„War ja klar!“ rief sie resigniert. „Wir kommen hier niemals rein. Das alles ist doch Schwachsinn. Hat eh keine Zweck!“ Dunkelheit senkte sich schon wieder auf ihr Gemüt nieder und ein fernes Donnergrollen war zu vernehmen. Sie blickte hinauf in den Himmel, die Sonne wurde auf einmal von einer weiteren Wolke bedeckt. Lang legten sich die Schatten über die Schlucht und das dunkle Tor. Und wieder war da dieses bedrohliche Lachen irgendwo ganz in der Nähe. Lea klammerte sich an den Tiger, welcher fast so gross war wie ein Pferd und sie war fest entschlossen ihn nicht loszulassen. Er musste hierbleiben, er durfte nicht verschwinden, auf keinen Fall. Der Tiger blieb still stehen, wie ein Fels in der Brandung, er strahlte Kraft und Ruhe aus, wie eine Sphinx, die nicht daran dachte, auch nur einen Schritt zu weichen. Die Finsternis nahm zu, doch nahm sie zum Glück nicht dasselbe Ausmass an, wie zuvor beim goldenen Ritter. Lea sah dennoch sehr wenig, denn die Felswände schirmten sowieso schon einen grossen Teil des Lichtes ab und aus der Dunkelheit lösten sich nun wieder die roten Augen und schleimige, schwarzgrüne Tentakel bewegten sich bedrohlich auf Lea zu…
Der Tiger knurrte und stellte sich dem dunklen Wesen entgegen. Das Wesen lachte verschlagen: Glaubst du wirklich dein Schosstier wird dir helfen können Lea? Dass du dich da nur nicht irrst!“ mit einer lässigen Bewegung schwang das Monster einen seiner Tentakel und verätzte dem Tiger die eine Pfote. Dieser jaulte auf, wich jedoch trotz allem nicht von der Stelle. Auf einmal spürte die Frau eine neue Kraft in sich, wütend stellte sie sich vor den Tiger: „Lass ihn, er ist mein Freund und du wirst ihm nichts mehr antun!“ Sie richtete sich zur vollen Grösse auf und wieder war sie die Priesterin mit dem Stab. Diesen Stab hielt sie schützend von den Tiger. „Ach wirklich, ausgerechnet du willst mich daran hindern, die schon immer Wachs in meinen Händen- pardon Tentakeln war!“ spottete das Monster. „Ja, mach dich nur lustig aber ich werde es auf keinen Fall zulassen, dass dies so weiter geht. Ich werde mich dir stellen, du bist ein Teil von mir, ja ich anerkenne das, aber… ich bin die Herrscherin in meiner Welt und du, hast keine Macht mehr über mich.“ Das Monster wurde auf einmal seltsam nervös und seine Tentakel zuckten unruhig um seinen unförmigen, hässlichen Körper herum. Doch es fasste sich sogleich wieder und zischte bedrohlich: „So einfach ist das nicht meine Liebe, so einfach kriegst du mich nicht los, wie du richtig bemerkt hast, bin ich ein Teil von dir, ein Schatten von dir, wenn nicht der dunkelste Schatten überhaupt.“
„Das ist mir egal! Ich werde mich nicht mehr von dir unterjochen lassen. Du hast keine wirkliche Macht, du hast nur so viel Macht, wie ich dir gebe. Und ich werde dich nicht mehr weiter nähren. Lass uns doch einfach endlich in Ruhe!“ Sie wandte sich um, irgendwie fühlte sie sich auf einmal ganz selbstsicher und voller Kraft. „Dreh mir nicht den Rücken zu!“ fauchte das Monster und schlug mit den Tentakel nach ihr und dem Tiger, doch es war, als ob eine unsichtbare Barriere um die beiden errichtet worden wäre, denn die schrecklichen Säuretentakel schlugen ins Leere. Lea lachte in sich hinein, sie war wirklich stolz auf sich und der Tiger meinte: „Gut gemacht!“
Voller Entschlossenheit streckte Lea nun nochmals die Hand nach der mächtigen Pforte aus und drückte instinktiv dagegen und… das Tor schwan tatsächlich zurück. „Nein!“ hörte sie noch das Monster wie durch einen Nebel hindurch schreien: „Ihr bleibt hier! Ihr geht da nicht rein!“ „Und ob wir das werden!“ sprach Lea voller Entschlossenheit und mit einem verächtlichen Blick auf das nun beinahe zahm wirkende Monster. „Dort drin warten Antworten und du wirst mich nicht daran hindern sie zu finden. Verschwinde!
Sie trat mit dem Tiger in den noch finsteren Raum hinter dem Tor und schlug dem Monster dieses vor der Nase zu. „Das hast du sehr gut gemacht!“ lachte der Tiger, „siehst du, geht doch!“ Lea strahlte voller Erleichterung und unbändigem Stolz und durch ihre Glücksgefühle begann der weisse Kristall am Ende ihres Stabes zu leuchten und zu strahlen und erhellte ihnen den Weg. Sie schauten sich um, ein steinerner Gang lag vor ihnen und entlang dieses Ganges, lag eine ganze Menge von Türen. „Was sind das für Türen?“ „Das sind Türen die alle zu einem Teil deines Bewusstseins führen Lea“, erklärte ihr der Tiger. „Du wirst im Laufe deines Lebens eine nach der andern öffnen und dadurch weiter und weiter wachsen können. Wir aber müssen zur Grotte der Heiligen Wasser, sie liegt am Ende dieses Ganges, hinter einer weiteren, grösseren Pforte.“ „Du sagst also wir befinden uns hier in meinem Bewusstseinslabyrinth?“ „Das könnte man so sagen, ja.“ Klar, jetzt begreife ich langsam immer mehr. Das Monster will mich davon abhalten zu wachsen, darum wollte es nicht dass wir hier reingehen!“ „Ich gewisser Weise mag das stimmen Lea, doch bedenke, das Monster folgt nur einem uralten Instinkt, den du dir selbst einst angeeignet hast. Du hast es geschaffen und all die Jahre hindurch genährt.“ „Das werde ich jetzt nicht mehr tun!“ erwiderte die Angesprochene voller Entschlossenheit. „Ein guter Entschluss!“ meinte der Tiger, wirkte dabei jedoch seltsam ernst. Warum wohl?
5. Kapitel
Die Grotte der heiligen Wasser
Sie gingen weiter und weiter und je näher sie dem noch im Dunklen liegenden Tor zur Grotte der heiligen Wasser, umso unsicherere wurde Lea. Was würde sie dort erwarten? Würde sie endlich die Antworten finden die sie suchte, oder würde sie enttäuscht werden. Auf einmal empfand sie Furcht. Sie konnte nicht wissen, was in dieser Grotte genau auf sie wartete. Vielleicht etwas, dass sie gar nicht sehen wollte, etwas aus ihrem Bewusstsein, dass sie bisher erfolgreich verdrängt hatte und dass sie nun heimsuchen würde. Vielleicht fällte man auch das Urteil über sie, weil sie einfach aufgegeben hatte. All diese Ängste begleiteten sie, während sie einen Fuss vor den andern setzte. Der Tiger ging lautlos und ruhig neben ihr. Seine weichen, mächtigen Tatzen machten kein einziges Geräusch, behände setzte er eine Pfote vor die andere und erneut staunte Lea über die Eleganz des mächtigen Tieres und fragte sich, was seine Bedeutung für ihr Leben war und womit sie so einen wundervollen Begleiter verdient hatte. Und… eher sie sich versah, standen sie vor einem weiteren Tor, diesmal einem massiven Eichentor jedoch nur mit einem Riegel. Lea blieb einen Augenblick stehen und atmete tief ein. Sollte sie es wagen. Sie zögerte noch immer. Was sie überhaupt schon bereit diese Tor zu durchschreiten? Wieder zogen dunkle Zweifel durch ihr Bewusstsein und ihr Herz klopfte heftig gegen ihren Brustkorb. Sie hörte ihren Puls in ihren Ohren rauschen und ihre Hand begann zu zitternd. „Hab keine Furcht!“ ermutigte sie der Tiger „Alles wird gut.“ „Meinst du? Also ich weiss nicht so recht. Soll ich wirklich da rein. Was bringt es mir schlussendlich?“ „Diese Frage kannst du dir nur selbst beantworten.“ Lea überlegten noch einen Moment, doch dann meinte sie: „Ich versuch‘s einfach mal!“ „Das ist die richtige Einstellung!“ freute sich der Tiger. Lea nickte und machte sich am Riegel zu schaffen.
Ohne grosse Probleme liess er sich zurückschieben und dann… traten sie in eine wundervolle, einzigartige Grotte! Die Wände der Grotte bestanden auch Wasserfällen und diese Wasserfälle ergossen sich alle in eine wundervolles weisses, mit herrlichen Reliefen verziertes Becken. Wundervolles türkisblaues Licht lag über allem und Lea schaute ungläubig auf die Herrlichkeit vor ihr. Als sie näher trat, sah sie, dass sich in dem Becken eine wunderschöne Kugel befand, welche sich angetrieben von der Wasserkraft ständig drehte. Sie bestand aus mattem Kristall, bunte Blitze zuckten über sie hinweg und sie wechselte immer wieder ihre Farbe. Ein wunderschöner Anblick. „Wow!“ So schlimm ist es hier gar nicht, steht es doch noch nicht so übel um mein Bewusstsein?“ Der Tiger liess sowas wie ein Lachen hören und sprach: „Nein, so schlimm sieht es hier wahrlich nicht aus, das hättest du wohl nicht geglaubt, was?“ „Was ist das für eine Kugel?“ „Das ist die Kugel der Weiterentwicklung, sie dreht sich stetig. All das kommt einem manchmal sehr langsam vor und doch verändert sich immer etwas. Sie gräbt sich tiefer und tiefer und wenn du am Grunde angekommen bist, liegt dort das Gold. Genauso ist es mit deinem Leben. Du musst immer Geduld haben, denn du kommst irgendwann ans Ziel. Auch wenn es dir manchmal sehr lange vorkommt. Darum Lea, verliere nie die Hoffnung. Es kann nicht alles auf einmal passieren, kannst du das verstehen?“ „Ich denke schon ja…“
Leas Aufmerksamkeit wurde auf einmal von etwas anderem in Anspruch genommen. In einem der schattigeren Winkel der Grotte, erblickte sie auf einmal eine Gestalt, die dort kniete. „Wer ist das?“ fragte sie erstaunt und ging mit einer Mischung aus Angst und Neugier näher an die Gestalt heran und dann erkannte sie, dass es sich dabei um ein kleines Kind von etwa 6 Jahren handelte. Es sah sehr ähnlich aus wie Lea als kleines Kind, doch auch irgendwie wie Leas Sohn David. Als sie näher trat, erschrak sie, denn das Kind weinte und schaute sie mit traurigen, grossen, blauen Augen an.
„Wer bist du, was machst du hier?“ fragte sie und kniete sich neben dem Kind nieder. Seine Trauer und sein Schmerz berührte sie tief und sie legte sanft den Arm um es. „Was ist mit dir?“ Das Kind erwiderte mit trauriger Stimme: „Ich bin schon so lange hier und ich kann einfach nicht raus. Ich fühle mich so allein. Werdet ihr mir helfen, hier heraus zu kommen?“ Lea war tief betroffen und musste beinahe selbst weinen. Mit erstickter Stimme sprach sie: „Ja, natürlich werden wir dir helfen. Komm mit uns!“ Sie nahm das Kind an der Hand und dieses erhob sich und folgte ihr und dem Tiger...