Ein Jahr zuvor.
Ein Feuer, eine Schriftrolle und irgendein billiger Fusel war alles, was Malik an diesem Abend noch interessierte. Das Lager hatten er und seine Männer auf einer Waldlichtung unweit der Hauptstadt des Kaiserreichs aufgeschlagen. Es war nicht weit bis zu einem kleinen Gasthaus, das an einer Wegkreuzung lag, so das viele seiner Männer ausgeflogen waren. Die wenigen die geblieben waren, schliefen entweder bereits oder waren dabei sich mit Kartenspielen und Alkohol den Rest zu geben. Wachen hatten sie keine aufgestellt, wozu auch. Rund um den Platz und von Weitem gut sichtbar hing das Banner der Roten Sonne, seiner Söldnereinheit. Niemand der bei klarem Verstand war, näherte sich dem Lager ohne guten Grund oder in feindlicher Absicht.
Nach den Festlichkeiten des Bundes der Gestirne, welches sie traditionell unterstützten, gab es meistens eine kurze Zeitspanne, in der sie etwas Ruhe fanden. Der Herbst hatte gerade begonnen, die Blätter färbten sich bereits und die Tage wurden kürzer und regnerischer. Dieses Jahr waren die Festivitäten sehr spät gewesen, doch Malik hatte gar nichts dagegen. Er liebte den Herbst. Doch diesmal war da diese Schriftrolle. Edles Papier, handgeschöpft und am Rand sorgfältig begradigt, nicht diese Fetzen, mit denen sich normale Leute begnügen mussten. Mit einem blauen Band umwickelt und einem passenden Siegel war sofort zu erkennen, woher die Nachricht kam. Direkt vom Kaiser oder wenigstens von seinem Schreiber, denn welcher Herrscher machte sich noch selbst die Mühe Briefe aufzusetzen? Abgesehen von heimlichen Liebesbriefen an irgendwelche Geliebte natürlich.
Malik hatte das Siegel noch nicht gebrochen, doch er ahnte bereits, dass etwas unangenehmes darin stand. Ein Auftrag, der ihn seinen Kopf kosten konnte oder den größten Ruhm einbrachte. Er nahm noch einen tiefen Schluck aus dem silbernen Flachmann um sich Mut anzutrinken, dann brach er das Siegel und begann zu lesen.
Malik, es gibt dringende Angelegenheiten, die deine sofortige Anwesenheit hier erfordern. Naris ist verstorben. Ich brauche dir nicht zu sagen, was das für meine weiteren Pläne bedeutet. Begibt dich sofort in den Palast zurück und ich meine ohne Umwege. Mach dir schon einmal Gedanken, wo du ein neues Exemplar herbekommst.
Der Brief war unleserlich unterschrieben, aber es gab sowieso keine Zweifel. Ein tiefes Seufzen, ein weiterer Schluck.
»Dieser dämliche Mistkerl hat es tatsächlich geschafft ihn innerhalb kürzester Zeit umzubringen.«
Seine Stimme war nur ein Murmeln, aber es klang resignierend. Er konnte Naris noch vor sich sehen. Ein wunderschöner junge Mann mit weißen Locken die ihm ein jüngeres Aussehen verliehen, als er eigentlich war. Malik war normalerweise nicht hinter Männern her, aber Naris war wirklich eine Augenweide. Nun ja er war es gewesen. Wütend zerknüllte Malik den Brief und ließ ihn ins Feuer fallen, wo er knisternd fast sofort zu Asche verbrannte.
Genau in diesem Moment lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er wurde beobachtet. In all den Jahren bekam man einen sechsten Sinn, wenn etwas ungewöhnliches geschah und diesmal war das Gefühl mehr als deutlich. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, nahm er sein Schwert und stand auf. Einige bunte Blätter fielen von den Bäumen herab und der Wind frischte auf. Nun konnte er es auch riechen, ein intensiver Duft nach Lilien. Kein Duft, der natürlicherweise mitten im Wald vorkommen sollte. Weiterhin tat der schwarzhaarige Söldnerhauptmann nichts Ungewöhnliches. Er streckte sich und folgte dem ungewöhnlichen Geruch mit scheinbar entspannten Schritten. Als er bereits bei den Bäumen angekommen war, hörte er ein leises kichern und Malik wurde sofort ärgerlich. Er hasste es so sehr, wenn man mit ihm spielte. Geräuschvoll zog er das Schwert aus der Scheide, welche die gleiche rote Farbe wie seine Kleidung aufwies und ließ alle Heimlichkeit fallen.
»Wer auch immer du bist. Komm raus und sag einfach, was du willst. Meine Laune ist mies und ich werde es kein zweites Mal sagen.«
Seine Stimme klang tief und bedrohlich, sein Blick wanderte zwischen den Bäumen hin und her. Ein guter Ort für einen Hinterhalt. Das nächste Kichern kam von der rechten Seite, das darauf von links. Deutliche eine weibliche Stimme und sie war äußerst flink. Noch einmal drehte er sich im Kreis und sah plötzlich in ein helles makelloses Gesicht mit leicht spitzen Ohren und einem unglaublich dreisten Grinsen.
»Buh!« Die Halbelfe begann wieder zu kichern. Das blonde Haar hing lose herunter, nur kleine Strähnen waren geflochten. Malik zögerte nicht und keinen Augenblick später war seine Schwertklinge nur einen Finger breit von ihrer Kehle entfernt.
»Na na alter Mann, wer wird denn gleich so über reagieren. Wenn ich dir etwas Böses wollte, hätte ich dich schon am Feuer erledigt.«
Klappernd landete ein Bogen genau vor Maliks Füße.
»Siehst du? Ein Pfeil im Hinterkopf und alles wäre vorbei gewesen, aber ich will gar nicht deinen Tod, ich will reden.« Noch immer blieb das Schwert an ihrer Kehle.
»Eine sehr kranke und merkwürdige Methode jemanden, um ein Gespräch zu bitten, Elfe. Was willst du und rede schnell, ich bin vielleicht nicht so geduldig wie du.«
»Also ich habe Geduld. Schließlich folge ich euch schon eine ganze Zeit. Aber der Platz hier und der kleine Bote aus der Hauptstadt haben meine Neugier geweckt und so dachte ich mir, zeig dich dem Hauptmann doch einmal.«
Nun war Malik doch etwas perplex und diese Reaktion entging ihr nicht. Wie konnte es ihm entgangen sein, dass sie verfolgt wurden. Natürlich hatten Elfen einen Vorteil gerade in Waldgebieten, aber war er so eingerostet, dass er es nicht bemerkte? Seine Gedanken mussten ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn die Elfe lachte nur erneut.
»Also, willst du kämpfen oder reden?«
Ohne nachzudenken entschied er sich für einen Schritt nach vorne und direkt auf ihren Hals zu. Doch die Elfe war so schnell, wie es für ihr Volk üblich war. Mit einem Ruck zog sie den Kopf zurück und schwang sich mit einer eleganten Bewegung auf den Ast, der über ihrem Kopf hing. Einen Moment sah sie auf Malik herab, dann sprang sie herunter und begann zu rennen. Malik fluchte und nahm sofort die Verfolgung auf. In der Dämmerung und im Wald war er ihr etwas unterlegen, doch man konnte ihn auch nicht als Anfänger bezeichnen. Ohne ihren Bogen hatte sie auch den Vorteil der Entfernung verloren. Haken schlagend rannten beide durch den Wald und entfernten sich immer weiter von der Lichtung. Einmal warf sie ein Messer nach ihm, das sogar fast seine Wange streifte, es machte ihn nur noch wütender und Malik verlor sie aus den Augen. Schwer atmend stand er mitten im Wald und lauschte, sein Herzschlag machte es ihm schwer, die leisesten Geräusche zu hören, und reagierte dann zu spät als wie aus dem Nichts ein Schatten angeflogen kam. Das Letzte was er spürte, war ein Schlag auf den Hinterkopf und der Aufprall in einem Haufen Herbstlaub.
Wie viel Zeit vergangen war, konnte Malik nicht sagen, doch es war noch nicht ganz dunkel, das konnte nur bedeuten, er war nicht lange bewusstlos gewesen. Sein Kopf dröhnte etwas und er brauchte einen Moment um sich zu erinnern. Als er sich bewegen wollte, musste er feststellen, dass sie ihn durch seine Kleidung mit ein paar Eisenpflöcken auf den Boden genagelt hatte.
»Du Miststück hast meine Kleidung zerstört!«
»Nun schrei hier nicht rum, ich hatte keine andere Wahl, du hättest niemals mit mir geredet. Außerdem ist der Fetzen hässlich.«
»Und mich mit einem Seil zu fesseln war dir zu langweilig oder was?« Malik war mehr als wütend, doch die Frage entlockte ihr nur ein belustigtes Nicken. Er seufzte tief.
Malik ergab sich in sein Schicksal und nahm sich Zeit die Halbelfe genauer anzusehen. Sie war attraktiv, aber das waren Elfen oder Halbelfen fast immer. Jedenfalls wenn man auf diese Art stand.
»Was willst du? Dir ist klar das meine Männer mich suchen werden?«
»Die? Niemals! Sie sind entweder zu betrunken oder zu sehr mit was anderem beschäftigt also Malik hör mir am besten doch einfach zu.«
»Woher kennst du meinen Namen?« Die Elfe rollte mit den Augen.
»Hab ich doch gesagt. Ich hab dich länger verfolgt, da sollte ich wenigstens die Basisinformationen herausbekommen haben oder? Du bist der Hauptmann der Roten Sonne und stehst im Dienste des Kaisers. Ich will dir helfen.«
Malik versuchte sich aufzusetzen, doch neben den Eisennägeln hinderte auch das Pochen in seinem Schädel ihn daran.
»Helfen? Einfach so?« stöhnte er. »Ich bin zu alt, um an so was zu glauben. Also was hast du davon und wobei willst du mir helfen?«
»Ich weiß, was du für einen Auftrag bekommen hast. Was in dem Schreiben aus dem Palast stand und ich kannte Naris. Lass mich dir helfen, einen Neuen zu finden.«
Es kam nicht oft vor, doch sie hatte es geschafft ihn völlig zu überraschen. Nur wenige kannten das Geheimnis um den Deziras, der im Palast gefangen gehalten wurde. Außerdem hatte er selbst erst vor Kurzem erfahren, dass er verstorben war. Woher zum Teufel konnte sie das nur wissen!
»Wer bist du?«
»Mein Name ist Keona, freut mich dich kennenzulernen.«
Das freche Grinsen breitete sich wieder auf ihrem Gesicht aus und Malik war sich nicht sicher, ob es sie hübscher machte oder seinen Impuls ihr richtig eine zu verpassen vergrößerte. Womöglich beides.
»Gut Keona und wie willst du mir helfen? Bist du eine Spionin? Verzieh dich einfach.«
Keona ließ sich vor ihn ins Gras sinken und verzog das Gesicht. Sie schmollte, was sie irgendwie süß machte, doch das Messer in ihrer Hand sagte deutlich, dass sie nicht zu unterschätzen war.
»Ich könnte dir Tipps geben und dafür lässt du mich mit deinem Fang sprechen, bevor du ihn oder sie zum Kaiser bringst. Nur ein winzig kleiner Wunsch.«
Mit den Daumen und Zeigefinger zeigte sie einen kleinen Abstand und diesmal war es an Malik zu lachen.
Es war dunkel geworden und Malik hatte aufgegeben zu schreien, zu fluchen und an seiner Kleidung zu zerren. Keona saß noch immer schmollend mit einem Messer vor ihm. Mindestens seit einer halben Stunde ohne ihn aus den Augen zu lassen.
»Verdammtes Weibsstück, wie kann man so eingeschnappt sein! Mach mich endlich los und geh deiner Wege. Ich werde nicht mit dir zusammen arbeiten und damit Schluss.«
Keona warf das Messer zielgenau zwischen seine Beine, nur wenige Zentimeter von seinem Schritt entfernt, was Malik doch zusammen zucken ließ. Seine Kronjuwelen wollte er nur wegen einer verrückten Halbelfe nicht einbüßen.
»Gut du willst meine Hilfe nicht. Du wirst schon früh genug merken, dass du sie brauchen wirst, aber dann schlaf wenigstens mit mir.«
Mit einer eleganten Bewegung schaffte es Keona nicht nur das Messer aus dem Boden zu ziehen, sondern praktisch zeitgleich fast ihre ganze Kleidung loszuwerden. Wieder konnte Malik nichts sagen. Ihm war ja schon einiges passiert, doch nun begann er daran zu zweifeln, dass er wirklich wach war. Der Schlag musste einiges in seinem Kopf durcheinandergebracht haben. Seine Augen wanderten über den Körper der Elfe und in ihm regte sich nicht nur der Gedanke, dass das hier totaler Wahnsinn war, sondern auch etwas anderes. Langsam nickte er und sprach mit rauer Stimme.
»Warum nicht, mein alter Schwertkampflehrer sagte immer: Inmitten von Schwierigkeiten liegen günstige Gelegenheiten. Dann zeig mal, was du kannst.«
Keona begann zu grinsen, strich die Haare nach hinten und nutzte das Messer um seine Kleidung noch weiter zu ruinieren. Das raschelnde Herbstlaub, war nicht das Einzige, das daraufhin die Ruhe des Waldes störte.
Malik erwachte in der Dämmerung. Über ihrem Nachtlager aus Blättern und Moos lag leichter Reif und er merkte erst jetzt, wie kalt ihm geworden war. Seine Kleider waren gerade noch zu gebrauchen, aber auch nur bis ins Lager. Sein Kopf allerdings war kaum zu etwas fähig. Was für eine verrückte Nacht. Keona war verschwunden und hatte ihn zurückgelassen, erschöpft und verwirrt. Ein Pfeil aus ihrem Köcher mit einer Haarsträhne war der einzige Hinweis, dass er nicht geträumt hatte.
Erst sehr viel später im Lager, als er sich mit einem Rasierspiegel betrachtete, fand er weitere Spuren ihrer Anwesenheit. Nicht nur das er überall Kratzer und leichte Bissspuren hatte, nein ihm fehlte auch deutlich eine Strähne von seinem Haar.