„Lass das!“, knurrte Galileo, als der Stein, gegen den Lucy getreten hatte, den anderen Jäger an der Ferse traf.
„Das war für Oskar!“, murrte sie.
Gestern hatte Galileo sie beim Tauziehen erwischt und ihr sofort sämtliche Seile weggenommen. Jetzt konnte sie nicht mehr mit ihrem Dinosaurier spielen, der jetzt schlecht gelaunt durch das Lager streifte.
Galileo stöhnte: „Wir brauchen die Seile. Du kannst die doch nicht alle von Oskar zerfetzen lassen! Weißt du, wie lange Mikail daran gesessen hat?“
„Ist mir egal“, knurrte Lucy und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Mann wandte sich mit einem entnervten Schnauben ab.
Lucy folgte ihm und trat gegen den nächsten Stein. Sie stieß sich die Zehen an, aber sie unterdrückte einen Schmerzlaut. Die Genugtuung würde sie Galileo nicht gönnen.
Der streckte eine Hand nach hinten, um sie zum stoppen zu bewegen und ging in die Knie. So wütend sie auch war, Lucy hatte nicht vergessen, wo sie sich befanden. Sie ging lautlos in die Hocke und stützte sich mit den Händen am Boden ab.
Vor ihnen erklangen Geräusche.
Nach kurzem Lauschen war klar, dass es nichts gefährliches sein konnte. Das noch unsichtbare Wesen jammerte laut und kläglich. Die hohe Stimme deutete auf ein junges und vermutlich recht kleines Tier hin. Ihre Waffen gepackt krochen die beiden Jäger durch die Büsche und kamen an den Rand einer kleinen Lichtung.
Auf dieser Lichtung stand ein winziges Parasaurus-Junges, eine kleinere Ausgabe der zweibeinigen Pflanzenfresser mit dem nach hinten gebogenen Horn auf dem Kopf und dem breiten Entenmaul. Das Tier zuckte zusammen, als es die Menschen roch und wich misstrauisch zurück.
„Oh, wie niedlich!“, flüsterte Lucy.
Galileo kaute auf seiner Unterlippe: „Wir sollten es in Frieden lassen!“
Sie standen langsam auf. Das Jungtier schnaubte und wich ein paar Schritte zurück. Als die Menschen nicht angriffen, blieb es stehen und musterte sie mit schief gelegtem Kopf.
„Du willst das arme Ding einfach hier lassen?“, fragte Lucy entsetzt. „Es ist ganz alleine. Vermutlich hat es seine Mama verloren.“
„Na und?“, knurrte Galileo mit sichtlichem Widerwillen.
„Es findet bestimmt kein Fressen“, sagte Lucy und griff in die Tasche ihrer Hose. Sie hatte immer ein paar Beeren dabei, obwohl Galileo ihr das verboten hatte. Trotz seiner Angst kam das Jungtier näher und fixierte die Beeren mit dem Blick.
„Siehst du! Es ist hungrig!“
„Gib das her!“, knurrte Galileo und riss Lucy die Beeren aus der Hand.
„Hey!“, beschwerte sie sich.
„Wir haben keinen Platz für noch mehr Tiere!“, knurrte Galileo. „Und überhaupt ist die Mutter sicher in der Nähe.“
Lucy funkelte ihn an: „Wenn sie nicht gefressen wurde. Oder getötet. Von einem Menschen.“
„Boah, halt einfach mal deine Klappe!“, entfuhr es Galileo. Lucy schwieg tatsächlich, denn man konnte nie wissen, wann Galileos Grenze erreicht war. Ziemlich bald, befürchtete sie. Während er ihr wütend in die Augen starrte, streckte er die Hand nach hinten aus, wo das Parasaurus-Jungtier wartete.
Mit lautem Schmatzen fraß das Tierchen dem Mann aus der Hand. Es ging Galileo gerade zur Hüfte.
Lucy grinste, als sich das Jungtier an Galileo schmiegte: „Es mag dich.“
„Es sucht weiteres Essen“, knurrte Galileo und nahm eine Haltung an, die besagte, dass er den Dino auf keinen Fall streicheln würde. Lucy zweifelte keine Sekunde daran, was passieren würde, wenn sie sich umdrehte.
„Thanatos wird nicht glücklich sein“, merkte sie an.
„Ach, Thanatos“, schnaubte Galileo. „Ich behaupte einfach, du wärst schuld.“
„Das ist gemein!“, rief Lucy.
Galileo grinste fies: „Aber mir wird jeder glauben.“
Auf dem Rückweg sammelten sie weitere Beeren für ihren neuen Dino, und sie fingen auch ein paar Dodos, egal wie oft Lucy darauf hinwies, dass die plumpen Vögel total niedlich und außerdem bestimmt sehr traurig über den Tod diverser Artgenossen seien.
Schon von Weitem merkten sie, dass etwas nicht stimmte. Die Sammler waren nicht wie üblich am Fuß des Berges und begrüßten die Jäger. Lucy kletterte den Berg hinauf, ihr folgte Galileo, der den kleinen Parasaurus auf dem Arm trug und immer wieder verstohlen streichelte.
Lucy dagegen machte sich Sorgen, bis sie den Platz vor der Hütte erreichten.
„Ashley!“, rief Lucy und umarmte die völlig überrumpelte junge Frau stürmisch. „Du bist zurück!“
Ihre schüchterne Späherin war fast eine Woche fort gewesen.
Thanatos warf den Jägern und ihrem neuen Schützling einen finsteren Blick zu.
„Kommt“, sagte er dann, ohne auf den Zuwachs einzugehen. „Es gibt einiges zu besprechen.“
„Echt?“, fragte Lucy, setzte sich ans Feuer und warf das erste Stück Fleisch hinein. Sie hatten nicht besonders viel gefunden, wenn sie ehrlich war.
Thanatos nickte: „Ashley hat etwas entdeckt.“
Die ganze Gruppe versammelte sich um das kleine Lagerfeuer. Kassia setzte sich neben Galileo und begrüßte den kleinen Parasaurus entzückt.
„Ich habe ein anderes Haus entdeckt“, sagte Ashley, die sich im Zentrum der Aufmerksamkeit sichtlich unwohl fühlte. „Und andere Menschen, die ebenfalls Dinosaurier gezähmt haben. Es ist ein echt großer Komplex.“
Die Gruppe tauschte überraschte Blicke.
„Hast du mit ihnen gesprochen?“, fragte Kassia.
Ashley schüttelte den Kopf: „Sie waren irgendwie … seltsam.“