Silvia war schon immer sehr konsequent gewesen. Nichts würde sie davon abhalten, ihre Habseligkeiten zu holen und endgültig aus dem Leben ihres Freundes zu verschwinden. Eine attraktive brünette Frau schaute ihr aus dem Spiegel entgegen. Sie hatte nicht dieses hübsche modellhafte Aussehen, das den Filmstars anhaftet. Sie hatte eine ganz eigene, natürliche Schönheit an sich, gepaart mit einer gewissen Eleganz, die sie wie selbstverständlich einfach ausstrahlte. Sie brauchte nichts dazu. Sie wäre auch nackt und ungeschminkt einfach eine elegante Erscheinung gewesen, trotz ihrer ungezwungenen Art. Sie hatte etwas Besonderes, was man nicht beschreiben, wohl aber empfinden kann.
Für ein Modell wäre sie vielleicht ein wenig zu klein und drall gewesen, für einen Mann, der im richtigen Leben stand, war sie einfach ein Prachtweib. Als Teenager war sie einst ein Pummelchen gewesen. Als sie auf die Zwanzig zuging, begann sie an ihrer Figur zu arbeiten. Sie hatte es mit Disziplin und Konsequenz geschafft, Einen schönen Körper zu formen. Sie war durchaus zufrieden mit ihren Proportionen und schlau genug, zu erkennen, Dass schlank und mollig relative Begriffe sind. Sie band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und kleidete sich an. Für ihr Vorhaben waren eine alte Jean und ein T-shirt dazu genau recht. Sie trank noch schnell einen Kaffee und fuhr schließlich zur Wohnung.
Obwohl sie fast zwei Jahre mit Gerhard zusammengelebt hatte, hatte sie noch vieles bei ihren Eltern in deren Reihenhäuschen gelassen, so dass sie heute alles in ihrem Polo unterbrachte. Sie brauchte keine Stunde. Den Ring, den sie am Finger trug, hatte sie von ihm bekommen. Sie wollte ihn nicht mehr. Es war zwar kein Verlobungsring gewesen, aber sie wollte einfach ein klares Ende setzen. Sie legte ihn zusammen mit dem Wohnungsschlüssel auf den Couchtisch und zog beim Verlassen der Wohnung die Tür ins Schloss. Dieses Kapitel war für Silvia Weber beendet.
Silvia machte sich auf den Weg zu ihren Eltern. Da Vaters Demenz immer weiter fortschritt und er auch körperlich verfiel, hatte ihre Mutter Silvias Zimmer adaptiert. Einen Menschen zu pflegen bedarf es viel Geduld und Liebe, aber auch Platz für den Rollstuhl und all die anderen Utensilien und natürlich auch viel Geld. Silvia war mit der Laube durchaus geholfen, konnte sie doch wenigstens ihren Besitz noch im Elternhaus unterbringen. Sie würde nur das wichtigste in die Laube mitnehmen. Waschen und bügeln konnte sie jederzeit bei Mama und die wichtigsten Dinge hatte sie ja im Schrebergartenhäuschen.
Während Silvia ihre Sachen abgeholt hatte, wurde Gerhard gerade aus der Röhre gefahren. Er durfte nun seine Armbanduhr wieder anlegen und wurde gebeten draußen zu warten. Eine gute halbe Stunde verging, bis er hineingerufen wurde, was in diesem Institut nicht üblich war. Normalerweise wurde hier mit einem bildgebenden Verfahren eine CD angefertigt welche vom behandelnden Arzt zu befinden war, weshalb ihm diese auch zugesendet wurde. Er glaubte erst, er sollte ein zweites Mal in die Röhre, aber man bat ihn, sich zu setzen.
"Wir haben die Dateien bereits per Email an ihren Arzt gesendet. Die Daten, die sich ebenfalls auf der CD befinden, die ihnen beim Verlassen des Institutes ausgehändigt wird. Wir haben außerdem mit ihrem Arzt vereinbart, dass sie ihn heute, also jetzt im Anschluss aufsuchen dürfen. Sie brauchen keinen Termin zu vereinbaren!" - "Um Gottes Willen! Was habe ich denn gar für eine Krankheit?" - " Uns ist es nicht erlaubt, einen Befund an sie zu richten, aber es ist dringend zu empfehlen, die weitere Therapie noch heute mit ihrem behandelnden Arzt abzuklären. Er wird sie genau informieren...