In der Zwischenzeit kontrollierte Boris seine Fallen und streifte mit Chernyi durch das Unterholz. Plötzlich schnaubte sein Rappe nervös und Boris stieg vorsichtshalber ab. Seine Hand tastete wie von selbst nach dem Griff seines Schwertes und er schlich langsam weiter. Einige Schritte entfernt entdeckte er jemanden am Boden liegen. Nach vorsichtigem Annähern erkannte er einen einfachen Mann. Nach der Kleidung wohl ein Knecht. Boris hob einen herumliegenden Ast auf und stieß den Unbekannten damit einige Male an, doch dieser rührte sich nicht. War er tot? Zumindest schien er bewusstlos zu sein. Boris kauerte neben ihm nieder. Da fiel ihm auf, dass der Leinenstoff des Hemdes am Rücken einige Blutflecken hatte. Er lüftete es und sah viele blutverkrustete Peitschenstriemen. Kurzerhand lud er den Verletzten auf sein Pferd und kehrte ins Lager zurück. Olga würde den Fremden vielleicht retten können.
So war Olgas Ärger auf Nastja schnell verflogen und sie zog dem jungen Mann der nun bäuchlings auf einem Strohsack lag, sein Hemd aus. Während sie das getrocknete Blut abwusch, unterhielt sie sich mit Boris: "Wo hast du ihn gefunden?"
„Irgendwo im Wald, als ich nach den Fallen sah. Er war da schon ohnmächtig."
„Armer Kerl!", sagte sie. „Borja, bring mir einen Becher Wodka." Er schmunzelte: "Willst du ihn damit wecken?" Sie schüttelte genervt den Kopf: "Nein, für die Wunden. Mach schon!" Der kleine Alexej kam neugierig näher: "Mann hat aber arg Aua." Er pustete in dessen Richtung und Olga musste lächeln: "Oh Aljoscha. Das hilft da nicht mehr. Der Mann bekam viel Haue."
Boris beobachtete später neugierig, wie sie die Verletzungen mit dem Schnaps beträufelte. Dann deckte sie den Bewusstlosen mit einem sauberen Leintuch zu. Sie nahm Alexej an die Hand: "Lass den Kranken schön in Ruh. Er muss viel schlafen."
„War der Mann böse?", fragte der Kleine. Olga entgegnete: "Ich weiß es nicht. Vielleicht können wir ihn bald fragen."
Nikolaj plante den Verletzten schon in die Bande ein. Zu Boris meinte er: "Dann sind wir schon zu dritt." Der erwiderte: "Jetzt warten wir erst mal ab, ob er durchkommt. Du weißt ja noch von Wanja, wie schnell das gehen kann."
„Das war doch Oljas Schuld. Mit ihren verfluchten Tränken." Da wurde Boris wütend: "Sie hat alles versucht und ihm seine Schmerzen erleichtert. Ihm konnte niemand mehr helfen."
Zoja, Vera und Uljana waren neugierig und betrachteten den Ohnmächtigen. Uljana hob das Leinen: "Schön geschunden. Das gibt viele Narben." Zoja presste entsetzt die Hand an die Lippen, als sie die aufgerissene Haut sah: "Du meine Güte. Zum Glück hat ihn Borjenka gefunden. Er wäre doch sicher gestorben im Wald."
Da kam Olga herein: "Was macht ihr da? Weg von ihm! Rührt ja die Wunden nicht an mit euren Drecksgriffeln." Uljana keifte zurück: "Ich wollte nur kurz nachsehen. Spiel dich nicht so auf." Olga mäßigte ihren Tonfall: "Wenn du was tun willst, dann kannst du mir helfen im Milch einzuflößen. Er muss was trinken." Uljana nickte.
Sie drehten den Verwundeten vorsichtig auf die Seite und Olga benetzte seine Lippen. Als sie seinen Mund aufdrückte und wenig hinein goss, floss es wieder heraus: "Mist, so geht es nicht. Er schluckt nicht. Wir müssen ihn aufrichten." Vera und Zoja halfen auch noch mit, um den schweren Kerl in eine Sitzposition zu bringen und zu stützen, damit nichts seinen Rücken berührte. Olga bog ihm den Kopf nach hinten und kippte wenig in seinen Mund. Sie rieb ein wenig an seiner Kehle und da schluckte er endlich. Minuten verstrichen, bis sie ihm den ganzen Becher Ziegenmilch eingeflößt hatte. Dann betteten die Frauen ihn wieder auf den Bauch und deckten ihn zu. Vera grinste:" Ein schmuckes Kerlchen. Hoffentlich wird er wieder." Uljana stieß sie an: "An was du schon wieder denkst. Dir fehlen die Mannsbilder wohl." Der Fremde hatte dunkelblonde kurze Haare, wenig Bart und war groß und kräftig. Da sah man, dass er Arbeit gewohnt war und er war wohl so in Zojas Alter. Anfang zwanzig.
Am nächsten Tag kam der Verletzte endlich langsam zu sich. Olga begoss gerade abermals seine Wunden mit Wodka, wobei der Mann sich murrend bewegte. Er wandte den Kopf zur Seite, wo Olga kauerte und öffnete ein wenig die Augen. Dann zuckte er vor brennendem Schmerz auf seinem Rücken. Olga beruhigte ihn: "Ich bin gleich fertig." Er ächzte noch einige Male vor Schmerz, bis sie aufhörte. „Wo bin ich?", flüsterte er kraftlos.
„Im Wald. Einer unserer Männer hat dich gefunden und hergebracht. Wie ist dein Name?"
„Pascha.", antwortete Pawel leise. Olga stellte sich ebenfalls vor: "Ich bin Olga." Sie schöpfte eine Schüssel Getreidebrei aus dem Topf über dem Feuer: "Versuch zu essen." Sie tunkte den Holzlöffel in die Schüssel und führte ihn an seine Lippen. Pawel kostete und ließ sich noch mit einigen Löffeln füttern, bevor er genug hatte. Olga war vorerst zufrieden und erleichtert, dass es ihm besser ging.
„Mein Rücken tut so weh." Sie erwiderte: "Das wird wieder. Du wurdest ausgepeitscht." Pawel erinnerte sich allmählich und fügte hinzu: "...und davon gejagt." Olga legte ihre Hand auf seinen Arm: "Denk nicht daran. Schlaf lieber." Darauf musste sie nicht lange warten. Pawel war noch zu erschöpft, um lange wach zu bleiben.
Jeden Tag musste er Olgas schmerzhafte Prozedur mit dem Wodka erdulden, doch mit der Zeit brannte es immer weniger an den Striemen und sie verheilten mehr und mehr. Vera gefiel der Neuankömmling und sie versuchte sich oft in der Hütte von Olga aufzuhalten. Bot sich als Pflegerin an, was Olga dankend annahm. Sie hatte mit den beiden Kindern genug um die Ohren.
Boris lebte immer noch mit Zoja in seiner Hütte zusammen. Im neuen Lager hatten sie für den Hauptmann mit Olga und für Boris mit Zoja eigene Hütten gebaut, auch wegen der Kinder.
Vera erfuhr von Pawel, was geschehen war und erzählte es Uljana: "Sein Herr hat ihn so zugerichtet und ließ ihn einfach neben der Straße aussetzen. Da schleppte er sich immer weiter und brach irgendwann vor Erschöpfung im Wald zusammen. Wirklich ein Glück, dass Borja ihn gefunden hat." „Diese feinen Leute meinen, sie könnten uns behandeln wie Vieh.", ereiferte sich die Schwarzhaarige.
Pawel ging es von Tag zu Tag besser. Olga war zufrieden mit der Heilung der Wunden und allmählich fielen die Krusten ab. Darunter war noch rötliche neue Haut, die mit der Zeit verblassen würde. Die Narben waren teilweise ziemlich breit, aber meistens flach. Nur an den schlimmsten Stellen hatten sich Wülste gebildet. „Es könnte schlimmer aussehen.", meinte Olga zufrieden. Pawel entgegnete: "Ich muss es wenigstens nicht sehen."
Nun begutachtete er das Lager außerhalb. Weil sein Rücken noch spannte, lief er leicht gebückt herum. Vera kam zu ihm: "Pascha, du bist auf. Das freut mich." Er lächelte: "Ja, immer in der Hütte zu liegen ist nicht das Wahre." Sie fragte: "Möchtest du ein Bier? Falls du etwas brauchst, dann ruf nach mir." Er nickte: "Zu einem Bier sage ich nicht „nein"." Die Braunhaarige brachte ihm schnell einen Krug und ließ sich neben ihm nieder. Sie und Olga kannte er inzwischen am besten, weil die beiden ihn gepflegt hatten. Seinem Retter Boris war er ebenfalls sehr dankbar.
Doch Vera merkte mit der Zeit, dass ihn irgendetwas bedrückte: "Pascha, du scheinst dich bei uns nicht ganz wohl zu fühlen." Er nickte: "Doch, doch. Ihr seid so gut zu mir und ich stehe tief in eurer Schuld." Vera weiter: "Aber irgendetwas ist noch. Du kannst es mir ruhig sagen. Hattest du ein Schätzchen bei deinem Herrn?" Pawel senkte verlegen den Blick und druckste herum: "Na ja, eine Magd auf seinem Gut. Er hat uns beim Schmusen erwischt."
„Und deswegen hat er dich so zugerichtet?" Pawel fuhr fort: "Sie gehört ihm. Aber sie liebt mich und wir hielten es geheim." Er strich sich mit beiden Händen übers Gesicht: "Er schnitt ihr die Ohren ab und mich peitschte er aus. Wenn ich auf ihr gelegen wäre, hätte er mich sicher tot geschlagen." Vera war schockiert: "Wie furchtbar!"
„Und sie muss ihn nun weiter ertragen. Er sagte noch, dass er ihr nur die Zunge nicht rausschneidet, damit sie es ihm noch besorgen kann. Dieser Tyrann!" Vera hörte seinen Zorn heraus und nahm seine Hand in ihre: "Da musstet ihr beide Schlimmes durchmachen. Aber nun kannst du hier ein neues Zuhause finden. Borja und Kolja können Verstärkung gebrauchen."
„Warum? Was tun sie?" Vera hob seufzend die Augenbrauen: "Stehlen. Sie sind Diebe." Pawel war nicht sonderlich entsetzt: "Ich dachte mir schon so etwas. So wie ihr hier lebt, so fern von den Siedlungen." Vera nickte: "Ja, wir hausen in der Wildnis" Und fernab von den Grausamkeiten der Welt, fügte sie in Gedanken noch hinzu. Wenn sie solche schlimmen Dinge von Pawel hörte. Zum Glück gab es hier keinen Gutsherrn oder Fürsten, der sie tyrannisieren konnte. Ihre Männer hatten sie vor allen Widrigkeiten beschützt. Wenn sie noch immer als Straßenhure leben würde, wäre sie inzwischen entweder an einer Krankheit oder an Hunger gestorben oder ermordet worden. „Wir haben es sehr gut hier und meistens genug zu essen. Es wäre schön, wenn du hier bleiben würdest." Pawel dachte kurz nach: "Vorerst werde ich bei euch bleiben." Damit war Vera zufrieden. Wenn er mal eine Weile hier war, dann würde er sicher nicht mehr gehen wollen. Und seine Liebste würde er irgendwann auch überwunden haben. Zurück konnte er auf jeden Fall nicht.
Weitere Wochen später nahm Boris Pawel mit zur Jagd. Vorerst zu Fuß. Er erklärte dem Jüngeren, wie man mit einem Bogen und der Armbrust umging. Nachdem der frühere Knecht sich damit ganz gut anstellte, fing Boris an, ihm Reitunterricht zu geben. Sein Rücken war nun heil genug, dass er einen Sturz verkraften konnte.
Pawel gefiel das Schießtraining und das Reiten. Später fingen sie mit dem Kampftraining an. Er hatte vorher noch nie ein Schwert in Händen gehalten. Nikolaj wies ihn darin ein. Er hoffte, dass der Neue bald für einen Raubzug bereit war.
Vera schmachtete den stattlichen Pawel immer noch an, aber der schien sich nicht für Weiber zu interessieren. Trauerte er noch dieser Magd hinterher? Die sollte er endlich vergessen. Ob sie hübsch war? Bestimmt, wenn sie dem Gutsherrn das Bett wärmte. Inzwischen hatte Pawel sein Lager in der dritten Hütte, bei Vera, Uljana und Nikolaj. Er sah öfters Zoja nach. Ihm gefiel die Rothaarige, aber sie war das Weib von Boris und hatte einen Sohn mit ihm. Damit kam sie für ihn nicht in Frage. Olga war ebenfalls eine schöne Maid und sie hatte niemanden an ihrer Seite. Aber zwei Kinder von verschiedenen Vätern. Vera war ebenfalls hübsch, allein und kinderlos. Von dem her wäre sie am ehesten eine Partie für ihn. Uljana gab sich vermehrt mit Nikolaj ab.
Eines Nachts schlüpfte Vera zu ihm unter die Decke und schmiegte sich nackt an ihn. Ihre Hände streichelten seine Leibesmitte, bis er sich endlich auf sie legte. Vera war glücklich und hoffte, dass sie es nun öfters tun würden, aber Pawel konnte seine alte Liebe noch nicht vergessen.
Nach dem ersten Beutezug zu dritt, versuchte er Boris zu überreden, seine Liebste zu befreien. Der verneinte allerdings. „Wir brauchen keine Frauen mehr, sondern Männer. Wir können uns jetzt gerade so ernähren. Zuerst muss unsere Bande größer werden. Noch mindestens zwei Mann." Pawel war enttäuscht: "Dann geh ich allein." Boris schüttelte energisch den Kopf: "Auf keinen Fall. Das wäre dein Tod, Pascha." Der Jüngere erwiderte aufgebracht: "Ich kann sie doch nicht bei ihm lassen. Bei diesem Vieh! Wer weiß, was er ihr antut." Boris war hin und her gerissen. Nikolaj blieb bei seinem „Nein". Schließlich willigte Boris teilweise ein. Pawel musste sich selbst zu der Magd schleichen und er und Nikolaj blieben in der Nähe.
Das Gut lag einsam in der Landschaft. Mitten in der Nacht ließen die Männer die Pferde zwischen Bäumen zurück und näherten sich vorsichtig den Stallungen. Ab dort musste Pawel allein weiter. Boris behielt aufmerksam die Gebäude im Auge. Er wollte diesem grausamen Gutsherrn sicher nicht in die Hände fallen.
Nach einer Weile bewegte sich etwas zwischen den Ställen. Boris und Nikolaj zogen ihre Schwerter, aber es war Pawel. Er flüsterte: "Sie ist in seinem Gemach. Da bekomme ich sie nie befreit. Was soll ich jetzt nur tun?" Nikolaj wurde es langsam zu bunt: "Entweder verschwinden wir oder mach ihn kalt." Boris schüttelte den Kopf: "Wenn wir ihn töten, dann stürzt sich der ganze Hof auf uns." „Oder sie sind froh, wenn sie ihn los sind", erwiderte sein Kumpan. Pawel blickte sorgenvoll zu den Gebäuden: "Er hat seine Getreuen und die sind bewaffnet. Es gäbe Kampf." Nikolaj meinte: "Was ist an dem Weib so besonders, dass du dein Leben riskierst? Es gibt doch noch genügend andere." Pawel antwortete mehr zu sich selbst: "Ich liebe sie." Der Blonde verdrehte nur die Augen: "Da mache ich nicht mit. Ihr könnt ja da rein und ihn abmurksen. Ohne mich!" Boris meinte: "Wir könnten Feuer legen. Dann gibt es genug Verwirrung und wir können sie vielleicht unbemerkt mitnehmen." Pawel begann zu strahlen: "Das ist eine gute Idee. Nur wo am besten?" Boris antwortete: "In der Küche. Dann glaubt jeder, der Herd wäre Schuld gewesen." Pawel nickte eifrig: "Ja, die ist an das Gutshaus angebaut. Also, komm Borja!"
Die beiden Männer schlichen sich zur Küche. Pawel kannte sich ja gut auf dem Hof aus. Drinnen glomm noch ein wenig Glut in der Feuerstelle. Boris legte trockenes Gras darauf, bis die ersten Flämmchen züngelten und warf das brennende Gras auf das Kleinholz zum Anfeuern, das in einem Korb daneben lag. Die dünnen Holzstückchen und Zweige entzündeten sich ebenfalls schnell. Bald brannte knisternd der ganze Korb und Pawel stieß ihn mit einem langen Stock um, damit sich die brennenden Zweige auf dem Boden verteilten.
Die Männer mussten nun raus aus der Küche, weil sich starker Rauch entwickelte und sie suchten sich in der Nähe ein gutes Versteck. Die Flammen waren gierig und griffen schon kurze Zeit später auf das Gutshaus über. In der Küche entfachte herumstehendes Speiseöl das Feuer noch zusätzlich. Es gab ein lautes Puffen und Stichflammen schossen aus dem Dach empor. Pawel und Boris waren zufrieden mit ihrer Tat.
Kurz darauf hörten sie schon die ersten entsetzten Schreie, dass es brenne und einige Mägde und Knechte rannten in den Hof. Sie schöpften eilig Wasser aus dem Brunnen und versuchten zu löschen.
Pawel behielt mit starrem Blick die Haustür im Auge, wann Jelena heraus stürmen würde. Endlich sah er seinen verhassten Herrn heraus stolpern und der schleifte die benommene Jelena mit sich. Beide husteten stark. Boris leise zu Pawel: "Ist sie das?" Er nickte: "Ja."
Jelena trug nur ihr Unterkleid, das an manchen Stellen schon angesengt worden war. Sie sank hustend zu Boden und kauerte dort, während der Gutsherr seine Befehle brüllte. Er hatte nur Hemd und Hose an und wirkte dadurch nicht mehr herrschaftlich. Immer noch hustend eilte er vor dem brennenden Haus hin und her.
Pawel mischte sich in die herum eilende Dienerschaft, zog seine Liebste am Arm hoch und brachte sie weiter weg vom Geschehen. Boris und er mussten sie den restlichen Weg tragen, weil sie kurz ohnmächtig wurde. In dem ganzen Tumult bemerkte niemand, wie die Magd weggebracht wurde.
Kurz darauf saßen alle wieder auf ihren Pferden und Pawel hatte Jelena vor sich im Sattel. Sie war immer noch nicht ansprechbar und hustete. Nikolaj betrachtete die junge Frau, aber viel konnte er nicht erkennen, bei ihrem rußverschmiertem Gesicht und den zerzausten Haaren. Nur dass sie braun waren. Pawel war überglücklich, aber auch besorgt, weil es Jelena scheinbar so schlecht ging. Er gab ihr ein wenig zu trinken, wobei sie sich verschluckte, aber das weckte ihre Lebensgeister wieder. Sie sah ihn an und fragte: "Bin ich tot, dass ich dich nun wiedersehe, Paschenka?" Er lachte erleichtert: "Nein, Liebste. Ich lebe und du auch. Wir sind dem Tyrannen entkommen und er wird uns niemals finden." Sie klammerte sich an ihn und begann vor Freude und Erleichterung zu weinen.
Bei ihrer nächsten Rast, erzählte Jelena ihrem Geliebten, was nach seiner Auspeitschung geschehen war: "Während die zwei Reiter dich schwerverletzt wegbrachten, um dich irgendwo auszusetzen, zerrte er mich in sein Gemach und fiel einige Male brutal über mich her. Meine Wunden haben da noch geblutet. Es war der schlimmste Tag und die schlimmste Nacht in meinem Leben und ich glaubte, du wärst gestorben. Erst am nächsten Morgen ließ er meine Wunden versorgen. Ich durfte tagelang seine Kammer nicht verlassen und musste ihm jeden Abend gefügig sein." Sie umschlang ihre angezogenen Beine und schluchzte. Pawel streichelte über ihren Rücken: "Ich habe es geahnt, dass er dich quält. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du ihm immer noch ausgeliefert bist. Wir hatten großes Glück Boris und Nikolaj getroffen zu haben." Er sah zu seinen Komplizen und sagte: "Ich danke euch vielmals." Boris nickte und Nikolaj meinte: "Dafür schließt du dich uns an." Pawel legte Jelena seinen Umhang um, damit sie nicht mehr so fror in ihrem dünnen Kleid. Dabei wollte er ihr Haar zurückstreichen, aber sie drückte es an ihren Kopf: "Nein."
Vera war sehr enttäuscht über Jelenas Ankunft. Jetzt konnte sie jede Hoffnung auf Pawel aufgeben. Immerhin hatte sie eine Nacht mit ihm gehabt. „ Ach, Ulja. Ich hab einfach kein Glück mit den Männern. Serjoscha wurde mir von Olga weggeschnappt und mit Pascha wird es auch nichts." „ Nimm' s nicht so schwer. Wer weiß, was noch passiert?"
Anfangs war Jelena noch sehr eingeschüchtert gewesen, aber sie lebte immer mehr auf und machte sich auch überall nützlich. Sie war froh, wieder arbeiten zu können und von den Frauen hatte sie ein Kleid bekommen. Ihre Haare trug sie meistens offen oder nur die hinteren zusammengebunden. Sie ließ niemanden ihre Verstümmelung sehen. Nicht mal Pawel durfte es sehen oder mit den Händen in die Nähe kommen. Da war er selbst nicht so kleinlich und ließ Jelena seine Narben betrachten. Sie fand ebenfalls, dass es gut verheilt war, denn sie hatte den von blutigen Striemen übersäten Rücken ja gesehen.
Unterdessen bauten die Männer an einer Hütte für Pawel und seiner Geliebten. Der Knecht fällte fleißig Bäume für die Stämme seiner Blockhütte und Jelena half die dünneren Äste vom Stamm zu schlagen. Boris zeigte ihnen, wie sie die anderen Hütten gebaut hatten und schon bald standen die Wände.
Zoja freundete sich mehr und mehr mit der Magd an. Sie waren im selben Alter. Mit der Zeit erzählte Jelena von ihren schlimmen Erlebnissen auf dem Gut. Anfangs erhoffte sie sich Vorteile davon, dass sie die Beine für den Gutsherrn breit machte. Oft verbrachte sie die Nacht in seinem Bett, weil er es verlangte. Dann verliebte sie sich in Pawel und zwischen ihnen entwickelte sich eine Liebesbeziehung. Bald darauf ertappte ihr Herr die beiden im Stall, wie sie sich innig küssten und Pawel seine Hände unter ihrem Rock und in ihrem Ausschnitt hatte. Da zerrte er die beiden wutentbrannt auseinander. Jelena zog er an ihren Haaren hinter sich her bis in den Hof und Pawel wurde von einem seiner Schergen angeschleppt. Dort zog der Herr sein Messer und befahl zwei Männern die Magd festzuhalten. Er sagte dann zu ihr, dass er ihr die Zunge rausschneiden würde, weil sie ihn hintergangen hatte. Seine Hand packte schon ihr Kinn, um die Kiefer aufzudrücken, da meinte er, dass er lieber die Ohren nehme damit sie ihm weiter einen blasen konnte. Die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Jelena schrie eher vor Entsetzen, als das erste Ohr im Dreck landete. Dass es unwiederbringlich verloren war und der Verlust des Zweiten bekam sie deshalb gar nicht mehr richtig mit. Sie heulte haltlos, während ihr das Blut den Hals hinabfloss und den Stoff an ihren Schultern durchtränkte. Der Gutsherr wischte das blutige Messer mit einem Tuch ab und wandte sich dann Pawel zu. Er ließ ihn mit nacktem Oberkörper an den Pfahl im Hof binden, die Peitsche bringen mit der er die Knechte bestrafte und begann mit den Hieben. Für Jelena war es fast schlimmer, ihren Liebsten leiden zu sehen, als ihre eigene Strafe. Das war unter anderem auch die Absicht ihres Herrn. Einer der Männer hielt sie immer noch fest, damit sie die Auspeitschung mit ansehen und Pawels Schreie hören musste.
Zoja malte sich aus, wie es ihr gehen würde, wenn Boris dies geschehen wäre und bedauerte Jelena sehr. Die Rothaarige erzählte ihr auch von ihrer Vergangenheit und wie es hier zuging, als die anderen noch lebten: "Ich liebte Borjenka und musste mich auch unter die anderen legen. Aber das gehörte eben zu meiner Arbeit." Jelena war zuerst entsetzt, dass Zoja eine Hure war. Sie war solchen Frauen noch nie begegnet, hatte nur darüber gehört und was für schändliche Dinge die taten. „Das ist ja nun vorbei", sagte die Rothaarige beschwichtigend. „Und die Wochen beim Hurenwirt bereits sechs Jahre."
Jelena lernte im Lager noch weitere Dinge, die sie bisher nicht gemacht hatte. Zum Beispiel Schlingfallen aufstellen und kontrollieren, reiten und angeln. An einem heißen Tag saßen die Frauen mit ihren Angelruten am Bach und Uljana zog sich, nachdem sie schon zwei Fische gefangen hatte, ihr Kleid aus, um ein Bad zu nehmen. Vera und Zoja folgten ihrem Beispiel und auch Olga entkleidete sich. Jetzt brauchte sie sich nicht mehr vor männlichen Übergriffen zu fürchten. Nur Jelena blieb am Ufer sitzen.
„Was ist? Komm rein. Du brauchst dich nicht genieren.", rief Zoja ihr zu.
Nastja und die beiden Jungs plantschten ohnehin oft während des Sommers im Bach. Nastja riss sich regelrecht die Kleider vom Leib und hüpfte übermütig ins Wasser. Felix ebenfalls. Nur bei Alexej musste Olga beim Auskleiden helfen. Sie beobachtete ihn aufmerksam, dass er nicht ins tiefere Wasser ging.
Nastja hatte sich selbst das Schwimmen beigebracht, aber sie paddelte mehr wie ein Tier durchs Wasser. Hauptsache sie ging nicht unter. Felix eiferte ihr in allem nach, denn was seine Halbschwester konnte, wollte er auch können. Sowieso weil die nur ein Mädchen war. Das Mädchen spielte sich auf: "Pah, du kannst doch gar nicht schwimmen, Felja. Dazu bist du noch zu klein." Felix wehrte sich: "Ich bin gar nicht klein. Bald kann ich auch und dann bin ich schneller als du." Die Ältere spritzte ihn an und spottete: "Felja kann nicht schwimmen, Felja kann nicht schwimmen." Da ertönte Olgas mahnende Stimme: "Nastja, hör auf. Lass Felja in Frieden, sonst setzt was." Das Mädchen wandte sich beleidigt ab und streckte dem Jüngeren vorher noch die Zunge heraus.
Inzwischen war Jelena auch ins Wasser gestiegen, aber ihre Haare wollte sie nicht waschen. Das taten die anderen nämlich bei der Gelegenheit. Seiften ihre langen Mähnen ein und ließen den Schaum vom fließenden Wasser ausspülen. „Nun haben wir bestimmt alle Fische vertrieben", sagte Vera, die sich nun nackt ans Ufer setzte, ihre nassen Haare aus wrang und ihre Haut von der Sonne trocknen ließ. Nach dem Auswringen begann sie sich zu kämmen, was ziemlich mühsam war. Sie betrachtete Jelena, wie sie herum plantschte. Sie war neugierig, wie die andere aussah, aber die Jüngere behielt ihren Körper unter Wasser. Bei den anderen hatten die Schwangerschaften schon ihre Spuren hinterlassen. Uljana hatte helle Linien am Bauch zurückbehalten und Olga ebenfalls. Bei ihr war auch die Bauchhaut ein wenig ausgeleiert und ihre Brüste hingen mehr. Nur bei Zoja sah man nichts. Sie wurde als Erwachsene eher schöner, weil ihre Hüften und ihre Brust weiblicher geworden waren. Boris hatte bestimmt seine Freude daran. Das kühle Bad hatten alle genossen und danach gingen sie zum Lager zurück.
In nächster Zeit erfreuten sich alle noch am Sommer. Sie machten Ausritte, beschafften Nahrung und bereiteten sich auf den nahenden Winter vor. Die Frauen räucherten Fische, legten Fallen und sammelten alle Früchte, die sie finden konnten. Von der Ziegenmilch machten sie Käse und die Hühnereier legten sie in Salzwasser ein. Pawel und Jelena waren sehr glücklich bei der Gruppe und sie konnten als Paar zusammenleben. Da ließ Jelenas Schwangerschaft nicht lange auf sich warten. Glücklicherweise würde das Kind im Frühling zur Welt kommen.
Vera versuchte Pawel aus dem Weg zu gehen, weil sie nie mit ihm zusammen kommen würde. Jetzt wurde er auch noch Vater und sie sah auch, dass er nur Augen für seine Gefährtin hatte. Sie bot sich Nikolaj an, dem das gerade recht kam. Denn für ihn blieb nur noch Uljana übrig. Olga fühlte sich ohne Mann ganz wohl, nur für gewisse Stunden fand sie sich mit Boris zusammen. Irgendwie war die gegenseitige Anziehung nie ganz erloschen. Sie hatte mit ihren beiden Kindern und der Arbeit im Lager genug um die Ohren. Aber Zoja durfte von Boris Untreue nichts wissen.