Du weißt, ich habe dir selten bis nie widersprochen, wenn es um die Erziehung unserer Kinder ging. Mal abgesehen von dem einen Mal ‐ als ich den beiden nicht erlauben wollte an der Schulexkursion ins Salzbergwerk teilzunehmen ‐ habe ich nie irgendwelche Regeln aufgestellt, da musst du mir doch zustimmen. Du bist ohne Zweifel eine wunderbare Mutter, und ich will dir ansonsten auch gar keine Vorschriften machen, doch das ist einfach ein Punkt, auf dem ich bestehen bleibe.
Ich weiß, dir kommt es unsinnig vor ‐ und ja, auch in meiner Familie war es damals so üblich. Daran will ich heute lieber gar nicht zurückdenken. Der Punkt ist: ich will diesen widernatürlichen Brauch nicht an unseren Nachwuchs weitergeben. Und ja, wenn es sein muss verbiete ich es. Nur über meine Leiche lasse ich zu, dass unsere Kinder Geld für ihre ausgeschlagenen Zähne kriegen, oder für irgendwelche anderen Körperteile, die ihnen aus welchem Grund auch immer abfallen mögen. Du kannst ihnen ja tagsüber ein Eis oder so kaufen, wenn dir wirklich so viel daran gelegen ist, sie für natürlich auftretende Körperfunktionen zu belohnen. Ja, schau mich ruhig böse an wenn du willst, und nenn mich ruhig verschroben, aber von dieser Meinung weiche ich nicht ab.
Wusstest du, dass die Menschen früher noch viel umsichtiger mit ihren ausgefallenen Zähnen umgegangen sind? Damals im Mittelalter, als man noch an Hexen und derlei Wesen glaubte, gab es noch in beinahe allen Kulturen spezielle "Gebräuche" und "Rituale", die den Kindern beim Erwachsenwerden beigebracht wurden, damit ihre ausgefallenen Milchzähne nicht in die falschen Hände gerieten. Damals war man ja noch fest davon überzeugt, eine Hexe könnte einen mit einem Fluch belegen, wenn sie auch nur ein Haarknäuel oder einen Zehennagel von einem besäße. So brachte man den Kindern bei, verlorene Zähne zu verbrennen, zu vergraben, sie in den Fluss zu werfen oder ‐ nein wirklich, lies das nach wenn du mir nicht glaubst ‐ sie an die Schweine zu verfüttern.
Woher dann letztendlich dieser wahnwitzige Brauch mit der Zahnfee stammt, will ich überhaupt nicht wissen. Schon gut, schüttel du nur deinen Kopf... Aber wärst du seinerzeit dabei gewesen und hättest am eigenen Leibe erfahren, was ich damals mit Sarah Miller erlebt habe, dann würdest du anders über die Sache denken, und du würdest mir gewiss zustimmen.
Zugegeben, ich habe nie besonders viel von ihr erzählt… Du weißt ja, dass ich nicht gerne über verflossene Liebschaften rede ‐ und ganz besonders nicht über diese. Und bevor du gleich wieder eifersüchtig wirst: Nein ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Schon sehr lange bevor ich dich kennengelernt habe, fing ich an sie zu meiden und einen großen Bogen um die ganze Gegend um den St. Lawrence Hill und das gesamte Hill County zu machen. Aber na schön. Ich tue das zwar nur sehr ungern, aber du lässt mir ansonsten ja keine Ruhe mehr. Dann werde ich dir die ganze Geschichte mal erzählen, auch wenn ich lieber gar nicht mehr daran denken würde.
Wie du weißt hatten Sarah und ich damals angefangen, regelmäßig miteinander auszugehen. Sarah lebte zu dieser Zeit noch zusammen mit ihrem Sohn in ihrem alten Apartment, in einem der mehrstöckigen Wohnhäuser die entlang des St. Lawrence Hill in die Felswände hinein gebaut worden waren. Viele dieser Häuser sind gut vier Jahrhunderte alt, manche sogar noch älter, und viele davon haben tiefe Keller, die sich bis in die Eingeweide des Berges ziehen. Manche sprechen sogar von einem System uralter Katakomben, weit unter der Stadt, in die man zum Teil noch über die alten Felskeller hinabsteigen könne ‐ ob das nun stimmt oder nicht sei dahingestellt. Die Leute in der Gegend erzählen sich unter vorgehaltener Hand Legenden von unerforschten Höhlen und Tunneln, die den alten Berg durchziehen und in denen heute noch Wesen hausen, die man nur noch aus den alten Fabeln der grauen Vorzeit kennt. Warum ich dir das erzähle? Hab Geduld. Das wirst du noch schneller erfahren als dir lieb ist.
Jedenfalls, als Sarah und ich uns mit der Zeit näher kamen, wurde es durchaus üblich, dass ich manches Mal die Nacht bei ihr verbrachte. Ach komm, jetzt tu bloß nicht so als ob du das nicht gewusst hättest. Ihr Sohn Lucas ‐ ich glaube er war so um die acht Jahre alt ‐ war mir zu dieser Zeit schon sehr ans Herz gewachsen. Sein leiblicher Vater war viel zu früh gestorben als dass der kleine Mann sich an ihn hätte erinnern können, und irgendwie hatte der Junge sich so schnell an mich gewöhnt, dass er bereits nach nur wenigen Monaten anfing “Papa” zu mir zu sagen. Ich glaubte damals, bereits mein Glück gefunden zu haben, und es dauerte nicht lange, da waren so etwas wie eine richtige kleine Familie.
Eines Morgens, als Sarah und ich gerade beim Frühstück saßen, kam Lucas aufgeregt aus seinem Zimmer gelaufen um uns zu zeigen, was die "Zahnfee" ihm heute Nacht gebracht hatte. Stolz präsentierte uns er Kleine eine sehr alt und sehr wertvoll aussehende Silbermünze mit einer grotesken Prägung: Die Münze zeigte auf beiden Seiten, jeweils umrahmt von einer mir unbekannten Keilschrift, den widerlich grinsenden Kopf eines Wolfes, dessen Gesichtszügen etwas unbehaglich Menschenartiges anhaftete. Schon allein der Anblick dieser Münze genügte um bei mir ein unerklärliches Gefühl der Angst aufkeimen zu lassen, sodass ich sie am liebsten auf der Stelle aus dem Fenster geworfen, oder besser noch eingeschmolzen hätte.
Als Sarah mich am selben Tag zu späterer Stunde darauf ansprach, wo um alles auf der Welt ich nur dieses abscheuliche Sück Silber aufgetrieben hätte, und wie ich dieses Ding nur ohne ihr Einverständnis unter das Kissen ihres Sohnes legen könne, erschauderte ich regelrecht. Ich war bis zu jenem Zeitpunkt der festen Überzeugung gewesen, dass Sarah selbst es gewesen sein musste, die dieses widerwärtige Ding im Tausch gegen den Zahn ihres Sohnes hinterlassen hatte. Ich bestand natürlich vehement darauf, nicht das Geringste mit der Sache zu tun zu haben und davon genauso überrascht zu sein wie sie, doch selbstverständlich wollte Sarah mir nicht glauben - war ich doch außer ihr der einzige, der in der Nacht Zugang zum Schlafgemach ihres Sohnes gehabt haben konnte. Schließlich kam es zu einem heftigen Streit und wir beschlossen, dass es wohl das Beste wäre, uns für eine Weile nicht mehr zu sehen.
Mehrere Tage zogen ins Land, und gerade als ich glaubte, mit mir und Sarah wäre es endgültig vorbei, rief sie mich plötzlich an um sich unter Tränen für ihre Vorwürfe zu entschuldigen. Sie sagte, sie wisse nun mit Sicherheit, dass ich mit der ganzen Sache nichts zu schaffen hatte und dass es ihr Leid täte, mir nicht eher geglaubt zu haben. Meine Erleichterung über unsere Versöhnung verschwand jedoch mit einem Mal, als Sarah mir den Grund für ihren plötzlichen Sinneswandel verriet. Sie hatte, da die ganze Sache sie nicht mehr ruhig hatte schlafen lassen, heimlich die Dose mit Lucas' alten Milchzähnen vom Dachboden geholt, und drei Nächte lang in Folge jeweils einen davon unter das Kopfkissen ihres Sohnes gelegt, ohne es ihm zu sagen. Stets waren sie am Morgen darauf verschwunden und im Tausch dafür fand sie an jedem morgen eine Silbermünze vor. Ich erschauderte, als sie mir die Geschichte erzählte und ich beschloss alles stehen und liegen zu lassen um sofort zu ihr zu fahren.
Als ich schließlich ankam hatte Sarah bereits die Polizei verständigt, doch weder konnten diese auch nur die geringsten Einbruchsspuren an Türen und Fenstern ausmachen, noch wurde festgestellt, dass außer den verschwundenen Milchzähnen irgendetwas fehlte. Am Ende hielten sie das Ganze für einen Streich des Jungen, der ‐ so meinten sie ‐ die sonderbaren Münzen wohl irgendwo gefunden hätte, und nun zu verängstigt sei um seinen Schabernack zuzugeben.
Später am Abend führten Sarah und ich noch eine lange und eindringliche Unterhaltung mit Lucas, der jedoch standhaft darauf beharrte, nichts über die Münzen zu wissen und auch des Nachts niemanden in die Wohnung gelassen zu haben. Schließlich kamen wir zu der Übereinkunft, dass der Bursche wohl die Wahrheit sagte und beschlossen, in Zukunft sein Zimmerfenster fest zu verriegeln und auf gar keinen Fall weitere Zähne unter sein Kissen oder aufs Fensterbrett zu legen. Auch verbot Sarah ihm, jemals selbst wieder einen Zahn ‐ so ihm denn einer ausfiele ‐ für die "Zahnfee" bereitzulegen.
In dieser Nacht blieb ich an Sarahs Seite. Sie hatte in die letzten Nächten wohl sehr unruhig geschlafen, und ich bezweifle dass sie auch nur ein Auge zugebracht hätte, wäre ich nicht bei ihr geblieben. Ich sah mich noch einmal sorgsam in Lucas' Zimmer um, kontrollierte ob das Fenster verriegelt war und warf einen Blick in den von Felswänden umgebenen Innenhof. Zwar hielt ich es für unmöglich, dass irgendjemand die steilen Mauern bis zum Fenster hätte hinaufklettern können, oder dass es jemandem gelingen könnte, sich von einem Fenster zum nächsten zu schwingen, doch die unheimliche Aussicht, die man aus dem kleinen Fenster hatte übte auf mich eine beunruhigende Wirkung aus. Der fahle Mondschein tauchte die sich emporhebende Felswand in ein schauriges Licht und die Bäume oben auf dem St. Lawrence Hill warfen bedrohliche Schatten über die Klippen, die schon fast nach einem zu greifen schienen. Noch einmal überprüfte ich den Fensterriegel, zog die Vorhänge zu und begab mich zurück ins Schlafzimmer, wo Sarah bereits darauf wartete, in meinen Armen ruhig einschlafen zu können.
Mitten in der Nacht ‐ ich glaube es war zwischen 2 und 3 Uhr ‐ wurden wir von einem Geräusch geweckt, einem lauten Krachen. Natürlich eilten wir sofort in Lucas' Zimmer, und waren zunächst erleichtert, als wir ihn noch immer schlafend in seinem Bett vorfanden. Doch dann erkannten wir, was wohl die Ursache des lauten Knalls gewesen sein musste: Lucas' Zimmerfenster war zugefallen, wie der darin eingeklemmte Vorhang belegte. Es war eben jenes Fenster, das wir vor dem Zubettgehen fest versperrt hatten und welches ohne Gewalteinwirkung nur von innen hätte geöffnet werden können. Mir stellte es die Nackenhaare auf ‐ hatte ich mich doch nur Stunden zuvor noch selbst davon überzeugt, dass das Fenster bombenfest verriegelt war. Nun war der Riegel geöffnet, das Fenster zugefallen und draußen wehte der eingeklemmte Vorhang unheilvoll im Wind.
Wir weckten den Jungen und fragten ob er es war, der das Fenster geöffnet hatte. Doch als er erwachte und den Mund aufmachte um zu antworten, gefror uns das Blut in den Adern. Ihm fehlten beinahe sämtliche Zähne, darunter auch solche, die gar keine Milchzähne mehr waren. Unter seinem Kissen fanden wir zum "Ausgleich" ein ganzes Duzend jener Silbermünzen mit dem höhnisch lachenden Wolfskopf und der abscheulichen Keilschrift. Für Sarah war dieser Anblick wohl zu viel, denn sie brach unter Tränen zusammen. Wir hatten schreckliche Angst, denn wir wussten, dass wir irgendetwas heraufbeschworen haben mussten, das es nun auf den Jungen abgesehen hatte, und uns war klar, dass uns in dieser Sache niemand helfen oder auch nur glauben würde. Nachdem die Polizei nicht in der Lage gewesen war, etwas zu tun, versuchten wir es bei allen Esoterikern, Geistheilern und Teufelsaustreibern die im Telefonbuch zu finden waren. Keiner von ihnen konnte uns auch nur im Geringsten weiterhelfen, auch wenn Sarah sich gegen meinen Rat diverse Talismane zu überteuerten Preisen hatte andrehen lassen. Doch wer würde es ihr verdenken? Sie war mit ihren Nerven am Ende, und bereit zu jedem Mittel zu greifen, das auch nur die geringste Aussicht auf Rettung bot. Als schließlich die Nacht hereinzubrechen drohte, packte Sarah die kalte Panik. Gemeinsam verriegelten wir alle Fenster und schauten in jeden Schrank und unter jedes Bett, um sicherzugehen, dass sich niemand außer uns in der Wohnung befinden konnte. Sarah legte die Relikte aus, die sie sich von den Scharlatanen hatte aufschwatzen lassen: Eine Bibel, Ein hölzernes Kreuz, ein "magisches" Amulett, eine Steinpyramide die dunkle Energien abwehren sollte und sogar einen herkömmlichen Kranz Knoblauch für den sie ganze 35 Dollar bezahlt hatte.
Wieder wurde es Nacht, doch schliefen wir kaum, und bei jedem noch so kleinen Geräusch das wir zu hören glaubten, sprangen wir auf, um nach dem Rechten zu sehen. Erst in den frühen Morgenstunden schaffte ich es einzuschlafen, doch ich wurde urplötzlich von einem markerschütternden Schrei erweckt. Binnen Augenblicken sprang ich auf und hastete aus dem Schlafzimmer. Ich fand Sarah vor Angst erstarrt und heulend auf dem Boden vor dem Kinderzimmer kauern. Ein starker Wind fuhr durch ihr Haar. Ich stürmte an ihr vorbei ins Kinderzimmer ‐ aufs Schlimmste gefasst ‐ und war über alle Maße erleichtert, Lucas noch in seinem Bett vorzufinden, wenngleich er durch den Schrei seiner Mutter geweckt worden war, und nun verängstigt weinte.
Das Fenster stand sperrangelweit offen und mir graute es, als ich sah, dass einige Silbermünzen auf dem Bett verstreut lagen. Dann fiel mir auf, dass dem jungen Lucas nicht nur die Zähne, sondern auch ein paar große Büschel Haare und alle Fingernägel fehlten. Sarahs vermeintliche Schutzgegenstände lagen im ganzen Raum verstreut. Der heiligen Bibel waren die Seiten herausgerissen worden, das Kreuz war abgenagt und der Knoblauch bis auf den Kranz aufgefressen worden. Dort wo sich zuvor die sonderbare Pyramide und das alte Amulett befunden hatten, lag nun stattdessen im Tausch dafür jeweils eine Münze.
Den schlimmsten Anblick jedoch bot die Mutter des Jungen, die immer noch zitternd am Boden kauerte, sich am Türrahmen festkrallte und deren Gesicht zu einer von Todesangst erfüllten Fratze verzogen war. Sie schluchzte und weinte unaufhörlich, und so sehr ich es auch versuchte konnte ich sie um nichts in der Welt beruhigen oder auch nur dazu bringen, ein sinnvolles Wort zu äußern.
Dann erst bemerkte ich, dass der ungewöhnlich starke Luftzug nicht etwa vom Fenster herrührte, sondern direkt aus der Wohnung zu kommen und vielmehr aus dem Fenster hinaus zu wehen schien. Er trug einen modrigen, faulen Geruch mit sich, so wie man ihn in einem feuchten Grab oder einer alten Gruft erwarten würde. Als ich schließlich begriff, dass die ansonsten stets verschlossene Kellertüre weit offenstand und dieser abgestandene, faulige Wind von irgendwo dort unten herrühren musste, ergriff mich eine Angst, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Ohne einen weiteren Moment zu zögern tat ich, was ich schon die ganze Zeit hätte tun sollen. Ich schnappte mir Sarah und ihren Sohn, brachte sie zu meinem Auto und fuhr mit ihnen in ein Hotel, weit weg vom St. Lawrence Hill. Wir mieteten uns ein Zimmer und bestanden darauf, dass Lucas fortan bei uns im Bett übernachten sollte.
Wie ich sehe lachst du gar nicht mehr. Ich hoffe, du kannst an meinem Tonfall erkennen, dass ich keinesfalls bloß Scherze, oder mir diese haarsträubende Geschichte nur ausgedacht habe. Ich glaube du kennst mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich kein Fantast oder abergläubischer Mensch bin. Für gewöhnlich stehe ich, da wirst du mir sicher zustimmen, mit beidem Beinen fest am Boden und glaube nichts, was ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Und doch bin ich dankbar dafür, dass ich nicht selbst mit ansehen musste, wovon Sarah mir noch in derselben Nacht während der langen Autofahrt mit zitternder Stimme berichtete.
Willst du wissen was sie in ihrer Wohnung so tödlich erschreckt hatte? Was für ein Anblick sie so dermaßen traumatisiert hat, dass sie wohl niemals wieder ein Haus mit Keller betreten oder auch nur in einem Zimmer ohne vergitterte Fenster schlafen wird? Ich will es mal so sagen: Kannst du dir vorstellen das Zimmer unserer Kinder zu betreten, nur um zu sehen wie ein fast zwei Meter großes Wesen, bedeckt mit schwarzem Fell ‐ halb Mensch, Halb Tier ‐ gebückt im Raum steht und sich über das Bett deines Sohnes beugt?
Hast du auch nur den Hauch einer Vorstellung, wie es sich anfühlen muss, wenn das eigene Kind Nacht für Nacht und Stück für Stück ausgeschlachtet und verzehrt wird, Zahn um Zahn, ohne dass du dich dagegen wehren könntest? Vermutlich verstehst du jetzt, warum ich es nicht will, dass unsere Kinder ihre Milchzähne ans Fenster oder unter ihr Kissen legen. Vielleicht findest du es nach dieser Geschichte auch nicht mehr so befremdlich, dass ich ihnen nicht erlaube mit ihrer Schulklasse hinab ins Bergwerk zu steigen oder dass ich ihnen so oft sage, sie sollen sich um Gottes Willen von alten Höhlen und vom Waldesrand fernhalten. In unserer Welt, weißt du, da gibt es Dinge, die wir modernen Menschen zum Glück vergessen haben.
Du bist ziemlich blass geworden, bleib lieber noch ein Bisschen sitzen. Was schließlich aus Sarah's Sohn geworden ist? Frag lieber nicht weiter nach, denn ich fürchte unsere Flucht aus dem alten Haus am St. Lawrence Hill ist nicht das Ende unserer Geschichte gewesen. Und eines kannst mir glauben ‐ ich wünschte das wäre es. Aber schön, wenn du unbedingt darauf bestehen willst… Sag nicht ich hätte dich nicht gewarnt.
Denn als wir am nächsten Morgen im Hotel erwachten war es eiskalt im Raum. Das Fenster musste die ganze Nacht lang offen gestanden haben. Dieses… Ding musste uns verfolgt und uns bis weit über die Grenzen des Hill County hinaus gefunden haben. Sarah und ich fanden uns alleine im Bett wieder. Wir sprangen auf und suchten verzweifelt überall nach dem Kind: Im Badezimmer, Im Schrank, ja sogar unter dem Bett. Doch als wir dann diesen Beutel unter dem Kopfkissen fanden, randvoll mit klirrenden Silbermünzen, da wussten wir, dass es zu spät war.
Ich kriege diesen grausigen Fund einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Dieser widerliche Beutel… er war zusammengenäht aus dem, was einst der Schlafanzug des kleinen Jungen gewesen war.