Als am Mittwoch der Wecker abging, dröhnte mein Kopf vor Schmerz. Meine Stirn glühte, ich hatte Fieber. Das erste Gähnen endete im Husten und sobald ich mich aufsetze, fing meine Nase an zu rinnen.
Ich spürte, dass ich mich erkältet hatte, doch ich musste heute unbedingt zur Schule gehen. Diesen Tag wollte ich nicht auslassen, am Abend stand ein wichtiges Treffen bevor. Wenn ich jetzt daheim bleiben würde, ließe mich meine Mutter auch nicht am Abend ausgehen. Ich riss mich zusammen und kroch aus dem Bett in einen Pulli, da es mir sehr kalt war.
Meine Mutter sah sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Sie sah mich komisch an, sagte aber lange nichts. Wieso musste ich im Park eingeschlafen? Wäre ich von einer Erkältung doch verschont geblieben… Sie kam zu mir und legte eine Hand auf meine Stirn. Wahrscheinlich hatte sie gesehen, dass meine Augen tränten und ich nur aus einem schmalen Spalt die Welt sah.
»Du hast Fieber« stellte meine Mutter fest. »Warum bist du nicht im Bett geblieben?« Sie verschränkte die Arme.
»Vielleicht habe ich einen kleinen Temperaturanstieg, aber mir geht’s ausgezeichnet« log ich. »Es ist nur die Müdigkeit.«
»Du machst nicht den Eindruck, dass es dir gut geht. Hast du dich gestern beim Laufen erkältet? Du warst zu lange weg und hast nicht einmal einen Pullover mitgenommen« warf sie mir vor.
»Ich habe eine Allergie« improvisierte ich. Zwar hatte ich keine Ahnung, welche Allergie Fieber und Husten gleichzeitig verursacht, aber einen Versuch war es Wert.
»Du hast ein Erkältung.« Meine Mutter war nicht zu überzeugen. Sie ließ meine Theorie ungerührt. »Bleib heute daheim.«
Ach nein, nicht heute… Ich wollte zur Schule und ins Kino, anstatt den ganzen Tag im Bett zu liegen. Ich durfte das Treffen nicht versäumen.
»Mir geht es gut« betonte ich. »Heute ist ein wichtiger Test in Biologie. Ich habe so viel gelernt…« argumentierte ich, obwohl ich mich eigentlich gefreut hätte, die Prüfung nicht schreiben zu müssen. Ich habe nicht viel gelernt. Um ehrlich zu sein, gar nichts.
»Wenigstens musst du den Test nicht schreiben. Andere Kinder würden sich darüber freuen! Wenn es wirklich wichtig ist, kannst du ihn ja nachholen« sagte meine Mutter.
»Wichtig oder nicht, ich muss ihn nachholen, der Lehrer fragt nicht« murmelte ich.
»Siehst du. Dann kannst du dich besser darauf vorbereiten.«
»Aber ich will ihn heute schreiben!« Ich hatte nicht vor, nachzugeben. Doch höchstwahrscheinlich näherte ich mich meinen letzten Versuchen, da meine Mutter schwer zu überzeugen war.
»Du wirst nicht wieder gesund wenn du heute zur Schule gehst und noch mehr Bazillen einfängst. Bleib daheim und ruh dich aus!«
»Aber Mum…« ich flehte sie mit großen Glubschaugen an. Es half nichts.
»Nein, Blanka. Du steckst deine Mitschüler an. So lass ich dich nicht zur Schule« sie drehte sich um und führte ihre Tätigkeiten weiter.
»Das würde ihnen gefallen, weil sie dann den Unterricht schwänzen könnten.«
»So geht das nicht. Du bist krank, du musst ins Bett. Punkt. Keine Diskussion mehr« sagte dann meine Mutter. Das Thema war für sie abgeschlossen.
Es würde nichts bringen, weiter zu diskutieren. Ich verbarg mein Gesicht in die Hände und sagte nichts mehr. Meine Mutter hatte Recht, ich würde die anderen anstecken, vor allem aber Alex. In dem Zustand würde ich die zwei Stunden im Kino nicht aushalten. Es war für die ganze Welt besser, wenn ich Zuhause blieb. Ich tröstete mich damit, den Test nicht schreiben zu müssen.
»Gut, ich werde daheim bleiben« hustete ich. Meine Stimme war furchtbar. »Aber ich gehe nicht zum Arzt. Besorge mir bitte eine Bestätigung.«
»Blanka« fing meine Mutter an, aber ich ließ sie nicht ausreden.
»Nein! Der untersucht mich nicht mal. Ich darf das Haus nicht verlassen, ich bin zurzeit eine Bedrohung für die ganze Erdbevölkerung.«
Das Schlimmste bei einer Erkältung war, dass mich meine Mutter immer zum Hausarzt schleppen wollte. Ich hatte Glück, sehr selten krank zu sein. Der Arzt war trotzdem eine potenzielle Gefahr – ich konnte nie wissen, ob er mich wirklich untersuchen will oder aus drei Metern Abstand seine Diagnose erstellt.
»Soll ich dir einen Tee kochen?« fragte sie dann.
Ich nickte. Ich wollte nicht viel reden, meine Stimme war rau. Meine Mutter gab mir eine kleine weiße Tablette zum Schlucken. Während ich auf den Tee wartete, blätterte ich die Tageszeitung durch und stellte schnell fest, dass nichts relevantes passiert war. Indessen erschien auch Lucas in der Küche.
»Was ist Blanka, hast du zu kalt geduscht?« begrüßte er mich.
Ich streckte ihm die Zunge entgegen und presste den Saft der halben Zitrone raus. Als ich die Tasse in meiner geistigen Abwesenheit umarmte, war sie nicht warm, sondern heiß und verbrannte meine Hände. Ich zog sie schnell zurück.
»Geh bloß nicht zum Arzt« betonte Lucas besorgt.
Ich ließ seine Bemerkung ungeachtet. Er setzte sich zum Tisch. Meine Mutter schaute uns beide an, ehe sie sich auch zu uns gesellte.
»Esst nun endlich« sagte sie.
Ich konnte nicht essen, meine Nase und Augen tränten.
Nachdem mein Bruder außer Haus war, saß ich noch eine Weile am Tisch und wartete darauf, dass die Wirkung des Aspirins einsetze. Ich blätterte die Zeitung noch mindestens zehnmal durch, bis das Kopfweh weg war.
Den Rest des Tages verbrachte ich im Bett, nachdem ich das Kino abgesagt hatte und danach gleich einschlief. Am Abend machte ich mich auf die Jagd nach den Hausaufgaben, die zu erledigen waren. Ich musste mich beschäftigen, deshalb löste ich alle Mathebeispiele und lernte für Biologie und Geschichte. Ich bereute kein bisschen, daheim geblieben zu sein, sondern freute mich enorm darüber, mich endlich ausschlafen zu können.
Ich blieb die ganze Woche daheim. Jeden Vormittag wartete ich auf den Nachmittag, um mit Alex schreiben zu können, doch er war meist nur abends kurz online. Er fragte, wie es mir ginge, wünschte mir eine gute Besserung und musste dann wieder los. Leider.
Am Freitag fühlte ich mich wie neugeboren. Ich wachte endlich ohne Kopfschmerzen und Fieber auf und entschied sofort, meine Flügel zu säubern.
Ich beseitigte mit dem Babykamm die Knoten in meinen Flaumfedern, während sich die Badewanne mit Babyshampoo und heißem Wasser füllte. Es war mehr Schaum als Wasser in der Wanne, als ich einstieg und darin versank. Ich hob einzeln meine Flügel auf und rieb singend das Shampoo mit einem Schwamm in sie ein. Mit vorsichtigen Bewegungen vermied ich, die Federn kaputt und glanzlos zu machen. Nach meinem Repertoire ließ ich das trübe Wasser ins Abflussrohr und spülte meine Flügel und Haare mit lauwarmen Wasser aus. Ich stand einige Minuten zitternd in der Badewanne und wartete darauf, dass der Großteil des Wassers aus den Federn tropfte. Dann stieg ich auf den Teppich, zog den Vorhang der Badewanne zu und schlug heftig mit den Flügeln dagegen. Der Vorhang brachte mir nicht viel, denn wie immer wurden die Wände und die Decke nass. Das restliche Wasser presste ich aus den Federn, indem ich meine Flügel zwischen die Handflächen drückte und sie langsam durch sie zog. Ich wickelte das lila Badetuch um mich, öffnete das kleine Fenster im Bad und wischte mit einem Lappen den Boden auf. Und hoffte, dass die Wand rechtzeitig von selbst trocknen würde.
Zurück in meinem Zimmer erschreckte mich das plötzliche Klingeln meines Handys. Aufregung verbreitete sich in meinem Körper, weil ich eine Vermutung hatte, wer mich zu dieser Zeit anrufen könnte.