Henry wälzte sich auf die andere Seite. Sein Magen grummelte lautstark und seine Haut war mit Schweiß bedeckt. Er fühlte sich schwach und zittrig.
Er hatte Hunger!
Während alle anderen friedlich schnarchten, konnte Henry kaum ein Auge zu tun. Er spürte förmlich, wie seine Wangenknochen einfielen und er in sich zusammenfiel wie ein Luftballon, aus dem die Luft gelassen wurde – schon seltsam, an welche Kleinigkeiten man sich manchmal erinnern konnte. Luftballons waren Henry gut im Gedächtnis, seine Familie und Freunde dagegen … nicht so sehr.
Er drehte sich wieder auf den Rücken. Ihm war ganz schwindelig. Seine Zunge fühlte sich aufgequollen und trocken an.
Beim Abendessen war es ihm noch wie eine noble Idee erschienen, nur ein Stück Fleisch zu essen. Jetzt fragte er sich, ob er den nächsten Morgen noch erleben würde.
Vielleicht sollte er aufstehen und sich noch etwas holen? Aber das wäre ungerecht den anderen gegenüber! Sie saßen hier oben fest, weil die Raptoren nicht abziehen wollten und offenbar hofften, dass ein paar der leckeren Snacks vom Berg nach unten kamen.
Snacks... Was würde Henry alles für ein großes Spanferkel tun! Oder Hähnchen! Er konnte sich ganz genau an den Geschmack von Hähnchen erinnern. Und Burger! Er konnte den warmen Käse auf der Zunge schmecken, zusammen mit einem Hauch von Schuld und der blassen Erinnerung an überfüllte Orte voller Menschen und piepsenden Apparaten. Fast Food. Irgendwo gab es eine Welt mit Fast Food, in die sich Henry zurück sehnte.
Er rollte sich wieder auf die Seite. Sein Magen grummelte noch stärker und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Ein leckerer Braten und etwas Bier dazu. Herrliches, kühles Bier …
Ruckartig setzte er sich auf. Das hatte doch alles keinen Zweck. Er würde hier liegen und sich bis zum Morgen halb vergessene Lebensmittel vorstellen, die angesichts dieser Situation wie Wahnvorstellungen wirken würden.
Er würde nach draußen gehen, ein wenig unter den Sternen spazieren und dann zurück kommen. Entschlossen nickte er. Ja, das war sein Plan. Die Bewegung würde den Hunger schon vertreiben.
Draußen war die kalte Luft unangenehm auf Henry verschwitzter Haut. Er wanderte vorsichtig über den kleinen Platz vor der Hütte.
Hier durfte Nokori jeden Morgen kämpfen lernen. Henry wurmte es, dass Thanatos lieber das schlanke Mädchen ausbildete als ihn. Henry war wenigstens stark, nicht wie Nokori, die aussah, als könnte sie beim leichtesten Windhauch umkippen.
Henry wäre ein ebenso guter Krieger wie sie!
Grummelnd und ebenso schlecht gelaunt wie sein Magen trat Henry einen Stein über die Kante.
„Morgen, Klops“, sagte eine Stimme hinter ihm.
Henry drehte sich um und entdeckte eine schlaksige Gestalt hinter sich. Nach einigen Mal blinzeln erkannte er: „Galileo?“
„Ja.“
„Klops?“, wiederholte Henry jetzt.
„Ist ein Spitzname“, sagte Galileo, der sich neben ihn an die Kante stellte.
„Kein sehr netter“, brummte Henry.
„Ich glaube, man hat mich mal Core genannt“, sagte Galileo: „Keine Ahnung, wieso. Aber ich finde Klops nicht so schlimm. Es hat was niedliches.“
„Niedlich?“, echote Henry.
„Das habe ich eben so gesagt“, grinste Galileo.
Henry schüttelte den Kopf. Eben wollte er sagen, dass er auch einen niedlichen Spitznamen nicht gerade toll fand, als Galileo ihn unterbrach: „Was machst du hier draußen so?“
Verwirrt beschloss Henry, ehrlich zu sein: „Ich hatte Hunger und konnte nicht schlafen.“
Galileo stöhnte auf: „Red mir nur nicht von Hunger! Ich hab das Gefühl, dass mein Magen sich selbst verdaut!“
Henry verzog mitfühlend das Gesicht.
Galileos Stimme wurde leiser: „Du hattest nicht zufälligerweise vor, etwas gegen den Hunger zu unternehmen?“
Die Augen des Anderen huschten zur Seite. Henry folgte dem Blick und entdeckte eine der Holzkisten, in denen Mikail seine Sachen aufbewahrte. In dieser speziellen Kiste war allerdings das Fleisch, wie sie wussten.
Eigentlich hatte Henry nichts in der Art vorgehabt. Ihm fehlte die Energie zu kriminellen Ideen. Aber jetzt hellte sich seine Miene langsam auf.
Galileo nickte grinsten und wollte losgehen, als Henry ihn am Arm packte. Ihm war noch etwas eingefallen: „Thanatos wird uns umbringen!“
„Wir er nicht“, sagte Galileo.
„Doch, wenn er herausfindet, dass wir das waren, zieht er uns die Haut vom Leib!“, beharrte Henry.
„Da hast du's: Er muss es erst einmal heraus finden. Wir nehmen nur zwei kleine Stücke Fleisch, was soll schon passieren?“
„Wollen wir nicht lieber Beeren nehmen?“, fragte Henry feige.
„Nee, ich habe das Gefühl, die Beere machen mich nicht satt, sondern hungriger. Komm schon“, und Galileo zerrte ihn zur Kiste. Henrys Hunger siegte, als Galileo den Deckel aufklappte und ein paar Stücke Fleisch offenbarte, die bereits vor gebraten waren, um sie etwas haltbarer zu machen.
Jeder von ihnen nahm sich eines, damit schlichen sie zur Klippe, damit ihr lautes Schmatzen nicht doch noch einen rachsüchtigen Thanatos auf den Plan rief.
Henry Rücken kribbelte paranoid, aber das Fleisch schmeckte einfach zu gut, um ein wirklich schlechtes Gewissen zu haben.
„Dazu jetzt einen leckeren Rotwein!“, seufzte Galileo.
Henry schmatze: „Rotwein? Ich glaube, ich kann mich daran erinnern.“
Galileo nickte: „Irgendwie weiß ich nur noch die Details von meinem Leben, aber nichts von den größeren Sachen. Ich möchte Rotwein.“
Henry nickte und dachte wehmütig an Bier.
„Es war bestimmt eh langweilig“, sagte Galileo dann.
„Du hattest bestimmt kein langweiliges Leben, Core!“, sagte Henry.
Galileo lächelte: „Ich wurde immerhin nicht von Sauriern gejagt. Denke ich. Wollen wir rein gehen, es ist echt verdammt Dunkel geworden!“
„Ja, gehen wir“, sagte Henry.