Am nächsten Morgen war Riley schon um sieben Uhr in der Küche und schob die ersten Vanilleplätzchen in den Ofen.
Als Eric zwei Stunden später die Treppe heruntergeschlurft kam, standen mehrere Teller mit Backwerk zum Abkühlen und Dekorieren auf der Anrichte verteilt.
»Du bist schon fertig?«, fragte er und zog erstaunt eine Augenbraue hoch. »Wie lange bist du schon auf?«
»Eine ganze Weile. Ich hab nicht besonders gut geschlafen. Irgendwie hab ich schlecht geträumt und mich nur hin und her gewälzt. Da konnte ich genauso gut aufstehen und etwas Sinnvolles machen.«
»Dann geh ich mal die Pferde füttern oder hast du das auch erledigt?« Eric beobachtete Riley, der sich mit Hingabe um die Verzierung der Kekse kümmerte.
»Yep, das war das Erste, das ich gemacht hab. Wenn du helfen willst, dann hol schon mal den Baumschmuck vom Dachboden. Ich bin gleich hier fertig, dann können wir uns um den Baum kümmern. Und anschließend gibt es Frühstück.«
»Gut, dann mach ich das. Sonst heißt es später, ich hätte nix getan. Und Frühstück hört sich gut an. Kannst ja schon mal Kaffee aufsetzen.« Damit verschwand Eric wieder nach oben, um die Kisten mit der Dekoration für die kleine Tanne zu holen. Den ganzen Weihnachtsschmuck hatte Lily ihnen ein paar Tage zuvor vorbeigebracht, damit sie nicht ganz ohne dastanden. Ein geschmückter Baum in der Stube war halt doch schöner.
Als schließlich alle Plätzchen mit Zuckerguss bestrichen und Streuseln verziert waren, ging Riley hinüber zu seinem Mitbewohner, der den Inhalt der Kartons nach passender Dekoration durchsah. Die Kaffeemaschine schnorchelte in der Küche vor sich hin und neben dem Duft von Gebäck, breitete sich jetzt auch Geruch nach frischem Kaffee aus.
»Welche Kugeln willst du? Die blauen und silbernen oder ganz klassisch Rot und Gold?«, fragte Eric, nachdem sie die Lichterkette am Baum befestigt hatten.
»Ich finde das Klassische schöner. Du?« Riley schnappte sich eine dunkelrote Kugel aus einem der Kartons und drehte sie zwischen den Fingern.
Der Blonde stimmte mit einem Lächeln zu und nahm Rye die Kugel aus der Hand, um sie aufzuhängen. »Ich auch.«
So fand eine nach der anderen ihren Platz an den Zweigen.
Riley sah dabei Eric mehr zu, als dass er selbst mithalf. Er verspürte ein zunehmend bedrückendes Gefühl, als ob sich eine Stahlklammer um sein Herz gelegt hätte, die sich immer enger zog. Aber wunderte ihn das wirklich?
Nein!
Es war sein erstes Weihnachtsfest ohne Tyler, das wurde ihm schmerzlich bewusst. Vor einem Jahr hatte Riley noch zusammen mit ihm den Baum in ihrer Londoner Wohnung geschmückt und jetzt …? Vor lauter Arbeit hatte Rye die Gedanken an seinen verstorbenen Freund völlig in den Hintergrund verdrängt. Doch jetzt, in diesem Moment, als Riley vor der fast fertig dekorierten Tanne stand, den Geruch von Plätzchen und Kaffee in der Nase, traf ihn die Erinnerung mit voller Wucht. Er spürte, wie Tränen sich ihren Weg in seine Augen bahnten und gab sich alle Mühe, diese herunterzuschlucken. Die Nägel in seine Handflächen grabend, versuchte Riley den seelischen Schmerz mit dem körperlichen zu überlagern. Und es half tatsächlich – wenn auch nur ein wenig.
»Willst du ihn auf die Baumspitze stecken?«, fragte Eric und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte der Blonde ihn. »Alles in Ordnung?«
»Nein, aber das wird wieder. Es ist nur … ich vermisse Tyler. Es ist seit Jahren das erste Weihnachtsfest ohne ihn. Und wenn ich ehrlich bin, tut es verdammt weh.« Der junge Schwede zwang sich zu einem Lächeln, als er den goldenen Stern aus Erics Händen nahm und diesen auf die Spitze der Tanne steckte. Damit war der Baum komplett.
Während sein Freund begann, den restlichen Raum mit aller Art von Dekoration zu verschönern, inklusive Lichterketten und -bögen an den Fenstern, ging Riley zurück in die Küche, um ein paar Eier mit Speck zu braten. Als schließlich auch das Zimmer festlich dekoriert war, stand alles für das gemeinsame Frühstück auf dem Tisch. Die beiden Jungs setzten sich und Eric, der Rye genau beobachtet hatte, legte eine Hand auf seine und sagte leise: »Ich weiß, dass es dir nicht so wirklich gut geht mit der ganzen Weihnachtssache dieses Jahr, aber wir werden das Beste daraus machen, okay?«
Riley nickte schweigend. Er hoffte, dass das flaue Gefühl in seinem Magen sich im Laufe des Tages verflüchtigen würde. Spätestens am Abend, wenn ihr Besuch da sein würde. Der würde ihn schon auf andere, fröhlichere Gedanken bringen.
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Am späten Nachmittag verließen Lysander und Louis ihr Haus, um sich auf den Weg nach Visby zu machen. Der silberhaarige Vampir war sichtlich nervös. Darum nahm sein Freund ihm den Autoschlüssel aus der Hand, bevor er ihn zur Beifahrerseite des Audi schob.
»Was zum ... Gib mir die Schlüssel wieder«, protestierte Lysander, aber Louis lachte nur.
»Nein! Ich werde fahren. Du setzt dich schön brav daneben. Ich hab nämlich keine Lust, in irgendeinem Graben zu landen, weil du unaufmerksam bist.« Mit einer spielerischen Verbeugung hielt er Lys die Beifahrertür auf und dieser stieg brummend ein.
Louis nahm hinter dem Lenkrad Platz und kurz darauf waren sie unterwegs.
»Bleiben wir über Nacht?« Lysander hielt den Umschlag für Riley in den Händen und drehte diesen ununterbrochen.
Louis seufzte. »Lass das bitte. Steck den Brief in deine Jackentasche. Du machst mich nervös. Und ja, vermutlich werden wir dableiben. Wenn du dir Gedanken wegen der Pferde machst, das hab ich alles organisiert. Leah, die Tochter unseres Nachbarn, schaut heute Abend spät noch mal nach ihnen und sie hält auch den Kamin im Haus am Brennen. Ich hab ihr ne Kleinigkeit dafür gegeben, auch wenn sie es so gemacht hätte. Und wenn wir über Nacht bleiben, dann soll ich ihr ne SMS schicken. Also mach dir keinen Kopf.«
»Falls wir über Nacht bleiben«, murmelte Lysander und schaute aus dem Seitenfenster. Je näher sie dem Haus der beiden Jungs kamen, desto unruhiger wurde er.
Er zuckte zusammen, als Louis hart auf die Bremse trat und das Auto schlitternd zum Stehen kam.
»Mon dieu ... Hörst du jetzt endlich auf damit? Mit deiner Schwarzmalerei! Das ist ja nicht auszuhalten. Riley wird dich bestimmt nicht fressen, weil du bist, was du bist. Also chill mal«, knurrte der dunkelhaarige Stallmeister genervt und drehte sich zu Lysander.
»Woher willst du das wissen?«, erwiderte dieser, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden. »Vielleicht hasst er mich ja, wenn er die Wahrheit erfährt oder hat Angst vor mir.«
»Ich weiß es eben. Ich hab da einfach ein gutes Gefühl. Vertrau mir.« Dass Eric ihm am Mittag seine kurze Unterredung mit Riley vom Vorabend gebeichtet hatte, erwähnte er vorsichtshalber nicht.
»Na, wenn du das sagst ... Können wir jetzt weiterfahren?«
Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln sowie deutlichem Verdrehen der Augen, seufzte der Stallmeister und setzte das Auto wieder in Bewegung. Er hoffte, das Lysanders Bedenken sich schnell in nichts auflösen würden, sobald sie in Visby ankamen und er die Sache mit Riley klären konnte. Das sollte ihn ein Stück weit beruhigen, zumindest so die Theorie. Doch irgendwie wurde Louis das Gefühl nicht los, dass das ganze Spielchen sich noch etwas hinziehen würde. Denn Lysander konnte Rye nicht einfach den Brief in die Hand drücken, nach dem Motto: ›Los, lies das jetzt‹. Es brauchte dafür den rechten Augenblick und dann musste Riley die Zeilen auch erst einmal lesen, was er bestimmt nicht in Gesellschaft würde tun wollen. Aber die richtigen Momente sollten hoffentlich im Laufe des Abends kommen. Louis seufzte leise. Ansonsten würde er eben nachhelfen müssen und mit Eric einen Spaziergang durch Visby machen, damit die anderen zwei ihre Gelegenheit bekamen, vor allem auch, sich auszusprechen.
Alleine!
Soweit der Stallmeister Eric verstanden hatte, hatte Rileys Schwester abgesagt und der Chefin der Jungs war ebenfalls etwas dazwischengekommen. Louis war auch gar nicht böse, dass außer ihm und Lysander kein weiterer Besuch da sein würde. Ganz im Gegenteil. Er freute sich auf etwas Ruhe nach den letzten, sehr nervigen Tagen und auf eine Menge Zweisamkeit mit Eric. Bei dem Gedanken entspannte Louis sich zusehends und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
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»Wie weit bist du?«
Riley, der ganz in Gedanken am Fenster seines Schlafzimmers gestanden hatte, zuckte zusammen. Er drehte sich zu Eric um, der im Türrahmen lehnte und ihn musterte.
»Kannst du nicht klopfen?«, brummte Riley und ging in Boxershorts und Socken hinüber zu seinem Schrank, um sich Hose und Hemd zu holen.
»Das habe ich, aber du warst offensichtlich geistig nich anwesend. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass unsere Gäste da sind.«
Rye ging auf den Kommentar mit der geistigen Abwesenheit gar nicht ein. Er hatte Eric mehrfach gesagt, dass es ihm schwerfiel, die Gedanken an Tyler beiseitezuschieben. Das musste er nicht noch einmal erwähnen.
»Oh, die beiden sind schon da? Wie spät ist es denn?« Riley beantwortete sich die Frage selbst, indem er auf die Uhr auf seinem Schreibtisch schaute. »Ach du Scheiße. Schon so spät. Ich ... bin gleich unten. Okay?«
»Nur keinen Stress. Ich werd‘s wohl schaffen, die zwei bei Laune zu halten, bis der Hausherr kommt.« Eric lachte und wich einem Paar Socken aus, das Rye nach ihm warf.
»Bis gleich.« Damit huschte er aus dem Zimmer.
Wieder alleine, schlüpfte Riley in seine Sachen. So schwer es ihm auch fiel, an diesem Weihnachtsfest nicht immer in seinen trüben Gedanken zu versinken, er musste damit aufhören. Und wenn es nur war, um den anderen nicht die Laune zu vermiesen. Tief durchatmend trat Riley vor die Spiegeltür des Schranks, musterte sich ein letztes Mal kritisch von Kopf bis Fuß und nickte schließlich wohlwollend. Langsam drehte er sich um und schrak heftig zusammen, denn vor ihm stand wie aus dem Nichts Lysander. Auch ihn hatte er nicht hereinkommen hören.
»Wollt ihr eigentlich alle, dass ich an einem Herzinfarkt sterbe? Warum schleicht sich heute jeder an mich ran?«
»Es tut mir leid. Die Tür stand noch offen. Außerdem wollte ich dich überraschen.« Lysander ließ Riley keinen Raum für weitere Proteste, sondern küsste ihn leidenschaftlich und so fordernd, dass dem jungen Schweden fast die Luft wegblieb. Rye schlang die Arme um Lys‘ Nacken und für einen langen Moment vergaßen sie alles um sich herum. Die ganzen negativen Dinge, die die beiden Männer mit sich herumgetragen hatten, schienen nicht mehr zu existieren. Aber nur so lange, wie dieser Kuss andauerte. Nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, kam zumindest bei dem silberhaarigen Vampir das ungute Gefühl zurück. Schnell reichte er Riley den Brief, bevor er es sich noch anders überlegen und vielleicht einen Rückzieher würde machen können.
»Was ist das?« Der junge Schwede zog überrascht eine Augenbraue hoch, bevor er den Umschlag nahm und Anstalten machte, ihn zu öffnen. Doch Lysander legte seine Hand auf Rileys und schüttelte den Kopf.
»Später. Ich ... das, was in dem Brief steht, ist nicht ... ich möchte nicht ...«, stammelte der Unsterbliche herum.
»Meine Güte. Was ist denn los? Ist etwas passiert? Ich erkenne dich ja kaum wieder.«
»Nein, es ist nur ...« Lysander atmete tief durch. »Lies ihn bitte später.«
»Nun gut. Wenn es dir so wichtig ist. Okay.« Riley ließ den Umschlag in seiner Hosentasche verschwinden. »Dann lass uns mal runter zu den anderen gehen. Eric hat was Feines zu essen vorbereitet und ich hab Hunger wie ein Wolf.« Mit diesen Worten nahm er Lysander an der Hand und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach unten.
Dort hatte Louis es sich auf dem Sofa bequem gemacht, vor sich eine Tasse mit dampfendem Glühwein. Eric rotierte noch in der Küche und es duftete bereits wunderbar. Lysander setzte sich neben den dunkelhaarigen Stallmeister, der ihn aufmerksam musterte.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Rye sanft. »Essen dauert noch einen Moment, denke ich.«
»Gib ihm ruhig auch nen Glühwein. Beruhigt die Nerven«, frotzelte Louis.
Riley nickte, während Lys die Augenbrauen zusammenzog und seinem Stallmeister einen vernichtenden Blick zuwarf. Dumme Sprüche brauchte Lysander nun wirklich nicht. Er hatte seinen Teil erfüllt. Jetzt musste das Schicksal bestimmen, wie das Ganze ausgehen würde.
»Ja, so etwas könnte ich jetzt auch brauchen, aber da ich noch nichts außer Frühstück gegessen habe, wäre das fatal. Aber ich hol dir eine Tasse.« Damit ging Rye zu Eric in die offene Küche und schöpfte etwas von dem heißen Getränk aus dem Kessel auf dem Herd in einen Becher und brachte diesen zu Lysander.
Anschließend kehrte Riley in die Küche zurück, holte Teller und Besteck und begann, den Tisch zu decken.
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»Gott, das war köstlich.« Louis schnurrte zufrieden wie eine Katze und streckte die langen Beine vor dem Sofa aus. »Du kannst wirklich gut kochen.«
»Ich weiß«, erwiderte Eric selbstbewusst und stand auf. »Das musste ich zu Hause immer. Ich räum das nur eben weg, dann kommen wir zum gemütlichen Teil des Abends.«
»Ich helf dir.« Louis erhob sich ebenfalls und sammelte, unter Protest von Eric, die Teller nebst Besteck ein. Der Blonde folgte ihm mit den zum Teil leeren Platten und Schüsseln, die vorhin noch gut gefüllt mit dem Weihnachtsschinken, verschiedenen Würstchen und Rippchen sowie Kartoffeln und Rotkohl.
In der Küche stahl sich Eric erst mal einen Kuss von Louis.
»Was denkst du, wie Riley reagieren wird?«, fragte der Stallmeister anschließend und beobachtete die beiden auf dem Sofa. Riley saß eng an Lysander gekuschelt und hin und wieder war ein leises Lachen zu hören.
Eric zuckte mit den Schultern, während er das Geschirr in den Spüler räumte. »Ich weiß es nicht. Er schien gestern sehr relaxt, bei unserem Gespräch. Ich hoffe, das bleibt er auch in Bezug auf Lysander.«
»Ich hoffe es auch. Es wäre fatal, wenn nicht. Lass uns wieder rübergehen. Den Rest räumen wir morgen auf.«
Eric nickte und folgte Louis zurück in die Wohnstube.
Kaum, dass die beiden sich zu Lysander und Riley gesellt hatten, erhob sich dieser. »Ich schau mal eben nach den Pferden und füttere sie auch direkt. Dann haben wir Ruhe und keiner muss mehr in die Kälte.« Er drückte seinem Freund einen Kuss auf die Lippen und ging hinüber in den Flur, um in Jacke und Stiefel zu schlüpfen.
»Soll ich mitkommen?«, fragte Lysander und war im Begriff aufzustehen.
»Nein, ich mach das schnell alleine. Dauert ja nicht lange«, erwiderte Riley mit einem sanften Lächeln, öffnete die Tür und verschwand nach draußen in die Dunkelheit. Einen Moment lang blieb er vor dem Haus stehen und atmete tief durch, bevor er sich auf den Weg hinüber zum Offenstall machte. Bei jedem Schritt spürte er Lysanders Brief in seiner Hosentasche. Bisher war er noch nicht dazu gekommen, diesen zu lesen. Immer war irgendwer in seiner Nähe gewesen. Aber Riley wollte die Zeilen seines Freundes in Ruhe und vor allem alleine lesen.
Er öffnete die Tür des Gebäudes und schlüpfte hinein. Die beiden Nordschwedischen Kaltblüter begrüßten ihn mit leisem Wiehern. Riley nahm die am Mittag vorbereiteten Eimer mit Futter und leerte diese in die Tröge. Anschließend verteilte er das Heu für die Nacht in der großen Raufe, schloss das Tor, das nach draußen auf den Paddock führte, und setzte sich dann auf die beiden übereinandergestapelten Strohballen im Gang. Während er dem Kauen der Pferde und ihrem gelegentlichen Schnauben lauschte, holte er den Umschlag aus seiner Hosentasche. Er strich mit den Fingern darüber, bevor er ihn öffnete und den gefalteten Bogen Papier herauszog. Ein flaues Gefühl breitete sich schlagartig in seinem Magen aus. Warum schrieb Lysander ihm überhaupt einen Brief? Was war es, was der Franzose ihm nicht einfach sagen konnte? Nun, gleich würde er es wissen. Zögerlich und mit zitternden Händen begann Riley, die Zeilen seines Freundes zu lesen.
Mon Coeur,
wie Du ja bereits gemerkt hast, habe ich mich in den letzten Tagen etwas von Dir distanziert, was mir unendlich leidtut. Dafür gibt es allerdings auch einen Grund, der aber für mich nicht so leicht zu erklären ist. Über eines sei Dir gewiss: Es hat nichts mit Dir zu tun. Dich trifft keinerlei Schuld an meinem seltsamen Verhalten. Es bin alleine ich, der dafür verantwortlich ist, oder vielmehr das, was ich bin, macht alles unnötig kompliziert. Ich wünschte, ich würde dich besser kennen und könnte dich besser einschätzen. An was Du so glaubst und was Dich eventuell verschrecken würde. Damit wäre das hier wesentlich einfacher. Aber ... ich rede um den heißen Brei herum.
Louis meinte, ich muss mit offenen Karten spielen - wenn das doch nur nicht so verdammt schwer wäre. Ich bin ehrlich: Ich habe Angst, dass Du es nicht verstehst und ich Dich verliere, aber … Louis hat recht. Offenheit und Ehrlichkeit sind wichtig und darum sage ich Dir jetzt frei heraus, was meine Bürde ist …
Wenn Du mich ansiehst, dann siehst Du einen jungen Mann Mitte zwanzig, aber der jugendliche Schein trügt, denn ich bin viel älter.
Ich wurde am 21. Februar 1866 geboren und bin demnach 148 Jahre alt. Du wirst dich jetzt fragen, wie das sein kann und mich womöglich für verrückt erklären, aber es ist die Wahrheit. Das ist so, weil ich ein Vampir bin.
Ja, uns gibt es wirklich. Wenn auch anders als in den zahlreichen Filmen. Wir sind keine blutrünstigen Bestien - zumindest nicht alle. Ausnahmen gibt es immer.
So, jetzt ist es raus, Chéri. Ich hoffe, meine Ehrlichkeit war kein Fehler, denn wie ich schon schrieb, möchte ich Dich nicht verlieren.
Lysander
Riley ließ die Hände sinken und atmete lautstark aus. Fassungslos und kreidebleich um die Nase, starrte er auf das Papier in seinen Fingern.