Mit einem entspannten Grinsen erwachte der junge Mann und streckte sich unter seiner Bettdecke. Er wandte den Blick zum Fenster und sah, dass die Sonne bereits hell am Himmel stand.
Zerzaust setzte er sich auf. Es wunderte ihn nicht, dass er allein im Bett lag. Das war normal, er war es gewöhnt.
Henry verzog sich oftmals noch vor Sonnenaufgang in die Wälder, um zu jagen oder der sommerlichen Wärme zu entkommen. Obwohl ihm die Sonne selbst nichts ausmachte, mochte er keine Hitze.
Dabei hatte er, Garrett, bereits etwas für sie beide geplant.
Es war der erste richtige Sommer, den sie zusammen verbrachten nach Garretts Rückkehr nach Gatwick. Sein Fotostudio lief so gut, dass er es sich leisten konnte, während der Sommermonate für drei Wochen zuzumachen und in den Urlaub zu fahren.
Und es war natürlich klar, dass er seinen Geliebten mitnehmen würde. Und wenn dieser sich auf die Hinterbeine stellen sollte!
Noch immer grinsend stand er auf, wusch sich rasch den nächtlichen Schweiß vom Körper und trabte barfuss die Treppe runter in die Küche. Er schmunzelte. Henry hatte ihm bereits Kaffee gemacht, die Maschine war eingeschaltet und der Raum duftete köstlich.
Während er trinkend am Küchentisch saß, durchblätterte er den Prospekt und die Broschüre, die er besorgt hatte. Er hatte den kleinen Ausflug bereits gebucht. Es sollte nur über das Wochenende gehen, denn er wollte den menschenscheuen Henry nicht zu sehr überfordern.
Er seufzte und hoffte, er würde deswegen kein Theater machen. Henry verließ Gatwick nicht, wenn es nicht sein musste. Ihn, Garrett, zog es jedoch ans Meer. Sie hatten zur Abwechslung mal einen so schönen Sommer mit viel weniger Regen als sonst ...
»Du bist ja schon auf. Es ist gerade mal Acht.« Eine glucksende Stimme von der Hintertür riss Garrett aus seinen Gedanken und er hob den Kopf.
»Hm? Oh ja ... wenn du weg bist, kann ich nicht mehr schlafen«, grinste er und betrachtete den Mann an der Tür. Henry, der große Vampir Dionysos, trug kurze Hosen und ein dunkles Hemd, aber keine Schuhe. So leger hatte ihn Garrett nicht kennengelernt, aber er liebte es, dass Henry so viel lockerer geworden war, seit sie zusammenlebten.
Der Vampir neigte mit einem Grinsen den Kopf. »Irgendwer muss Nikodemus füttern und oben lüften. Das ist eine Backstube. Verdammter Sommer.«
Garrett spürte, wie sich ihm vor Aufregung die Kehle zuzog. Das wäre eine optimale Gelegenheit, ihm zu sagen, dass er einen Ausflug gebucht hatte. Doch dem Vampir gegenüber fühlte sich der junge Mann oftmals noch immer wie ein naiver, achtzehnjähriger Junge und nicht wie ein Mann von sechsundzwanzig Jahren.
Henry bemerkte Garretts Anspannung und hockte sich mit einer Tasse Kaffee auf einem Küchenstuhl.
»Hast du was?«
»Ähm ... nun ja ... ja ... Ich ...« Garrett räusperte sich und schüttelte den Kopf. Er mahnte sich selbst, dass er kein Kind mehr war.
»Also, ich wollte dich überraschen. Ich weiß, du kannst sowas nicht leiden, aber ... na ja, ich dachte, wir zwei könnten einen schönen Ausflug in den Süden machen ... dieses Wochenende?«
Der Vampir funkelte ihn über die Kaffeetasse hinweg an. »Einen Sommerausflug? Ans Meer? Wo Menschen sind?«
Garrett nickte. »Es ist endlich mal schön und nicht so verregnet und du sagst ja selbst, es ist dir hier im Wald zu warm. Vielleicht kühlt uns das etwas ab?«
Henry guckte grübelnd in seine Tasse. Er mochte es nicht, aus seinem gewohnten Umfeld zu verschwinden, auch wenn Garrett Recht hatte. Es war zu drückend, die Hitze hing wie eine Glocke über dem Tal und in Gatwick ging zur Mittagszeit kaum ein Luftzug. Alle ächzten und stöhnten und die, die den Talkessel verlassen konnten für einige Tage, taten es.
Er guckte seinen Freund an. Garrett war ein Mensch, er war jung und er wollte nicht hier versauern. Das konnte Henry verstehen. Und er liebte ihn. Er wollte ihn nicht zwingen, hier zu bleiben, wenn er doch lieber etwas erleben wollte.
Schließlich seufzte der Vampir ergeben und lächelte. »Nun gut, wo willst du hin?«
Garrett grinste und schob ihm die Broschüre hin.
»Es ist in der Nähe von Brighton, ein kleines Dorf am Meer, ein Seebad. Es werden sicher Touristen da sein, aber bestimmt nicht so viele wie in Brighton selbst. Ich habe uns ein Zimmer in einer kleinen Pension gebucht, zwei Nächte plus Frühstück. Man kann dort schwimmen gehen, aber auch gut essen.«
Henry überflog die Broschüre, die sich wie ein Werbekatalog für Liebesurlaube las. Er musste grinsen.
»Das ist so rosarot und kitschig, mein Gott«, kicherte er. Garrett zog einen Schmollmund.
»Also gefällt es dir nicht? Das wäre unser erster kleiner Urlaub und du sagst ...« Weiter kam der junge Mann mit seinem Protest nicht, weil Henry ihm einen Kuss auf den Mund drückte.
»Es ist völlig in Ordnung. Solange ich ein Bett für die Nacht habe und dich dabei, könnten wir auch im Zuckerwatteland Urlaub machen.«
Garrett errötete leicht und lächelte. »Okay ... dann pack ein paar Sachen zusammen, wir fahren nach dem Mittagessen.«
Henry seufzte. »Kurzfristiger ging es nicht, oder? Ist in Ordnung. Ich werde nur noch mal schnell etwas Trockenfutter für Nikodemus einkaufen, damit er genug zu fressen über das Wochenende hat.«
Der Vampir machte sich dieses Mal die Mühe, Schuhe anzuziehen, bevor er das Haus verließ und Garrett machte sich lächelnd etwas zum Frühstück.
Der Himmel wurde bereits rot, als Garretts Auto in die kleinen, schmalen Straßen des Küstendorfes einbog. Der junge Mann blickte sich neugierig in alle Richtungen um, während Henry routiniert durch die engen Straßen manövrierte.
»Pittoreskes Örtchen. Wie auf einer Postkarte. Hier scheint die Zeit stillzustehen. Das ist sehr hübsch«, murmelte der Vampir und Garrett nickte begeistert. Die kalte Computerstimme des Navis gab ihnen den Weg vor und der junge Mann zischte durch die Zähne, als sie schließlich vor einem malerischen Gebäude stehen blieben, umgeben von einem blühenden und duftenden Garten, mit Blick auf den Strand und das dahinterliegende, feuerrot leuchtende Meer.
Henry lenkte den Wagen auf einen kleinen Parkplatz und kaum stand er, war Garrett bereits herausgesprungen.
»Ohh, es riecht so gut«, lachte dieser und der Vampir zog leicht verwundert die Augenbrauen hoch. So benahm sein Freund sich sonst nicht. War es wirklich so aufregend für Garrett, in ein verschlafenes Fischerdorf zu fahren? Er hatte sieben Jahre lang in London gelebt ...
»Was schaust du so?«
»N-nichts ... ich wundere mich nur über dein aufgekratztes Verhalten.«
»Ich freu' mich einfach, hier zu sein mit dir.«
Henry lächelte und nahm ihrer beider Taschen aus dem Kofferraum. Garrett ging voran und hielt ihm die Tür der Pension auf. Das Haus war innen sehr ordentlich, hell, rustikal, mit viel Holz und maritimer Dekoration. Es duftete nach Kaffee und Blumen.
»Guten Abend, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?« Eine rundliche, ältere Dame kam aus einem Nebenzimmer und verschwand hinter einem halbhohen Tresen.
»Guten Tag. Ich hatte reserviert, auf Pinkerton.« Garrett lehnte sich an den Empfangstresen, während die Frau ihr Buch durchblätterte. Schließlich nickte sie.
»Ah, hier. Pinkerton, zwei Personen, bis Sonntag, richtig?«
Garrett nickte ebenso.
»Aber ... ein Zimmer, ist das korrekt?« Die Dame blickte zwischen den beiden hin und her. Der Vampir zog die Stirn kraus, während der junge Mann nickte.
»Auch das ist richtig.«
Die Wirtin begann zu lächeln und wandte sich zu ihrem Schlüsselbrett um. »Bitte sehr, einen schönen Abend.«
Garrett nahm den Schlüssel entgegen und ging voran, auf der Suche nach der Zimmernummer. Sie stiegen die Treppe hinauf und der junge Mann öffnete die Tür.
»Oh, schau doch«, gluckste er, als Henry eintrat.
Das Zimmer war nicht groß, aber hell, mit einem großen Fenster und hellen Gardinen, die leicht im Seewind umher schwangen. Das breite Bett hatte vier Pfosten, an denen durchsichtige, weiße Vorhänge hingen, die Bettwäsche war weiß mit winzigen blauen Blumen und die Tagesdecke hatte ein maritimes Muster. Die eigentlich blauen Akzente im Zimmer waren vom feuerroten Licht der Abendsonne eingefärbt und sie hatten einen wunderbaren Blick auf den Strand und das Meer. Eine Tür an der Seite führte in ein kleines, blitzsauberes Badezimmer.
Henry stellte die Taschen neben die Tür und sah sich um. Er lächelte.
»Sehr schön ... sollen wir uns im Ort ein Restaurant suchen und essen gehen oder bleiben wir hier und zerwühlen dieses ordentliche Bett?«
Garrett lief rot an. »Du ... du willst ja nur die arme alte Dame schockieren ...«
Henry zuckte mit den Schultern. »So wie die geguckt hat am Anfang, hätte sie das verdient.«
»Du siehst auch überall Schwulenhasser, wirklich.«
»Vielleicht ... aber ich bin es nicht gewöhnt, dass alle so locker damit umgehen. Ich hätte gerade hier in der Provinz nicht damit gerechnet ... ich hätte gedacht, die schickt uns wieder weg.«
Garrett trat an Henry heran und legte ihm die Hände auf die Hüften. »Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Gatwick ist auch Provinz und da wurden wir auch noch nie angepöbelt. Außerdem ist unser Geld genauso gut wie das von Heteros und die wird sich keine Einnahmen entgehen lassen.«
Henry zuckte mit den Schultern.
»Wann wirst du dich daran gewöhnen, dass jetzt andere Zeiten herrschen für Leute wie uns? Überfordert dich soviel Freiheit?«
Der Vampir lachte. »Vielleicht? Mir reicht die Freiheit, die wir bei uns zuhause haben.«
Garrett grinste. »Ich möchte sie aber mit der ganzen Welt teilen. Ich hab keine Lust, in der Öffentlichkeit so zu tun, als wären wir nur zwei Freunde, die zusammen unterwegs sind. Ich will deine Hand halten. Das sollte mir doch erlaubt sein, oder?«
Henry setzte sich auf das Bett und zog die Schuhe aus. »Ist das so? Gestatte ich dir nicht, mich anzufassen?«
»Doch. Zuhause. Sonst nicht ...«
Der Vampir gluckste und zog den jungen Mann an sich heran. »Garrett ... ich denke, wir machen Urlaub? Wollen wir uns nun zanken oder lieber ein bisschen entspannen?«
Garrett wurde am nächsten Morgen sehr früh wach. Der Himmel über dem Meer hatte die Farbe von Eierschalen und das Wasser sah sehr dunkel aus. Fasziniert betrachtete er diesen Anblick und atmete den salzigen Duft der See ein, der durch das geöffnete Fenster drang. Es war kühl und mit einem Grinsen zog er die leichte Bettdecke bis zu den Schultern hoch.
Henry lag auf dem Rücken ausgestreckt neben ihm, hatte die Decke von sich gestrampelt und schnarchte leise. Garrett grinste, denn er fand ihn süß, wenn er schlief.
Er zupfte eine Feder aus einem der Kopfkissen und begann, Henry damit an der Nase zu kitzeln. Er kicherte in sich hinein, wann immer der Vampir unwillig brummte. Früher, als Garrett noch ein Teenager war gewesen war und bei ihm in seiner Waldhütte übernachtet hatte, war Henry immer auf der Hut gewesen, hatte sich nicht entspannt und wurde beim kleinsten Geräusch wach, das Garrett gemacht hatte.
Mittlerweile war der Vampir so an die Anwesenheit seines Freundes gewöhnt, dass er schlafen konnte wie ein Stein und auch eine neckische Feder an seiner empfindlichen Nase ihn nicht wecken konnte.
Garrett fing zu lachen an, als das Kitzeln dazu führte, dass Henry niesen musste und sich erschrocken und zerzaust aufsetzte. Ein bisschen orientierungslos blickte er sich um und verengte schließlich finster die Augen, als er Garrett ansah.
»Du ...«, fauchte er verstopft und wischte sich über seine juckende Nase.
Der junge Mann heulte vor Lachen in sein Kissen und strampelte, während der Vampir nach einem Taschentuch suchte.
»Nicht mal ausschlafen lässt du einen. Ich denke, wir haben Urlaub ...«, knurrte er und putzte sich energisch die Nase.
»Ent-entschuldige«, lachte Garrett atemlos und versuchte krampfhaft, sich zu beruhigen. Henry lächelte und sah auf ihn hinunter.
»Bist du fertig? Hast du es dann bald?«
Während Garrett noch immer eine Lachwelle nach der anderen ritt, stand der Vampir mürrisch auf und sah auf die Uhr.
»Sieben Uhr morgens, Samstag. Wow ...« Er zog seine schiefsitzende Unterhose ordentlich zurecht und öffnete das Fenster ganz. Kühle, salzige Seeluft fuhr über seine Haut und er schloss die Augen.
»Hmm ... versteh' mich nicht falsch, ich liebe die Wälder, aber diese kühle Luft ist so angenehm nach der drückenden Hitze in Gatwick ...«
Garrett stand auf und umfasste Henrys Oberkörper mit den Armen. Er schmiegte seine Wange an dessen Rücken und kicherte.
»Also war es doch gut, hergekommen zu sein, oder?«
»Natürlich. Allein die Aussicht ...«
»Und du hast gemeckert, wie immer.«
Henry drehte sich zu ihm um und küsste ihn auf die Stirn. »Ja, das habe ich. Das muss ich. Ich bin doch für dich verantwortlich.«
»Henry! Ich bin sechsundzwanzig und keine achtzehn mehr. Ich kann mittlerweile auf mich selbst aufpassen und brauche keinen Beschützer mehr.«
»Genaugenommen werde ich immer älter sein als du, egal wie faltig du einmal sein wirst.«
»Erinnere mich nicht daran. Ich mag nicht an Falten denken. Lass uns lieber unter die Dusche gehen und es ausnutzen, dass ich noch nicht alt und schrumplig bin.« Garrett zwinkerte dem Vampir zu und zog ihn hinter sich in das Badezimmer.
Nach einem klassischen, englischen Frühstück, bestehend aus Eiern, Würstchen, Buttertoast und Tee mit Milch, machten sich die beiden daran, die Pension zu verlassen. Die Sonne stand hoch am Himmel, obwohl es Vormittag war. Die kühle Seeluft hatte sich bereits verzogen und es war deutlich wärmer geworden.
»Komm schon, lass uns ans Wasser runtergehen.« Garrett eilte dem Vampir, der eine dunkle Sonnenbrille und eine Baseballkappe trug, einige Schritte voraus und wandte sich auffordernd zu ihm um.
Henry lächelte und folgte ihm langsamer. Die ersten Grüppchen und Familien waren auch schon auf der Promenade unterwegs und er wusste, dass es lächerlich war, doch er hatte das Gefühl, dass jeder einzelne von ihnen sie ansah und wusste, dass er und Garrett nicht nur Freunde waren, sondern ein Liebespaar.
Er zog die Schuhe aus, als er auf den Strand trat, und genoss das Gefühl des Sandes unter seinen Fußsohlen. Ein Gefühl, das er lange nicht mehr gehabt hatte. Garrett hatte seine Turnschuhe ebenfalls bereits in den Händen und verlangsamte seine Schritte, damit er neben Henry gehen konnte.
»Es ist schön, oder?«
»Ja.«
»Wollen wir Händchen halten oder lieber nicht?«
Henry blickte sich um und presste die Lippen zusammen. Dann schüttelte er den Kopf. Garrett machte einen Schmollmund und seufzte leise.
Sie verbrachten den Vormittag mit Spazieren durch das kleine Örtchen und kehrten zum Mittagessen in ein kleines Fischrestaurant ein.
»Wollen wir nach dem Essen unsere Badesachen holen und schwimmen gehen?«
Henry nickte. »Ich habe bestimmt nicht mehr im Meer gebadet, seit ich ein Kind war.«
»Aber schwimmen kannst du schon, oder?« Garrett zerlegte seinen Fisch etwas umständlich und ließ es sich dann schmecken. Henry lachte leise.
»Aber ja. Ich bin ja am Meer aufgewachsen und ich und meine Geschwister haben im Sommer auch immer darin gebadet. Wir haben uns Schwimmen beigebracht.«
»Gut. Wäre ja schade sonst. Ich spiele gern in den Wellen.«
Henry schmunzelte, als er sich Garrett beim Spielen vorstellte. Er freute sich darauf, beim Balgen Kontakt zu ihm haben zu können, ohne sich ständig über andere Leute Gedanken zu machen.
»Ah, das war sehr gut. Toll, dass man hier so gut essen gehen kann. Hast du schon eine Vorstellung, was du zum Abendessen haben möchtest?«
Henry lehnte sich gesättigt an den weichgepolsterten Stuhl und blickte sich in dem kleinen Restaurant um.
»Ich bin gerade so voll, ich fühle mich, als bräuchte ich niemals wieder etwas essen«, lachte er.
Garrett lächelte und nickte. »Wir werden schon spontan etwas finden nachher. Notfalls kaufen wir ein paar Sandwiches im Supermarkt und essen sie auf unserem Zimmer.«
Sie zahlten und nutzten den Weg zurück zur Pension, um das Völlegefühl durch das gute Essen wieder abzubauen.
Garrett betrachtete Henry fast schon sehnsüchtig von der Seite. Es war klar, dass sie einander hatten und sie hatten diesen Urlaub bis hier hin bereits weidlich ausgenutzt, um zärtlich zueinander zu sein, doch in der Öffentlichkeit benahm sich der Vampir abweisend. Etwas, das er in Gatwick nicht tat, wenn sie gemeinsam in den Supermarkt gingen oder über die Straße. Da machte es ihm nichts aus, wenn Garrett im Laufen seine Hand nahm. Warum war das so?
In Gatwick kannte man Garrett und jeder war neugierig über ein offen homosexuelles Liebespaar in der Stadt. Hier kannte sie niemand. Hier sollte der Vampir doch viel weniger Sorge haben, dass sie jemand sehen könnte. Hier waren sie einfach nur zwei Typen in einem Kurzurlaub. Niemand kannte ihre Namen, niemand kannte ihre Geschichte, hier konnten sie Liebende sein. Doch Henry stellte sich quer und Garrett wusste nicht, warum.
Doch er wollte auch nicht fragen, da er keinen Streit vom Zaun brechen wollte. Henry war es eben auch anders gewöhnt, mit Verfolgung, öffentlicher Demütigung, Gewalt. Und man konnte nicht raus aus seiner Haut. Er schon gar nicht.
Eine Gruppe Kinder stand mit ihren Eltern vor der Pension, als sie ankamen. Sie mussten beinahe im Slalom um die Kleinen herumgehen, so aufgedreht und wuselig waren diese. Garrett stolperte und wurde von Henry durch einen beherzten Griff um die Brust am Fallen gehindert.
»Alles okay?«
»Immer, wenn du mich festhältst«, murmelte Garrett und bekam rote Wangen. Der Vampir lächelte.
»Mama«, krähte da eines der Kinder, ein kleines Mädchen derart, dass man es noch zwei Häuser weiter hören konnte, »sind das zwei Schwule?«
Garrett und auch die Mutter liefen krebsrot an und die Frau zog ihre Tochter an die Seite. Sie rügte sie, dass man nicht so schreien und schon gar nicht mit dem Finger auf Leute zeigen dürfte. Das kleine Mädchen hingegen starrte Garrett und Henry weiterhin unverhohlen an.
»Wie wollt ihr denn Babys bekommen? Geht das?«, fragte es frech, bevor seine Mutter es mit einem entschuldigenden Lächeln an sich heranzog und der Obhut der älteren Schwester überantwortete.
Garrett lächelte nur und schob den grimmig guckenden Henry in die Pension.
»Gott, sogar Kinder!«, fauchte der Vampir, als sie in ihrem Zimmer waren und er sich auf die Kante des Bettes fallen ließ. Garrett trat vor ihn und nahm seine Hände.
»Worüber ärgerst du dich? Es war doch nur ein neugieriges Kind ...«
»Und eine Mutter, die es weggezogen hat, als hätten wir eine ansteckende Krankheit.«
Garrett beugte sich zu Henry hinunter und presste seine Lippen auf die seinen.
»Haben wir nicht.«
»Macht dir das wirklich nichts aus? Angestarrt zu werden, egal wo wir hingehen? Tuscheln im Hintergrund und Leute, die darüber nachdenken, was wir miteinander tun, wenn wir allein sind?«
Garrett setzte sich neben ihn. »Nein. Denn ich bin, was ich bin. Ich muss und will mein Leben so leben und nicht die, die es nötig haben, über mein Liebesleben nachzudenken. Anstatt mich über solche Leute zu ärgern, genieße ich lieber, was ich habe. Nämlich dich. Was könnte ich mehr wollen?«
»Jemanden, der es lockerer angehen kann?«
Garrett gluckste. »Du bist schon viel lockerer als damals, als wir uns kennengelernt haben. Du gehst einfach zu selten unter Menschen und deswegen ist es dir unangenehm, deine Zuneigung öffentlich zu zeigen.«
»Vielleicht ... ich fühle mich so beobachtet.«
»Wenn, dann wirst du von den Leuten beobachtet, weil du zu attraktiv für diese Welt bist. Und jetzt zieh deine Badehose an, mir ist heiß und ich will schwimmen gehen!«
Das kleine Mädchen, das so neugierig gefragt hatte, hockte im Garten vor der Pension, als die beiden wieder aus dem Haus kamen. Ihre Mutter schien sie gerügt zu haben, denn diesmal schaute sie die beiden zwar unverhohlen an, richtete aber nicht das Wort an sie.
»Was meinst du, mit welcher Einstellung zur Sexualität werden die Eltern dieses Kind wohl erziehen?« Henry musterte es im Vorbeigehen.
»Keine Ahnung. Aber es ist ein Mädchen. Es würde mich nicht wundern, wenn zumindest der Vater niemals etwas davon wissen will, dass die Kleine überhaupt eine Sexualität hat. Für Töchter wollen Väter am liebsten zeitlebens die einzigen Männer in deren Leben bleiben.«
»Ich glaube, meinem Alten wäre es recht gewesen, wenn er gar keine Töchter gehabt hätte. Er trauerte mehr, wenn ein Junge starb, als wenn es ein Mädchen tat ...«
Garrett brummte leise. »Na ja ... Männer können härter arbeiten.«
»Und essen mehr. Im Verhältnis Arbeit zu Nahrung nahmen sich Jungen und Mädchen nichts damals. Doch mein Vater glaubte immer, Mädchen würden ihm nur Schande machen, wären schamlos und würden ihre Ehre vor der Ehe beschmutzen. Bei Jungen sah er das anders. Da krähte ja auch kein Hahn nach. Dass es diese Jungs waren, die Mädchen in Schwierigkeiten brachten, das hat er nicht gesehen ...«
Garrett schmunzelte. »Du warst ziemlich aufgeweckt für dein Alter damals, kann das sein?«
Der Vampir grinste und nickte. »Ich war klüger als meine Geschwister, das kann ich schon so sagen. Selbst bevor ich im Kloster ausgebildet wurde. Pfiffig, sagt man dazu wohl. Und was Sexualität anging ... wir lebten in einem kleinen Haus, es gab ein Schlafzimmer für meine Eltern und meine jüngsten Geschwister und einen kleinen Raum für uns ältere. Glaub mir, in solchen Verhältnissen weiß man sehr früh über Sex Bescheid. Man kann dem ja nicht ausweichen und meine Eltern scherten sich nicht darum, ob wir vielleicht in der Nacht davon wach wurden ... man war deutlich weniger schamhaft als heute und Kinder wurden nicht vor solchen Dingen geschützt.«
»Kinder waren aber auch härter im Nehmen als heute, oder?«
Henry nickte. »Auf jeden Fall. Wenn die Kids von heute so aufwachsen würden wie ich damals, würden sie den Boden küssen vor Dankbarkeit, heute leben zu dürfen.«
Garrett grinste zu ihm rüber. »Ich bin froh, dass es dich heute noch gibt.« Er ergriff Henrys Hand für einen Augenblick, drückte sie und ließ ihn dann wieder los.
Sie schlugen ihr Lager, bestehend aus einer Stranddecke und einer Umhängetasche mit Handtüchern und Sonnencreme, im Sand, kurz über der Flutlinie, auf und nahmen darauf Platz.
»Kannst du mir den Rücken einsprühen damit?« Garrett zog das Tshirt über den Kopf und reichte dem Vampir die Sonnencreme. Henry tat wie gebeten und ein frischer, angenehmer Duft breitete sich aus.
»Hmm ... zum Anbeißen«, schnurrte er Garrett ins Ohr und der kicherte.
»Hör auf. Ich muss dich auch eincremen, sonst kriegst du noch 'nen Hitzekoller, Monsieur Vampir! Aus das Shirt!«
Henry grinste und knöpfte das Hemd auf, während Garrett die Sonnencreme in den Händen kräftig schüttelte.
»Vorsicht, kalt«, mahnte er und kleckste ihn voll. Genüsslich grinsend rieb der junge Mann die helle Haut des Vampirs ein, der es sich widerstandslos und milde lächelnd gefallen ließ. Ja, er schnurrte fast vor Genuss.
»Vergiss' das Baden, du kannst mich den Rest des Tages eincremen, das ist toll«, murmelte er und senkte den Kopf, damit Garrett besser an seinen Nacken heran kam.
»Nix da, mein Liebling!«, lachte der junge Mann. »Mir läuft die Suppe schon den Rücken runter.«
Der Strand war mäßig besucht, aber viele Leute flanierten über die hübsche, hölzerne Promenade etwas weiter oben. Vereinzelt befanden sich Inseln im Sand, auf denen Jugendliche zusammensaßen, Radiomusik plärrte über den Strand, Kinderlachen wehte im milden Wind mit, Leute ließen ihre Hunde in der Brandung spielen. Es war friedlich.
»Schwuchteln?!«, drang es in Garretts Ohr und verwundert wandte er den Kopf von Henrys Haut weg zur Quelle der Stimme. Etwas entfernt stand eine Gruppe von drei Jungen, vielleicht fünfzehn, sie zeigten mit dem Finger auf sie und lachten vor sich hin. Garrett rollte genervt mit den Augen und setzte sein Eincremen ungemindert fort, während Henry vor sich hin knurrte.
»Hey, wer von euch ist die Frau?«, grölte einer der Schwachköpfe herüber und die anderen wieherten wie Pferde.
»Darf ich sie umbringen?«, fauchte Henry und Garrett schüttelte den Kopf.
»Lass sie reden, die Idioten. Die fühlen sich cool, weil sie in der Gruppe sind, aber ich sag dir, wenigstens einer davon würde nur zu gern mal mit einem Mann ins Bett gehen.«
Henry wandte den Kopf zu seinem Freund um und grinste. »Ich könnte es ihnen einreden ... du weißt, dass ich das kann ... nach einem Rudelbums haben sie bestimmt nicht mehr so eine große Klappe.«
Garrett lachte über die Idee, schüttelte aber den Kopf. »Du könntest sie dazu bewegen, einfach zu verschwinden. Ich hab keine Lust auf nerviges Publikum. Ich will hier mit dir Urlaub machen und baden.«
Henry wandte den Kopf zu der Gruppe Jungen und fixierte sie. Garrett wusste nicht, was genau er tat, aber er sah seine Augen rot aufleuchten. Kurz darauf verloren die Jugendlichen das Interesse und zogen weiter.
»Hast du fein gemacht, dafür bekommst du nachher auf dem Zimmer einen besonders süßen Keks.«
Henry grinste anzüglich und erhob sich schließlich. Er zog Garrett hinter sich her ins Wasser und während der stückchenweise hineintrabte, warf sich der Vampir der Länge nach hinein. Er schleuderte Wasser aus seinen kurzen Haaren, als er wieder auftauchte, das wie Edelsteine in der Sonne glitzerte. Garrett starrte ihn unverhohlen an und spürte Hitze am ganzen Körper.
»Komm schon, kleines Seepferdchen. Ist es dir zu kalt?«
»Nein! Aber wehe, du spritzt mich nass!«
Henry wartete geduldig, bis Garrett bis zur Hüfte drin war, doch dann umpackte er ihn und zog ihn mit sich ins Wasser. Spotzend und hustend tauchte der junge Mann wieder auf und rubbelte sich das Wasser aus den dunkelblonden Haaren.
»Du Arsch!«, lachte er und fing an, Henry nasszuspritzen.
»So langsam, wie du reingekommen ist, da bekomme ja selbst ich Falten«, entgegnete dieser und spritzte zurück.
Garrett schnappte nach seinen Handgelenken. »Ist das so, ja?«
Henry grinste, umklammerte ihn wieder und ließ sich nach hinten ins Wasser fallen. Sie waren bereits recht weit vom Strand entfernt und der Grund war nur noch sporadisch zu fühlen. Sie tauchten beide komplett unter, während sie sich an den Händen hielten. Garrett drängte wieder an die Oberfläche, als Henry sein Gesicht in seine Hände nahm und seine Lippen auf den Mund seines Freundes presste. Diese Mischung aus Beatmung und Kuss hielten sie einige Minuten aufrecht und Garrett verspürte trotz der erfrischenden Kälte des Meeres einen Hitzeschauer auf seiner Haut, der von innen kam.
Nach Luft ringend durchbrach er anschließend die Wasseroberfläche und schwamm wieder in Richtung Strand. Henry folgte ihm.
»Wegen dir kann ich das Wasser erst einmal eine Weile nicht verlassen. Toll hinbekommen ...« Garrett gnatzte scherzhaft, setzte sich auf Kniehöhe an den Strand und siebte Steinchen aus dem Sand. Henry leckte sich das Salz von den Lippen und machte sich im seichten Wasser lang.
»Ich glaube, ich hab heute Abend Lust auf Pasta«, murmelte er mit geschlossenen Augen gen Himmel. Garrett betrachtete ihn ganz genau.
»Sollen wir uns vielleicht für eine Weile hinlegen gehen? Oder wenigstens im Zimmer die Fenster dunkel machen? Oder macht dir die Sonne nichts aus?«
Henry setzte sich auf und rieb sich die Haare aus dem Gesicht. »Es geht. Aber ja, die Sonne ist hier heller als in Gatwick. Muss am Sand liegen.«
»Dann gehen wir hoch? Ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand auf der Nase.« Garrett wackelte mit der Nase und rieb sich mit dem Nagel an der Haut.
Henry erhob sich und begann, sich etwas trockenzureiben, bevor er Garrett ein Handtuch reichte.
»Lass uns oben etwas ausruhen und heute Abend essen gehen. Morgen früh, bevor wir nach Hause fahren, können wir dann noch mal schwimmen ... oder heute Nacht ...« Der junge Mann bekam rote Wangen, die nicht vom Sonnenbrand waren, und rubbelte sich schnell das Gesicht trocken.
»Du bist ein kleines Ferkel«, schmunzelte der Vampir, der sich das Hemd wieder übergeworfen hatte und bereits die Tasche hielt, die ihren Kram enthielt.
»Ist doch gar nicht wahr!«
Krebsrot, weil Henry mal wieder genau wusste, woran Garrett gedacht hatte, folgte er ihm den Strand hinauf.
Sie verbrachten den Nachmittag bei abgedunkelten Fenstern im Bett und sahen etwas fern. Henry hatte mehr unter der Sonne gelitten, als er hatte zugeben wollen, um Garrett die Laune nicht zu verderben, und genoss es nun umso mehr, etwas kühle Dunkelheit um sich zu haben.
Er war eingenickt, als der junge Mann gegen 19 Uhr das Zimmer verließ, um sich von der Hauswirtin ein Telefonbuch und eine Empfehlung für ein italienisches Restaurant geben zu lassen.
Leise kroch er anschließend wieder auf das Bett und küsste den Schlafenden auf die Wange.
»Hey du. Aufwachen. Wir haben einen Tisch für das Abendessen ...«, flüsterte Garrett dem Vampir ins Ohr und dieser öffnete murrend die Augen.
»Was?«
»Spring' schnell in frische Klamotten. Wir haben für Viertel nach acht einen Tisch in einem Pasta-Restaurant.«
Henry erhob sich und verschwand im Badezimmer, während Garrett sich ausgehfein anzog.
»Was sagst du?«, fragte er, als der Vampir erfrischt und nach Aftershave duftend wieder in das Zimmer kam. Dieser betrachtete ihn und schmunzelte.
»Du siehst aus wie ein reicher Dandy. Fehlt nur noch der Martini und die Yacht.«
Garrett sah an sich runter, an der weißen, knielangen Hose und dem kurzärmeligen dunklen Hemd, das er in die Hose gesteckt und mit einem Gürtel versehen hatte.
»Nicht gut?«
Henry küsste ihn und lachte. »Ich ziehe dich nur auf, du siehst super aus.«
Garrett schüttelte schnaubend den Kopf und sah dem Vampir dabei zu, wie er in eine dunkle Hose und ein weißes Hemd stieg. Er krempelte sich gerade die Ärmel hoch, als er Garrett seufzen hörte.
»Hast du was?«
»Ich wünschte, wir hätten Zeit, die Klamotten wieder auszuziehen ...«
»Garrett ... liegt es an der Meerluft oder warum bist du so liebesbedürftig?«
Der junge Mann grinste. »Wir sind im Urlaub, also bitte.«
Schmunzelnd schob sich der Vampir Schlüssel und Portemonnaie in die Hosentasche und deutete seinem Lebensgefährten, den Raum zu verlassen.
»Ist es sehr weit?«
»Nein. Es liegt die Promenade runter in einer Seitenstraße. Hier, ich hab eine Karte auf dem Handy offen. Wir haben noch Zeit, das schaffen wir locker zu Fuß.«
Entspannt flanierten die beiden über den hölzernen Spazierweg am Strand entlang. Der Himmel färbte sich bereits rot, obwohl es noch nicht einmal 20 Uhr war. Menschen taten es ihnen gleich und spazierten in der milden Abendluft. Die Hitze des Tages hatte etwas nachgelassen und der Wind von der See trug Salz in die Stadt.
Garrett versuchte, all die Pärchen zu ignorieren, die einander fröhlich an den Händen hielten, während er seinen eigenen Freund nicht anfassen durfte, weil dieser sich für irgendetwas schämte. Wenn er, Garrett, ein Mädchen wäre und Henry nicht schwul, dann würden sie hier herumlaufen wie alle anderen, ohne dass sich der Vampir wegen jedem Wort umsehen würde.
Aber dem war nun einmal nicht so. Sie waren nicht nicht schwul. Sie waren beide so, wie sie waren. Und Henry ließ nicht eine Minute lang Zweifel daran aufkommen, dass er ihn, Garrett, liebte. Doch in der Öffentlichkeit nicht seine Hand halten zu dürfen, wurmte den jungen Mann.
Henry war so stark und tough und machte sich über ein paar blöde Kommentare von Jugendlichen Gedanken? In Gatwick kümmerte ihn das auch nicht ...
In sich gekehrt erreichten die beiden schließlich das kleine Restaurant. Ein höflicher, hübscher Kellner geleitete sie zu einem gemütlichen Tisch in der Ecke und reichte ihnen die Speisekarten.
Das zweite Glas Wein zur Pasta schlug Garrett auf den Kopf und er fing zu kichern an, als Henry die Rechnung bestellte. Es war nach 22 Uhr und die letzten Gäste machten sich daran, nach Hause zu gehen. Draußen war es bereits dunkel und die kleinen, rotleuchtenden Lampions vor dem Restaurant waren eingeschaltet.
»Komm, Großer. Das war ein Glas zu viel für dich.« Henry legte sich Garretts Arm um die Schultern und führte ihn nach draußen. Der Wein war zwar schwer gewesen, aber hätte bei jedem anderen Menschen, der nur etwas mehr Alkohol verträgt, nicht solche Auswirkungen gehabt. Garrett hingegen vertrug etwa so viel Alkohol wie eine Mücke.
Halb ließ er sich tragen, als sie zur Promenade kamen, dann machte er sich los und griff nach Henrys Hand.
Unangenehm berührt blickte dieser sich um, sah die ganzen Nachtschwärmer, die aus Lokalen kamen oder diese betraten oder die einfach den Abend und den Sternenhimmel genießen wollten, und machte sich von Garrett los.
»Du bist doch mein Freund, richtig? Dann kann ich doch deine Hand halten!«, protestierte der junge Mann und schnappte wieder nach den Fingern, die Henry daraufhin in die Hosentasche steckte.
»Du bist ein egoistischer Doofkopf«, schmollte Garrett weiter und blieb einfach stehen. Er schwankte etwas.
»Und ich hab dir gesagt, ich möchte nicht Händchen halten, wo jeder uns sieht«, knurrte Henry und setzte seinen Weg fort. Er legte an die acht Meter zurück, als Garrett wieder den Mund öffnete:
»Henry!«, rief er.
Der Gerufene blieb seufzend stehen und wandte sich um. Durch dieses Spiel hatten sie mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als wenn sie Händchen gehalten hätten. Garrett war manchmal so stur und tat alles, um seinen Willen zu bekommen. Aber letztlich war es diese Charaktereigenschaft gewesen, in die der Vampir sich damals verliebt hatte, vor acht Jahren.
Henry sah zu dem jungen Mann herüber, der etliche Meter von ihm weg noch immer an derselben Stelle stand, wie bestellt und nicht abgeholt, durch den Wein etwas benommen und im milden Abendwind schwankend wie ein Grashalm. Er wirkte so verloren ohne ihn, als würde etwas von seinem Selbst fehlen, wenn Henry nicht da war.
Der Vampir lächelte. Garrett hatte Recht. Sie waren, wie sie waren, genau wie er am Nachmittag gesagt hatte. Und was zählte war, dass sie einander hatten und miteinander glücklich waren. Was die anderen dachten, spielte keine Rolle. Denn sie lebten nun einmal nicht mehr in einer Zeit oder einem Land, in der man verfolgt wurde für das Privileg, die Liebe gefunden zu haben.
Er breitete seine Arme aus und deutete Garrett an, zu ihm zu kommen, was dieser sich nicht zweimal sagen ließ. Mit einem Lachen fing er zu laufen an und warf sich schließlich in Henrys Arme, der ihn zweimal im Kreis herumwirbelte.
»Doch nicht peinlich?«
»Megapeinlich. Aber mir egal. Denn du gehörst zu mir und das kann ruhig jeder wissen.«
Unter den Sternen, dem Licht der gelben Laternen auf der Promenade und so manchem lächelnden Blick eines Passanten küssten sie sich, als wären sie ganz allein auf der Welt.
~ ENDE ~