Galileo sah auf, als sich ihm schon wieder Schritte näherten. Diesmal war es zum Glück Kassia und nicht Lucy.
Die junge Frau fuhr sich durch die roten Locken: „Du weißt nicht zufällig, wo Lucy ist?“
Galileo seufzte: „Nein. Ich bin gerade froh, dass sie nicht hier ist.“
Statt sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben, blieb Kassia stehen und sah sich auf dem kleinen Plateau um: „Sie sind schon eine ganze Weile weg. Nokori auch.“
„Sicher, dass sie nicht einfach im Haus sind und Mikail helfen?“, fragte Galileo mit einem ungehaltenen Unterton.
„Da schnarcht nur Henry vor sich hin“, gab Kassia an: „Ich mache mir Sorgen!“
„Das sehe ich“, knurrte Galileo und stand mit einem Stöhnen auf: „Ich werde mal gucken, ob sie unten bei Waldemar sind.“
„Oskar“, berichtigte Kassia.
„Ich weiß“, brummte Galileo und stapfte los.
„Pass auf dich auf!“, rief ihm Kassia hinterher.
Unten stand zwar Oskar und keckerte fröhlich, als Galileo auftauchte, aber ansonsten war Niemand zu sehen.
Der kleine Dino stieß ihn in der Hoffnung auf Fleisch mit dem hässlichen Kopf an. Galileo drückte ihn zur Seite: „Wo ist denn deine Nervensäge von einem Frauchen hin?“
Der Dinosaurier antwortete natürlich nicht.
Galileo schnaubte und ging los. Er hatte einen Speer mitgenommen, wusste aber, dass er kaum damit umgehen konnte. Seltsame Geräusche drangen an seine Ohren. Er spähte misstrauisch in die Kronen der nahen Bäume. Was mochte sich dort alles verstecken?
Er kam nicht besonders weit, als er plötzlich einen Schrei hörte. Galileo fluchte. Wenn er sich nicht irrte, gehörte die Stimme Nokori. Oben auf dem Berg musste man die Stimme auch gehört haben, also lief Galileo sofort los. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Er stürmte auf eine kleine Lichtung hinaus, als ihm Nokori und Lucy entgegen gerannt kamen. Hinter ihnen stürmte etwas Riesiges durch die Bäume und warf die schmalen Stämme zur Seite.
Galileo erstarrte, als er die langen Hörner und den distinktiven Nackenschild sah. Die Erde bebte, als das Wesen aus sie zu kam. Galileo löste sich im letzten Moment aus seiner erschrockenen Starre und sprang zur Seite. Nur eine Handbreit entfernt trampelte das Tier die Pflanzen nieder. Es schenkte Galileo keine Aufmerksamkeit, sondern war offenbar auf Lucy und Nokori fixiert, die keuchend flohen.
Galileo rappelte sich schnell auf und folgte den beiden, den Speer in der Hand. Es war sicherlich nicht weise, hinter dem aufgebrachten Dinosaurier her zu laufen. Andererseits konnte er das Mädchen und die junge Frau nicht im Stich lassen. Als er aus dem Wald heraus kam, hockten die beiden auf einem kleinen Felsvorsprung und warfen mit Steinen auf den Nackenschild, während der Dino versuchte, sie zu erreichen. Die Hörner sahen sehr tödlich aus.
Galileo rannte hinter das Dreihorn und warf seinen Speer. Er traf und das Tier röhrte auf. Allerdings blieb die Waffe stecken, und jetzt drehte sich der rasende Pflanzenfresser zu Galileo um.
Ihm blieb keine Zeit, um zu fluchen. Das Tier machte einen Satz auf ihn zu und stieß mit den Hörnern nach ihm. Galileo entkam durch einen blitzschnellen Sprung nach hinten, doch die Spitze kratzte über sein Lederhemd. Er stolperte und fiel auf den Boden. Er hörte die Schreie, mit denen Thanatos und der Rest der Gruppe vom Berg rannten. Doch sie würden nicht schnell genug eintreffen. Lucy und Nokori jetzt ignorierend trampelte der verletzte Dino auf Galileo zu.
Er tastete den Boden ab und suchte verzweifelt nach einer Waffe. Alles, was er fand, war ein Stein, den er gegen den Angreifer warf.
Der Stein traf. Das Tier stöhnte, taumelte, dann warf er den Kopf zur Seite – und fiel um.
Keuchend saß Galileo auf der Erde und starrte den gefällten Riesen an. Das Tier war größer als er, wenn es stand, dabei lief es auf allen Vieren und war eher lang als hoch. Mit klopfendem Herzen und zittrigen Beinen kämpfte er sich hoch und trat zu dem Dinosaurier.
Das Tier atmete noch, was nach einem lauten Knurren klang.
„Jippieh!“, rief Lucy und hüpfte auf ihn zu, als wären sie gerade nicht sehr knapp mit dem Leben davon gekommen: „Gut gemacht, Galileo! Hier.“
Sie drückte ihm eine handvoll schwarzer Beeren in die Hand. Galileo sah darauf, dann fuhr er das Mädchen an: „Was hast du dir dabei gedacht?“
Lucy legte den Kopf schief: „Alles andere ist sofort abgehauen. Und wir wollten doch einen Dino zähmen, oder?“
„Nein, wir wollten bloß Oskar füttern“, schimpfte Nokori, die sich von der anderen Seite näherte: „Ich schwöre, ich bringe dich um, du Miststück.“
Lucy wich hinter den bewusstlosen Dino zurück: „Kommt schon, das war kein bisschen gefährlich!“
Inzwischen trafen Thanatos, Mikail, Kassia, Henry, Foxy und Ashley ein.
„Du willst uns doch alle umbringen!“, zischte Nokori Lucy an, ließ aber von dem Mädchen ab. Thanatos und die anderen, alle mit Speeren bewaffnet, kreisten den liegenden Dinosaurier ein.
„Töten wir ihn“, knurrte Thanatos.
„Wartet“, sagte Galileo und hob eine Hand: „Wir könnten ihn auch zähmen.“
„Ich dachte, das wäre geklärt“, knurrte Thanatos mit finsterer Miene: „Keine neuen Dinosaurier!“
„Aber der hier ist stark. Wir haben Glück, dass wir ihn so weit haben. Eine solche Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder!“, sagte Galileo. Außerdem wollte er nicht erleben, dass das Tier nochmals aufwachte.
„Und er ist ein Pflanzenfresser!“, erklärte Lucy stolz: „Ganz ungefährlich.“
Thanatos warf ihr einen Blick zu und schüttelte finster den Kopf, dann wandte er sich an Galileo: „Du übernimmst die Verantwortung.“
Galileo nickte und delegierte sofort: „Ich brauche Beeren, fiele Beeren. Holt alles, was ihr finden könnt. Bitte.“
Kassia und Foxy nickten beide und hoben zwei Beutel aus Leder, die vermutlich von Mikail stammten.
„Und Lucy“, sagte Galileo: „Du solltest mal den Platz sauber machen, wo Oskar steht.“
Lucy sah zu der Stelle und hielt sich die Nase zu: „Muss das sein?“
„Das ist von jetzt an deine Aufgabe“, sagte Galileo. Nokori klopfte Lucy grinsend auf den Rücken: „Nase zu und durch.“