Röchelnd saß er zwischen den tief hängenden Zweigen der Eberesche und saugte hungrig den Duft des Lebens ein. Das Wasser des vergangenen Regens benetzte die Pfade, wusch den Schmutz der letzten Tage hinfort und glitzerte im hellen Sternenlicht. Der Wind flüsterte mit tausend Stimmen und brachte die Blätter zum rauschen und tanzen. Schwerfällig zog er sich mit spitzen Krallen an den dürren Ästen hinauf, setzte sich vorsichtig auf das weiche Holz und schmiegte sich an den breiten Stamm. Mit leisen Bewegungen schlich die Kreatur höher durch die raschelnden Blätter, bis sein schwarz gehörnter Kopf über die Krone hinausragte und gierig die kalte Luft in sich einsog.
Sein feuriger Blick wanderte derweil zu den Wipfeln des Waldes, den schmalen Wegen und Straßen, die ihn durchzogen und dem mondlosem Himmel über sich. Seufzend schloss das Wesen die blitzenden Augen und genoss das stille Raunen der Nacht, die ihm ihr düsteres Lied zuflüsterte.
Eine Bewegung ließ ihn aufhorchen und seine sieben Mägen verdrehten sich fordernd, knurrten zornig und krümmten seinen Rücken. Kauernd rollte er sich im Schutz des Grüns zusammen und spähte durch die Blätter und Äste. Seine Nasenflügel bebten, sobald ihm der süßliche Geruch entgegen schlug, getragen von den kalten Sommerwinden und ihren qualvollen Stimmen, die sich in den Bäumen erhoben.
Eine schwarze, bodenlose Gier erwachte in seinem verkümmerten Herzen und riss alte Wunden auf, die seit langer Zeit mühevoll verheilten. Tausend Mauern hatte das Wesen um sein Inneres errichtet, tausend Zäune aus Licht und gutem Willen, die die Finsternis gefangen hielten und dennoch binnen eines Wimpernschlag unter ihrer Macht zerbrachen. Ein Ruck fuhr durch seine langen Glieder, wobei ihn die Lust ergriff; ein Pochen, sobald sein Herz zu Schlagen begann; ein Seufzen, als die letzte Mauer fiel.
Schattengleich glitt er am Stamm seines Baumes hinab, grub mit den scharfen Krallen helle Narben in das dunkle Holz und fügte ihm tiefe Wunden zu, indessen sein Blick starr nach unten zeigte. Das trockene Laub knisterte, das Grillengezirp erstarb und das strahlende Sternenlicht versteckte sich hinter aufziehenden Wolken, während der Dämon sich auf den Waldboden fallen ließ. Röchelnd schob er sich durch die Dunkelheit, folgte dem süßlichen Duft, der Leben und Wärme versprach. Der Geruch, der die Finsternis zum brennen brachte und das kümmerliche Licht seines Herzens erlöschen ließ. Von Gier getrieben pirschte er sich näher an den dunkle Waldweg, sein Atem wurde mit jedem knisternden Schritt schneller, das Pochen stärker, der Hunger größer. Die langen Klauen vergruben sich tief im weichen Morast, während er sich lauernd in den finsteren Schatten verbarg.
Der verführerische Duft wurde stärker, rasche Schritte erklangen und der Wind heulte lauter im grünen Dach des Waldes. Der Dämon stöhnte und sein Blick wurde groß und trüb als er das Objekt seiner Begierde endlich vor Augen hatte. Ein Mädchen, deren leuchtende Seele selbst das Licht der Sterne überstrahlte und sich seinem Versteck mit eiligen Schritten näherte.
Schmatzend zog er die Krallen aus dem Waldboden, kauerte sich tief über ihn und spannte die Muskeln zum Sprung an. Das Mädchen sah sich verängstigt um, ihre Nackenhaare stellten sich auf, schrien ihr zu, zu rennen, so schnell und weit sie konnte. Sie warf einen Blick über die Schulter, suchte den dunklen Weg hinter sich ab und zog den Riemen ihre Trägertasche straffer über die Brust.
Das Wesen verfolgte ihre Bewegungen mit hungrigen Augen, beobachtete das Zittern ihrer bleichen Hände und saugte den Duft ein, der sich mit jedem ihrer rasenden Herzschläge in der Luft verteilte. Es ächzte auf, die spitzen Zähne gebleckt, der lange Schwanz hochgestellt und trat aus den Schatten der Bäume. Das Mädchen runzelte die Stirn, sah weiterhin den Weg entlang und blieb zögernd stehen. Ihre Nägel vergruben sich tief im weichen Stoff ihres Kleides, wobei sie sich besorgt auf die Lippen biss. Ein tiefes Grollen erklang aus der Kehle des Dämons und sie wandte sich augenblicklich um, starrte mit schreckgeweitetem Blick auf den verlassenen Pfad.
Das Wesen stürzte zurück in die Schatten, die Augen in tiefer Konzentration geschlossen und versuchte die nagende Gier seines Inneren erneut in Ketten zu legen. Die Finsternis kämpfte unerbittlich gegen seinen Willen an, aber langsam und zögerlich erglomm ein Licht im tiefsten Kern seines zerschlagenden Herzens.
Das Mädchen verharrte weiterhin auf dem dunklen Weg, suchte in den Schatten des Waldes nach der Quelle des zornigen Knurrens. Unsicher trat sie eine Schritt vor und rief mit fragender Stimme in die Nacht hinein. Der Wind antwortete ihr mit gellendem Heulen, aber sie schüttelte lachend den Kopf, verstand nicht die Warnungen die in den Blättern rauschten. Schmunzelnd raffte sie neuen Mut und folgte frohen Schrittes dem Weg durch den dunklen Wald.
Der Dämon jammerte bei der glockenreinen Stimme gepeinigt auf und schlug abermals die schwarzen Krallen in den Morast, während die Finsternis an ihren lichten Ketten riss. Das Mädchen ging lachend weiter, die Muskeln des Wesens entspannten sich allmählich und das Pochen seines wunden Herzens verklang in der Grabesstille. Schwer schnaufend lag er in den Schatten und drückte die gehörnte Fratze in den weichen Grund, saugte den Duft nach Kiefernnadeln in sich auf, um ihren süßen Duft zu vergessen. Ihren Geruch nach Wärme, nach Leben und Sonnenlicht; ihr Lachen, welches selbst Steine zum singen brachte und das Licht ihrer zarten, unschuldigen Seele.
Sein Herz begann von Neuem heftig zu schlagen - die Finsternis erhob sich zum letzten Schlag – Das Licht ertrank in Dunkelheit.
Mit leerem Blick saß der Dämon am Fuße seiner Eberesche und leckte sich die feuchten Krallen. Tränen, eiskalt und rot wie Blut, tropften von seinen schwarzen Wangen auf das zerwühlte Laub, vermischten sich mit den Regen der vergangenen Tage.
Die dunkle Lust hatte ihn verlassen, sich wieder in der tiefsten Ecke seines Inneren verkrochen, wo sie lauernd darauf wartete abermals zu erwachen.
Schwerfällig zog sich der Dämon an den dürren Ästen nach oben, betrachtete traurig die tiefen Narben, die seine Klauen in die Rinde gerissen hatten und blickte zum mondlosen Himmel hinauf.
Die Sterne verbargen sich weiterhin hinter auftürmenden Wolkenbergen und der Wind schluchzte mit tausend Stimmen, brachte die Blätter zum rauschen und tanzen, während die Nacht ihr düsteres Lied erklingen ließ.