Es war schon nach Mitternacht, als Riley aus dem Schlaf hochfuhr. Irritiert schaute er sich im Halbdunkel des Zimmers um, bis sein Blick auf Lysander fiel, der am Fenster stand.
»Was machst du da?« , fragte Rye und schwang sich aus dem Bett. Sein Rücken knackte vernehmlich, als er sich streckte.
»Ich schaue hinaus« , erwiderte Lys, ohne den Blick vom Tanz der Flocken vor der Scheibe abzuwenden.
»Ach? Wirklich?« Riley trat hinter ihn, boxte ihm leicht gegen die Schulter, bevor er sich an seinen Rücken lehnte und das Gesicht in Lysanders Nacken vergrub.
Der Vampir lachte leise. »Tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen. Vielleicht sollte ich das Treffen mit Monsieur Dupont absagen. Es geht ja um nichts wirklich Wichtiges. Er will mir nur ein paar seiner Pferde zeigen. Du weißt ja, ich suche noch eins. Aber bei dem Wetter?«
»Ich fände es schon interessant, mir seine Tiere anzusehen und wer weiß, vielleicht hat es nachher ja auch aufgehört zu schneien. Lass uns einfach mal abwarten und falls sich das Wetter nicht bessert, dann rufst du ihn eben an und sagst ihm ab. Dafür wird er wohl Verständnis haben, oder?«
Lysander musste schmunzeln. Dass sein kleiner Pferdefreak sich natürlich für die edlen Tiere interessierte, war ihm schon klar gewesen, bevor er das Thema angesprochen hatte, aber ...
Der Unsterbliche sah in den grau-verhangenen Himmel und seufzte. »Vielleicht hast du recht. Bis mittags ist es noch eine Weile hin und dann sieht es eventuell ganz anders aus. Warten wir also ab.«
»Gut, und falls du absagen musst, dann können wir stattdessen abends über den Weihnachtsmarkt gehen und ...«
»... morgen früh zurückfliegen« , vollendete Lysander Rileys Satz.
»Nun, dagegen hab ich sowieso nichts einzuwenden. Es ist zwar toll hier, aber ich bin auch froh, wenn wir wieder zu Hause sind.«
Der Vampir nickte. »Ich denke auch, wir können besser im Frühjahr wieder herkommen. Und jetzt legen wir uns noch ein wenig hin, in Ordnung?«
Mit einem Seufzen löste Riley sich von Lysander, ergriff aber dessen Hand und zog ihn zurück Richtung Bett. »Ja, lass uns weiterschlafen.«
Am frühen Vormittag, nach einem ausgiebigen Frühstück, rief der Unsterbliche in der Rezeption an und gab in Auftrag, dass man ihnen ein Taxi bestellen sollte.
Das Wetter war tatsächlich aufgeklart, es schneite nicht mehr und sogar die Sonne ließ sich blicken. Dem Besuch auf dem Gestüt stand also nichts im Wege.
»Meinst du wir schaffen es, heute einen Flug zu kriegen?«
Riley linste aus der Badezimmertür und musterte Lysander, der schon mal in seine dicke Jacke schlüpfte und sich einen Schal um den Hals schlang.
»Na, das werden wir sehen, wenn wir mit der Besichtigung der Pferde fertig sind. Falls nicht, kommst du noch auf deinen Weihnachtsmarkt. Ist doch auch etwas« , erwiderte der Unsterbliche schmunzelnd und wandte den Blick seinem Freund zu, der nun, wie Gott ihn geschaffen hatte, aus dem Bad kam. »Wenn du dir allerdings nicht sofort etwas anziehst, dann kommen wir nicht mal dazu, die Pferde anzuschauen.«
»Du bist unmöglich« , gab Riley kichernd zurück und schlüpfte geschwind in seine Sachen. »Es gibt keinen Sex, Monsieur Moreau. Davon hattet Ihr schon genug heute.«
»Ach ja?« , schnurrte der Unsterbliche, trat hinter seinen dunkelhaarigen Freund und legte die Arme um dessen Taille. »Ganz sicher, dass es genug war?«
»Oh ja, absolut.« Mit diesen Worten befreite Riley sich aus der Umarmung und drehte sich um. Er zog eine Augenbraue hoch und machte ein betont ernstes Gesicht. »Wir haben einen Termin und den werden wir wahrnehmen. Keine Zeit für Schweinkram.«
»Schweinkram?« Lysander starrte Rye einen Moment gespielt entrüstet an, bevor er in Gelächter ausbrach. »So nennst du das also? Gut zu wissen. Nun denn, dann lass uns hier verschwinden. Das Gepäck lassen wir direkt nach Gotland schicken, dann brauchen wir uns darüber keine Gedanken mehr zu machen.«
»Und wenn wir doch noch bis morgen bleiben müssen?«
»Steck dir eine deiner Boxershorts in den Rucksack. Dann weißt du wenigstens, wofür du das Teil mitgeschleppt hast.«
»Das weiß ich auch so. Da sind meine persönlichen Dinge drin. Ich stopfe mir eben nicht alles in die Jacken- oder Hosentaschen« , erwiderte Rye und verzog die Lippen zu einem Schmollmund.
Lysander machte einen Schritt auf seinen Freund zu und küsste ihn sanft. »Lass das.«
»Was mach ich denn?« , grinste sein Gegenüber. Der junge Mann wusste genau, was der Unsterbliche meinte. Der konnte Rileys Lippen nur schwerlich widerstehen.
»Raus jetzt hier.« Damit öffnete Lysander die Tür der Suite und schob den anderen in den Flur. »Das Taxi wartet bestimmt schon.«
Nach knapp anderthalb Stunden Fahrt erreichten die beiden Männer das Gestüt von Lysanders Geschäftspartner, weit vor den Toren von Paris.
»Was für eine Pferderasse züchtet Monsieur Dupont eigentlich?« , fragte Rye und sah aus dem Fenster, während das Taxi langsam eine lange, von alten Bäumen gesäumte Chaussée entlang fuhr, die zwischen weitläufigen Koppeln hindurchführte und auf dem Vorplatz eines alten, grauen Herrenhauses endete. Rechts und links davon befanden sich, in einigem Abstand zu diesem, weitere Gebäude, aus denen der eine oder andere neugierige Pferdekopf hervorschaute.
»In der Hauptsache Anglo Araber, aber er hat auch eine kleine, feine Zucht von Andalusiern und deswegen sind wir hier« , beantwortete der Unsterbliche die Frage.
»Diese spanischen Pferde sind eine Leidenschaft von dir, nicht wahr?«
»Ich muss gestehen, dass ich sie sehr mag, ja. Sie sind edel, temperamentvoll, aber auch sanft. Eine der schönsten Pferderassen, wie ich finde« , erwiderte Lysander, »ich besitze nicht ohne Grund bereits zwei davon.«
Das Taxi hatte mittlerweile vor dem Herrenhaus angehalten und die Männer stiegen aus. Fast im selben Moment öffnete sich die Tür des Gebäudes und ein dunkelhaariger Mann, den Riley auf Ende dreißig schätzte, kam die wenigen Stufen herunter und begrüßte Lysander mit einer herzlichen Umarmung.
Riley, der sich mit fremden Menschen immer etwas schwertat, beobachtete das Ganze. Schließlich wandten die zwei sich Rye zu und Lysander stellte die beiden einander vor.
Schwarze Augen musterten den jungen Schweden, als Pierre Dupont ihm die Hand reichte. Rileys Nackenhaare stellten sich auf, als sich ihre Finger berührten und sofort entzog er seine Hand dem ungewöhnlich eisigen Griff des Gestütsbesitzers wieder, welcher ihn mit seinen Blicken abcheckte, als sei er eines seiner Verkaufspferde. Oder war das nicht eher der Blick eines Raubtieres, das seine Beute fixierte? Dieser Mann war dem jungen Schweden nicht geheuer. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Instinktiv trat Riley näher an Lysander heran und versuchte diesen zwischen sich und Dupont zu halten.
»Alles in Ordnung?« , fragte der Unsterbliche leise, als sie die geräumige Stallanlage betraten. Sein Geschäftspartner hatte sie kurz alleine gelassen, um seinen Stallmeister anzuweisen, die beiden Pferde, die für Lysander vorgesehen waren, zu holen.
»Ich weiß nicht. Dieser Mann ist mir unheimlich« , antwortete Rye wahrheitsgemäß. Im selben Augenblick jedoch kam er sich albern vor. Was sollte Lysander von ihm denken, wenn er sich so kindisch benahm? Aber der Blick des Unsterblichen zeigte keinerlei Unverständnis. Im Gegenteil.
»Ich weiß, er wirkt ... seltsam, wenn man ihn nicht kennt. Aber keine Sorge, ich passe auf dich auf.«
»Okay« , gab Riley knapp zurück. Er konnte sich dieses unwohle Gefühl nicht erklären, aber es war da und er würde sich von diesem Mann so weit wie möglich fernhalten.
Doch schon kurz darauf wurde Rye von seinen negativen Gedanken abgelenkt, als der Stallmeister Duponts die Pferde brachte und vorführte. Selbst als Lysander die Tiere ein paar Minuten Probe ritt und Riley mit dem Gestütsbesitzer alleine auf der Tribüne zurückblieb, kehrte das seltsame Gefühl der Unruhe nicht zurück. Zu groß war die Faszination für die wunderschönen Tiere. Und als Rye sich schließlich selbst in den Sattel schwingen durfte, weil Lysander unbedingt seine Meinung wissen wollte, war alles andere nebensächlich geworden.
Nachdem sie die Pferde auf Herz und Nieren geprüft und Riley Lysander seine Meinung zu den Tieren kundgetan hatte, zog der Unsterbliche sich mit seinem Geschäftspartner in dessen Büro zurück, um über den Preis zu verhandeln. Währenddessen spazierte Riley ein wenig durch den Stall, um sich alles genauer anzusehen.
Nicht allzu lange danach kehrten die anderen beiden aus dem Büro zurück. Pierre Dupont brachte seine Gäste zu ihrem Taxi und verabschiedete sich dann ebenso überschwänglich von Lysander wie er ihn begrüßt hatte. Riley reichte er die Hand zum Abschied, was diesem auch mehr als genug war. Er war erleichtert, als er mit Lys endlich im Taxi saß und sie auf dem Weg waren – fort von diesem unheimlichen Mann.
»Und?« , wollte Rye wissen, als sie von der Chaussée auf die Landstraße abbogen, »Welches Pferd hast du genommen?«
»Den Rappen. Allerdings bekomme ich ihn erst nach dem Winter. Schwedische Temperaturen kennt er nicht und das Risiko, dass er krank wird, will keiner von uns eingehen.«
»Gute Wahl. Und ja, das würde ich auch so machen. Jetzt bin ich allerdings froh, dass wir da weg sind. Ich ...«
»Ja, ich weiß, du möchtest nach Hause« , unterbrach Lysander ihn schmunzelnd. »Pierre hatte zwar gefragt, ob wir noch zum Essen bleiben würden, aber da ich weiß, dass du dich in seiner Gegenwart nicht wirklich wohlfühlst, habe ich abgelehnt. Ich habe gesagt, dass wir noch heute nach Gotland fliegen wollen. Und er hat uns sein Privatflugzeug angeboten, damit das auch wirklich klappt.«
»Wow, das ist toll. Ihr kennt euch gut, hm?«
»Nein, gut wäre das falsche Wort. Aber wir kennen uns schon eine lange Zeit. Ich werde Louis jetzt Bescheid geben, dass wir heute am späten Abend zu Hause sein werden« , fuhr Lysander fort, nahm sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer seines Stallmeisters.
_
In Visby wurde Eric erst am späten Nachmittag wach. Der junge Mann streckte sich und stöhnte leise auf. Irgendwie fühlte er sich schlapp ... krank. So, als ob er eine Erkältung ausbrüten würde. Auch seine Gelenke schmerzten. Er ließ seine Hand zur anderen Seite des Bettes wandern. Diese allerdings war leer, das Laken kalt. Mit einem Ruck setzte der junge Mann sich auf, was ihm ein Stechen im Kopf bescherte, und schwang dann vorsichtig die Beine über die Bettkante. Dort blieb er einen Moment sitzen, rieb sich über das Gesicht und lauschte. Wo war Louis und wieso war er, Eric, überhaupt hier oben in seinem Zimmer? Soweit er sich erinnern konnte, war er unten auf dem Sofa eingeschlafen. Langsam rutschte er von der Matratze und ging hinüber zu seinem Schrank. Eric nahm sich eine Jogginghose heraus sowie einen dicken Pullover und Socken und machte sich auf den Weg ins Bad. Er wollte erst einmal ins heiße Wasser, bevor er nach unten gehen und nach Louis schauen würde. Der war anscheinend noch da, denn Eric hatte Töpfe klappern gehört.
Trotz seiner Schmerzen musste der Blonde schmunzeln, wenn er an die vergangene Nacht zurückdachte. Der Franzose war eine verdammt heiße Nummer und brachte Eric um sein letztes bisschen Verstand. Dass Louis ein Vampir war, hatte den Blonden zwar im ersten Moment verwirrt und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch ein wenig geschockt, aber trotzdem fühlte Eric sich wie magisch von dem Anderen angezogen und war mehr als bereit, das Risiko, das eine Verbindung zu so einem Wesen unweigerlich mit sich brachte, einzugehen.
Eric ließ sich in die Wanne sinken und schloss die Augen. Seine Gedanken kreisten wieder um dieselben Fragen, die er sich stellte, seit er wusste, was Louis war, und die ihm keine Ruhe ließen: War Lysander wie sein Stallmeister ebenfalls ein bluttrinkendes Geschöpf der Nacht? Und wenn ja, wusste Riley davon? Vielleicht sollte er, Eric, Louis einfach danach fragen.
So in seinen Überlegungen versunken, zuckte der Blonde zusammen, als es klopfte.
»Ja? Komm rein.«
Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür und Louis betrat den Raum. »Hier steckst du. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil du immer noch nicht unten warst. Alles gut bei dir? Du meintest heute Morgen, dir sei schwindelig und du warst auch irgendwie heiß. Und dann bist du wieder eingeschlafen und hast den ganzen Tag verpennt.«
»So so, heiß war ich?« Eric grinste den anderen Mann frech an.
»Na fiebrig ... irgendwie. Heiß zu sein, wie du es hier interpretierst, wäre kein Grund zur Sorge.« Schmunzelnd setzte der Stallmeister sich auf den Wannenrand und ließ den Finger leicht durch das Wasser gleiten.
»Hmm, ja, irgendwie fühl ich mich immer noch schlapp. Als ob da ne Erkältung im Anmarsch ist. Na ja, wenn nix geht, muss ich mich eben krankmelden.«
Louis nickte. »Ich mach deinen Job schon mit, keine Sorge. Übrigens hat Lysander sich vorhin gemeldet. Er und Riley fliegen heute noch zurück.«
»Gut, dann ist ja bald alles wieder beim Alten. Gehst du sie abholen?«
»Nein, Lysander will sich ein Taxi nehmen. Wir haben also noch ein wenig Zeit alleine, bevor wieder alles beim Alten ist.«
Eric, der den Unterton in Louis‘ Antwort genau herausgehört hatte, sah diesen an und strich ihm über den Handrücken. »So hab ich das nicht gemeint. Ich bin froh, dass du hier bist und das weißt du.«
»Das will ich auch hoffen. Sonst bin ich echt beleidigt.« Der Stallmeister versuchte ernst zu bleiben, aber seine Mundwinkel zuckten. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Eric seine Nähe genauso genoss wie er die seine, aber er verstand auch, dass der sein normales Leben wiederhaben wollte und in dem wohnten sie nun einmal nicht zusammen. Langsam erhob sich Louis vom Badewannenrand und fing an, sich langsam zu entkleiden.
Erics grüne Augen folgten jeder seiner Bewegungen. »Was hast du vor?«
»Ich möchte noch etwas ungestörte Zweisamkeit mit dir genießen, bevor der Alltag wieder einkehrt.« Mit diesen Worten stieg er zu dem Blonden in die Wanne.
Louis schob ihn ein Stück nach vorne, setzte sich hinter ihn und zog ihn dann zwischen seine Beine. Mit einem zufriedenen Brummen schmiegte Eric sich an seine Brust und schloss die Augen.