Riley sah dem davonfahrenden Gespann hinterher, bis dieses aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Das ganze Theater hatte ihn ordentlich Nerven gekostet und jetzt wo die Anspannung nachließ, merkte er, dass seine Beine sich wie Pudding anfühlten.
Aber auch Lysander spürte, dass es Riley nicht wirklich gut ging. Der Unsterbliche trat hinter den jungen Mann, legte die Arme um ihn und den Kopf auf seine Schulter.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er leise.
»Nein, aber das wird wieder. Hätte ich gewusst, dass er ... Wäre ich auf ihn vorbereitet gewesen, wäre es nicht ... Das Ganze hat mich einfach eiskalt erwischt. Ich habe nicht mit ihm gerechnet.«
Lysander konnte das leichte Zittern spüren, das Rileys Körper erfasst hatte und minütlich schlimmer zu werden schien. »Es ist alles gut, Baby, er wird dir nicht mehr zu nahe kommen. Dafür sorge ich. Versprochen.«
Rye merkte wie die Tränen versuchten, sich wieder ihren Weg nach oben zu bahnen, aber auch dieses Mal kämpfte er dagegen an. Selbst jetzt wollte er seinem Vater diesen Triumph nicht gönnen, auch wenn Tim es nicht sehen konnte. Der junge Mann zog die Nase hoch, bevor er sich in Lysanders Umarmung umdrehte und ihm in die Augen schaute. »Ich danke dir.«
Der Vampir schmunzelte. »Nicht dafür, chéri.«
»Sorry, wenn ich euch störe, aber ich muss mich jetzt verabschieden, denn ich hab noch ein paar Dinge zu erledigen. Flame nehme ich mit zum Stall, ist ja ein Weg. Wo die Gastpferde hinkommen, wisst ihr ja.«
Riley löste sich aus Lysanders Armen und nickte Johanna zu. »Aber ja, wir machen das schon. Ich kann mich aber auch um Flame ...«
»Nein, ich mach das. Beruhige du dich noch einen Moment. Es tut mir übrigens leid. Mir ist nicht eine Sekunde lang in den Sinn gekommen, dass dieser Mensch mit dir verwandt sein könnte«, unterbrach seine Chefin ihn.
»Na ja, so selten ist der Name Andersson ja nicht, dass man da sofort schlussfolgern könnte, dass Verwandtschaft besteht. Mach dir mal keinen Kopf. Und außerdem, was hättest du tun wollen? Er hatte sich ja wohl schon vor einiger Zeit hier eingebucht, da gab es mich noch nicht in diesem Stall. Nicht mal auf der Insel war ich. Also, vergiss es.«
Johanna lächelte sanft. »Da hast du wiederum recht. Trotzdem! Was auch immer zwischen euch vorgefallen ist, das hier hätte ich dir gerne erspart. Nun gut, ich verschwinde dann mal.«
»Ah, Ms Svensson, kann ich Sie noch kurz sprechen, bevor Sie uns verlassen?«
Erstaunt musterte Johanna Lysander, bevor sie nickte. »Aber natürlich.«
»Gut. Riley, würdest du mein Pferd schon mal in den Stall bringen? Es dauert nur einen Moment und dann komme ich sofort zu dir. Mit dir muss ich auch noch etwas bereden. Aber zuerst die Dame.«
»Klar, mach ich. Dann ... bis gleich«, erwiderte der junge Mann ein wenig verwirrt. Was mochte Lysander wollen?
Riley ging hinüber zu dem Transporter, wo der schneeweiße Hengst des Unsterblichen vor sich hin döste.
»Er heißt übrigens Blue Velvet«, rief Lysander Rye hinterher, der, zur Bestätigung, dass er ihn verstanden hatte, nur kurz die Hand hob.
Das Pferd schnaubte, als der junge Mann neben ihm stehen blieb und über das dichte, schneeweiße Fell strich.
»Na, mein Hübscher. Einen schönen Namen hast du. Dabei bist du gar nicht blau. Aber dein Fell fühlt sich an wie Samt«, sprach er leise mit dem Schimmel, band ihn los und machte sich mit dem Tier auf den Weg zum Stallgebäude. »Dann komm mal mit. Ich hab ‘ne tolle, große Box für dich. Und morgen kannst du mit deinem Kumpel den ganzen Tag in den Auslauf.«
Riley brachte den Hengst in eine der Boxen, die sie am Tag zuvor in dem kleinen Nebentrakt in Ordnung gebracht hatten. Diese waren wesentlich geräumiger als die im Hauptgebäude, da der Stall ursprünglich für Zuchtstuten nebst Fohlen gedacht gewesen war.
Nachdem Rye dem Schimmel Halfter und Transportgamaschen abgenommen hatte, schloss er die halbhohe Türe und lehnte sich darauf, um das Tier noch einen Moment zu beobachten. Trotz der fremden Umgebung und der Tatsache, dass sein Pferdekumpel nicht da war, war der Hengst ausgesprochen relaxt, worüber der junge Mann froh war, denn auf noch ein nervöses Pferd hatte er keine Lust.
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»Gut, dann ist das geklärt und ich kann Riley von meiner Idee berichten. Ich hoffe, er ist genauso begeistert davon.«
»Ach klar, warum sollte er denn nicht? Ich denke, es schadet nicht, wenn er ein paar Tage abschalten kann. Er hat, seit er hier ist, ja doch schon einiges mitgemacht. Und davor hatte er es ja auch nicht gerade leicht«, erwiderte Johanna und reichte Lysander die Hand.
»Hmm, ja. Gut, dann werde ich ihn mal fragen, was er davon hält und wenn er einverstanden ist, werde ich meinen Stallmeister aufklären. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Ms Svensson.«
Die Stallchefin verabschiedete sich nun endgültig und verschwand mit Flame in Richtung des Hauptgebäudes, während der Unsterbliche sich umdrehte und sich auf den Weg zu Riley machte.
Der beobachtete noch immer Blue Velvet, der die Nase in einem riesigen Berg Heu vergraben hatte. Das leise Kauen und gelegentliche entspannte Schnauben des Pferdes hatte eine beruhigende Wirkung auf den jungen Mann. Das Knarren der Stalltüre ließ ihn leicht zusammenzucken, aber er rührte sich nicht von der Stelle, drehte sich nicht einmal um.
»Alles in Ordnung mit euch beiden?« Lysander war hinter ihn getreten und das Kitzeln seines Atems in Rileys Nacken ließ diesen erschaudern.
»Ja, alles okay. Er war brav. Ist sowieso ein sehr ausgeglichenes Tier, wie mir scheint. Hast du alles mit Johanna klären können?«, erwiderte der junge Mann leise.
»Blue ist schon immer sehr relaxt gewesen. Für einen Hengst ist er sehr umgänglich und artig. Und ja, mit deiner Chefin ist alles geklärt. Jetzt musst nur noch du zusagen.«
Langsam drehte Riley sich um. »Ich? Zusagen? Jetzt bin ich aber neugierig.«
Lysander legte die Arme um den Anderen und um seine Mundwinkel zuckte es. »Nun, ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Louis, weil dieser partout nicht mit mir nach Frankreich fahren will. Ich denke, er möchte lieber in Erics Nähe bleiben. Aber wie auch immer. Ich habe jedenfalls keine Lust, mir ununterbrochen sein Genörgel anzuhören, auch wenn es nur vier Tage sind, und darum habe ich mir etwas überlegt. Was hältst du davon, wenn du mit mir fährst, während Louis hierbleibt und dich so lange in deinem Job vertritt? Johanna ist damit einverstanden, wenn du es auch bist. Also? Was sagst du?«
Einen Moment lang verschlug es Riley die Sprache. Lysander wollte ihn mit nach Frankreich nehmen? Hatte er das richtig verstanden? »Bist du sicher, dass du das willst?«
Der Vampir lachte leise und zog den jungen Mann näher an sich. »Aber natürlich bin ich mir sicher. Hätte ich es sonst vorgeschlagen? Wenn du allerdings nicht willst ...«
»Ach Quatsch!«, unterbrach Rye ihn und schlang die Arme um Lys’ Nacken, »Natürlich will ich mit dir kommen. Ich war nur ... das musste ich erst mal verdauen. Wann fahren wir?«
»Sobald ich Louis die gute Nachricht überbracht habe. Also sobald die beiden wieder hier sind. Dann fahren wir hoch zu eurem Haus, damit du ein paar Sachen packen kannst und anschließend machen wir uns auf den Weg. Wir müssen rüber aufs Festland, von da geht unser Flug nach Paris. Ich hab’s zwar nicht so mit dem Fliegen, aber mit dem Auto wären wir zu lange unterwegs. Selbst wenn wir uns mit dem Fahren abwechseln würden, die Strecke an sich ist einfach zu lang. Wir müssten irgendwo übernachten und das ... Nein, da genieße ich lieber die Zeit mit dir in Frankreich.«
»Okay!« Riley schmunzelte. »Und du bist sicher, dass Louis zu dem Ganzen ja sagt?«
Lysander nickte lächelnd und küsste den jungen Mann auf die Stirn. »Das wird er, keine Sorge.«
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Zur selben Zeit hatten Eric und Louis es endlich geschafft, den Friesenhengst einzufangen und machten sich im Schritt wieder auf den Rückweg. Nach ein paar Minuten brach der Blonde das Schweigen, das, bis auf ein paar kurze Momente, die ganze Zeit über zwischen ihnen geherrscht hatte. »Warum hast du dich eigentlich nicht mal bei mir gemeldet?«
Louis wandte seinen Blick Eric zu. »Was soll ich dazu sagen?«
»Na, wie wäre es einfach mit der Wahrheit?«, brummte der Blonde und nahm Zeus’ Strick kürzer. Der Hengst lief brav neben seinem Fjord-Freund her, als wäre nichts gewesen.
»Ich mag dich, aber ich bin nicht sicher, ob das reicht. Ich möchte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Etwas von mir erwartest, das ich nicht halten kann. Ich möchte niemanden verletzen.«
Eric lachte leise auf. »Weißt du, Louis, keine Ahnung, was du dir einbildest, aber ich bin nicht scharf darauf, eine Beziehung mit dir einzugehen. Das Ganze war ein netter One-Night-Stand, mehr nicht. Und dass ich deswegen heule wie ein kleines Mädchen, das wird nicht passieren. Es gibt noch andere Mütter mit schönen Söhnen. Also nimm dich mal nicht so wichtig.« Mit diesen Worten trieb er den Wallach an und trabte mit den beiden Pferden davon. Louis sah ihm einen Moment völlig perplex hinterher, bevor er sein Tier in einen leichten Trab fallen ließ.
»Freches kleines Frettchen«, knurrte er, musste aber grinsen. Er hatte deutlich spüren können, dass das, was Eric gesagt hatte und das, was er fühlte, vollkommen verschiedene Dinge waren. Aber wenn es ihm half, damit klar zu kommen, sollte er sich ruhig einreden, dass es ihm egal war. Diese Reaktion von Eric hatte allerdings irgendetwas in Louis ausgelöst. Die Antwort des jungen Mannes hatte dem Stallmeister einen Stich versetzt und ein seltsames Gefühl in seinem Magen erzeugt, das er sich nicht erklären konnte und das ihn verwirrte. Etwas sagte ihm, dass es das nicht gewesen sein konnte. Dass da noch mehr war, sowohl bei ihm als auch bei Eric. Louis trieb sein Pferd vorwärts und folgte dem anderen im leichten Galopp.
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Eine gute Viertelstunde später erreichten sie zusammen den Hof und saßen ab.
Johanna kam aus dem Haus gelaufen, als sie die Hufschläge der Pferde hörte. »Alles okay mit Zeus?«
»Aber ja. Der hat sich mal richtig ausgetobt.« Eric musste lachen, als er an die rodeoreifen Bocksprünge des behäbigen Friesen dachte. Niemals hätte er geglaubt, dass ein Pferd dieser Rasse solch eine Energie besaß und so buckeln konnte. Dass Friesen schnell waren, das wusste er, aber so aufgedreht hatte er noch keinen gesehen. Vielleicht war dieser Hengst auch einfach nicht ausgelastet. Dem Rappen den Hals kraulend, fuhr Eric fort: »Dann sollten wir die Tiere mal versorgen. Ab morgen können sie den ganzen Tag raus, dann wird Zeus wohl ausgeglichener werden.«
»Ich denke auch«, erwiderte Johanna und sah zum alten Stallgebäude hinüber, das Riley und Lysander in dem Moment verließen, um zu ihnen zu kommen.
Rye blieb vor dem Friesen stehen und streichelte ihm über die samtene Nase. Der junge Mann hatte mitbekommen, was Eric gesagt hatte und setzte da an. »Weißt du, diese Reaktion von Zeus wundert mich nicht wirklich. Mein Vater ist extrem herrisch und Pferde sind ja nun mal sehr feinfühlig. Und seine Ausstrahlung macht die Tiere nervös.« Riley nahm seinem Kollegen den Führstrick des Hengstes aus der Hand. »Dann komm mal mit Dicker. Und du ...«, er zwinkerte Lysander zu, »... hast glaube ich noch was zu klären.«
Schmunzelnd nickte der Vampir und wandte sich dann an Louis, der mit einem Mal ein seltsames Gefühl im Magen hatte, das diesmal nicht auf Eric zurückzuführen war.
»Nun. Da du ja so vehement dagegen bist, mit mir nach Frankreich zu fahren, habe ich mir eine Lösung für das Problem überlegt«, begann Lysander und musterte seinen Stallmeister ernst.
Dieser legte den Kopf schief und fixierte den Unsterblichen mit seinem Blick. »Und? Was ist dir denn Schlaues eingefallen? Mach es nicht so spannend.«
»Ganz einfach. Ich werde Riley mitnehmen und du wirst hierbleiben und seinen Job so lange übernehmen. Ms Svensson ist einverstanden.«
Eine Augenbraue hebend, starrte Louis seinen Freund an, dann fing er an zu grinsen. »Schlau! Aber gut, mit dieser Lösung bin ich mehr als einverstanden.«
»Ich habe nichts anderes erwartet. Du kannst, wenn Eric nichts dagegen hat, in Rileys Zimmer im Haus der beiden wohnen. Ansonsten gibt es ja hier am Stall noch Unterkünfte, wo du übernachten kannst.« Lysander wandte sich dem blonden jungen Mann zu, der mit Foxfire neben Louis stand und das Gespräch überrascht mitverfolgt hatte. »Was sagst du dazu, Eric? Kannst du meinen Stallmeister ein paar Tage ertragen?« Der Angesprochene musterte erst Lysander und dann Louis, bevor er nickte. »Ja, ich denke, das geht in Ordnung.«
»Gut.« Der Vampir wandte sich wieder an seinen Stallmeister: »Dann nehme ich deine Reisetasche mit zum Haus, wenn Riley und ich hochfahren, um seine Sachen zu packen.«
Tief durchatmend erwiderte Louis: »Alles klar, dann mach das.«
Der Unsterbliche zwinkerte ihm zu und folgte dann Riley, der sich mit Zeus schon in Richtung Stall aufgemacht hatte.
»Ist es wirklich für dich okay? Es sind zwar nur vier Tage, aber ... Ich kann Monsieur Dubois auch hier unterbringen.« Johanna musterte Eric.
»Nein! Nein, das ist in Ordnung. Ich werde es wohl überleben, ihn so nah bei mir zu haben«, antwortete der junge Mann schmunzelnd und knuffte Louis in die Seite, »lass uns die Pferde wegbringen.«
»Jawoll, Chef.« Grinsend salutierte der Franzose und fing sich dafür noch einen Knuff ein.
»Spinner!«, knurrte Eric, musste sich aber das Lachen verkneifen, »Komm jetzt.«
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Am frühen Abend war die Maschine auf dem Charles de Gaulle-Flughafen in Paris gelandet und nun saßen Lysander und Riley in einem Taxi, das sie zum Hotel Saint James Paris bringen sollte. Der junge Schwede hatte sich auf dem Sitz etwas nach vorne gelehnt und schaute neugierig aus dem Seitenfenster, was den Vampir schmunzeln ließ. Er schob die Hand unter Ryes Pullover und ließ die Finger sanft über die Wirbelsäule des Anderen wandern, was diesem eine Gänsehaut bescherte.
Er drehte, mit einem kurzen Blick auf den Fahrer, den Kopf und grinste. »Was wird das?«, fragte er leise.
Doch statt einer Antwort schnurrte Lysander nur und strich weiter über Rileys Haut.
»Du bist echt schlimm«, kicherte der und wandte sich wieder dem Autofenster zu. Er war noch nie in Paris gewesen. Tyler und er hatten es vorgehabt, aber daraus war nie etwas geworden. Der Gedanke ließ Riley leise seufzen.
»Alles in Ordnung, Chéri?« Lysander hatte sich zu ihm herübergebeugt und strich mit seinen Lippen sanft über Ryes Nacken.
»Hmm, ja, alles okay. Ich musste nur daran denken, dass Tyler und ich immer wieder davon gesprochen hatten, hier Urlaub zu machen. Das hat mich gerade eingeholt. Verzeih’.«
»Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen. Ich kann mir vorstellen, dass das schwer für dich ist.« Sanft legte der Unsterbliche einen Arm um den jungen Mann.
»Ja, das ist es. Das, was mit Ty passiert ist, ist einfach noch zu frisch. Ist ja noch nicht mal ein Jahr her, dass er ... jedenfalls danke ich dir für dein Verständnis. Du bist ein Schatz«, erwiderte Riley leise, lehnte sich an Lysander und atmete tief durch.