Zur selben Zeit ging in Argenshire gerade die Sonne auf.
Mira Nadu schritt durch die kleinen Räume in dem Lager Karavos, der am nördlichsten gelegenen Befestigung des zerrütteten Landes. Sie musste ihre Freundin Eva wecken, diese regelrecht wach schütteln: "Eva, es ist bald Mittag! du solltest seit Stunden am Fluss sein und den Kindern helfen Wasser zu holen!"
Eva sprang auf, sie war putzmunter als sie die Worte ihrer Freundin vernahm. "Mist", fluchte sie und rannte an Mira vorbei in das schäbige Bad der alten Kaserne. Viele Leute waren dort unter gebracht, der Fluss in der Nähe half den beginnenden Sommer zu überleben. Eva blickte in den verschmutzten Spiegel, der selbe Anblick wie an den Tagen davor erwartete sie. Ihre Augen waren mandelförmig und in hellem Braun gehalten, schwarze dichte Wimpern umrahmten sie. Darauf achtete sie gar nicht, sie sah nur die Augenringe die in dunklem Violett darunter lagen. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, auch damit war sie nicht sonderlich zufrieden. Ihre Haut war braun gebrannt, von der sengenden Hitze, in welcher sie und auch die anderen Bewohner des Lagers Tag für Tag schuften mussten.
Sie wandte ihren Blick vom Spiegel ab und beschloss noch nach den Alten zu sehen, besonders nach Sio Maka, der gute Mann hatte sich am Fluss zu sicher gefühlt und war abgerutscht, schlimme Prellungen waren die Folge gewesen. Er war in einem Alter wo das in Kombination mit der Hitze sehr gefährlich enden konnte, vor allem weil die Regel im Lager hieß: Wer nicht arbeitet bekommt nichts zu essen. Eva packte das nicht besonders nahrhafte Brot, welches für sie zum frühstück vorgesehen war, und machte sich auf den Weg. Mira hielt sie zurück: "Du hast doch nicht etwa vor deine Ration wieder dem alten Mann zu geben? Du wirst das eines Tages bereuen!" Eva riss sich los und ging wortlos weiter, Mira mischte sich gerne in fremde Angelegenheiten ein, aber sie hatte heute keinen Nerv dafür.
"Sio?", Eva berührte den alten Mann sanft an der Schulter, dieser lag mit von Schmerz verzehrtem Gesicht in seinem verschmutzten Bett. Der Gestank trieb Eva die Tränen in die Augen, und doch konnte sie den alten Mann nicht verhungern lassen. Die müden Augen von Sio Maka öffneten sich, langsam drehte er sich zu Eva um und erblickte das Brot, welches sie ihm lächelnd vor die Nase hielt. "Aber Eva", seine Stimme klang gebrechlich und zutiefst gerührt von ihrer selbstlosen Tat "du hast mir gestern schon dein Abendessen überlassen!" Sie aber drückte ihm das Brot in die Hand, bestimmt sagte sie: "Du brauchst es mehr als ich um wieder auf die Beine zu kommen!" Dann lächelte sie noch einmal und lies den alten Mann zurück. Der Weg zum Fluss war nicht weit, hinter der Kaserne, deren Mauern sich schon auflösten, lag ein kleines Wäldchen durch den der Gebirgsbach floss, welcher von Karavos nach Symetra bis Gidan und schließlich in den Etan floss. Der Etan teilte mit seinem Strom Argenshire in zwei Hälften, und die drei Städte waren an dem kleineren Fluss errichtet. Am Etan gab es viele Häfen aber Eva war noch nie dort gewesen. Laut den Erzählungen von den Alten im Lager gab es dort Piraten, und am anderen Ende des Flusses hatten Rebellen mit Hilfe eines fremden eine große Stadt errichtet, von dieser steuerten sie die Angriffe auf die Hauptstadt Gideon, in der sich der Diktator, welcher sich selbst einen König nannte, nieder gelassen hatte. Eva dachte oft an diesen Mann, an seine seltsamen Zähne. Ihr Vater hatte ihn und seinen Zwillingsbruder aufgenommen, aber die beiden hatten alle getötet. Eva hatte sich oft gefragt warum der nicht ganz so verrückte sie am Leben gelassen und versteckt hatte. Wahrscheinlich aus Spaß, er wusste bestimmt das sie von Alpträumen heimgesucht wurde. Sie hatte sich oft gefragt ob es einen Zusammenhang zwischen diesen teuflischen Kindern und den dunklen Artefakt, welches vor 11 Jahren vom Himmel gefallen war, gab. Es war nur eine Kette, welche im Besitz des grausameren Jungen gelandet war. Seit dem hatte er alle unterjocht und das lang mit bestialischer Härte regiert. Viele Städte waren verlassen, die Menschen zu tausenden über den Etan zu den Rebellen geflüchtet.
Ein knacken im Wald lies sie aus ihren Gedanken schrecken, sie duckte sich instinktiv. Die Soldaten des Diktators waren dafür bekannt umher zu streifen und die Bevölkerung nicht gerade gut zu behandeln. Sie lauschte angestrengt und konnte zwei Stimmen vernehmen.
"Liam wenn du nicht aufpasst dann wird man uns bis nach Gideon hören, noch bevor wir eine Change haben die Rebellen zu erreichen!", die Stimme klang nach einem jungen Mann, der genervt seinen Begleiter zurecht zu weisen schien. "Vernon wir werden so oder so gegen diese Bestie kämpfen müssen, aber ich bemühe mich!", fauchte der als Liam bezeichnete mit ebenfalls jung klingender Stimme zurück. Das Knacken wurde deutlich leiser, der andere schien sich lautlos über den Waldboden zu bewegen.
Liam bemühte sich sehr den Boden so lautlos wie Vernon zu überqueren, aber die vielen kleinen Äste brachen nach wie vor immer wieder unter seinen Füßen und verursachten ein leises Knacken, bei jedem einzelnen verdrehte Vernon die Augen. Die Konzentration der beiden war angeschlagen nach dem langen abstieg von der kleinen Burg Pesthollow in die sengende Ebene von Argenshire.
Plötzlich erschraken beide, aus dem Unterholz sprang eine zierliche junge Frau direkt vor sie. Ihre Augen waren hellbraun und wunderschön, wäre ihr Körper nicht offensichtlich von Hunger und Entbehrung ausgezerrt wäre sie eine hübsche Frau in ihrem alter gewesen. Ein Zopf aus schwarzem Haar, welches ihr bis zum Becken reiste schien das einzig dicke an ihrem Körper zu sein. Ihre Haut hatte eine Farbe die Liam an einen Karamellkaffee mit Milch von Starbucks erinnerte. "Ihr sagtet ihr wollt zu den Rebellen, ihr wollt den Diktator töten!", ihre Stimme klang gütig und sanft, aber auch sehr unsicher. Liam versuchte nicht auf ihre knochigen Schultern zu starren, ihn ihm machten sich Wut und Trauer über das Schicksal so vieler Menschen hier breit: "Ja und das werde ich, ich bin..." Vernon hielt ihm den Mund zu und musterte die junge Frau kritisch: "Er ist niemand! Und du bist? Ein Spion, vielleicht jemand der uns verrät, Liam!" Genervt schlug Liam die Hand seines Freundes weg, aber er hatte Recht, er konnte nicht wissen wem in diesem Land er trauen sollte. "Ist auch egal, ihr müsst in den Süden, folgt der Straße die den Fluss entlang führt, sie wird euch zuerst durch die sengende Ebene, vorbei an Symetra und Gideon, und das mit sicherem Abstand, und dann zum Etan bringen! Dort müsst ihr ein Schiff finden das euch zur anderen Seite bringt! Dort findet ihr die Rebellen!", die junge Frau blickte sich hektisch um, dann rannte sie an den beiden vorbei und verschwand im Wald. "Was war das bitte?", fragte Vernon verwirrt, Liam meinte sie sollten dem Weg den sie beschrieben hatte folgen, er hatte das Gefühl das sie ihnen die Wahrheit sagte. Vernon aber bestand darauf der jungen Fremden unauffällig zu folgen, auch wenn er Liam nicht sagen konnte warum. So misstrauisch er auch gewesen war, er hatte das Gefühl das dieses Mädchen vielleicht die Antwort auf die vielen Fragen, welche die eigenartigen jungen Frauen mit den bunten Haaren bei ihm hinterlassen hatten. Liam schenkte ihm ein herzliches Lächeln, welches sein Herz einen Sprung machen lies. Er erwiderte dieses und klopfte ihm auf die Schulter: "Lass uns meiner Intuition folgen, ich glaube dieses Mädchen kann uns vielleicht helfen den Hafen am Etan zu erreichen!" Liam boxte ihm spielerisch in den Bauch, er wollte nicht mir wegen seiner Müdigkeit mit Vernon streiten. Sie schlugen die Richtung ein in welche die junge Frau verschwunden war und versuchten leise zu sein.
Plötzlich hielt jemand den beiden von hinten den Mund zu und riss sie zurück.
"Kein Wort", zischte ihnen eine vertraute Stimme ins Ohr, die beiden nickten also verschwanden die Hände vor ihren Mündern. Liam freute sich fast ein bisschen den blonden Taugenichts wieder zu sehen, dieser musterte die beiden lächelnd mit seinen türkisen Augen. Er hatte den Anzug gegen eine ebenfalls aus der Welt in der Liam aufgewachsen war stammenden Militäranzug in Tarnfarben getauscht und seine teure Sonnenbrille gegen ein rotes Bandana das er sich um den Kopf gebunden hatte. Liam fragte sich ob er versuchte wie Rockey auszusehen. "Seit ihr jetzt ein Paar?", schon Finns erste Frage lies die beiden gleichzeitig die Augen verdrehen. "Okay", Finn grinste "anscheinend noch nicht, und ja, ich betone das NOCH sehr offensichtlich!" Vernon wich seinem Blick aus und Liam funkelte ihn finster an, beide sagten kein Wort. "Okay, kein gutes Thema", Finn kratzte sich am Kopf "was macht ihr hier? Leute beim arbeiten stalken?" Vernon fragte sich ob der junge Prinz von Elensar jemals irgendetwas ernst nehmen würde, ihm schien das Leid der Menschen egal zu sein. Auch wenn er eine Rebellenstadt aufgebaut hatte schien es für Finn eine Art Spiel zu sein, eine Aufgabe um dann in seiner Heimat wieder wie die Made im Speck leben zu können. "Wir verfolgen ein Mädchen das uns den Weg nach - wie heißt deine Stadt eigentlich?", versuchte Liam ihm zu erklären. "Katzus", Finn breitete die Arme aus "eine Stadt des Glücks und des Friedens in Mitten dieser widerlichen Hitze!" Liam hätte ihm am liebsten einen Schlag ins Gesicht erpasst, die Arroganz und Gleichgültigkeit von Finn machte ihn rasend. "Lasst uns gehen sonst verlieren wir sie komplett!", unterbrach Vernon de aufkeimenden Streit.
Eva war in der Zwischenzeit am Fluss angelangt und half den Kindern fleißig Wasser in die rostigen Kübel zu füllen, welche die Männer zurück nach Karavos schleppten. Das plötzliche auftauchen der vom Diktator ins Leben gerufenen Rechtsorgane, genannt die Ritter des dunklen Ordens, lies alle ihre Arbeit nieder legen. Es waren 13 an der Zahl, sie kamen auf schwarzen Pferden durch den Wald angeritten. Man konnte ihre Gesichter nicht erkennen, sie trugen schwarze Umhänge deren Kapuzen alles verhüllten. Manche glaubten das die Ritter des Ordens keine Gesichter hatten, Monster nannte man sie.
"Wer von euch ist Eva, die Überlebende des wandernden Volkes?", die düstere Stimme einer der Ritter hallte durch den Wald, sie klang nicht menschlich.
Alle blieben still, niemand schien bereit zu sein Eva zu verraten. sie war immer sehr beliebt gewesen. Man wusste in Karavos um ihre Herkunft und die Verbindung zwischen ihr und dem Diktator. Der düstere Ritter schnellte nach vorne und packte ein kleines Mädchen am Hals, ihr blonder Zopf schaukelte im Wind. Er riss sie in die Höhe, sie schrie vor Angst und Schmerz. Eva schnellte aus der Gruppe heraus und stellte sich vor die restlichen Kinder am Ufer: "Ich bin Eva, bitte lasst sie los!" Der Ritter lachte hallend und finster, er warf das kleine Mädchen einfach in den Fluss. Das Kind war immer noch starr vor Schreck, sie wurde einfach mit gerissen und ging unter. Eva schoss ohne zu überlegen an den Rittern vorbei und sprang ihr hinterher. Sie musste stark gegen die Strömung, die nach unten wirbelte, kämpfen. Immer wieder tauchte sie nach der Kleinen bis sie sie schließlich fand. Das Kind schlug panisch mit Armen und Beinen um sich, Eva musste sie fest an sich drücken um mit ihr die Oberfläche wieder erreichen zu können. Sie zog das Kind ans Ufer und schleppte sich dann selbst aus dem Wasser. Das kleine Mädchen stand auf und rannte in Richtung Karavos, Eva raffte sich auf und tat es ihr gleich. Völlig durchnässt und verängstigt erreichte sie die Barake, welche sie sich mit Mira teilte.
"Und?", fragte Mira als sie Eva keuchend herein kommen hörte "wie war es?"
Eva lies sich auf ihr Bett fallen, sie wusste nicht was sie nun tun sollte. "Gut", log sie Mira an, aber nach all den Jahren spürte diese das etwas nicht stimmen konnte. Sie drehte sich herum: "Du bist ganz nass, was ist passiert?"
Eva schossen die Tränen in die Augen: "Er wird mich auslöschen, der König weiß das ich hier bin!" Mira riss geschockt die Augen auf, sie hatten immer gefürchtet das dieser Tag kommen würde. Immer wieder hatten sie überlegt was dann zu tun wäre. "Du musst verschwinden!", Mira rannte verängstigt auf und ab "sie werden nicht ewig brauchen um dich hier zu finden!" Eva schüttelte energisch den Kopf, sie wusste das man wahrscheinlich alle Menschen hier ausrotten würde wenn sie einen Versuch zu fliehen wagen würde. Sie wollte die Arbeitsgruppe, die für die fast zu einer Familie geworden war, nicht in Gefahr bringen, also wartete sie auf das unausweichliche. Der Vorhang der den beiden Mädchen immer ein wenig Privatsphäre gespendet hatte, wurde zurück gezogen und einer der verhüllten Ritter trat ein. "Eva aus dem wandernden Volk, ich verhafte sie hiermit!"
Eva lies sich widerstandslos fest nehmen, trotzdem schlug ihr der Ritter so heftig gegen den Kopf das sie das Bewusstsein verlor.