Als Galileo und Lucy in das Lager zurückkehrten, wurden sie von streitenden Stimmen begrüßt. Die beiden Jäger tauschten einen kurzen Blick und liefen dann schneller, die erlegte Beute noch über der Schulter.
„Es ist mir egal, was du sagst! Du bleibst da drin, bis du mir eine Waffe lieferst!“, ertönte Thanatos' schwerer Bass. „Oder willst du uns alle schutzlos lassen?“
Platschend überwand Galileo die letzten Schritte zur Insel. Er hörte einen Knall, als die Tür ihrer Holzhütte zugeschlagen wurde. Thanatos drehte sich mit finsterem Blick zu den Jägern um, die jetzt den Lagerplatz erreichten. Nokori stand, einen Speer in den Händen, neben ihm.
Von Innen wurde gegen die Tür gehämmert. „Lass mich raus!“, ertönte Mikails gedämpfte Stimme.
„Was geht hier vor?“, fragte Galileo laut und starrte Thanatos an. „Hast du ihn eingesperrt?!“
„Ja!“, erklang es dumpf von hinter der Tür.
„Ja“, knurrte Thanatos. „Und zwar zu seinem eigenen Besten!“
Galileo setzte den Korb mit Fleisch ab. „Das musst du mir erklären!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Er ist verrückt geworden!“, sagte in diesem Moment Kassia, die hinter ihnen aus dem Wald kam, einen schweren Korb mit Beeren auf dem Rücken. Sie sah müde aus.
„Mikail soll ein Gewehr nachbauen, mehrere, damit wir in einen Krieg ziehen können.“
„Woher weißt du das?“, fragte Galileo entgeistert. „Seit wann weißt du das?“
„Heute Nacht“, erklärte Kassia und sah Thanatos herausfordernd an, der kein bisschen überrascht wirkte. Stattdessen blockierte er die Tür mit einer Hand und sperrte sie mit der anderen Hand ab.
„Die andere Gruppe, Drachenblut, will uns vernichten“, sagte ihr Anführer ruhig und baute sich vor der Tür auf. „Wir können nicht unbewaffnet bleiben!“
„Vielleicht können wir mit ihnen reden!“, sagte Kassia. „Oder – ich weiß nicht – irgendwas anderes tun, was normale Menschen eben tun würden.“
„Wir haben es aber nicht mit normalen Menschen zu tun!“, knurrte Thanatos. „Nokori war in ihrem Lager. Und ich kenne ihren Anführer. Das sind keine Leute, mit denen man reden kann.“
„Mit dir kann man auch nicht reden!“, warf Kassia ihm entgegen und setzte ihren Korb mit einer heftigen Bewegung ab.
„Ihr tut es gerade, oder nicht?“, fragte Thanatos. „In Drachenblut wärt ihr beim ersten Widerwort tot gewesen!“
Seine Stimme wurde etwas sanfter. „Ich weiß, dass Mikail keine Waffen bauen will, aber er ist der Einzige, der es tun kann. Er hat keine Wahl.“
Kassia funkelte Thanatos an und ließ sich dann auf die Erde fallen. „Können wir nicht darüber nachdenken, ob wir eine Wahl haben?“
„Ich habe darüber nachgedacht“, entgegnete Thanatos. Nokori, die schweigend neben ihm gestanden hatte, setzte sich ebenfalls, worauf sich die Situation zu entspannen schien.
„Ja, aber alleine“, sagte Kassia, schon fast in versöhnlichem Tonfall.
Galileo und Lucy setzten sich ebenfalls. Inzwischen war Ashley scheinbar aus dem Nichts erschienen. Wie lange sie schon schweigend ihrem Streit gelauscht hatte, wusste Galileo nicht. Kassia erklärte Nokori, dass Foxy noch ein paar Beeren entdeckt hatte und nachkommen würde. Henry, der wenig später erschien, musste sich diesmal um das Feuer kümmern.
Bald war der erste Spieß mit Fleisch über den Flammen und erfüllte die aufziehende Nacht mit seinem Duft. Sie teilten Kassias Beeren unter sich auf, während sie warteten, dass das Fleisch gar wurde. Die Ausbeute war mager, aber immerhin gab es die Aussicht auf einen zweiten Korb, den Foxy bringen würde.
Als die Sterne über den Himmel zogen, das Fleisch fertig und Foxy immer noch nicht aufgetaucht war, wurden sie nervös.
„Sie war nicht so weit entfernt“, meinte Kassia und spähte in die Dunkelheit. „Eigentlich müsste sie längst hier sein.“
„Esst“, meinte Thanatos. „Wenn sie dann immer noch nicht da ist, suchen wir sie.“
Galileo machte sich hungrig über das späte Abendessen her. Sein Magen knurrte. Zum Glück hatten sie diesmal genug Fleisch gefunden. Er konnte ohne schlechtes Gewissen drei Portionen essen.
„Wo lässt du das ganze Fleisch nur?“, meinte Henry neidisch, und Galileo zuckte mit den Schultern. „Ich nehme halt nicht zu.“
Die Stimmung wurde immer bedrückter. Nach dem Essen legten sie ein wenig Fleisch für Foxy zurück und bildeten Teams für die Suche. Galileo zog mit Lucy los und schluckte, als sie in den dunklen Wald eintraten.
Was mochte hier nur alles lauern? Wenn er in einer größeren Gruppe unterwegs war, fühlte er sich nachts halbwegs sicher, aber nur zu zweit schien der Wald immer größer zu werden. Am liebsten wäre Galileo am Lager geblieben. Obwohl der Feuerschein ihn für jeden Jäger nur noch besser sichtbar machte. Sein Herz raste, während er Lucy folgte. Diesmal wäre er dankbar gewesen, wenn sie mal nicht die Klappe gehalten hätte. So kreisten seine Gedanken darum, was Foxy alles zugestoßen sein könnte – und nun ihm zustoßen konnte.
Nach vielleicht einer halben Stunde verfing sein Fuß sich in einer Dorne. Er bückte sich, um sich zu befreien.
Als er wieder nach vorne sah, konnte er Lucy in der Dunkelheit nicht mehr erkennen.
„Lucy?“, rief er leise und schämte sich halb dafür, wie ängstlich seine Stimme klang.
Er erhielt keine Antwort. Stattdessen hörte er ein fremdartiges Geräusch. Schritte, die durch das Unterholz huschten. Ein seltsames Röhren.
„Lucy!“, rief er und stolperte nach vorne, die Arme blind durch die Luft tastend, weil er kaum etwas sah. Hunderttausende Raptoren mussten ihre Blicke auf seinen Rücken gerichtet haben, bereit, ihn anzuspringen und zu töten.
Wieder ertönte das Röhren. Ein hohes, verschlucktes Geräusch, das er keinem Tier zuordnen könnte. Er stolperte über etwas und schlug auf den Boden auf. Als er sich auf den Rücken drehte, sah er einen dunklen Schemen auf sich zu huschen. Er tastete nach einer Waffe, aber schon hatte das Tier, das seine Hilflosigkeit natürlich gut sehen konnte, zugeschlagen.
Nach einer Schrecksekunde merkte er, dass der Biss überhaupt nicht schmerzte. Dann stellte er fest, dass das Tier ihn überhaupt nicht gebissen hatte, sondern gegen ihn drückte – sich an seiner Schulter rieb.
Er tastete mit zitternden Fingern und das Wesen quiekte wieder. Es klang mehr wie eine verstopfte Trompete, fand er nun.
„Smiley!“, rief er aus, als er die Kopfform des kleinen Sauriers erkannte. Sie war ihm hinterher gerannt.
„Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt!“, tadelte er und kraulte den kleinen Parasaurus.