Obgleich entschlossen, es auf alles Mögliche ankommen zu lassen, was geschehen mochte, zuckte der Graf leicht zusammen und entzog dem anderen Mann seine Hand, als hätte dieser ihn gebissen.
»Ich hätte auf den Schrecken sehr gut verzichten können, Lord«, knurrte er säuerlich, was dem blonden Engländer jedoch nicht das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen vermochte.
»Ich habe mit mir gerungen, ob ich es tun sollte oder Euch lieber angemessen begrüßen. Doch ich dachte, dies würde die Anspannung etwas nehmen.« Hirams heiterer Gesichtsausdruck verunsicherte den Grafen, da dieser nicht recht verstehen konnte, was so lustig war.
»Ihr seid unhöflich und närrisch«, Viktor wandte sich von dem Anderen ab.
»Und dennoch seid Ihr gekommen.« Die Stimme des Engländers mit dem weichen Akzent klang näher an des Grafen Ohr, als diesem recht war und er wandte sich um, um zu schauen, ob Hiram ihm auf die Pelle gerückt war. Doch dieser stand noch genau an derselben Stelle wie zuvor.
Verwirrt wandte er den Blick wieder ab. »In Eurem Haus scheint es an Disziplin zu mangeln.«
»Oh, meine Dienstboten sind fürchterlich, nicht wahr? Manchmal würde ich sie am liebsten alle fressen. Gebt mir Euren Mantel, ich werde ihn aufhängen, damit er nicht feucht bleibt.«
Viktor tat wie geheißen und richtete sich die Schalkrawatte. Ihm war inzwischen warm genug und das mächtige Feuer im Kamin heizte zusätzlich. Er konnte bereits einen feinen Schweißfilm in seinem Nacken spüren, wusste aber nicht, ob die Flammen tatsächlich dessen Ursache waren.
»Bitte, Graf, nehmt Platz, ich habe guten Wein, aus Frankreich. Ihr seid etwas früher erschienen als angenommen, von daher werden wir wohl noch etwas Konversation halten müssen, bevor das Dinner fertig ist ...«
»Es ist ohnehin nicht sehr schicklich, einen Gast sofort an die gedeckte Tafel zu setzen, damit er nur rasch wieder geht, meint Ihr nicht?« Viktor nahm auf einem der gemütlichen, gepolsterten Stühle Platz und nahm den Weinkelch von seinem Gastgeber entgegen. Dieser hatte ein charmantes Lächeln im Gesicht, das ihm sehr schmeichelte, und zwinkerte dem jungen Adligen verschwörerisch zu.
»Oh, Graf Viktor, Ihr dürft versichert sein, dass mir nichts ferner liegt, als Euch schnell wieder auf den Heimweg zu schicken. Ich hoffe auf eine ... abwechslungsreiche Nacht ...«
Der Lord lachte leise und Viktor zog die Stirn kraus. »Ich bin nicht für ein romantisches Tête-a-Tête hier, Mylord.«
»Oh verzeiht, es war gar nicht als Anspielung auf irgendetwas Intimes gedacht ... ich schätze, meine Wortwahl war nicht korrekt. Verzeiht einem Sprachfremden. Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich mich auf einen amüsanten Abend mit Euch freue, egal wie lange der auch dauern mag. Voller gutem Essen, Wein und Gesprächen. Ich genieße die Unterhaltungen mit Euch, und ja, ich gestehe, auch die Neckereien. Und ich sehe zu meiner Freude, dass Ihr in der Tat allein gekommen seid. Verzeiht meine Worte, doch Ihr ... seid anders, wenn Eurer Leibdiener nicht dabei ist ... gelöster.«
»Ich fühle mich in dieser Sekunde kein bisschen entspannt, Lord Sandringham.«
»Weil Ihr immer noch fürchtet, ich könnte Euch zu nahe kommen? Eure Grenzen niederreißen mit meiner rücksichtslosen Art, Euch umfangen und gegen Euren Willen etwas geben, wonach Ihr Euch heiß und innigst sehnt?« Der Engländer zuckte leicht mit den Schultern. »An mir würde es sicher nicht scheitern, dass diese Nacht in der Tat aufregend werden würde. Doch ich sagte es bereits: Mein Handeln bedauere ich und nichts liegt mir ferner, als Euch ein weiteres Mal zu kränken.«
Lord Sandringham nahm dem Grafen gegenüber an der Tafel Platz und schmunzelte. »Ist es nicht verwunderlich, dass Ihr von all den Dingen, die ich Euch antun könnte, angefangen bei dem Versuch, euch zu töten, am meisten Angst davor habt, dass ich Euch Lust bereiten könnte? Wir können auch gern die Klingen kreuzen, in einem Kampf auf Leben und Tod, wenn Ihr Euch dann sicherer fühlt.«
»Ihr seid ein törichter Narr«, knurrte Viktor, allerdings nicht ohne ein leichtes Zucken in den Mundwinkeln.
»Weil Ihr meint, Ihr würdet einen Schwertkampf gegen mich gewinnen?«
»Davon bin ich überzeugt.«
Beide Männer lachten, was die Situation etwas entspannte.
Es verging etwa eine Stunde, in welcher der Lord Viktor von seiner Heimat erzählt hatte, als der Hofmeister mit einem dezenten Klopfen den Saal betrat.
»Mylord, das Abendessen wäre soweit. Ist es recht, wenn wir aufzutragen beginnen?«
Hiram, der dem Mann finster entgegen blickte, nickte nur. »Nun, Graf, nutzen wir die Gelegenheit, uns draußen noch einen Moment die Beine zu vertreten. Ich habe da ausgezeichneten Tabak aus Ägypten, den müsst Ihr probieren. Und wir wollen uns noch nicht das Essen mit dem Dunst einer Pfeife ruinieren, nicht?«
Graf Viktor, dem von der Wärme und dem Wein allmählich schwindelig geworden war, nickte und erhob sich.
Die kalte Nachtluft strich wie ein Kuss über seine erhitzte Haut und der Adlige seufzte wohlig. Es war bitterlich kalt, doch für einige Minuten würde es gut zu ertragen sein, erfrischend. Sein Körper war so aufgeheizt, dass er die Temperaturen kaum wahrnahm.
»Bitte sehr, Viktor«, gluckste Hiram vertraulich und hielt dem jungen Grafen eine gestopfte und bereits glimmende Pfeife hin. Der Duft war in der Tat aromatisch und so nahm der junge Adlige einen Zug, der leicht im Hals kitzelte.
Gemeinsam rauchend standen sie da und beobachteten die Flocken, die noch immer seelenruhig aus dem schwarzen Himmel trudelten.
»Es ist unglaublich. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Schnee gesehen wie hier. In England regnet es und gefriert, aber so etwas haben wir dort selten.«
»Ihr habt Euch die gefährlichste Jahreszeit ausgesucht, um in diese Lande zu kommen, Lord. Der Winter kostet jedes Jahr viele Leben. Besonders die der Kinder.«
»Nun, ich hörte von der Epidemie um die Jahresmitte, also wäre es da wohl auch riskant gewesen. Ist nicht jede Jahreszeit gefährlich? Im Winter zu kalt, so dass die Menschen verhungern. Im Sommer zu heiß, auf das die Ernte verbrennt oder Brunnen austrocknen ...«
»Und dennoch kann man in den warmen Zeiten eher etwas Essbares finden als jetzt. Ich kann es mir nicht leisten, dass die Bauern zu wildern anfangen, weil die Not zu groß ist. Aber ich denke, bisher sind meine Planungen immer ganz weise gewesen. Sieht man von Krankheiten ab, die jederzeit ausbrechen können, hat es in meiner Region noch keine größeren Katastrophen gegeben, seit ich das Land regiere.«
»Dann seid Ihr ein guter Herrscher«, schmunzelte Hiram mit einem Seitenblick auf den jungen Adligen, dessen Wangen gerötet waren - schwer zu sagen, ob von der Wärme drinnen oder der Kälte draußen. Es berauschte den Engländer, wie Viktor die Pfeife zwischen seinen Lippen hielt und diese immer wieder leicht zusammenpresste, wenn er einen Zug nahm.
»Nun, ich tue, was ich kann.«
»Vielleicht sollten wir wieder hinein gehen, bevor wir uns noch den Tod holen in dieser Eiseskälte«, Hiram klopfte den Rest seines fertig gerauchten Tabaks aus und schob sich die Pfeife wieder in die Jackentasche.
»Ja, das sollten wir. Langsam spüre ich auch Appetit für das Abendessen kommen.«
»Ach ja? Immer, wenn ich geraucht habe, habe ich eher weniger Hunger.« Sandringham hielt dem Grafen das schwere Portal auf und eilig huschten sie wieder in den warmen Saal, wo nun ein opulentes Essen aufgebaut war.
»Lord Sandringham, sagt mir, habt Ihr noch eine ganze Heerschar mit eingeplant?«
Ein Spanferkel dampfte gemächlich vor sich hin und verbreitete seinen verführerischen Geruch, umgeben von Wintergemüse und einem großen Korb mit Brot. Der Wein war aufgefüllt worden und Schalen mit Nüssen und Trockenfrüchten luden zum Naschen ein.
»Aber nein ... bitte, nehmt wieder Platz. Macht Euch keine Gedanken und lasst uns essen. Was übrig bleibt, können die Dienstboten unter sich aufteilen. Deren Familien werden sich freuen.«
Viktor nickte. So war es bei ihm in der Burg ja auch. Übrig gebliebene Speisen wurden von der Tafel zurück in die Küche geschafft. Es gab auf Schloss Draganesti genug hart arbeitende und immer hungrige Dienstboten, Stalljungen und Knechte, die sich über einen Happen vom Schwein oder eine Fasanenkeule freuten. Oder die Reste landeten in dem Eintopf für den nächsten Tag. Es wurde nichts, was noch genießbar war, weggeworfen. Schon gar nicht im Winter.
Hiram oblag als Gastgeber die Pflicht, das Schwein, das mit Äpfeln und anderen Zutaten gefüllt worden war und süß duftete, anzuschneiden. Geschickt zerlegte er es, als hätte er sein Lebtag lang noch nie etwas anderes getan und platzierte dann einige gute Stücke auf Graf Viktors Teller. Dieser tat sich etwas von dem Wurzelgemüse auf.
»Vielen Dank.«
Lächelnd goss der Lord auch die Kelche wieder voll und bediente sich schließlich selbst.
»Es ist ein Jammer, dass wir keine Musik haben, doch von meinen Dienstboten ist niemand fähig, eine Geige oder ein Cembalo zu spielen.«
»Das ist mir ganz recht, Mylord. Ich ... tue mich schwer mit dem Klang eines solchen Instruments. Ich habe zuhause einen Flügel, der ist mir deutlich lieber. Ein Cembalo hat etwas klagendes, jammerndes und das ... zerrt mir an den Nerven.«
»Nun, dann soll es gut sein so. Wie ist das Schwein?«
»Ganz vorzüglich. Mein Leibdiener würde zweifellos den Kopf schütteln, weil ich bereits gestern ebensolches Fleisch zum Abendessen hatte. Er würde sich Gedanken machen, dass dies vielleicht zu viel wäre und ich meinem Herzen schade oder dergleichen mehr«, Viktor gluckste leise.
»Er ist sehr um Euch bedacht. Das ist lobenswert.«
»Er erfüllt ein Versprechen, das er meinem Vater gegeben hat, als ich noch ein Junge war. Also ... ja, das ist er wohl.« Der junge Adlige lächelte den Engländer an, wandte aber schnell den Kopf wieder ab, weil es ihm zu vertraulich erschien, dies zu tun.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass er so viel älter sein soll als Ihr.«
»Er ist ein ... außergewöhnlicher Mann. Gott hat es gut mit ihm gemeint. Aber lasst uns nicht darüber reden. Erzählt mir mehr von Euch.«
Hiram kaute einen Moment schweigend auf einem bissfesten Stück Fleisch herum und dachte nach. Über den Diener des Grafen, der auf ihn nicht den Eindruck gemacht hatte, als wäre er ein normaler Mensch. Es wäre wirklich sehr interessant, irgendwann heraus zu bekommen, was diesen Mann so ungewöhnlich machte. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass er keinen Tag älter als Viktor aussah, jedoch nach dessen Aussage bereits zehn Jahre vor diesem geboren worden war. Doch der Engländer beschloss, all diese Gedanken beiseite zu schieben, denn das war nicht wichtig im Moment. Sondern sein Gast, der entspannt essend vor ihm saß, die Wangen leicht von Wärme und Wein gerötet, die dunklen Augen auf ihn, Hiram, gerichtet und die Lippen verführerisch schimmernd vom Fett des Fleisches, das er mit Genuss verzehrte.
»Was wollt Ihr noch mehr von mir wissen, Graf? Ich denke mir, ich habe Euch bereits alles Wissenswerte erzählt. Und es kümmert Euch doch sicher nicht, die beklagenswerte Geschichte meiner Kindheit zu hören?«
»Ist sie das denn? Ihr seid ein Lord ...«
»Und doch ... ähnlich wie bei Euch auch, war nicht alles immer rosig, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Doch wollen wir uns nicht damit beschweren. Nehmt lieber noch etwas von dem Wein. Er vertreibt die Kälte aus den Knochen.«
»Oh ich denke, mir ist bereits warm genug«, Viktor musste plötzlich kichern und lief rot an. »Oh weh, und ich glaube, Euer guter Rebensaft zeigt auch bereits die erste Wirkung.«
Hiram konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, in das der Adlige mit einstieg.
»So, dann seid Ihr also inzwischen betrunken? Mein werter Graf, was für ein ungebührliches Verhalten.«
»Diese Schuld schiebe ich von mir und zu Euch, Lord. Ihr habt mir Euren Wein angeboten.«
»Und ich erinnere mich, dass Ihr noch vor ein paar Tagen, auch in diesem Saal, nach dem Genuss zu vielen Alkohols, sagtet, dass Ihr niemals wieder einen Kelch mit solchem anrühren würdet.«
Die Röte vertiefte Viktors dunkle Haut noch weiter und er nickte beschämt, aber mit dem Schalk in den Augen.
»Nun, lassen wir diese Sünden im alten Jahr. Bald gibt es ein neues und da werde ich dann beginnen, mich an diese Vorsätze zu halten«, kicherte er noch immer vor sich hin und kaute mit einem vergnügten Gesichtsausdruck auf knusprigem, dunklen Brot herum.
Hiram musste lächeln. Es mochte nicht wirklich angemessen für einen Fürsten sein und sicher auch nicht weniger peinlich, so auf Alkohol zu reagieren, doch er mochte diesen leicht angetrunkenen Viktor, der lachte und dem der sonst so ernste Gesichtsausdruck völlig abging.
»Vielleicht solltet Ihr in diesem Zustand nicht allein den Heimweg antreten. Ich werde Euch ein Zimmer für die Nacht richten lassen. Nicht auszudenken, was Euch geschehen könnte, wenn ihr betrunken zu Eurem Schloss zurückkehren wolltet.«
»Ihr, Lord, sucht sicher nur einen unter Höflichkeit versteckten Vorwand, mir auf die Pelle zu rücken«, murmelte Viktor mit einem lausbubenhaften Lächeln, was der Engländer mit einem Zwinkern erwiderte.
»Trinkt noch einen Schluck, Graf, und sagt mir dann noch einmal, dass dies keine interessante Idee wäre, so den Abend ausklingen zu lassen.«
»Ihr seid ein Lüstling.«
»Und Ihr jemand, der eben dieses sucht. Euer nüchternes Ich ist nur zu gut darauf eingespielt, dies zu unterdrücken.«
»Also wollt Ihr mich trunken machen, um zu bekommen, was Ihr begehrt? Das ist schändlich. Ich bin doch keine Bauernmagd, mit der man das machen kann.« Der junge Adlige schnaubte entrüstet, doch man konnte sehen, dass seine Mundwinkel zuckten. Augenscheinlich bereitete ihm dieser kleine Zank große Freude.
»Nein, Ihr seid viel mehr als das. Kostbar, selten und schön wie ein Diamant«, murmelte Hiram mit tiefer Stimme, die Viktor eine Gänsehaut über den Rücken jagte und dazu führte, dass er unwillkürlich den Rücken durchbog.
»Lasst mich Euch helfen. Ich denke, es wäre in der Tat besser, wenn Ihr Euch hinlegen würdet.«
Der Engländer erhob sich, ging um den Tisch herum und bot dem Grafen seine Hand an. Und dieser wusste genau, was geschehen würde, wenn er diese annehmen würde ...