Die Fahrt verlief ruhig, wir redeten nicht viel miteinander. Durch einen dünnen Spalt blies der Wind hinein und ließ meine Haarsträhnen im Licht der untergehenden Sonne tanzen. Mein Kopf war zur Seite gekippt, ich genoss den Anblick des wolkenlosen Himmels.
»Cooler Wagen, nicht wahr?« fragte Alex irgendwann. »Gemütlich, leise und schnell.«
»Mir gefällt er auch. Ich könnte mir gut vorstellen, mein ganzes Leben lang mit so einem Auto unterwegs zu sein« antwortete ich lächelnd. Der Wagen war wirklich toll.
»Die nächste Stadt ist Wels. Ich würde vorschlagen, dass wir uns dort eine Bleibe für die Nacht suchen und danach essen gehen.«
»Essen« wiederholte ich und mein Magen knurrte.
»Ich nehme an, du hast einen großen Hunger« lachte Alex. Es war schön, ihn in diesem Moment glücklich zu sehen und ich konnte nicht anders, als mit ihm zu lachen.
»Mein Magen teilt deine Meinung« grinste ich.
»Dann gibt’s ein ausgiebiges Abendessen.«
»Das klingt sehr verlockend, aber müssten wir nicht vorsichtiger sein?« fragte ich ihn. Schließlich hatte er seiner Schwester verboten, mit mir auszugehen. Was uns nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun. Ich schmunzelte bei der Erinnerung an die Nacht, die ich mit Michelle durchgetanzt hatte.
»Ich passe auf dich auf, Blanka. Es kann dir nichts zustoßen. Noch einmal gebe ich dich nicht her« Alex schaute mir zum ersten Mal in die Augen, seit wir losgefahren waren. Sein Blick beruhigte mich, ich fühlte mich in Sicherheit.
Wir kamen in Wels an und fuhren in der kleinen oberösterreichischen Stadt eine Weile lang herum, bis wir ein unauffälliges Gasthaus fanden. Ich wartete im Wagen, während Alex den offiziellen Teil der Übernachtung an der Rezeption erledigte.
»Komm, Kleines« sagte er durch das offene Fenster. »Vergiss die Sonnenbrille nicht.«
Draußen dämmerte es zwar schon, aber Alex wollte sichergehen. Ich setzte die Sonnenbrille auf und stieg aus dem Wagen. Wir gingen mit den zwei Sporttaschen ins Gasthaus.
»Warte hier auf mich, ich suche einen vorteilhafteren Parkplatz« sagte er und spazierte zurück zum Wagen. Wenige Minuten später nahm er die Taschen und meine Hand und führte mich in unser Zimmer.
Sobald wir drinnen waren, riegelte er die Tür ab und ich fragte mich, ob er befürchtete, dass uns in Wels jemand aufspüren könnte. Statt mir zu große Sorgen zu machen, ließ ich lieber den Blick über den Raum gleiten. Das Zimmer hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem in Frankfurt, wirkte jedoch gepflegter. Auch die Farben waren fröhlicher.
»Ich werde duschen, bevor wir essen gehen, Süße. Oder möchtest du zuerst ins Bad?« fragte er und trat zu mir. Er strich mir eine Strähne hinters Ohr und hauchte einen Kuss auf meine Lippen, ehe er seine frischen Kleider aus der Tasche suchte.
Vor lauter Überraschung konnte ich mich nicht rühren, meine Beine gehorchten mir nicht mehr.
»Nein, geh du zuerst« hörte ich mich schließlich sagen. Dann habe ich wenigstens Zeit, mich zu beruhigen, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich war hin und weg von dem Gefühlschaos, das er so plötzlich in mir auslöste.
Alex verschwand im Badezimmer und ich war froh, dass die Starre wieder nachließ. Ich schüttelte meine tauben Glieder, legte mich auf das große Doppelbett und versuchte, an nichts zu denken.
Nachdem Alex fertig war, besetzte ich die Dusche. Der heiße Dampf, der nach ihm duftete, erschwerte mir das Atmen. Der Spiegel war beschlagen, sodass ich mich darin nicht sehen konnte. Schnell befreite ich mich von meinen Kleidern und stieg unter die Dusche. Meine Flügel hielt ich wie gewohnt nach oben, aber die Dusche war so klein, dass nicht genügend Platz vorhanden war und sie nass wurden. Ich gab auf und ließ das heiße Wasser zähneknirschend über meine Wunden fließen. Nach dem Duschen putzte ich mir die Zähne und dachte dabei darüber nach, wie ich meine Flügel trocknen werde. Ich wickelte sie in das Handtuch, schlüpfte in das Trägertop und in die neuen Jeans und verließ das Badezimmer.
»Gibt es irgendwo einen Haartrockner zum Ausleihen?« fragte ich Alex.
Er musterte mich und begriff schnell, weshalb ich ihn brauchte.
»Es müsste einer im Schrank sein« antwortete er mir, stürmte an mir vorbei ins Bad und kam mit einem Prachtexemplar zurück.
»Oh. Ich hätte mich nur umschauen sollen« lachte ich.
»Woher hast du die neuen Kleider?« fragte er neugierig, während er eine Steckdose suchte.
»Ehm…« Mir fiel nichts ein, also musste ich die Wahrheit sagen. »Ich war mit Michelle einkaufen.«
Ich bereitete mich schon auf eine unangenehme Reaktion vor, doch Alex lächelte nur sanft. »Stehen dir echt gut. Komm, ich trockne deine Flügel. Danach stillen wir unseren Hunger.«
Seine ungewöhnliche Formulierung brachte mich kurz in Verlegenheit. Ich schritt zu ihm und war froh, dass er sich nicht mehr weiter mit der Herkunft meiner Kleider beschäftigte.
Durch Alex’ geschickte Hände wurden meine Flügel schnell wieder trocken, nur die kleinen Flaumfedern blieben etwas zerzaust. Nachdem er sie eingewickelt hatte, zog ich eine langärmelige schwarze Bluse über das freizügigere Top an. Alex nahm meine Hand und wir verließen das Gasthaus.
Ein unbekanntes Gefühl begleitete mich, während wir in den Straßen und Gassen spazierten. Alex ließ meine Hand kein einziges Mal los. Als würde er befürchten, dass ich auf einmal verschwinden könnte… Seine Finger umklammerten fest meine Hand, dennoch fühlte es sich an, als würde er sie zärtlich halten.
»Danke für den Abend« sagte ich, als wir wieder in unserem Zimmer waren. Ich zog die Bluse aus und befreite meine Flügel aus den Bandagen. Alex‘ Augen verfolgten meine Bewegungen.
»Gern geschehen, Blanka. Das ist das Mindeste, was ich jetzt für dich tun kann. Hast du dich wohl gefühlt?« erkundigte er sich.
»Ja« antwortete ich. Sehr sogar, ergänzte ich gedanklich. In Alex’ Nähe fühlte ich mich wieder sicher. Als wir das Restaurant verließen, war es draußen bereits dunkel geworden. Auf dem Weg zum Gasthaus befürchtete ich, dass uns jederzeit etwas zustoßen könnte. Doch Alex‘ hielt selbstsicher meine Hand und nahm mir damit diese Angst. »Es war ein schöner Abend.«
»Danke für die Worte, sie bedeuten mir viel.« Alex zog seine Jeans aus und schlüpfte in eine Jogginghose.
Ich kippte das Fenster, da im Zimmer eine unerträgliche Hitze herrschte und atmete die frische Luft ein. Danach machte ich es mir auf meiner Hälfte des Bettes bequem. Alex setzte sich auf die andere Seite und schaute mich liebevoll an.
»Es ist schön, dich wieder lächeln zu sehen« flüsterte er und nahm meine Hand.
Ich schloss die Augen und verspürte das starke Bedürfnis, ihn zu umarmen. Alex legte sich hin und zog mich zu sich, als hätte er meine Gedanken gehört. Ich atmete den vertrauten Duft seiner Nähe ein.
»Alex…« hauchte ich, noch immer mit geschlossenen Augen.
»Ich bin da« versicherte er mir. »Bist du müde?«
»Ein bisschen« gestand ich und öffnete die Lider. Ich wollte noch nicht schlafen. Ich wollte seine Berührungen und den Anblick seiner dunkelgrünen Augen genießen. Im Institut hätte ich nie gedacht, dass wir uns jemals wieder auf diese wundervolle Art nahekommen würden.
»Ruh dich aus, mein Vogel« Alex gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen. »Es war ein anstrengender Tag. Du musst morgen ausgeschlafen sein.«
»Und du? Wirst du nicht schlafen?« fragte ich ihn.
»Noch nicht« antwortete er mir mit angespannten Zügen und streichelte über meine Wange. »Ich werde noch eine Weile aufbleiben müssen.«
»Wieso?«
Alex schüttelte den Kopf und ließ mich ohne Antwort. Ich schmieg mich fester an ihn und legte einen Flügel beschützend auf seine Schulter. Als ihm bewusst wurde, was ich tat, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.