Zugabe gab es keine. Denn wenn die Zuschauer nach keiner Zugabe verlangten, spielte die Band für gewöhnlich keine, ganz abgesehen von den Autogrammkarten die sie in gleicher Zahl wieder nach Hause nehmen konnten. Über den Vorfall verlor keiner ein Wort, ebenso über das Horror-Szenario auf der Bühne, das sie vorzeitig abbrechen mussten. Schweigend packten sie ihr Zubehör zusammen und er wusste nicht, ob es ein guter Einfall wäre nach Hause zu fahren. Doch er rechnete in dieser Nacht sowieso nicht mehr mit ihr.
Er ließ den Transporter stehen und stoppte ein vorbeifahrendes Taxi. „Bevor etwas passiert...ruf mich an, Mann. Bist du sicher, dass du nicht bei mir pennen willst?“, aber er versicherte seinem Kollegen, dass nichts passieren würde.
Vor der Wohnung angekommen, zögerte er noch einen Moment, bevor er die Tür öffnete und als die Tür offen stand, sah er, dass ihre Sachen fehlten. Ohne die Tür zu schließen rannte er in das Schlafzimmer, wo er ihre Kästen offen und leer vorfand. Ungläubig schaute er sich um und fand keinen einzigen Gegenstand der noch an sie erinnerte. In der Küche entdeckte er den Aschenbecher, in welchem sich seit der Früh zwei weitere ausgedämpfte Zigaretten befanden und als er sie näher betrachtete, wies ein Filter die festgeklebten Reste eines knallroten Lippenstifts auf. Der andere Filter war nur braun vom durchgesogenen Zigarettenrauch. Leise fluchte er vor sich hin und beschloss, die heutige Nacht auswärts zu verbringen.
Als er sich in ihrem Zimmer wiederfindet, fällt ihm als erstes das Buch auf, welches nun statt ihrem Glas am Tischrand liegt. Er späht kurz zu ihrem Bett um sich zu vergewissern, dass sie nicht anwesend ist und spürt eine leichte Enttäuschung, als er erkennt, dass sich seine Erwartung bestätigt hatte. So wendet er seinen Blick wieder auf das Buch und geht langsamen Schrittes zu ihrem Tisch. Seine Hände tasten vorsichtig den Einband, der mit einer großen Variation an verschiedenen Farben und Zeichen verziert worden war. Vorsichtig versucht er das Buch zu öffnen, doch etwas hindert ihn daran. Er betrachtet das Buch genau, dreht es um und da fällt ihm auch schon das Hindernis zwischen ihm und dem Inhalt auf. Ein kleines vergoldetes Schloss, das ihn unschuldig anblickt und ihm kommt in dem Moment, als würde es zu ihm sprechen: „Es tut mir leid, dass ich mich dir nicht öffnen darf, aber du würdest den Inhalt weder verstehen noch akzeptieren. Am besten du gehst jetzt wieder.“ Mit gemischten Gefühlen starrt er auf das kleine Schloss, welches eben, obwohl es ihm unmöglich war, zu ihm gesprochen hatte. Ungläubig legt er das Buch vorsichtig zurück und wendet sich wieder dem Zimmer zu. Sie hatte ihre Bettwäsche seit dem letzten Mal gewechselt, das Bild hatte sich keinen Millimeter gerührt und auch sonst ist alles genau an dem Punkt wie damals, als er sie besuchte. Rührlos lauscht er eine Weile der absoluten Stille, bis er erblickt, wie sich sein Körper in der undurchschaubaren Dunkelheit der Nacht langsam auflöst.