Liam fühlte sich mies, seine einzige Gesellschaft war, seit der Regen aufgehört hatte, das sprechende Einhorn. Am Anfang war er noch froh über einen Gesprächspartner gewesen, aber das Tier wusste einfach nicht wann es genug war. "Du bist rätselhaft!", stellte die Einhornstute fest "Vernon hat dir das Leben, welches du einfach wegwerfen wolltest, gerettet und sich um dich gekümmert und du tust gerade so als hätten wir dich verprügelt!" Liam versuchte nicht hin zu hören, aber es gelang ihm nur halb so gut wie er es sich gewünscht hatte.
"Ich werde mich bei ihm bedanken sobald er wieder zurück kommt! Zufrieden, bist du jetzt endlich still?" Das Einhorn schien den letzten Teil seines Satzes gar nicht wahrnehmen zu wollen: "Falls er zurück kommt, woher weißt du ob er wiederkehrt?" Zuerst vermutete Liam, dass das Tier ihm einfach Angst und ein schlechtes Gewissen machen wollte, aber in der Stimme des Einhorns lag echte Sorge. "Ihm passiert nichts, wenn er beim klauen erwischt wird kommt er höchstens ins Gefängnis! Was weißt du eigentlich über ihn?" Das Einhorn trabte nervös auf und ab: "Du verstehst diese Welt wirklich nicht, hier wird man anders bestraft, viel härter! Vor allem ist Vernon im Schloss der Raafes nicht gerne gesehen, ein Jammer was dem Armen widerfahren ist! Der Junge kann schließlich nichts für die Taten seiner Mutter! Die Schlossherrin, Larelina Raafe, ist eine angesehene Reinblüterin, genau wie ihr Mann, Malwyn Raafe. Allerdings hat sich Larelina auf einen Werwolf eingelassen, einen Schwarzblütigen! Daraus ist Vernon entstanden, Malwyn hat den Bastard seiner Frau nach der Geburt seiner leiblichen Tochter Nayda hier ausgesetzt. Aus Verzweiflung ist er immer wieder durch alte Portale in die Welt der Menschen gegangen und hat dort etwas gefunden was seinen Schmerz lindern konnte, diese Drogen haben ihn auf dauer krank gemacht und an seiner Seele genagt. Und doch ist er besser als alle Reinblüter die mir je begegnet sind, er hat mich vor einem Dämon gerettet, seit dem leben wir zusammen und vor 2 Jahren hat das mit dir angefangenen, er ist immer wieder zurück nach Kenses um dich zu treffen, er hat fest daran geglaubt das du etwas besonderes bist!"
Liam überlegte, vor zwei Jahren war Vernon in Kenses City aufgetaucht, seit einem halben Jahr sah er ihn beinah täglich. Zu dieser Zeit hatten seine Alpträume begonnen, aber er wollte dem Ganzen keinen Zusammenhang unterstellen. Er konnte sich immer noch nicht damit anfreunden in einer ihm fremden Welt gelandet zu sein. Er sprach mit einem Einhorn, das war ihm Beweis genug dafür, dass diese Welt mit seiner kleinen Stadt Kenses nicht viel gemein hatte.
"Was weißt du über meine Mutter?", fragte Liam um das Tier von seiner Sorge abzulenken. Das Einhorn unterbrach das auf und ab traben und senkte den Kopf: "Die Königin war eine gute Frau, sie und ihr Mann, König Alric, haben immer versucht Frieden zwischen den Schwarzblütigen, den Reinblütigen und Weißblütigen zu stiften und die Völker von Amergyn unter dem Banner des weißen Tigers zu vereinen!" Liam wurde hellhörig, ein weißer Tiger, wie in seinen Träumen. Er konnte mit den Namen seiner angeblichen Eltern nichts anfangen, Liana und Alric von Zoi. Er konnte sich nicht einmal vorstellen wie die beiden wohl aussehen würden. "Ein weißer Tiger?", fragte er. Das Einhorn nickte: "Der weiße Tiger Yoricks, des ersten Königs von Amergyn! Man erzählt sich das die Tiger Yorick erschienen ist und mit ihm gesprochen hat, der Tiger ist die Gestalt des Geistes von Amergyn, ein mächtiges Wesen das nur bestimmten Mitgliedern des Königshauses dient. Liana konnte ihn rufen! Mit einem alten Zauberspruch!"
Liam verkniff sich seine Bemerkung was er von Zaubersprüchen und ähnlichem Humbug hielt, das Einhorn wirkte überzeugt von seinen Worten. Außerdem hatte er selbst immer wieder von einem weißen Tiger geträumt, das konnte er nicht leugnen. Es vergingen noch weitere qualvolle Stunden des Wartens, als sich die Sonne dem Spitzen der Bäume näherte und kurz davor war dahinter zu verschwinden reichte es Liam. Er musste etwas unternehmen und würde jetzt in dieses Schloss gehen um zu fragen wo sein einziger menschlicher Begleiter in dieser Welt untergetaucht war. "Ich geh nachsehen wo Vernon bleibt, so lange kann man nicht brauchen um ein verdammtes Bild zu klauen!", teilte er dem Einhorn mit, welches sich ihm sofort in den weg stellte. Liam fragte sich ob ihn in dieser Welt nicht einmal jemand einfach ziehen lassen konnte, es schien wie ein Fluch, dass er beim Versuch zu gehen immer daran gehindert wurde. "Ich kann dich nicht dort hin lassen!", erklärte das Einhorn "ich habe Vernon versprochen auf dich aufzupassen!" Liam verdrehte die Augen, als ob er ein plapperndes Einhorn als Leibwache gebrauchen könnte. Er wollte sich dieser Burg unauffällig nähern und dafür war ein weißes Einhorn das ständig redete der falsche Partner. "Ich bin laut euch der Sohn der Königin oder?", fragte er "und ihr beide wart der Königin treu ergeben, habe ich recht?" Das Einhorn blickte ihn verwirrt an: "Ja, natürlich, du bist der Prinz von Amergyn, der Thronerbe!" Liam grinste: "Ich befehle dir mich durch zu lassen! Ich befehle dir mir aus dem Weg zu gehen und mir nicht zu folgen, gehorche deinem wiedergekehrten Prinzen Weißblüter!" Das Einhorn war verärgert, widersprach ihm aber nicht und trat tatsächlich zu Seite. Liam nutzte diese Chance und riss sich die Verbände von den Unterarmen, die schlecht vernähten Wunden waren beinah abgeheilt und die Fäden begannen schon in seine Haut einzuwachsen. Es zwickte noch bei jeder einzelnen Bewegung, aber der Schmerz war im vergleich zum Anfang erträglich. Er nickte dem Einhorn zu und machte sich auf den Weg zur Burg der Familie Raafe.
Wenig später schien sich der dichte Wald endlich vor ihm zu lichten. Viele der alten knorrigen Bäume waren gefällt worden, er konnte nun die ganze Burgmauer sehen. Sie bestand aus großen dunklen Steinen, ein massives schwarzes Tor schien ihm den Einlass zu verwehren. Er versuchte einen Plan zu fassen, wie er in die Galerie gelangen könnte und dabei nicht nach seinem eigentlichen Ziel, Vernon, fragen müsste. Falls man in überhaut in die Burg lassen würde. Liam sprintete die letzten Meter zum Tor um nicht schon vor diesem entdeckt zu werden, er hatte keine Ahnung was ihn erwarten würde. Das schwarze Tor war mit einem Griff in Form einer Schlange, die sich selbst verschlang, versehen, er zögerte ihn zu berühren. Was konnte er alleine hier ausrichten, er musste durch das Tor, beim versuch über die Mauer zu klettern würde er abstürzen oder gesehen werden und zu erklären warum er es nicht durch das Tor versucht hätte würde schwierig werden. Andererseits war er auf Vernons Hilfe angewiesen und fühlte sich verpflichtet ihn zu suchen. Liam nahm den Griff in die Hand und schlug ihn gegen das Tor, er war fest entschlossen den Obdachlosen nicht einfach zurück zu lassen.
Das Tor schwang auf und Liam erschrak vor dem Wesen das vor in trat und ihn musterte. Er, oder es, trug einen gehörnten Helm und hatte die Größe eines Kleinbuses. Halb Pferd, halb Mann, ein Zentraure. In seinem muskulösen Arm ein Speer mit dem Siegel der Familie Raafe, der sich selbst verschlingenden Schlange. Liam fragte sich ob das ein so genannter Reinblüter war, er konnte es sich nicht vorstellen. "Wer seid ihr?", donnerte die Stimme des Zentauren "und warum klopft ihr ans Tor der Schlangenlords?" Liam versuchte sich seine ungeheure Angst vor diesem Geschöpf, das ihn wohl mit einer Hand zerquetschen könnte, nicht anmerken zu lassen. Er richtete sich gerade auf und erwiderte den interessierten Blick des Wesens: "Ich bin Liam, ich bin der Prinz von Amergyn. Sohn von Liana und Alric von Zoi, Erbe des Throns, ich wünsche den Schlangenlord zu sprechen!"
Der Blick des Zentauren wurde weicher, fast schon liebevoll, er strich Liam mit einem Finger über die Wange: "Deine Augen, die eisblauen Augen des Tigers von Yorick. Ihr seid wohlauf!" Liam war verwirrt über die respektvolle Gäste des großen Geschöpfs, und die sanfte Stimme mit dem der Zentaure nun zu ihm sprach. Zu allem Überfluss kniete der Gigant nun auch noch vor ihm nieder und senkte demütig den Speer, Liam wusste nicht wie er darauf reagieren sollte.
"Geh zur Seite Anrai!", die Stimme einer Frau lies den Hünen zusammenzucken "lass mich selbst einen Blick auf den so genannten Königssproß werfen!"
Der Zentaure trat zur Seite, Liam hätte schwören können eine fast perfekte Kopie der jungen Megan Fox vor sich zu haben. Sie hatte lange schwarze Haare, die im Licht der Abendsonne seidig glänzten, markelose bleiche Haut und ihre stahlgrauen Augen erinnerten ihn stark an die von Vernon. Er dachte an die Erzählungen des Einhorns über die Familie Raafe, es musste Nayda Raafe sein, Vernons Halbschwester. Sie war fast so groß wie er selbst, ihre schlanke Statur wurde von dem smaragdgrünen langen Kleid das sie trug umspielt und lies sie noch schöner wirken. Auf ihrem Hals erkannte er das selbe Tattoo, welches Vernons Brust zierte. Ihre grauen Augen hatten den selben stechenden, durchdringenden Blick den er von Vernon kannte, die durchbohre ihn förmlich mit ihren Augen. "Ihr müsst Nayda Raafe sein!", Liam versuchte einen knicks zu machen der nicht völlig lächerlich wirkte. Noch immer schien ihr Blick ihn auf Herz und Nieren zu prüfen um einen Beweis für seine Echtheit zu suchen.
"Deine Augen!", sie erwiderte nun den Knicks "du siehst aus wie..." "Ein Portrait in eurer Galerie?", unterbrach Liam sie. Er bereute seine Manieren sofort, ihr Blick wurde giftig und verächtlich. Man schien in dieser Welt viel Wert auf das Benehmen zu legen. "Ihr seht aus wie jemand aus der Königsfamile, aber ihr benehmt euch wie ein Bauerntölpel junger Zoi!", ihre arrogante Art lies ihn sofort seine Augen verdrehen. Er konnte mit diesen Umgangsformen nichts anfangen. "Ich bin nicht hier aufgewachsen, ich komme aus einem sehr weit entfernten Ort, also bitte, verlangt keine Perfektion von mir!", erklärte Liam und versuchte sehr höflich zu klingen "wärt ihr wohl so freundlich und würdet mir das Bild zeigen, das Portrait meiner Mutter? Ich habe keinerlei Erinnerungen an sie!" Nayda musterte ihn noch einen kurzen Moment sehr kritisch, dann trat sie einen Schritt zurück: "Willkommen in der Festung der Schlangenlords junger Prinz!"