Lucy achtete nicht auf die entsetzten Schreie hinter ist. Sie sprang über die niedrigen Steine, die das Gehege von Oskar und Diana markierten.
Die Raptoren hatten offenbar nur darauf gewartet und schossen vor. Wie Lucy gehofft hatte, warf sich Nokori ihnen entgegen. Die großen Raubsaurier zischten und fauchten, während Nokori den Speer auf sie richtete. Offenbar konnten die intelligenten Angreifer nicht einschätzen, wie gefährlich die Waffe war.
Lucy pfiff Oskar zu sich, während Galileo am Rand der kleinen Grube erschien.
„Bist du ganz verrückt geworden?“, schrie der Mann sie an.
Lucy hob Oskar hoch. Seine Krallen, die sie inzwischen gestutzt hatte, kratzen über ihre Haut.
„Hier, nimm!“, sagte sie und drückte Galileo den kleinen Saurier in die Arme. Galileo starrte Oskar an wie etwas, mit dem er nichts anfangen könnte und setzte ihn neben sich ab. Lucy hatte in der Zeit ein wenig Heu vom Boden aufgehoben und lockte Diana damit. Das Dreihorn rollte vor Angst mit den Augen und folgte dem Mädchen die leichte Steigung hinauf.
Am Rand der Umzäunung aus Steinen tauchte ein fünfter Raptor auf, die Vorderklauen ausgestreckt. Diana sprang auf die Felsen und röhrte laut.
„Wir können sie nicht hier lassen!“, rief Lucy, während Galileo sie hinter Dianas Rücken in Sicherheit zog. Diana stieß mit den Hörnern in die Luft und wich weiter zurück.
„Los, nach oben!“, rief Nokori und deutete mit dem Speer die Richtung an.
Den Fehler hätte sie besser nicht gemacht, denn jetzt sprang einer der Raptoren in ihren Rücken und Nokori fiel flach in den Dreck.
„Verdammte Scheiße!“, rief Foxy. Sie, Ashley und Kassia traten panisch die Flucht an. Lucy schnappte sich Oskar und machte das Gleiche, während hinter ihnen die Raptoren brüllten.
Wenige Schritte später merkte Lucy, dass Galileo nicht an ihrer Seite war. Als sie sich umdrehte, griff der Mann gemeinsam mit Diana an und verscheuchte die Raptoren von Nokori. Erleichtert sah Lucy, dass Nokori sich sofort von Galileo aufhelfen ließ.
Sie hatten die Steigung erreicht, wo der Pfad so steil wurde, dass man klettern musste. Oskar hielt sich an Lucy fest, während sie sich nach oben zog. Drei der fünf Raptoren hielten direkt auf sie zu. Die jungen Frauen folgten Lucy, aber noch bevor sie höher klettern konnten, sprang ein Raptor auf den Felsvorsprung.
Kassia kreischte laut auf und hieb mit der Axt zu. Der Raptor stürzte von dem Felsen, eher verdutzt als verletzt. Lucy, Oskar, Asley, Foxy und Kassia kletterten panisch weiter.
Als sie auf dem nächsten Felsvorsprung ankamen, sprang Thanatos zwischen sie auf den Boden. Henry und Mikail waren hinter dem Dunkelhäutigen aufgetaucht und reichten den Flüchtenden eine verschwitzte, fleischige und eine kräftige, gebräunte Hand, um sie nach oben zu ziehen, wo die Raptoren hoffentlich nicht mehr hinkommen würden.
Thanatos dagegen sprang, nur einen Speer in der Hand, zwischen ihnen hindurch nach unten.
„Hol Seile, schnell!“, brüllte Mikail Lucy an, die als Erste oben war. Zusammen mit Oskar, der jetzt neben ihr laufen musste, rannte sie den gewundenen Bergpfad nach oben, stürzte in das Haus und sammelte alle Seile, die sie auf die Schnelle finden konnte. Die Arme voller verknüpfter Pflanzenfasern rannte sie zurück, wo Mikail sie ungeduldig erwartete.
Einige Ebenen tiefer saß Galileo auf dem Rücken von Diana, hinter dem dicken Nackenschild sicher vor den Angriffen der Raptoren. Nokori, deren Schulter blutete, klammerte sich an ihn, und Thanatos fuchtelte mit dem Holzspeer herum, während er die Raptoren wüst beschimpfte, die die vier umkreisten und nach einer Lücke suchten.
„Hierher!“, rief Mikail, der innerhalb von Sekundenbruchteilen die Seile zusammen geknotet hatte. Als Diana in Reichweite war, warf Mikail das Seil um ihren breiten Schädel wie ein Lasso. Denjenigen auf dem Felsen warf er das Ende zu: „Zieht!“
Mit vereinten Kräften, und nachdem Galileo und Nokori das Dreihorn anbrüllten, es soll klettern, zerrten sie Diana auf den ersten Felsvorsprung, dann auf den zweiten.
Thanatos stand an der Kante zum ersten Felsen und wehrte die Raptoren ab, die ihnen folgten, bis sie Diana auch die höchste Felswand hinauf gezogen hatten. Als der schwere Saurier endlich über die Kante kroch, fielen die Ziehenden aufatmend auf den Boden.
Das Dreihorn trottete mit den beiden Reitern den Weg hinauf, als sich auch Thanatos nach oben zog.
Die Raptoren keckerten und knurrten. Sie sprangen die beiden ersten Vorsprünge hinauf und versuchten sich auch an der steilen Felswand. Thanatos thronte stolz über den Anderen, die erschöpft auf dem Boden saßen oder gerade wieder auf die Beine kamen.
Zum Glück kamen die Saurier nicht nach oben. Die Gruppe folgte Thanatos den Berg hoch, wo Diana an der Klippe festgebunden war und Oskar jeden Winkel des Hauses erkundete.
„Ist es schlimm?“, fragte Thanatos Nokori, die sich die Schulter hielt.
„Nur ein Kratzer. Aber es blutet wie verrückt“, sagte diese.
Mikail ging sofort, um ein wenig Stoff als Verband zu holen.
Mit schweren Schritten erschien Galileo hinter Lucy: „Was hast du dir dabei gedacht?“
Sie drehte sich um: „Die Raptoren hätten Oskar und Scaramouche getötet! Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen!“
Galileos Mundwinkel zuckte ganz leicht, als sie den Namen verwendete, den er sich ausgesucht hatte. Er blieb trotzdem wütend und starrte mit verschränkten Armen auf sie herab: „Du hast uns alle in Gefahr gebracht! Du solltest nicht versuchen, die Heldin zu spielen!“
„Ach ja? Ich habe die Heldin gespielt?“, fragte Lucy: „Wer ist den los gerannt, um Nokori praktisch aus dem Maul von diesen Viechern zu retten?“
„Das ist was völlig anderes!“, stieß Galileo aus.
„Nur, weil Nokori ein Mensch ist?“, fragte Lucy giftig.
Galileo starrte sie an: „Und weil ich niemanden sonst in Gefahr gebracht habe.“
„Außer dich“, meinte Lucy und grinste: „Ihr hättet mir ja nicht folgen müssen!“
„Nächstes Mal mache ich das“, knurrte Galileo und gab damit nach. Lucy grinste ihm hinterher, als er ging und dabei den Kopf schüttelte.
Etwas stieß gegen ihr Bein. Als Lucy nach unten sah, erwiderte Oskar ihren Blick, der ein Seil im Maul trug.
„Ja, du hast ganz toll mitgezogen“, lobte Lucy den Saurier und tätschelte ihm den Kopf. Als sie nach dem Seil griff, zuckte Oskars Kopf zur Seite. Lucy packte das Seil mit einer schnellen Handbewegung, aber Oskar ließ nicht los. Stattdessen knurrte er verspielt.
„Oh. Okay. Du willst also Tauziehen spielen? Na warte, ich kriege dein Seil noch!“