Ashleys Neuigkeiten waren bedeutend. Bisher hatte Kassia geglaubt, dass sie die einzigen Menschen in dieser verrückten Welt waren. Aber wenn sie genauer darüber nachdachte, ergab das alles einen Sinn. Es wäre ein großer Zufall gewesen, wenn die einzigen Menschen alle aufeinander trafen.
Was genau dieses zweite Lager bedeutete, wussten sie noch nicht.
„Ich habe sie eine Weile beobachtet“, berichtete Ashley und versteckte sich hinter einem Vorhang aus Haarsträhnen. Thanatos hatte sie gefragt, warum die Menschen ihrer Meinung nach gefährlich waren.
„Sie wirkten sehr organisiert“, erzählte die Späherin. „Es gab viele Wachttürme, und sie überwachen das Gelände mithilfe von Flugsauriern. Sie haben riesige Felder, die sie vom Fluss aus bewässern und richtige Waffen. Gewehre und so. Außerdem halten sie sich fast nie draußen auf, außer mit wirklich großen Sauriern. Es wirkte wie … wie ein Gefängnis!“
„Vielleicht haben sie sich nur gut geschützt“, meinte Thanatos unbeeindruckt. „Hast du auch handfeste Gründe dafür, warum wir uns ihnen nicht anschließen sollen?“
„Anschließen?“, wiederholte Foxy alles andere als begeistert.
„Sie könnten uns vermutlich wirklich helfen“, stellte sich Nokori auf die Seite ihres Anführers.
„Wir wissen nichts über diese Leute!“, wandte jetzt Kassia ein. „Nur, dass sie sehr viel stärker sind als wir. Und wenn Ashley ein schlechtes Gefühl hat, dann vielleicht nicht ohne Grund!“
Sie vertraute der Späherin, ohne sagen zu können, warum. Ashley folgte mit dem Finger den Linien der Runen auf ihrer Handgelenksinnenseite und schwieg.
Thanatos schnaubte: „Ihr wollt also weiterhin auf dem Berg hier hocken und hoffen, dass nichts schlimmes passiert?“
„Wir wollen nur vorsichtig sein“, versuchte Kassia, zu schlichten. Zu ihrer Erleichterung sprang Mikail ihr bei.
„Wir sollten vielleicht eine Weile warten, bevor wir uns entscheiden. Ashley kann das Lager weiter beobachten und uns regelmäßig berichten. Wir müssen uns nicht sofort entscheiden.“
„Haben die auch Tyrannosaurier?“, fragte Henry völlig vom Thema losgelöst.
Ashley nickte: „Ich glaube, ja.“
„Oh, kann ich mit Ashley beobachten gehen? Bitte?“, fragte Henry begeistert.
Thanatos schüttelte mit finsterem Blick den Kopf: „Sie geht alleine. Späher müssen unauffällig sein.“
„Ich bin total unauffällig!“, behauptete Henry, was Thanatos ein spöttisches „Ha!“ entlockte.
Lucy beugte sich nach vorne und holte das Fleisch mit dem Speer aus dem Feuer. Schweigend verteilte sie das Essen und Kassia öffnete die Kiste mit ihren Vorräten an Beeren. Inzwischen waren diese Mahlzeiten ziemlich eintönig. Kassia wünschte sich etwas anderes zu essen, aber was sollte man in dieser Gegend schon finden? Die einzige Abwechslung bestand aus der Art des Fleisches und dem Geschmack der Beeren.
Mikail reichte die Trinkschläuche aus Leder herum, die ihr Wasser enthielten. Es schmeckte leicht salzig.
Sie aßen schweigend. Thanatos thronte grimmig über ihnen wie ein missmutiger König. Er hatte den einzigen Stein auf der Klippe für sich reserviert.
„Wo habt ihr das eigentlich her?“, fragte er jetzt und deutete auf den kleinen Dino, den Galileo und Lucy mitgebracht hatten.
„Er war ganz alleine im Wald.“
„Schön. Noch ein Maul zu stopfen. Glanzleistung“, knurrte Thanatos.
„Das habe ich ihm auch gesagt!“, behauptete Lucy und deutete anklagend auf Galileo.
„Er ist noch klein und frisst nicht viel“, nahm der Zähmer sein Haustier in Schutz.
„Wir haben aber nichts übrig!“, knurrte Thanatos. „Irgendwer stiehlt unser Essen!“
Entsetzte Blicke wurden über das Lagerfeuer hinweg ausgetauscht. Kassia schluckte. Das war doch dumm! Sie hatten alle Hunger. Wer war so dreist, und stahl da noch Fleisch?
Die Überlebenden funkelten einander mit neuem Misstrauen an.
Ashley hob schüchtern eine Hand.
„Du warst es!“, heulte Nokori auf.
„Nein“, quiekte die Späherin, „ich war doch überhaupt nicht hier! Ich habe einen Vorschlag!“
„Was für einen Vorschlag?“, fragte Kassia schnell, bevor weitere Anschuldigungen gemacht wurden.
„Dieses andere Lager hat seine Dinosaurier genutzt, um zu jagen und die Felder ab zu ernten. Ich glaube, das können wir auch machen. Wenn ihr Oskar und Scaramouche trainiert, kriegen wir vielleicht mehr Fleisch und mehr Beeren.“
„Wie genau machen die anderen das?“, fragte Lucy interessiert.
Ashley zuckte mit den Schultern: „Sie reiten die Tiere. Oder geben ihnen Befehle. Ich war nicht sehr nah dran.“
Kassia beobachtete die Blicke, die Lucy und Galileo wechselten. Ja, die beiden hatten bereits den Ansatz eines Plans. Und ausnahmsweise wollten sie einander auch nicht den Schädel einschlagen.
Thanatos seufzte und stand auf: „Gut. Ashley, du gehst zu diesem Lager. Finde so viel heraus wie möglich. Lucy und Galileo, ihr werdet euch aufteilen. Bis die Saurier trainiert sind, dauert es vielleicht eine Weile. Wir brauchen aber trotzdem Nahrung. Die Sammler werden ebenfalls härter arbeiten müssen.“
Die betroffenen Gruppen unterdrückten ein Stöhnen. Kassia fühlte sich langsam richtig müde und zerschlagen. Tagelang durch den Wald zu laufen und einen schweren Korb mit Beeren zu füllen zehrte an ihren Kräften. Das sollte sie jetzt auch noch schneller machen?
Ashley stand schweigend auf und suchte sich die Sachen zusammen, die sie für ihre Reise brauchte. Bevor Thanatos sie alle nach unten scheuchte, ging Kassia noch einmal zu ihr.
„Viel Glück“, wünschte sie der Anderen.
„Danke“, lächelte Ashley schüchtern zurück. „Und auch danke dafür, dass du mir geglaubt hast.“
„Ich denke, Menschen können furchtbare Sachen machen“, sagte Kassia. „Wenn du das Gefühl hast, dass mit dem Lager was nicht stimmt, hast du vermutlich Recht. Sei vorsichtig, ja?“
Ashley nickte: „Ich passe auf.“
„Hopp, hopp!“, rief Thanatos, was Kassias Stichwort war, um nach unten zu gehen. Sie lächelte Ashley ein letztes Mal zu und lief los.