Es ist 1700 Uhr. Alles ist ruhig. Gerade wird die Wache abgelöst, die Wachtürme neu besetz. Die Soldaten fahren mit ihren gepanzerten Jeeps und LKW über das fast zwei Quadratkilometer große Lager. Auf den Dächern jener sind Maschinengewehre montiert. Alles ist ruhig. Doch man merkt die Anspannung und die Konzentration. Ein LKW fährt vor. Von der Ladefläche springen fünf Soldaten. Alle in Kampfmontur, Splitzerschutzweste und die Maschinengewehre im Anschlag. Durch ihre getöhnten Brillen kann man nicht sehen, wo hin sie schauen. Ich verlasse ein Gebäude. Draußen empfängt mich die Hitze. Mir bleibt der Atem weg. Wäre ich doch blos in dem auf 30° C gekühlten Raum geblieben. Doch ich kann nicht. Ich muss los. Ein kurzer und knapper Begrüßungsappel wird gehalten. Nur auf das nötigste reduziert. Dann werde ich in die Mitte genommen. Gemeinsam gehen wir am Rand der staubigen Piste zu einem weiteren Gebäude. Alles ist ruhig. Verdächtig ruhig.
Plötzlich ertönt eine Sirene. Es ist 1703 Uhr. Von überall heult sie. Zusätzlich ertönt eine Weibliche Stimme: „ROCKET ATTACK! ROCKET ATTACK!“ Sie schreit aus den Lautsprechern die überall im Lager stationiert sind. Einer der Soldaten packt mich am Kopf und drückt ihn nach unten. Die anderen sichern uns. Geduckt rennen wir über das offene Feld zu einem garagenähnlichen Gebäude. Die Wände sind einen halben Meter breit, die Decke beträgt einen Meter. Die Gebäude sind zehn Meter lang, zwei hoch und drei breit. Der schmale Eingang wird von einer massiven Platte geschützt. Alles Stahlbetong. Von den Dingern stehen mehrere – um nicht zu sagen viele – auf dem Areal herum. Man braucht im Schnitt nur eine Minute um dahin zu gelangen. Egal von wo. Zuerst werde ich durch den schmalen Eingang gedrückt dann folgen die anderen. Zu zwanzig sind wir in dem Bunker. Dort warten wir eine Stunde, zwei, vier, acht, sechzehn. Zwischendurch fragt mich einer der vermeintlichen Soldaten, ob ich was zu trinken brauche oder ob ich Hunger hätte. Das habe ich, der Magen knurrt, doch ich kann nichts essen. Bei näherem hinsehen, sehe ich die deutsche Flagge auf seinem linken Ärmel und darunter GSG9. Es war ein deutscher Polizist, der mich beschützt hat. Das Warten zieht sich in die Länge. In dem Bunker ist nichts. Nur in einer Ecke stehen ein kleiner Verbandskasten und eine Kiste Wasser, so wie eine Notation an Essen. Still verharren wir. Niemand sagt ein Wort. Keiner weiß was los ist, was mit den Kameraden ist. Keiner weiß ob der Flughafen bombardiert wurde, ob die anderen noch wohl auf sind. Die Ungewissheit ist groß. Doch zu meiner Verwunderung sehe ich keine Angst oder Panik in den Gesichtern der Soldaten und der GSG9ern. Sie scheinen das hier öfter zu haben. Es ist 0200 in der Nacht. Inzwischen hat es angefangen zu regnen. Ungewöhnlich für diese Region. Die Soldaten schieben nun Schicht. Jeweils zwei passen an den zwei Eingängen jeweils rechts und links auf, während sich die anderen ausruhen. Schlafen kann keiner. Auch meine GSG9er teilen sich auf. Ich werde in eine Ecke gebracht. Dort kann ich schlafen, wenn ich könnte. Ich höre mehrere Explosionen und ein Kampfjet donnert durch die Tintenschwarze Nacht. Der nächste Morgen bringt eisige Kälte und einen Stahlblauen Himmel. Ich bin völlig übermüdet. Was man mir nur zu deutlich ansieht. Auch meine Beschützer und die anderen Soldaten haben kein Auge zu gemacht, doch denen scheint das wenig aus zu machen.
Gegen 13:16 wird Entwarnung gegeben. Wir verlassen alle den Bunker. Ich werde von meinen GSG9ern zur Mensa begleitet.
Sie ist meine Schutztruppe. Sie werden sich opfern, um mich zu schützen. Ich habe unendlichen Respekt vor der Truppe, vor den Kameraden, vor jedem einzelnen.
In der Mensa, die ungefähr 100 Leute fassen soll, sind heute nur drei. An den Wänden ragen immer wieder stützende Wände von rechts und links in den Raum. Diese sind mit Blumen verziert. Doch das soll nicht zur Erheiterung herhalten, es verbirgt Spezialbeton. Das ist schlecht für alle die bei einem Bombenanschlag in der Mensa sind, aber gut, für alle außenstehende, denn das Gebäude wird dadurch nicht zerstört. Ich esse eine Suppe. Jägersuppe. Sie schmeckt lecker. (Jetzt erst merke ich die Ironie.) Drei Personen kommen herein. Sie holen Proviant für ihre Kammeraden die draußen Kämpfen. Als wir über das Areal gehen fallen mir deutlicher als Gestern die Schutzmauern aus Beton, hunderte Meter lang, Hochgestapelte Sandsäcke und Kilometer langer Nato-Draht. Überall gepanzerte LKWs mit aufmontierten Geschützen. Rundherum sind Wachtürme und meterdicke Mauern. Eine riesige Festung.
Nach nicht nur 40 Minuten kommt wieder eine neue Lage. Die Sirenen heulen erneut auf. Im amerikanischen Englisch verkündet eine Männerstimme: „GROUND ATTACK! GROUND ATTACK!“ Wieder rennen alle durch die Gegend zu dem nächstgelegten Gebäuden. Auch ich. Wieder werde ich in die Mitte des Kreises genommen und wieder muss ich mich bücken. Gedeckt und gesichert rennen wir von Deckung zu Deckung in ein sicheres Gebäude. Dort warten auch wieder andere Soldaten. Wieder heißt es warten. Wieder weiß keiner, was passiert ist. Ich fühle die angespannte Stimmung im Camp, aber keine Angst. Man kenne die Gefahr. In den Nachrichten erfahre ich durch deutsche Medien, dass der Flughafen angegriffen wurde, was zum Glück eine Fehlmeldung war. Doch was genau passiert ist, das kann ich nicht erfahren. Ich könnte die Soldaten fragen, doch die würde eh nichts sagen. Nach und nach wird mir jedoch klar, was passiert sein muss. Taliban- Kämpfer müssen einen Kontrollpunkt, der von Afganistanischen Soldaten gehalten wird angegriffen haben und sind so in das Lager eingedrungen. In der Nähe der Wohnräume der ca. 8000 Soldaten. Ich erfahre nach drei Stunden warten in der Stille dass ein als Soldat getarnter Taliban in den Wohnkomplex eingedrungen ist. Die Spezialeinheit kämpft sich nun zu ihm vor. Er habe Geiseln genommen. Laut dafp sind bis dato 37 Menschen getötet worden und 35 verletz. Darunter Männer, Frauen, Kinder.
Nach: Hans Onkelbach; „Rocket attack! Rocket attack!” Rheinische Post Donnerstag 10. Dezember 2015 A6
Dafp= Deutsche Agentur für Presse
Nachwort:
Leider gab es wieder Tote.