gehabt hatte. Sie war eine Wächterin, jedenfalls deutlich eher, als dass sie mit irgendwelchen Riesenechsen knuddeln würde.
Sie behielt die Umgebung im Auge. Ihre Lektion mit Dinosauriern hatte sie gelernt, als sie in dieser fremden Welt aufgewacht war.
„Oh, was ist das denn?“, fragte Lucy mit einem Unterton, der offensichtlich machte, dass sie log. Nokori sprang vor, um das Mädchen am Arm zu packen, aber Lucy huschte bereits in das Gestrüpp.
„Lucy!“, rief Nokori ihr nach. Dann fluchte sie. Wenn sie jetzt zurück nach oben lief, wäre Lucy über alle Berge und wohl tot, bis sie sie fanden.
„Du wirst das bereuen, wenn ich dich habe!“, rief sie dem Mädchen hinterher und stürmte los.
„Wuhu, Dinojagd!“, jubelte Lucy irgendwo vor ihr.
Nokori hasste das Mädchen.