Selina hatte vor drei Jahren die Behandlungsinterwalle für Monika neu abgestimmt und sie auf diese Weise nur knapp dem Tod entrissen. Es hat fast zwei Jahre gedauert, aber Moni ist wieder völlig gesund geworden. Sie ist somit die einzige Person, die nur durch Anwendung der Bücker-Therapie ohne Knochenmarkstransplantation von Leukämie geheilt werden konnte. Auch Tommys Oma geht es nach wie vor gut. Mutter hat ihren Herbert, meinen leiblichen Vater, geheiratet und führt nun ein Leben in geregelten Bahnen. Für mich aber, werden Mira und Mirko immer meine eigentlichen Eltern bleiben und wie mein verstorbener Mentor Horst, einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.
Mein Sohn Thomas, denn das ist er für mich tatsächlich wieder geworden - mein Sohn - hat gerade Abitur bestanden. Da ich ihn persönlich das Fahren gelehrt hab, habe ich ihm gestern den Porsche rausgestellt und ihn damit überrascht, dass er uns im Targa mit seiner Moni in den Urlaub folgen darf. Die Beziehung, die die beiden verbindet, ist etwas ganz Besonderes! Eine große Liebe, die in ihrer Not gewachsen ist, ähnlich jener, die Selina und mich wohl für immer verbinden wird.
Tommy ist einen Tag später dran, weil er heute noch beim Notar gewesen ist. Er erhielt dort einen Umschlag mit folgendem Inhalt: Einen Brief von seiner Mutter. Eine Fotografie, die Silvia, mich und ihn auf Mirkos Motorboot in voller Fahrt zeigt, Eine, auf der Silvie, Tom und ich in Miras Küche stehen und Eine, auf der der damals vierjährige Tom und ich mit Rasierschaum im Gesicht in die Kamera lachen.
Thomas bestand darauf, dass ich den Brief lese:
Mein über alles geliebter Tommy!
Mein Herz ist so schwer, weil ich dir in den letzten Jahren nie die Wahrheit über Michael gesagt habe. Ich bitte dich, mir zu vergeben, wenn du die Hintergründe erfahren hast, die ich dir in diesem Brief nahebringen will! Nichts auf dieser Welt, habe ich jemals mehr geliebt, als dich, Tommy und ich fürchte, dass ich deshalb auch den größten Fehler meines Lebens gemacht habe: Ich habe dich belogen! Ich habe Michael verlassen, als er mich am meisten gebraucht hätte, aus Angst davor, dich zu gefährden. Michael hat dich wirklich geliebt, als wärst du sein eigener Sohn und er hätte uns, wie du richtig vermutet hast, niemals verlassen. Er ist absolut unschuldig an unserer Trennung die ich aus Angst um dich herbeiführte und das auch noch, als er im künstlichen Tiefschlaf lag.
Wie du weißt sind wir damals in Kroatien beschattet und fotografiert worden. Michael wurde von einer Organisation, dem Konsortium bedroht, weil er etwas erfunden hatte, dass der Industrie wohl große Verluste gebracht hätte. Da wir beide auch auf dem Foto waren gab er nach und versprach, seine Erfindung nicht zu patentieren, um uns nicht zu gefährden. Er liebte uns wirklich sehr! Eigentlich, hätte nichts passieren dürfen, doch die Killer, die schon beauftragt gewesen waren, ließen sich nicht zurückpfeifen und haben Michael fast totgeschlagen. Auf ganz brutale und gemeine Weise. Er musste mehrmals wiederbelebt werden. Es grenzt an ein Wunder, dass er überlebt hat. Als ich bei ihm im Krankenhaus war, hing er an zahlreichen Geräten und wurde beatmet. Ich hatte furchtbare Angst, das diese Mafia auch dir etwas antun könnte, also verließ ich Michael, den ich bis heute unsterblich liebe. Ich konnte dir nicht erzählen, wie diese Schweine deinen "Papi" zugerichtet hatten. Und ich konnte dir auch nicht erzählen, wie schäbig ich den armen Kerl im Stich ließ, während er noch im Tiefschlaf lag. Ich bereue es bis heute zutiefst, dir den Papi, mir meinen geliebten Michael und ihm seine Familie genommen zu haben. Ich habe mich jeden Tag aufs Neue dafür gehasst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, deren Konsequenz das Ende unseres Glücks war. Ich habe Michael beschuldigt, damit es dir leichter fiele, ihn nicht zu vermissen. Ich hasse mich dafür, euch das angetan zu haben. Bitte verzeih mir, Tommy und bitte sag Michael, dass ich ihn liebte wie am ersten Tag, als ich starb!
Leb wohl mein geliebter Sohn!
Ich hatte nie daran gezweifelt, dass Silvie mich wirklich geliebt hat! Doch vielleicht hatte es das Schicksal so vorgesehen für Selina und mich, die wir heute an der Spitze einer Institution stehen, die mit allen Mitteln verhindert werden sollte. Die heute, knapp sieben Jahre nach Martin Bückers Tod, über die Grenzen Europas hinaus Schule macht und mittlerweile Tausende geheilt oder ihre Pein gelindert hat. Vielleicht hat es ihrer Entscheidung bedurft, uns beide zusammenzuführen, uns für unsere Ziele gemeinsam kämpfen zu lassen. Mittlerweile bieten sechs europäische Automobilhersteller zumindest ein Modell mit Montarantrieb an. Manche sogar die halbe Modellpalette. In vierzig Prozent der Kinderkrankenhäuser Mitteleuropas wird sauberer Strom aus meinen Hauskraftwerken gewonnen und die Ersparnis in die Behandlung der Kinder gesteckt. Auch Tommys große Liebe konnten wir retten. Hätte Silvie mich nicht verlassen, hätte ich Selina nie kennen gelernt, wären wir beide einen anderen Weg gegangen. Ich habe Tommy vor drei Jahren gesagt, seine Mutter hätte damals eine falsche Entscheidung getroffen, deren Konsequenz wir alle Drei tragen mussten. Doch frage ich mich heute: Hat sie das? Hat sie wirklich die falsche Entscheidung getroffen? Oder aber, ist es die Konsequenz ihrer Entscheidung, dass wir zwar nicht Alles, aber Vieles in die richtige Richtung lenken konnten? Dass es für uns nun endlich so aussieht, als nähme Alles den richtigen Weg... ?