„Lauf aber nicht zu weit vor“, brummte Galileo.
„Ja, ja“, rief Lucy und kümmerte sich nicht um seine Anweisung. Galileo folgte ihr mit einem Stöhnen. Die Jagd im Sumpf hatte inzwischen mehr Ähnlichkeit mit Babysitten. Er hasste es.
Gemeinsam waren sie losgezogen, um Dinosaurier zu zähmen. Thanatos hatte sich endlich entschieden, eine vorübergehende Basis aufzubauen. Auf einer kleinen Insel trockenen Landes schuf Mikail soeben eine provisorische Behausung, die Sammler und Henry kümmerten sich um Holz und Nahrung, während Ashley und Nokori die wohl schwierigste Aufgabe hatten: Die fremden Menschen auszuspionieren.
Sie würden, wenn man sie nicht angriff, bis zur Rückkehr von Späherin und Kriegerin hier bleiben. Die Zwischenzeit sollten sie nutzen, um sich zu rüsten.
Galileo fand Lucy im Geäst einer Mangrove, von wo das Mädchen mit großen Augen in eine kleine Vertiefung spähte. Galileo lehnte sich an dem Stamm vorbei.
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“ Auf einer Sandbank vor ihnen döste ein gewaltiges Krokodil mit einer Schnauze, die nach vorne wie ein Kegel erst schmaler wurde und dann in einer breiten Rundung endete.
„Aber das ist genial!“, flüsterte Lucy aufgeregt, um das Wesen nicht zu wecken. Halb wunderte sich Galileo über ihre plötzliche Vorsicht.
„Wenn wir eine Armee dieser Dinger haben, und die dann in einer geschlossenen Reihe, hundert Kilometer lang, aus dem Sumpf marschiert -“
„Du bist größenwahnsinnig!“, unterbrach Galileo sie mit rauer Stimme. „Das Vieh da bringt uns mit einem Happs um, und wir kriegen überhaupt keine Armee. Erinnerst du dich vielleicht noch daran, was für großes Glück wir schon für Scaramouche gebraucht haben?“
„Ja, Scaramouche! Sie könnte uns helfen!“, fiel es Lucy ein.
„Oh, nein!“, fauchte Galileo und packte sie, als sie vom Baum sprang und los rennen wollte. Für einen Moment wünschte er sich, sie in die Grube zu dem Krokodil zu werfen, aber er beherrschte sich.
„Wir werden was Kleines zähmen. Einen Pflanzenfresser. Und wir -“
Er wurde von einem Summen unterbrochen, das leider viel zu vertraut und viel zu aggressiv klang. Als er den Kopf hob, kam ein Schwarm riesiger Mücken auf sie zu.
„Lucy, lauf!“ Er schubste sie weg von den Insekten, die sich sofort an die Verfolgung machten.
„Glaubst du, die kann man zähmen?“, fragte Lucy im Laufen.
„Ich will es nicht wissen!“, brüllte Galileo zurück. Er suchte nach einer Wasserstelle, in der sie untertauchen konnten. Aber der einzige Fluss war direkt neben dem Riesenreptil, das jetzt ein gelbes Auge geöffnet hatte und ihre Flucht neugierig beobachtete.
Galileo zog Lucy in die andere Richtung davon. Sie stürmten zwischen den Mangroven hindurch. Er spürte, wie riesige Stachel in seinen Rücken eindrangen. Die Stiche der Insekten schmerzten höllisch. Außerdem bekam er das Gefühl, dass er nur noch verschwommen sehen konnte. War vielleicht etwas im Gift dieser Tiere, dass ihnen zusätzlich noch schadete?
Sie stolperten, als sie beide eine Grube im Boden übersahen. Blätter stoben in die Luft, als sie einen Hang herab rollten. Galileo kam auf dem Rücken zum Liegen und starrte in den Himmel, der sofort von sirrenden Flügeln verdunkelt wurde. Er schlug blind zu, aber so viele der zerbrechlichen Insekten er auch aus der Luft holte, es waren viel zu viele. Neben sich hörte er Lucy schreien.
Als etwas Dunkles aufblitzte und danach eine Lücke in dem Schwarm entstand.
Galileo war einen Moment verwirrt, dann musste er wieder nach den kopfgroßen Mücken schlagen, deren widerlich verdrehte Körper auf ihn eindrangen. Nochmals erschien etwas Schwarzes, ein schmatzendes Geräusch erklang. Tropfen einer brennenden Flüssigkeit trafen Galileos Arme.
Er rollte zur Seite. Der Schwarm war stark dezimiert, und nun sah er auch, wodurch.
Er schob es auf das Gift, dass die Kröte so widernatürlich groß war, aber ansonsten bestand kein Zweifel daran, dass es ein solches Tier war. Obwohl die Kröte hüpfte und sprang wie ein Frosch, um die letzten Mücken zu erledigen. Galileo wollte sich wage daran erinnern können, dass Kröten nur kriechen konnten.
Die Mücken flohen. Grunzend blieb das Tier in der Mitte des Tals hocken und leckte sich das breite Maul. Es beäugte Galileo und Lucy prüfend, ohne jede Furcht, als überlegte das glubschäugige Ding, ob es den Aufwand lohnte, sie ebenfalls zu töten, wo doch so viele leckere Insekten abgefallen waren.
Galileo merkte, dass er nur ein kleines Bisschen zitterte. Offenbar gewöhnte man sich mit der Zeit an Gefahren und seltsame Wesen. Er griff nach einer toten Mücke und hielt sie mit ausgestrecktem Arm vor sich.
„Hier, lecker Mücke“, lockte er die Kröte. „Du willst uns doch nichts tun, richtig? Lass – lass uns Freunde sein!“
Lucy warf ihm von der Seite einen angewiderten Blick zu. „Das Vieh darfst du behalten!“
„Ich schenke sie Thanatos“, meinte Galileo und zuckte zusammen, als die Zunge der Kröte hervor schnellte, und ihm die Fliege aus der Hand riss. Wieder landete ätzender Speichel auf seiner Hand und Galileo wischte sie eilig am Hemd ab.
Die Kröte schmatzte zufrieden und hoppelte dann auf sie zu. Sie sammelte weitere Mücken ein, während sie sich neben ihnen niederließ.
Galileo betrachtete die feuchtglänzende, von Warzen übersäte Haut der Kröte.
„Ich glaube, die ist hoch toxisch“, meinte er und stand vorsichtig auf.
„Und sie mag dich“, grinste Lucy hämisch. „Jetzt musst du ihr nur noch einen Namen geben!“
„Ich finde, Lucy passt prima zu ihr“, sagte Galileo schlagfertig. Das Mädchen funkelte ihn böse an, sagte aber nichts mehr.
Als sie sich auf den Rückweg machten, hoppelte die Kröte gemächlich hinter ihnen her. Wenig später erreichten sie die kleine Insel, die Mikail im Laufe des Tages mit einem Zaun versehen hatte. Ein Lagefeuer brannte in der Mitte der Insel, und darüber drehte Kassia an einem Spieß, auf dem mehrere Fleischstücke steckten. Die Sammler hatten Oskar und Scaramouche mit auf die Jagd genommen. Smiley dagegen kam ihnen entgegen gewatschelt und ließ sich von Galileo kraulen. Er beeilte sich, in den Schutz des Lagerfeuers zu kommen. Die Nächte waren ihm nicht geheuer, und im Sumpf noch weniger. Er wollte lieber ins Licht. Gleichzeitig fragte er sich, welche glubsäugigen Wesen noch da draußen lauerten und ihr auffälliges Licht betrachteten.
„Ihh!“, sagte Foxy, als Lucy ihnen die Kröte präsentierte. „Was ist das denn?“
Schnell hatte sich ein Kreis um den Neuankömmling geschlossen.
„Perfekt. Greifen wir die anderen mit einer Armee aus Fröschen an!“, knurrte Thanatos und sah Galileo an. „Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt etwas gefährliches zähmen?“
„Och, sie ist gefährlich“, meinte Lucy und legte ein paar Blätter auf den Rücken der Kröte. Alle sahen mit offenem Mund zu, wie diese brodelnd und zischend zerfielen.