Killian und Jaroth hatten in Ruhe ihr Zimmer bezogen und waren sehr zufrieden. Der Raum war nicht der Größte, aber mit Möbeln aus dem gleichen hellen Holz eingerichtet wie der Rest des Gasthauses. Das Bett war groß genug für zwei Personen und mit frischen Laken über einer Strohmatratze bezogen. Wenn sie unterwegs waren, dann schliefen sie in ihren Decken auf dem Boden oder manchmal in einfachen Gasthäusern, das hier war etwas ganz anderes. Neben einer Truhe für ihre Kleidung gab es noch ein Fenster und einen kleinen Schreibtisch. Der Blick nach draußen brachte nur Dunkelheit, aber Killian war sich sicher, dass sie auf den See hinaus schauen konnten. Er freute sich schon auf den Morgen.
Nacheinander waren sie ins Bad verschwunden, so das sie beide sauber und noch mit leicht feuchten Haaren ihr Abendessen einnahmen. Eine kalte Platte mit Brot, Käse und Braten, dazu ein einfacher aber nicht unangenehmer Wein und etwas Obst. Sie hätten auch unten warme Speisen essen können, aber so saßen sie gemeinsam auf dem Bett und genossen die Sicherheit ihres Zimmers.
»Wir sind nun schon länger unterwegs, aber wir haben bisher vermieden wirklich zu planen, was wir machen sollen. Wir wissen bis heute nicht genau, was Malik vor hat, aber wir sind uns immer noch einig, dass wir ihm nicht in die Arme fallen wollen oder?«
Killian biss herzhaft in ein Stück Käse und sah beunruhigt zu Jaroth. Er wusste, dass sein Freund immer derjenige gewesen war, der ihn gewarnt hatte.
»Ja wir sind uns einig Killian. Du meintest einmal, dass du die Worte erkannt hast, die Malik gesprochen hat, bevor er weggeholt wurde?«
Killian nickte langsam und versuchte sie in seinem Kopf zusammen zu bekommen, schaffte es aber nicht.
»Malivo Dezi irgendwas. Ich weiß es wirklich nicht mehr, aber es waren genau die gleichen Worte, die mich in die Ohnmacht getrieben haben. Ich erinnere mich noch gut daran, was es bei mir ausgelöst hat.« Killian legte die Arme um seine angezogenen Beine. Er war kein ängstlicher Mensch, aber dass er so die Kontrolle über seinen Körper verloren hatte, war beunruhigend.
Jaroth legte sanft eine Hand auf seine.
»Ich denke, es muss ein Test gewesen sein, aber für was? Wieso sollte er sonst mit einem Stock vor unserem Gesicht hin und her wedeln. Es waren die gleichen Bilder wie damals im See oder?«
Killian schluckte leicht und wiederholte Teile der Traumbilder für seinen Gefährten. Alles war in Rot getränkt und die Schreie würde er nie vergessen.
»Du musst es nicht noch mal erzählen. Wir wissen ja beide, was du gesehen hast. Ich habe nicht viel gespürt, aber mich hat der Stock auch nicht berührt.«
Nachdenklich begann er das Tablett abzuräumen und es wie abgesprochen vor die Tür zu stellen, bevor er sich wieder dem Bett zuwandte. Killian sah etwas blass um die Nase aus und es war klar, dass er ihn heute noch auf andere Gedanken würde bringen müssen.
»Lass uns heute nicht mehr darüber sprechen. Morgen hören wir uns im Dorf um, versuchen herauszufinden wo wir sind und ob sie hier etwas von den Deziras wissen. Ich glaube, wir haben noch nie soweit südlich gesucht, also falls wir überhaupt im Süden sind.«
Jaroth grinste breit und Killian konnte nicht anders, als sich davon anstecken zu lassen.
»Wir müssen auf jeden Fall eine Spur finden bevor es Winter wird, wenn das Wetter sehr schlecht ist, sollten wir uns ein festes Lager zulegen. Ich werde nie wieder zwei Wochen in einer kalten Höhle schlafen und mich von Kaninchenfleisch ernähren immer in der Angst, dass uns ein Bär frisst. Die merkwürdigsten Sachen sind uns eigentlich immer im Winter passiert,« stellte Killian fest und klopfte sanft auf die leere Matratze neben sich. Jaroth nahm die Einladung gerne an. Zuhause hatten sie getrennte Schlafzimmer, aber sehr oft schliefen sie nur in einem der beiden Betten.
»Wir haben uns im Winter kennengelernt,« begann Jaroth, nachdem er es sich auf dem Bett bequem gemacht hatte. »Das war wahrscheinlich das Merkwürdigste, was mir jemals passiert ist.« Killian warf ein Kissen nach ihm, bevor er sich an die Seite seines Freundes schmiegte.
»Stimmt, sie hätten dich fast im Schnee übersehen.«
Es war Killians zweiter Winter ohne seinen Vater gewesen. Im Sommer des vorherigen Jahres hatten seine Großeltern ihm die Nachricht von Tod seines Vaters gebracht, ihres einzigen Kindes. Killian war betroffen und traurig, doch wenn er versuchte sich ein Leben ohne seinen Vater vorzustellen, war es nicht unmöglich gewesen. Seine Großmutter und sein Großvater hatten wesentlich härter damit zu kämpfen.
Seine Eltern waren Killian ein Rätsel, von Anfang an. Seine Mutter hatte er nie kennengelernt. Sie war auch nie dazu gedacht gewesen ihn aufzuziehen, sondern nur zu dem Zweck seinem exzentrischen Vater ein Kind zu schenken. Er hatte sich zum Schrecken seiner Eltern, nie dazu durchringen können den Bund einzugehen oder sich für einen anderen Menschen zu erwärmen. In seinem Leben zählte nur seine Arbeit. Für ein Paar, welches sich schon in jungen Jahren gefunden hatte, war diese Einstellung unbegreiflich. Sie lagen ihm jahrelang wegen einem Enkelkind in den Ohren, bis er sich die nächstbeste Frau schnappte und Killian zeugte. Mit Geld ließ sich einfach alles arrangieren. Sein Vater hatte ihm immer versichert, dass es seiner Mutter nicht leichtgefallen war ihn wegzugeben, aber er glaubte ihm nicht und selbst wenn, machte es keinen Unterschied. Ihm war bewusst, dass er einiges von ihr geerbt haben musste, da sein Vater und dessen Eltern helle Haare hatten, aber mehr verband ihn nicht mit dieser unbekannten Frau. Schlussendlich wuchs er also bei den Großeltern auf, die ihn bedingungslos liebten, während sein Vater als Wundarzt mit dem Heer des Königs unterwegs war und in seinem dreizehnten Sommer nicht zurückkehrte.
Der Winter ein Jahr später kam langsam und schleichend vom Gebirge herunter. Normalerweise lag Aspura bereits unter Schnee begraben und war dafür schnell wieder davon befreit, doch dieses Jahr war es ungewöhnlich mild. Die Vorbereitungen für das Sternenfest waren in vollem Gange und Killian freute sich irgendwie darauf. An diesem Tag wurde den Toten gedacht, die zu den Gestirnen aufgestiegen waren. Es war üblich, dass sich die Lebenden kleine Geschenke machten um sich gegenseitig wissen zu lassen, dass man auch an sie dachte. Besonders für die die einen Angehörigen verloren hatten, waren selbst die kleinsten Dinge ein Trost. Letztes Jahr hatte auch seine Familie daran teilgenommen, wegen seinem Vater. Dieses Jahr war niemand aus seiner Familie oder dem engsten Bekanntenkreis gestorben und das hieß, er konnte sich ohne Reue einfach auf die Geschenke freuen.
Es war der Tag vor dem eigentlichen Fest. Das große Feuer, war bereits auf dem Gebetsplatz vorbereitet und die Stadt war dezent geschmückt. Auch hier herrschten die Farben Schwarz und Weiß vor. Es hatte noch einmal etwas geschneit, aber es war weniger liegen geblieben als sonst, dafür war es einfach noch zu warm. Seine Großmutter hatte ihn zum Bäcker geschickt, um ihre Bestellung abzuholen, und Killian hatte nichts dagegen. Manchmal bekam er dort etwas süßes Gebäck geschenkt. Er hatte gerade die Schmiede hinter sich gelassen und war am Ortsrand in den Weg eingebogen, der direkt an der Palisade entlang zu seinem Ziel führte, als er aufgeregte Stimmen hörte. Neugierig folgte er den Lauten durch ein Seitentor und blickte überrascht auf das schwarze Pferd, das ohne Sattel aber mit Zügeln vor ihm stand. Es war ein junges wunderschönes Tier, das irgendwie fast spöttisch auf ihn hinab sah. Aber wo war sein Reiter? Kurzentschlossen nahm er die Zügel und band das etwas unwillige Tier an einen der Pfosten, bevor er weiter den Stimmen folgte. Zwei aufgeregte Frauen waren über etwas gebeugt, dass im Schnee lag. Killian konnte aber nicht genau erkennen, was es war.
»Ich bin fast darüber gestolpert, als ich Zweige für das Fest sammeln wollte. Erst dachte ich, es wäre ein Stamm oder Ähnliches, so ganz in Weiß«, stellte eine aufgeregte Frauenstimme fest. »Lebt sie noch? Ihr muss das Pferd gehören.«
Killian trat näher und konnte nun erkennen, was vor sich ging. Im lichten Schnee lag eine reglose Gestalt, die vollständig in weiß gekleidet war. Weiße Hosen, ein heller Mantel und Stiefel die ebenfalls aus einem weißen Leder hergestellt waren umschlossen eine sehr schlanke feminine Gestalt. Das Gesicht war von langen Haaren verdeckt, die die gleiche Farbe wie die Kleidung hatten und kaum auffielen. Es war wirklich ein Wunder, wäre der Schnee höher gewesen, hätte man sie vielleicht gar nicht gefunden. Eilig ging er neben den Frauen in die Hocke.
»Wartet ihr auf den Frühling ihr Schnepfen? Sie wird erfrieren, wenn wir sie nicht wegbringen.«
Die beiden älteren Frauen zuckten zusammen und hatten den Anstand rot zu werden. »Ja du hast recht. Kannst du sie tragen Killian?«
Vorsichtig betrachtete er das schlanke Wesen und wog seine Möglichkeiten ab. Vielleicht konnte er es, aber es würde nicht einfach werden. Doch soweit kam es nicht. Die Diskussion hatte nicht nur ihn angelockt, sondern auch andere aus dem Dorf, darunter auch den Schmied, welcher absolut keine Probleme hatte sich die leblos wirkende Gestalt einfach über die Schulter zu werfen und erst einmal in seine Schmiede zu bringen, wo es selbst zu dieser Jahreszeit angenehm warm war.
Zum Glück für alle, war ihr Fundstück tatsächlich noch nicht tot, wenn auch schon ziemlich ausgekühlt und definitiv zu dünn für sein Alter. Killian war überrascht gewesen, als sich das halb erfrorene Mädchen als Junge in seinem Alter herausgestellt hatte. Sie hatten ihm die feuchten Sachen ausgezogen und in eine warme Decken eingewickelt, bevor er langsam wieder zu sich kam und Killian das erste Mal in die dunkelbraunen Augen sah, in die er sich später sogar verlieben sollte.
»Wo ist Taiga?«
Die Stimme des Jungen war erstaunlich tief und kratzig. Vorsichtig gab ihm Killian etwas warme Brühe zu trinken und legte dann den Kopf schief.
»Wer ist Taiga? Warst du nicht allein? Liegt noch jemand da draußen?«
Sorge kroch in ihm hoch, dass dort noch jemand im Schnee liegen könnte, der ihre Hilfe brauchte.
»Ist mein Pferd,« brachte der Fremde hervor und Killian musste lachen. Jemand der sich als Erstes um sein Tier sorgte, konnte kein schlechter Mensch sein.
Killian und Jaroth hatten es sich auf der Decke ihres Bettes bequem gemacht und die Feuerstelle entzündet. Es war fast zu warm im Zimmer, aber die Erinnerungen an ihre erste Begegnung ließ sie etwas frösteln. Killian lag mit seinem Kopf an der Schulter seines Freundes, während der den Arm um ihn gelegt hatte.
»Ich habe mir damals gewünscht, das wir Freunde werden und du immer im Dorf bleibst. Es gab nicht viele der anderen Jungen und Mädchen, die etwas mit mir zu tun haben wollten. Aber das hast du wahrscheinlich gar nicht gehört oder? Du warst ja noch eine ganze Zeit sehr schwach und hast die meiste Zeit geschlafen.«
Jaroth küsste seine Schläfe und lächelte sanft.
»Doch ich hab dich murmeln hören, aber ich war schon ziemlich fertig. Es war wirklich Glück, das ich gefunden wurde. Aber dein Wunsch hat sich erfüllt, ist doch gut nicht wahr?«
»Nun ja, heute weiß ich wie anstrengend du sein kannst, aber ja man könnte sagen, dass ich zufrieden bin.«
Jaroth hob eine Augenbraue.
»Anstrengend ja?« zischte er leise und ließ seine Hand zu den Verschlüssen von Killians Kleidung wandern.
»Du weißt scheinbar nicht, was Anstrengung bedeutet.«
Killian nahm die unausgesprochene Einladung gerne an und begann seinen Freund ebenfalls zu entkleiden.
»Wir müssen morgen nicht reiten, warum zeigst es mir nicht?«