Der Raum war schrecklich dunkel. Nur eine Kerze auf den Nachtisch, neben dem Bett, erhellte den Raum schwach. Es herrschte eine nahezu Toten ähnliche Stille, was mich dazu brachte, direkt vor der Tür stehen zu bleiben und meinen Augen die Möglichkeit zu geben, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es lag eine Art Traurigkeit in der Luft, die man einfach nicht beschreiben konnte. Die Gemälde von glücklichen Tagen, meine Eltern zusammen an ihren Hochzeitstag, wir drei bei meiner Geburt, sie hingen nun nicht mehr an den Wänden. Das Holz aus dem die Schränke und Kommoden bestanden, von dem ich wusste, dass es im Sonnenlicht förmlich leuchtete, hatte nun scheinbar seinen Glanz verloren. Es war ein großer Raum. Links befand sich eine Kommode und an der Wand hing ein Spiegel, was einst ein Wunsch meiner Mutter war. Auf der rechten Seite des Raumes, gleich neben mir, stand ein riesiger Schrank, indem ich mich als Kind immer versteckt hatte. Ohne die Accessoires meiner Mutter, die nach ihren Tod weggebracht wurden, wirkte alles so kalt und Trist. Mama hatte dieses unglaubliche Talent einen das Gefühl von Heimat zu vermitteln. Sie war was Besonderes. Direkt gegenüber von mir stand schließlich das große Himmelbett meiner Eltern. Ein weiterer Wunsch meiner Mutter, wie so vieles in diesem Schloss. Teppich Wege, wie ich sie gerne nannte, führten zu beiden Seiten des Bettes. Mit jedem Schritt den ich tat, schlug mein Herz schneller und immer lauter. Kurz hatte ich Angst er könnte davon aufwachen. Bis ich merkte, dass das totaler Blödsinn war, hatte es mich nur weitere, wacklige Schritte gekostet. Ich konnte nicht sagen, dass ich jemals so große Angst hatte. Angst vor Ablehnung, davor, dass er mich nun doch hasste und mich überhaupt nicht sehen wollte. Ich hielt mich an einer Stütze des Himmelbettes fest und hörte ihn schwer atmen. Sehen konnte ich ihn jedoch nicht, da ich meine Augen geschlossen hielt. Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Mit meinem Herz schon im Hals schlagend, öffnete ich sie und was ich sah ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Mann, der dort lag, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem, den ich von früher kannte. Er war sportlich, war immer aktiv. Halt ein junger Mann. Ich weiß noch, wie er stundenlang mit mir durch das Schloss und durch den Garten getobt ist. Er nahm mich auf die Schultern, ritt mit mir in die Stadt, er las mir damals Märchen vor und erzählte mir Geschichten, wenn ich ins Bett ging und blieb stets bei mir, bis ich schließlich einschlief. Er war der perfekte Vater. War. Doch davon war nun nichts mehr übrig. Er lag mit geschlossenen Augen da, die Arme neben seinen, nun nicht mehr so sportlichen, Körper. Obwohl er schlief, sah er schrecklich müde und erschöpft aus. Sein Haar war fast komplett grau und es hatten sich viele Falten in sein Gesicht geschlichen. Mein Atem stockte und mir stiegen schon wieder die Tränen in meine Augen. Ich hatte ihn noch nie so verletzlich gesehen, so schwach. Er war nicht mehr er. „Papa.“, ich ging näher auf ihn zu, „Was hast du dir nur angetan?“ Ich flüsterte nur, setzte mich halb auf die Bettkante und nahm seine Hand. Ich stellte mir vor, was er all die Jahre getan hat. Wenn man Mike glauben konnte, was normalerweise der Fall war, hatte er die meiste Zeit still und nachdenklich und vor allem allein verbracht. Ob er nun wusste, wie ich mich einst fühlte und was seine Ablehnung für mich bedeutete? Ich wusste es nicht, aber so wie er aussah, merkte man, dass ihn irgendwas nah ging. Seine Hand war furchtbar kalt und so leblos in meiner, dass man denken konnte, er hätte aufgehört zu kämpfen. Sie war geschwollen, so wie sein ganzer Arm und wahrscheinlich auch der Großteil seines Körpers. Aus seinen schmalen und spröden Lippen kam ein leichtes, gequältes Stöhnen. Generell hörte es sich an, als würde er jede Sekunde ersticken. Es bildete das einzige Geräusch im Raum. Er tat mir unendlich leid. Ab und zu verzog er voller Schmerzen das Gesicht. Ich saß einfach nur da und hielt seine Hand. Ich wiederholte andauernd die Frage „Warum?“ in meinem Kopf. Warum hat er sich das angetan? „Papa…“ Er war mein Vater, er hatte schmerzen. Ich sank von der Bettkante und hockte nun auf den Boden. Ich hielt immer noch seine Hand und legte meine Stirn auf sie. Kurz fragte ich mich, ob er wirklich noch lebte. Es war krank, denn das einzige, was mich wissenließ, dass ich mich irrte, war dieses schreckliche Stöhnen. Schluchzend blickte ich auf, strich dabei über seinen Handrücken und sah ihn wieder an. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen und ließen ein weiteres Mal alles verschleiern. Ich weiß nicht, wie lange ich einfach da saß und ihn wie in Trance anstarrte. Es fühlte sich an, wie Jahre. Ich konnte den Blick gar nicht mehr von ihm nehmen. All die Jahre, all die Zweifel, all die Versuche diese zu überwinden und diesen Weg zu gehen. Und nun war ich hier und wollte am liebsten ganz woanders sein. Ich küsste seine Hand und beschloss mich wieder auf die Bettkante zu setzten. Er würde wohl noch eine Weile schlafen, sodass es nichts bringen würde noch länger hier zu sitzen und mich zu quälen. Obwohl ich eigentlich weg wollte, strich ich noch ein paar Mal sanft über seine Wange in der Hoffnung, er würde doch aufwachen. Vergebens. „Es tut mir alles so unendlich leid. Ich wünschte, es wäre nicht so weit gekommen. Ich hoffe wir können einander irgendwann verzeihen. Ich will, dass du weißt: Ein Teil von mir liebt dich, immer.“ Langsam erhob ich mich und hielt weiter seine Hand. Ich guckte ihn nochmal genau an und seufzte. Dann drehte ich mich um und meine Hand drohte aus seiner zu gleiten. Plötzlich spürte ich einen Druck. Ich verkrampfte, blieb regungslos stehen und hielt den Atem an. Ich hörte ein Stöhnen hinter mir, ein Röcheln und dann eine Stimme. „Clarissa.“, sagte eine kratzende Männerstimme, kaum hörbar hinter mir. -Atmen fällt ihm schwer, sprechen ebenso.- Der Druck wurde fester und der Kloß in meinem Hals, der schon den ganzen Tag dort steckte, immer dicker. Ich senkte den Kopf und starrte auf den Boden, bevor ich mich umdrehte. „Clare!“ Große Augen, wie die eines kleinen Kindes an Weihnachten starrten mich an. Und dann ging alles ganz schnell. Mit einem Ruck zog er mich näher zu sich und ich stolperte auf die Bettkannte. Dann schnellte sein kranker Körper hoch und er drückte mich an seine Brust. -Laufen ist seit langer Zeit nicht mehr möglich, selbst aufsetzten ist zu einer Unmöglichkeit geworden.- Ich spürte seine Tränen auf meinem Rücken und er meine wahrscheinlich ebenfalls. „Papa“, wieder winselte ich nur. Seine Brust hob und senkte sich unglaublich schnell. Er weinte. Und für einen Moment, war mit dieser einen Umarmung alles vergessen. „Mein Kind.“, fing er an, „Es tut mir so leid“, ich hörte ihn durch die Mischung aus Atemlosigkeit und Schluchzen fast nicht. „Verzeih mir, mein Schatz. Ich liebe dich.“ Ich konnte fast nichts sagen, denn ich war immer noch komplett überwältigt. Ich hab mir das so gewünscht und bin diesen Moment geistig schon hundert Mal durchgegangen. Ich wurde wieder zum Kind und drückte mein Gesicht in seine Schulter. „Papa“, sagte ich immer wieder, da es das Einzige war, was meine Lippen mir erlaubten zusagen. „Ich liebe dich.“, er wiederholte sich die ganze Zeit. „Es tut mir leid. Verzeih mir bitte.“ Ich versuchte mich zu sammeln, sodass ich es schaffte folgendes zu sagen: „Ich verzeih dir, Vater. Ich liebe dich.“ Ich spürte förmlich, wie der Stein von seinem Herzen fiel und er wieder zu dem wurden den ich kannte. Ich hörte, wie er scharf die Luft anhielt und nun wurden mir ein paar Dinge bewusst. Sein Herz raste unaufhörlich, seine Atmung war hektisch, nahezu nach Luft schnappend. Sein ganzer Körper zitterte und Mikes Worte bohrten sich mir ins Gedächtnis. -Die kleinste Anstrengung könnte einen Herzinfarkt auslösen.- Er wusste es. Vater wusste, dass ihn das umbringen könnte. „Papa…“, setzte ich an. „Ich liebe dich.“, beendete er meinen Satz. Er riskierte grade sein Leben um mir dies zu beweisen. Um mich in seine Arme schließen zu können.
Er liebte mich. Seine Tochter.