„Diese Hasenfüsse munden mir“, bemerkte Gideon und nagte das Fleisch von den Knochen. „Hätte ich niemals gedacht, dass die so köstlich sind.“ „Früher mochte ich sie nicht“, fügte Meleficent hinzu und hielt ihren Ast mit dem Hasenfuss über das Feuer. „Meine Mutter hat mir immer Hasenfüsse gekocht, bis ich sie gern haben musste.“ Trauer stieg in Meleficent hoch, als die Erinnerung an ihre Mutter hochstieg. Doch auch diese Erinnerungen wurden jeden Tag mit einem dichteren Nebelband verhüllt. „Ihr habt es gut, ihr beide habt noch Eltern. Wir nicht, wir haben sie auch nie richtig kennengelernt, aber vielleicht ist es auch Glück, denn es wäre sonst schmerzhafter gewesen, wenn wir sie noch gekannt hätten“, murmelte Fay und biss sich auf die Lippen. Aragon nickte, merkte aber wie sehr es Meleficent im Herz schmerzte. „Sie hat auch keine Eltern mehr, ihre Mutter ist gestorben“, erklärte Aragon und drückte sein Mitgefühl für sie aus. Meleficent schniefte: „Ich habe sie lange gekannt, zumindest meine Mutter.“ Fay überkam Schuldgefühl und nahm ihre Freundin in den Arm. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzten.“ Meleficent löste sich von ihrem Griff, als sie sich wieder eingekriegt hatte und Aragon streckte ihr den Ast entgegen, wo die Hasenfüsse an einer Schnur baumelten. „Möchtest du noch einen?“ „Mir ist der Appetit vergangen“, lehnte Meleficent ab und wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel. „Na komm schon, du brauchst Energie“, Aragon drückte ihr einen Hasenfuss in die Hand, ob sie wollte oder nicht. Meleficent seufzte und wusste, dass er nicht lockerlassen würde und steckte sich einen zweiten Hasenfuss an den Ast und hielt ihn über das knisternde Feuer.
Nachdem Essen versammelten sich drei Nasen um Aragon im Halbkreise herum und spähten über seine Schultern. Der Schattenelf zeichnete mit einem Zweig einen Karte in den Sandboden. „Also wir sind jetzt hier“, Aragon setzte ein Kreuz am unteren Ende der Zeichnung. „Und wir müssen zuerst am Meer vorbei“, er zeichnete einen Weg, der zu einem Meer führte. „Danach müssen wir bei Wald der Finsternis, an meiner Heimat, vorbei gehen“, er zog den Strich weiter zu einem Kreise, der einen Wald darstellen sollte. „Und schliesslich, wenn wir weiter nach Westen wandern, landen wir im Düsterwald. Das ist unser Reiseweg.“ „Wie lang brauchen wir bis wir zum Meer kommen?“, fragte Gideon. „Etwa zwei Tage“, antwortete Aragon und wischte sich den Staub aus der Kleidung und steckte den Zweig in den Boden. „Dort können wir in einer kleiner Hafenstadt namens Bellaragt unsere Vorräte auffüllen.“„Bellaragt, davon habe ich schon gehört. Das ist doch die einzige Stadt in Pangea, wo Menschen leben, abgesehen von ein paar Dörfern.“ Aragon nickte: „Genau, aber keine Sorge, die sind nett. Nicht so wie im Gasthaus, die nach uns Bierkrüge warfen.“ „Ich erinnere mich daran. Aber es waren vor allem Zwerge, die Bierkrüge nach uns warfen, nicht Menschen“, Meleficent zwinkerte ihm zu. Aragon lächelte und schaute ihr in die Augen. Meleficent wurde von seinem Blick erfasst und tat es ihm gleich. „Ähm…“, fing Fay. Beschämt löste sich Aragon seinen Blick, stand auf und fuhr sich durchs Haar. „Wo waren wir stehen geblieben?“ Gideon klappte das Maul auf, doch bevor er antworten konnte, erklang ein Flügelschlaggeräusch durch die Tannenwipfeln. „Ieck, Ieck!“, quiekten Stimmchen in der Dunkelheit. „Sind das etwa Feen, die einen Schabernack anrichten wollen?“, fragte sich Gideon selbst und suchte in der Finsternis die Umgebung nach den geflügelten Wesen ab. „Nein, Feen quietschen nicht, sie reden“, erklärte Meleficent. „Es wird aber doch nicht ein Feind sein?“, ängstlich umklammerte Fay ihren Dolch. Aber niemand antwortete, denn alle lauschten mit gespitzten Ohren nach weiteren Geräuschen. Das Flattergeräusch kehrte zurück, doch nun war es lauter, schneller und vermehrter, als würde ein Vogelschwarm auf sie zu fliegen. „Ich vermute, das sind fliegende Vamp…“, Meleficent brach ab. Ein Schwarm voller Flugtierkreaturen mit spitzen Eckzähnen und Segelohren flogen auf sie zu. „Fliegende Vampire, die sind gefährlich!“, ergänzte Meleficent und verschluckte sich fast an ihren Worten. Einer der Vampire steuerte im Sturzflug auf Meleficent zu und schnappen nach ihrem Haar. Gerade noch konnte Meleficent ihren Kopf vor den Zähnen ducken. Die Flugkreatur machte ihm Flug eine Wendung und steuerte wieder auf Meleficent zu. Auf diesen Angriff war Meleficent aber gewappnet und der Pfeil von ihrem Bogen erstach das Tier im Flug und gleichzeitig einen Artgenossen. „Zwei mit einem Pfeil“, murmelte Meleficent. Der Schwarm kreiste sie ein und schwirrten wie Mücken um Meleficents Kopf herum. „Weg mit euch ihre Biester“, Meleficent fuchtelte mit den Händen und konnte in der Ansammlung der Tiere kaum noch ihre Freunde sehen. Sie konnte nur erkennen, dass Aragon und Gideon mit ihren Schwertern nach den Tieren stachen. Von Fay fehlte jede Spur. Meleficent schoss so viele Pfeile ab wie sie nur konnte und traf dutzende Tiere, aber es nütze nichts. Immer mehr fliegende Vampire begannen sie zu attackieren. „Hilfe!!“, Fay schrie hinter Meleficents Rücken. Das Tokklinmädchen wurde von mehreren Vampiren angegriffen und hatte kleine Möglichkeit sie mit ihrem Dolch zu erstechen. Einer der fliegen Vampiren vergrub die Zähne in ihrem Nacken, während die anderen an ihren Kleider zu zupfen begannen. Meleficent wollte den Pfeilbogen spannen, aber Aragon war schneller. Er erstach alle Gegner, die ihn aufhalten wollten Fay zu helfen und nahm den Kampf mit den Angreifern von Fay auf. Er befreite sie von den Biestern und vertriebe sie, bis sie wimmernd einen Abflug machten. „Das war sehr mutig“, ganz beindruckt schaute Fay ihm ins Gesicht. „Ach, das war doch nichts“, Aragon wischte sich einen Blutspritzer von der Wanfe. „Danke“, Fay umarmte ihn und schloss dabei ihre Augen. Wenige Meter von ihnen entfernt beobachtete Meleficent das Geschehen. Ihre Kehle wurde trocken und sie wusste nicht, warum ihr eine Laus über die Leber gelaufen war. Eifersüchtig? , fragte ihre innere Stimme. Nein, ich mag Aragon nicht! , antworte sie ihrer inneren Stimme. Ganz sicher? „Ja, ich mag ihn nicht!“, sprach die Elfe laut aus. „Hast du etwas gesagt?“, fragte Gideon neben ihr, der nach den Tieren um sich schlug. „Nein, nein“, entgegnete sie mit rotem Kopf. „Vorsicht!“, rief Aragon, der nun Seite an Seite mit Fay kämpfte. Ein fliegender Vampir schoss herab, riss Meleficents Ohren mit den Eckzähnen. Ihr Ohr brannte vor Schmerz, als sie den Vampir mit ihren Fäusten von ihrem Ohr befreite und sie spürte wie das Blut an ihrer Wange runtertropfte. Der fliegende Vampir griff wieder an und schlug Meleficent den Bogen aus der Hand, danach gab er ihr mit den Hinterläufen einen Schlag ins Genick und brachte sie so aus dem Gleichgewicht. Meleficent fiel in den Dreck und wusste nicht wo ihr Pfeilbogen lag. Ein Kreischen brachte sie aus der Ruhe. Der fliegende Vampir stürzte sich auf sie herab und zielte mit seinen Zähnen auf die Kehle. Eine Säbelklinge schob sich dazwischen und erdolchte das Tier mit einem Stich. Aber es war nicht Aragon, der Meleficent gerettet hatte, sondern Gideon. „Hat er dich fest verletzt?“, Gideon schüttelte die Leiche von seiner Klinge und reichte Meleficent die Hand. „Ein brummender Schädel und ein aufgerissenes Ohr“, keuchte sie und wollte gar nicht wissen, wie sehr ihr Haar sich schon von dem Blut verklebt hatte. „Wir haben kein Change, es sind zu viele!“, rief Aragon, der sich gerade vor drei Vampiren gerettet hatte. In dem er sich hinter einem Baum verborgen hatte, bevor die Tiere nach seinem Genick schnappen konnten. „Ich habe eine Idee. Wenn die fliegenden Vampire mit Wasser in Berührung kommen, gehen sie in Flammen auf!“, wandte Fay ein. „Und wo hat es bitteschön Wasser Schwesterchen?“, Gideon verdrehte wegen diesem Plan die Augen und piss einen Vampir auf. „Da vorne ist ein Weiher mit einem Fluss“, Meleficent kniff die Augen zusammen und entdeckte, während sie Pfeile um sich schoss, einen Wasseroberfläche im Mondlicht glitzern. „Nichts wie dorthin!“, befahl Aragon und jagte mit seinen Freunden los. Die fliegenden Vampire nahmen sofort Verfolgung auf und es sah nun so aus, als würde eine Gewitterwolke den Elfen und Tokklins folgen. „Was ist eigentlich unser Plan? Wollen wir sie mit Wasser überraschen?“, schnaufte Meleficent und fixierte den Weiher. „Nein, wir werden tauchen!“, grunzte Aragon und spannte seine Arme zum Hechtsprung aus. „Was, und die ganzen Algen und Fische?“, Meleficent bremste ab. „Meleficent, das ist jetzt Wurst!“, Fay nahm ihre Hand und mit einem Ruck sprangen sie in den Weiher. Die vordersten, fliegenden Vampire, erkannten zu spät die Gefahr und kamen an der Oberfläche in Berührung und ihre Körper gingen in Flammen auf. Meleficent kämpfte sich Unterwasser zusammen mit Fay zurück an die Oberfläche. Sie verhedderten ihre Köpfe in ihren eigenen Umhängen. Ihr Gehörgang wurde mit Wasser gefüllt sowie ihr Mund und den Geschmack des Wasser erinnerte sie an Algen und Schlamm. Fay befreite sich von ihrem Umhang und packte erneut ihre Hand, damit sie Meleficent, die keinen Orientierungssinn mehr hatte, an die Oberfläche befördern konnte. Hustend und nach Luft schnappend mussten sie feststellen, dass sie von einem Storm erfasst wurden und ihre anderen Reisegefährten bereits vergebens gegen den Strom anzukämpfen versuchten. „Gib mir deine HaHaHaHand, Fay, wir dürfen uns nicht verlieren!“, Gideon reichte ihr Unterwasser die Hand. „Meleficent nimm meine Hand!“, Aragon und versuchte zu Meleficent hinüber zu schwimmen. Meleficent streckte ihre Hand aus, doch bevor sie Aragons Fingerspitzen berühren konnte, wurde sie von einem Strudel erfasst und in die Tiefe des Weihers gezogen. Aragon überlegte nicht lange, als ihr Kopf unter der Wasseroberfläche verschwand und tauchte hinunter. Dunkelheit herrschte, aber Aragon konnte trotzdem Meleficents Haare schimmern sehen und tauchte tiefer. Er packte sie nach einigen Schwimmzügen an der Schulter und brachte sie an die Wasseroberfläche zurück. Meleficent spuckte Wasser aus und schnappe nach Luft und wollte ihrem Retter entgegenblinzeln. Jedoch wurden alle vier von einem noch stärken Storm erfasst, der zu einem Wasserfall führte. „Gideon, wo bist du?“, Panik stieg in Fay auf, als ihr Bruder nicht mehr ihre Hand hielt und unter den Wasserwellen verschwunden war. Mit letzter Kraft versuchten Fay ans Ufer zurück zu paddeln aber der Wasserfallstorm erfasst und sie stürzten über die Schwelle des Wasserfalls hinab.
Das Rauschen der Wellen drang in Meleficents Gehörgang und weckte sie aus der Bewusstlosigkeit. Sie lag auf dunkelblauem Untergrund und eine Birke spendete ihr Schatten. Bin ich an einem Ufer gestrandet? , dachte Meleficent und rieb sich den Sand aus den Augen, der sich in ihren Augenwinkel sammelte. Ein Gurgeln brachte sie aus den Gedanken. Aus dem Untergrund schoss ein Wasserstrahl in die Luft und dabei merkte Meleficent, dass der Grund, auf dem sie lag sich auf dem Wasser bewegte. Dazu hatte er der Untergrund zwei Knopfaugen, ein langer Rücken, wo Bäume wuchsen und am Ende befand sich eine Flosse. Es war ein Waldrückenwal. (Eigentlich ein Blauwal, doch auf seinem Rücken wuchsen, wie Warzen, Bäume in die Höhe)
Meleficent brachte sich vor dem Wasserstrahl in die Sicherheit und hörte gleichzeitig in ihrer Nähe ein Keuchen. Zwischen dem Binsengewächs lag Aragon, hatte geschlossene Augen und redet mit sich im Schlaf. „Das Wasser, es zieht mich in die Tiefe.“ Meleficent schmunzelte und merkte wie durchgeweicht ihre Kleidung war und ihre Haare nach Weiheralgenwasser rochen. „Aragon, aufwachsen!“, sie schüttelte ihn am ganzen Körper. Aragon öffnete die Augen und blinzelte im Sonnenlicht. „Sind wir etwas Tod?“, fragte er und bewunderte die Umgebung. „Ihr ist alles so friedlich wie im Himmel.“ Meleficent schüttelte den Kopf. „Nein, ein Waldrückenwal hat uns auf seinem Rücken aufgegabelt und vor dem Ertrinken bewahrt.“ „Wahnsinn, ich habe schon immer mal einem solchen Wal begegnen wollen“, sagte Aragon und schüttelte das Wasser aus seinen Haaren. „Puh, wir beide stinken richtig nach Teichwasser“, wechselte Meleficent das Thema, als ihr ebenfalls Aragons Algengeruch in die Nase stieg. „Ach so, für dich muss es bestimmt schlimm gewesen sein im Weiherwasser zu schwimmen.“ Aragon sah sich im Wald auf dem Rücken des Wales um und suchte nach Fay und Gideon. „Ehrlich gesagt, gibt es schlimmeres“, gab Meleficent zu und drückte das Wasser aus ihren Haaren. Sie war ziemlich stolz, weil sie es auch ernst meinte, schliesslich machten sich Waldelfen nicht gerne schmutzig. „Wirklich, meinst du es ernst?“, Aragon drehte sich um und hatte ein offener Mund. „Natürlich“, Meleficent fand ihren Bogen in einem Ginsterkraut liegen. „Und jetzt suchen wir die anderen.“
Sie fanden Fay nach kurzer Suche, die sich gerade aus einem Dornengebüsch kämpfte und ihre Dolche zusammensammelte. „Fay, wo ist Gideon?“, Meleficent bannte einen Weg zu ihr hinüber. „Ich habe keine Ahnung, wo er ist, aber wo sind wir denn eigentlich gestrandet?“, wollte Fay wissen. „Auf dem Rücken eines Waldrückenwales“, Aragon schob sich an Meleficent vorbei und baute sich vor ihr auf. Fays Kulleraugen begannen zu leuchten, als sie ihn erblickte und lächelte. Ich bin nicht eifersüchtig, nein, nein, nein! , Meleficent musste sich auf die Lippen beissen, damit sie nicht ein Schnauben von sich gab. „Ich hoffe, Gideon wurde auch vom Wal aufgefischt“, Meleficent schaute sich um. Zwischen den vielen Arven, Tannen und Linden konnte sie keinen grünen Umhang ausmachen, weder ein brauner Haarbüschel von Gideon. „Gideon, melde dich, wenn du uns hörst!“, Angst stieg in Fay auf.
Sie teilen sich schliesslich auf und suchten nach dem Vermissten. Fay schaute in allen Mulden und Höhlen nach, während Aragon und Meleficent das Unterholz durchsuchten. „Gideon?“, Meleficent schob die Zweige eines Maulbeerbusches auf die Seite, in der Hoffnung, Gideon läge im Busch, doch er lag nicht da. Ahnungslos lief Meleficent im Kreis um eine Linde und überlegte, wo Gideon bloss sein könnte. Während sie vor sich hin grübelte, hörte sie plötzlich ein Schnarchen. Sie wirbelte um die eigene Achse und dachte, Gideon würde eine Pfeillänge hinter ihr irgendwo in einem Strauch schlafen, aber er liess sich nicht erblicken. Das Schnarchen brummte aber wieder durch die Stille und klang so, als würde es aus einer höheren Lage stammen. Meleficent hob den Kopf und sah in die Wipfel der Bäume. Und tatsächlich auf einem Ast einer Eiche schlief Aragon und schnarchte. „Aufwachen!“, Meleficent zupfte an seinem Umhang und versuchte ihn zu wecken. Aber Gideon wurde nicht wach und schnarchte weiter. Meleficent verdrehte die Augen. Tokklins fallen eben oft in den Tiefschlaf. „Gideon!“, schrie Meleficent in sein Ohr. Keine Regung folgte und Meleficent verlor die Geduld. Mit aller Kraft zerrte Meleficent an seinem Umhang, bis sein Körper über den Ast rutschte und in ein Farngestrüpp plumpste. „Guten Morgen auch“, Meleficent zog ein Farnwedel aus seinem Haar. „Was ist passiert?“, stöhnte er und hielt sich den Kopf. „Ein Waldrückenwal hat uns auf seinem Rücken aufgegabelt“, verkündete Meleficent und half ihm auf. „Gideon. Wir haben uns Sorgen gemacht!“, mit offenen Armen raste seine Schwester aus dem Unterholz und umarmte ihren Bruder. Einen Herzschlag später machte der Wal eine energische Wendung im Wasser und wirbelte alle durch die Luft. Meleficent schlug mit dem Kopf gegen einen Stein auf und war für einige Sekunden von dem Aufprall wie betäubt. „Müssen Wale immer so die Richtung ändern!“, beschwerte sich Fay und hievte sich wieder auf die Füsse. „Leute, das müsst ihr euch ansehen!“, Aragon stolperte hinter den nächsten Tannen zum Vorschein und jagte seine Freunde zum Waldausgang.
Die Wellen schlugen gegen die Walhaut und das Ufer war nur ein Katzensprung von ihnen entfernt. Aber gerade noch weit genug weg, dass der Wal nicht strandete. „Seht!“, Aragon deutet mit seinem Finger auf das Ufer. Bei den Schilfstängel, wo Schnatterschnabelenten sich versteckten, bauten sich Arazogs Rudel auf und knurrten dem Wal entgegen. Der Wal stiess einen Rumpellaut aus seiner Kehle und übte mit seiner Schwanzflosse eine Bewegung gegen die Wölfe aus. Die ausgelösten Wellen rollten auf die Wölfe zu und spülten sie ins Wasser. „Der hilft uns ja!“, bemerkte Fay und beobachtete amüsiert, wie sich die Wölfe winselnd ans Ufer zurückkämpften. „Danke Moby“, Gideon kraute seine Rücken, war sich aber nicht sicher, ob er es überhaupt spüren konnte. „Oh nein, der Arme hat hier eine Narbe“, murmelte Aragon und entdeckte eine Furche an seinem Oberkopf. „Ich habe da etwas für ihn“, verkündete Meleficent und befahl Aragon den Reisebeutel gross zu hexen.
Nachdem er es getan hatte fischte sie das rote Heilelixier für Tiere heraus, öffnete den Deckel und verteilte ein paar Tropfen auf seiner Narbe. Schnell verschloss sie das Fläschen und eilte zu ihren Freunden in Deckung. Es gab kurzdrauf einen Knall und ein Licht schwebte um die Narbe herum, bis sie sich auflöste und eine unverletzte Haut zurückliess. Der Wal stiess ein Geräusch als Dank aus, dass sie Gäste auf seinem Rücken die Ohren zu hielten mussten. „Wie kommen wir hier eigentlich weg?“, Meleficent stellte eine gute Frage, da der Wal sich wieder vom Ufer entfernte. „Moby, oder wie auch immer du heisst, kannst du uns nicht an Land absetzten?“, fragte Gideon. „Ja, jetzt versteht er dich ganz bestimmt. Du kannst kein Walisch“, spottete seine Schwester. Ehe sie aber dies gesagt hatte, leitete der Waldrückenwal eine Bewegung zum Tauchgang ein. „Der will uns doch ertränken!“, kreischte Aragon und wollte sich mit einem Sprung im Wasser retten, doch es war zu spät. Der Wal tauchte und spülte die kleinen Wesen von seinem Rücken. Meleficent wurde im Wasser hin und her gewirbelt und wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Gideon strampelte ebenfalls im Wasserstrudel um sein Leben, doch er wusste, wo die Oberfläche war. Deshalb schwamm Meleficent, während ihr Luftvorrat in der Lunge schrumpfte, ihm hinterher.
An der Oberfläche angekommen schnappte Meleficent erstmals nach Luft und kraulte zu Aragon hinüber, der eben mit Fay aufgetaucht war. „Wo ist Moby?“, fragte Aragon und reckte den Kopf. „Warum Moby, der Name ist blöd!“, protestierte Fay. „Ist auch egal, nenne ihn eben Günter oder…!“, schnauzte Gideon, brach aber ab, als ein Geräusch seine Aufmerksamkeit weckte. Aus dem Wasser schoss der Wal in die Höhe, drehte sich auf den Rücken und liess sich neben den Elfen und Tokklins ins Wasser fallen. Eine riesige Welle baute sich auf und riss alles ans Ufer zurück, was von ihr erfasst wurde. Meleficent wurde gegen Aragon im Wasserstrudel geschleudert und verlor beinahe die Besinnung. Ein letztes Mal rollte die Welle über das Wasser, dann schlug sie am Ufer auf und die Mitreisenden erhielten einen Schlag auf den ganzen Körper. „Mein Kopf!“, jammerte Fay und krabbelte auf dem Sand herum. Meleficent schüttelte benommen den Kopf und streckte die Glieder. Etwas klebte an ihrer Stirn. Es war einen Seetang mit verfangenen Schnecken. Kreischend schüttelte sie den Seetang vom Kopf und zog alle Schnecken aus ihrem Haar, die sie finden konnte. „Vorsicht, das sind Seebeissschnecken, die picken nach deinen Augen wenn du nicht aufpasst“, stichelte Aragon sie. „Sehr witzig“, schnaubte sie und setzte die letzte Schnecke ins Wasser. „Wiedersehen Moby. Du wirst mir fehlen!“, Gideon winkte seinem Walfreund zum Abschied und beobachtete, wie er seine Schwanzflosse im Wasser untertauchte und schliesslich in der ganz verschwand. „Am besten rasten wir hier“, entschied Aragon und zog sein Hemd aus, damit es trocknen konnte. Und dabei fielen Fay beinahe die Augen aus. So einen anmutigen Körper hatte sie noch nie gesehen und auch Meleficent musste staunen. Gideon verengte fast etwas neidisch die Augen.
„Du fährst also nicht so auf ihn ab, wie meine Schwester?“, fragte Gideon, als Meleficent sich zu ihm gesellte ans Lagerfeuer gesellte. „Nein“, grunzte Meleficent. Gideon verzog sein Gesicht. „Meine Zwillingsschwester ist ziemlich schnell verliebt.“ „Aber sie hat ein gutes Herz“, murmelte Meleficent, damit Fay es nicht hören konnte. Doch eigentlich sinnlos, die Gute himmelte Aragon an und war somit beschäftigt. „Hab ich doch auch. Schliesslich sind wir Zwillinge“, fügte Gideon hinzu und lächelte. „Ihr seid euch ähnlich. Fay ist nur etwas aufgedrehter und du bist ernster.“ „In wie Fern ist sie aufgedrehter?“, fragte Gideon. „Möchte jemand noch Trinkwasser?“, Fay hüpfte wie ein Frosch zu ihnen hinüber und reichte ihnen mit einer Hand die Feldfalsche. „Nein, danke“, lehnte Meleficent ab und Fay hüpfte wieder zu Aragon zurück. „Verstehst du jetzt?“, flüsterte Meleficent und musste sich ein Lachen verkneifen. Heute hatte Meleficent so viel erlebt. Erst mussten sie sich in der Nacht vor den fliegenden Vampiren in einem Weiher retten, danach stürzten sie über einen Wasserfall und wurden von einem Wal gerettet. Zum ersten Mal in ihrem Leben fand sie es gut, ihren Wald verlassen zu haben, obwohl sie ihre Bücher und das gute Essen vermisste. Denn auf dieser Reise hatte sie so viele wesenähnliche Freunde wie noch nie gefunden. Mit Ausnahme von dem Kotzbrocken Aragon. Die Welt hinter den Grenzen des Grünwaldes war wunderschön aber gefährlich. Das hatte sie bis jetzt auf ihrer Reise gelernt und dass man auf einer Reise wie ein Schwein im Dreckloch benahm. Schliesslich hatte Meleficent heute nicht einmal ihre Haar gekämmt und die schmutzigen Klamotten gewechselt.