Kapitel 18
Lautlos um wenig möglichst den Lindenast zu erschüttern, pirschte Stern auf eine Elster zu. Die Elster putze ahnungslos am Ende des Astes ihr schwarzweisses Gefieder. Stern balanciert näher ans Ziel und legte sich auf die Lauer. Eines hatte Stern gelernt: Katzen haben grosse Geduld, wenn es darum geht einen Beutetier zu beobachten. Mehr Geduld würde vielleicht auch nicht der Menschheit Schaden, immerhin konnten Menschen ziemlich schnell ungeduldig werden. Langsam spannte sie ihre kräftigen Hinterbeine an, während in der leichten Brise die Lindenblätter raschelten. Die Elster warf prüfenden einen Blick über die Schulter und kreischte erschrocken auf, eine weisse Katze war gefährlich nahe an sie herangeschlichen. „Verdammte Vogelkacke“, fluchte Stern und sprang auf die Elster zu, in der Hoffnung sie wäre nicht schnell genug. Doch zu spät, die Elster spannte ihre Flügel aus und hob von der Linde ab. Stern gab sich die grösste Mühe, die Elstern an den Hinterfeldern zu erwischen. Ganz knapp, mit einem mächtigen Satz erwischte Stern die hintersten Flügelspitzen. Aber unter ihren Pfoten war kein Halt mehr zu spüren und sie stürzte unbeholfen in die Tiefe.
Brombeere fixierte die dicke Waldmaus neben einer Lindenwurzel. Langsam setzte Brombeere eine Pfote vor die Andere. Die Waldmaus drehte der Jägerin den Rücken zu und piepste vor sich hin und ahnte nicht die tödliche Gefahr aus dem Hinterhalt. „Knacks!“, ein lautes Knacksen scheuchte Brombeere auf. Die Maus witterte die Gefahr und verschwand blitzschnell in ihrem Erdloch. Bevor Brombeere es begreifen konnte, von wo dieses verräterische Geräusch kam, stürzte ein rissiger Ast vom Himmel hinunter. Brombeere konnte gerade noch zur Seite hüpfen und ihr eigenen Pelz retten. Augenblicklich schütze sie ihre Augen, damit die Holzspänne und Blätter, welche durch die Luft wirbelten, nicht ihre Augen verletzten konnten. Einige Herzschläge später, öffnete Brombeere langsam die Augen. Es fehlte nur eine Haaresbreite zwischen ihr und dem Lindenast. Brombeere atmete tief durch und versuchte ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Da vernahm Brombeere eine Bewegung unter dem Haufen von Blättern wahr. Etwas Weisses kämpfte sich mühsam aus dem Blätterberg hinaus und stöhnte nach Luft. Das Geschöpf schüttelte wild die Blätter aus dem schneeweisen Fell, der zu niemand anderem gehörte als zu Stern. In den Krallen hielt sie eine tote Elster. „Was zum Kuckuck hast du gemacht, du hättest mich beinahe getroffen“, fragte Brombeere empört. „Ich wollte eigentlich eine Elster fangen aber dann bin ich abgestürzt“, entschuldigte Stern ihren Auftritt und angelte ein letztes Blatt aus dem Pelz. Brombeere seufzte und versuchte die Wut zu vergessen, weil Stern es nicht absichtlich gemacht hatte. Stattdessen musterte sie lieber die grosse Linde, wo Stern abgestürzt war. „Du kannst gut Klettern“, bemerkte Brombeere, denn die Linde bestand aus dünnen, wenigen Ästen, kaum genügend Kraft, um eine Katze zu tragen. „Und du besitz eine ausgezeichnete Sprungkraft.“ Stern legte verlegen die Elstern auf den Boden. „An meiner Jagt Technik muss ich aber noch mehr lernen“, miaute sie vergnügt. „ Jeder von uns hat seine Stärken und Schwächen.“ Geschickt fing Brombeere auf dem Rückweg eine Waldratte. Im Jagen war Brombeere einfach unschlagbar, Stern dafür im Kämpfen und Donner in der Wendigkeit. Heute mussten sie Jagtdienst leisten und Donner natürlich auch. Bei einem kleinen Bach hielt Stern an und kauerte sich nieder um zu trinken. Sie trank ein paar Mäuler voll und leckte die Tropfen von ihrer Lippe. Während sie den Geschmack des Wassers durch ihren Geruchsinn geleitete wurde ihr Blick nervös. „Ist was, Stern?“, fragte Brombeere, die geduldig wartete. „Ich schmeck einen komischen Geruch“, stellte sie fest, wusste aber nicht was für einer. Brombeere probierte selber und grübelte rasch nach. Diesen Geschmack hatte sie vor kurzem im Maul gehabt. Da ging ihr ein Licht auf, die tote Ratte hatte sie vorher im Maul gehabt! „Es ist Blut!“, miaute Brombeere aufgescheucht. Sterns blaue Augen wurden gross und sahen sich nervös um, doch sie entdeckten nur den Bach, Gras, Bäume und ein paar Pilze. „Donner wird doch nichts zu gestossen sein“, hauchte Stern mit zitternden Lippen. „Mir ist nichts zu gestossen“, antwortete eine laute vertraute Stimme. Donner tauchte am gegenüberliegenden Ufer auf, zwischen den Zähnen baumelte eine weibliche Amsel. Brombeere fiel einen Stein vom Herzen, als sie Donner gesund und munter entdeckte. Die Kätzin überquerte mit einem einzigen Satz den Bach. „Ich und Brombeere haben Blut in diesem Wasser geschmeckt und wir dachten, dir wäre etwas passiert“, berichtete Stern aufgescheucht. „Also mir geht’s gut aber gehen wir am besten schnell flussaufwärts, vielleicht braucht jemand Hilfe“, miaute Donner. „Warte, warum nicht flussabwärts?“, fragte Brombeere Donner, die sich auf den Weg machen wollte. „Seit wann schwimmt Blut gegen die Strömung?“, fragte Donner besserwisserisch und folgte dem Bach aufwärts. „Oh, hab ich vergessen Neunmalklug“, rief Brombeere ihr hinterher aber nicht wirklich böse gemeint. Kleine Bäume wuchsen auf der Seite des schaumigen Baches und die Landschaft kam Brombeere freundlich vor aber der Schein trog. Bereits nach einem kurzen Marsch witterten die Katzen den Geruch des Todes in die Nasen, vermischt mit einem starken Blutgeruch. „ Bleibt zusammen und sucht nach möglichen Gefahren“, zischte Donner wachsam und kuschelte sich ängstlich gegen Stern. „Seht!“, rief Stern auf einmal. Im Bach war eine sichtbare Blutspur zu erkennen. Man musste der Blutspur nur folgen um das Ziel zu erreichen, zwischen zwei Steinen im Wasser, mussten sie eine schreckliche Entdeckung machen. Eine tote Katze lag dazwischen, umgeben von einem Blutstrom. Brombeere schauderte es den ganzen Rücken hinunter bei diesem Anblick der Katzenleiche. Es war ein dunkelgrauer Kater gewesen, er hatte einen weissen Bauch und drei weisse Pfoten. Die hellgrünen Augen waren weit aufgerissen, als ob der Angreifer noch vor seinen Pfoten stände. „Wir sollten ihn rausziehen, um zu sehen, warum er gestorben ist“, miaute Donner obwohl sie einen natürlichen Tod nicht vermutete. Stern scharrte im Dreck. „Wer tut es?“ Donner blickte auf die Katze. „Na ja...“, Donner wurde unterbrochen. „Ich gehe“, meldete sich Brombeere freiwillig. Sie bereute es aber wieder, als im kalten Wasser stand und zu dem Kater watete. Angeekelt packte sie seine Nackenhaare zwischen die Zähne, zog ihn ans Ufer, wo Donner und Stern ihre Pfoten bereits hilfsbereit entgegen streckten. Mit vereinten Kräften brachten sie Brombeere und den Tote an Land. Brombeere schüttelte das nasse Fell nach allen Seiten, während Donner den gefallen Kater untersuchte. An seinem Körper befanden sich viele Bisswunden und die grösste befand sich am Hals. „Ist er gestürzt?“, bibberte Brombeere interessiert. „Nein, er wurde umgebracht“, miaute Donner traurig, doch auch Donner konnte die Bisswunden zu keinem definitiven Tier zu ordnen. „Sollten wir vielleicht Blitz fragen, was für ein Tier es gewesen ist?“, schlug Stern vor und tippte im Hintergedanken auf einen Fuchs.
Die Jäger des Waldes hatten ihr Camp unter dem Schutz einer Eibe und einer Fichte eingenommen. Die Freunde versteckten die Katzenleiche erstmal in einem Haselstrauch, damit es nicht zu viele aufgescheuchte Gesichter gab.
„Gebt eure Essen ab“, rief Teiger ihnen frech als Begrüssung. Er sass mit seiner Meute im Schatten und fühlte sich wie ein König. Donner schnaubte und warf ihnen eine Amsel zu. „Können wir die Ratte kriegen?“, fragte Blatt und Flamme freundlich von der anderen Seite. „Klar“, erwiderte Brombeere und reichte ihnen die Ratte. „Meine Elstern heben wir für uns auf“, flüsterte Stern, unterdrückte dabei ein Magenknurren. Hastig verspissen sie die Elster, bevor sie Blitz sprechen wollten, mit leerem Magen konnte schliesslich keine Katze erklären. Ein kleines Stück von ihnen entfernt putze Blitz sein Fell im Sonnenlicht und wartete nur darauf mit neunen Problemen überschüttet zu werden. „Können wir dich kurz sprechen“, fragte Brombeere den Anführer, nachdem sie ihr Mahl beendet hatten. Er nickte und spitze neugierig die Ohren. „Beim Jagen haben wir etwas entdeckt“, fing Donner an. „Und was?“, wollte er mit übermässigem Interesse wissen. „Kommt einfach mit uns“, erwiderter Stern. „ Wir müssen dir etwas zeigen, was wir besser nicht hier präsentieren sollten.“
Sie führten ihren Anführer zum Haselstrauch ihres Versteckes, worüber Blitz ziemlich schockiert von der Leiche war. „Wir vermuten einen Fuchs“, ergänzte Brombeere, als Blitz die Wunden des Katers musterte. „Nein, viel zu kleine Bisse“, murmelte Blitz und schnupperte an den tiefen Furchen. „Es war ein Artgenosse“, antwortet er flach. Stern hüpfte entgeistert von einer Pfote auf die andere. „Aber welche Katze würde einen Artgenossen umbringen und ihn kaltherzig ins Wasser stossen?“ Blitz funkelt ihr Ernst ins Gesicht und knurrte: „Ich kenne da welche und die werden sicherlich nicht weit sein. Wir sind in grösster Gefahr!“ Der graue Kater mit den schwarzen Streifen sprang auf und stürmte auf gleichen Weg zurück zum Lager, um die Jäger des Waldes augenblicklich zu waren. Brombeere blickte ihm verdattert nach. „Wen meint er?“, fragte Brombeere verwirrt, als sie dem Kater nachstarrte, wie er hinter den Buchen verschwand. „Na wer wohl, die Jäger des verdammten Schatten!“, knurrte Donner und folgte Blitz.