Etwas sirrte, dann stoppte das Geräusch. Henry schlug automatisch auf seinen Arm. Als er die Finger zurück zog, klebte etwas schwarzes daran, mit ein wenig hellem Blut, das fast wie Eiter aussah.
Die Mücke war so groß wie sein Handteller, und dabei noch eines der kleinsten Exemplare. Ihre überhastete Flucht hatte sie in ein Sumpfgebiet geführt. Der Geruch nach Algen lag überall in der Luft, und alle zwei Schritte störten sie entweder eine Riesenschlange, einen Schwarm hartnäckiger, tödlicher Rieseninsekten oder Skorpione auf. Sogar ein gewaltiges Krokodil hatten sie gesehen, gegen das vermutlich nicht einmal Scaramouche eine Chance gehabt hätte.
Die trügerischen Wasser sahen flach aus und entpuppten sich dann als tiefe Tümpel voller Piranhas. Während nicht Scaramouche und Oskar bei ihnen gewesen, die sie vor Gefahren warnten und sie im Kampf unterstützten, wäre die Gruppe bereits tot. Auch so waren sie alle zerstochen, müde und mit Bisswunden übersät. Selbst die Saurier waren am Ende ihrer Kräfte.
Es war der dritte Tag seit dem Angriff auf ihr Lager. In der Schwüle des Sumpfes hatten sie kaum eine Pause gemacht, selbst geschlafen hatten sie nur wenige Stunden. Inzwischen knurrte ihnen allen der Magen. Sie hatten bei ihrer Flucht nur das mitgenommen, was sie an jenem Tag gesammelt hatten. Holz und Steine hatten sie bald zurückgelassen, inzwischen waren auch die Beeren aufgebraucht und das Fleisch verdorben. Sie hatten nicht gewagt, ein Feuer zu entzünden, denn wer wusste, ob sie noch verfolgt wurden.
Henry fühlte sich so zittrig wie nie zuvor in seinem Leben. Er glaubte fest daran, dass er bald verhungert sein würde. Das einzige, was seinen qualvollen Tod hinauszögerte, war die Tatsache, dass sie trinkbares Wasser gefunden hatten.
Thanatos hatte die Führung übernommen und stampfe grimmig und schweigsam voraus. Er ließ sich nur von seinem Weg abbringen, wenn Oskar Alarm schlug, und in dem Fall umrundete Thanatos die Gefahr und zog dann weiter, immer dem Sonnenuntergang entgegen.
Als sich der vierte Abend über das Land senkte, erreichte die Stimmung einen neuen Tiefpunkt. Lucy hatte Fieber bekommen, nachdem sich irgendeiner ihrer vielen Bisse entzündet hatte.
„Ich hab dir gesagt, dass du nicht kratzen sollst!“, schimpfte Kassia, während sie ihr kleines Lager auf einem annähernd trockenem Hügel aufschlugen.
„Wir müssen jagen“, sagte Galileo zu Thanatos.
Der Dunkelhäutige verzog unwillig das Gesicht. Foxy, die sich mit Galileo gestritten hatte, schnaubte abfällig. „Essen wir doch die Saurier!“
„Wir brauchen Nahrung und ein Feuer, sonst sterben wir hier draußen“, drängte Galileo weiter und warf Nokori einen giftigen Blick zu. „Und hier wird niemand gegessen, der einen Namen trägt!“
Schnaufend gab Thanatos nach, obwohl er aussah, als würde er sie am liebsten alle sterben lassen, nur um ihnen eine Lektion zu erteilen. Henry machte sich freiwillig daran, Feuerholz zu suchen. Selbst in einiger Entfernung hörte er noch die gereizten Stimmen am Lager. Wie es aussah, legte sich Galileo jetzt mit Lucy an, weil er Oskar mit auf die Jagd nehmen wollte.
Henry, Kassia und Foxy sammelten gemeinsam Holz. Keiner sprach viel. Als sie zum Lager zurück kamen, waren Oskar und Galileo bereits auf der Jagd. Nokori übernahm die Aufgabe, das Feuer zu stapeln.
„Holt mehr Holz“, wies sie die Sammler knapp an. „Das ist alles unbrauchbar, es musst trockener sein!“
„Es gibt hier kein trockenes Holz“, knurrte Foxy. „In diesem ganzen Scheiß-Sumpf gibt es nichts Trockenes!“
„Reiß dich zusammen!“, zischte Kassia.
Henry fühlte sich unglaublich müde. Mit einem Seufzen ließ er sich auf den Boden fallen. „Ich kann keinen Schritt mehr tun!“
„Und du reiß dich auch zusammen!“, sagte Kassia mit wachsender Verzweiflung. „Wenn wir kein Holz finden, gibt es auch nichts zu essen!“
„Warum das Unvermeidliche herauszögern?“, jammerte Henry.
Kassia fasste ihn am Arm und versuchte, ihn hoch zu ziehen, aber er war zu schwer.
„Weil wir nicht aufgeben!“, knurrte sie durch zusammengebissene Zähne. „Und jetzt komm, oder ich prügel' dich in den Sumpf!“
„Du bist echt schlimmer als die Mücken“, seufzte Henry und erhob sich schwerfällig.
Die Streitereien hielten an, und nur Ashley, die kein Wort sprach, wurde von den ungerichteten Feindseligkeiten verschont.
Sie fanden tatsächlich noch genug Holz für ein kleines Feuer, das stark qualmte. Es brauchte viel gutes Zureden von Mikail, bis sie alle am Feuer saßen, ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Das Fleisch, das Galileo gejagt hatte, schmeckte salzig und war zäh, aber es war tatsächlich das Beste, was sie jemals gegessen hatten. Mit der Wärme und der Nahrung kehrte auch bessere Laune ein.
Nach dem Essen war Henry zwar noch lange nicht satt, aber er begann, wieder Hoffnung zu verspüren.
„Wir werden mehr Dinosaurier zähmen“, waren Thanatos' erste Worte nach dem Essen.
Es folgte ein Aufschrei, sowie lautes Jubeln von Lucy.
„Wir haben kaum genug Nahrung für uns selbst!“, sagte Kassia.
„Wir brauchen sie“, entgegnete Thanatos ruhig. „Sie werden uns beim Jagen helfen, beim Sammeln, beim Kämpfen.“
„Woher kommt dieser Sinneswandel?“, fragte Galileo misstrauisch.
„Wir befinden uns jetzt im Krieg“, sagte Thanatos düster. Henry sah erschrocken auf, aber er konnte einen gewissen vorfreudigen Schauer nicht unterdrücken. Wenn man das so sagte, klang es einfach episch!
„Wir müssen uns gegen diese Gruppe wehren“, sagte Thanatos weiter. „Ich werde nicht darauf warten, dass sie uns einen nach dem anderen töten!“
Henry sah vor seinem inneren Auge bereits ihre Armee aus Dinosauriern, die aufmarschierte, um sich dem fremden Clan zu stellen. Sein Herz schlug ein wenig höher. Ja, das sah super aus! Vor allem er, wie er da direkt neben Thanatos an der Spitze stand.
„Ich will aber nicht kämpfen“, sagte Mikail. Henry wurde aus seiner Vision gerissen.
Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum fliehen wir nicht einfach, und suchen uns irgendwo ein neues Lager?“
Thanatos fletschte die Zähne zu einem Grinsen. „Weil sie uns jagen, und weil sie uns finden werden.“