Wutgeladen erwachte ich aus meinem Traum, der eine genaue Wiederholung der gestrigen Geschenisse war. Ich konnte sogar Yashars Arroganz spüren, sah sie in seinen Augen vor mir. Alles, was gestern geschehen war, wurde mir in diesem Traum von meinem Gedächtnis widergespiegelt. Es brachte die Wut mit sich, den Schmerz, das Gefühl von Verrat, den Durst nach Rache. Der war es auch der mich daran hinderte einfach wieder einzuschlafen.
Ich brauche meine Rache, mein Körper und mein Geist verlangten danach.
Und es war immer noch Nacht. Das war meine Chance. Nicht, dass ich es nicht auch im Tag geschafft hätte, aber in der Nacht würde es um einiges einfacher sein, an Yashar heran zu kommen, ohne zu viele Unschuldige mit hinein zu ziehen.
Wach und energiegeladen machte ich mich bereit, meine Rache zu bekommen.
Wenige Minuten später und mit allem ausgerüstet, was ich für wichtig hielt, machte ich mich daran, so normal zu wirken, wie jemand der nachts nichts bessers vor hat, als voll bewaffnet duch die Gänge zu laufen. Auf meinem Weg begenete ich nicht vielen Leuten - normalerweise schlief man auch um diese Uhrzeit, aber diejenigen, denen ich begegnete beachteten mich nur müde und dachten sich nichts dabei. Ich hoffte derweilen, dass Yashar immer noch dort angekettet war, wo ich ihn zm ersten Mal gesehen hatte. Immer noch konnte ich mir nicht wirklich erklären, wie mir nicht auffallen konnte, dass es Yashar war, der dort neben mir an einer Kette hing. Nicht einmal seine Stimme hatte ich erkannt.
Doch all das hatte in diesem Moment nur wenig Bedeutung.
Ich erreichte den Thronsaal ohne Probleme und schlüpfte hinter dem riesigen Thron in den Gang, der zu meinem ehemaligen Gefängnis führte. Wenigstens ein paar Wachen hatte ich erwartet, doch niemand war zu sehen. Leise chlich ich den Gang entlang und hoffte inständig, dass Yashar noch dort war. Sonst würde ich eine Weile nachforschen müssen, wo man ihn untergebracht hatte.
Ich hörte leises Atmen. Eine Person. Nein. Zwei.
Es waren zwei unterschiedliche Atemgeräusche. Eines war nur sehr leise zu hören, wie, wenn man schläft. Ein Zweites, lauter, aber dennoch leiser, als bei normalen Menschen. Das musste Yashar sein. Er schien zu schlafen, denn er regte sich nicht. Dann würde ich ihn wohl wecken müssen.
Ich stupste ihn mit meinem Fuß und hoffte, er würde davon aufwachen. Ich würde ihn nicht im Schlaf töten. Nicht, dass ich sowas nicht tat, aber das hier war etwas anderes. Mein Bruder sollte sehen, wer ihn umbrachte. Mein fröhliches Gesicht war das Letzte, was er sehen sollte.
Seine Atemzüge veränderten sich, was mir zeigte, dass er wach war.
"Schwesterherz", sagte er in einem arroganten Tonfall, der allen Hass auf ihn wieder brachte.
"Bruderherz", spuckte ich ihm entgegen. Normalerweise zeigt ich meine Gefühle nicht so offen, doch es ging hierbei um meine Rache. Die Rache für den Tod meines Vaters. Yashar hatte meine Familie zerstört. Jetzt würde ich ihn zerstören.
Meine Augen hatten sich langsam an das dämmrige Licht gewöhnt, sodass ich seine Gesichtszüge erkennen konnte, die den meinen so ähnlich waren. Und doch waren wir so verschieden.
"Du hattest vorhin Glück. Das wirst du jetzt nicht haben. Hier drin wird dich niemand beschützen. Niemand wird kommen und dich retten."
"Ach, komm schon. Du kannst doch nicht immer noch um ihn trauern. Er war weich. Er war schwach. Und dumm war er auch. Ich habe ihm nur etwas Gutes getan." Es. reichte. Ich zog mein Messer und verpasste ihm einen langen, tiefen Schnitt über den Arm. Er schrie nicht, wie ich es erwartet hatte, aber dennoch waren seine Schmerzen nicht zu übersehen. Ich genoss es, sie in seinen Augen zu sehen.
"Was wusste er?" frug ich ihn.
"Das würdest du wohl gern wissen." Oh, der Herr wollte es mir nicht so einfach verraten. Gut. Soll mir recht sein. Ich verpasst ihm einen Schnitt auf dem Oberschenkel. Er wehrte sich kaum, viel mehr konnte er aber auch nicht, denn er war angekettet und anscheinend immer noch schwach von unserem Kampf.
"Was wusste er?" frug ich erneut.
Diesmal gab er mir gar keine Antwort.
Ein paar weitere Schnitte, immer wieder sprach ich die gleiche Frage, doch er antwortet mir nicht. Meine Geduld hielt sich schon immer in Grenzen, doch jetzt war sei beinahe vollständig aufgebraucht.
Ein weiterer Schnitt. Diesmal schrie er. Ich hasste ihn. Er hat mir den Menschen genommen, der mir in meinem Leben am wichtigsten gewesen war. Noch ein Schnitt. Blut sickerte aus all seinen Schnitten, klebte an meinen Händen. Doch ER SAGTE NICHTS! Es war zum verzweifeln, aber dennoch hatte er ein kleines bisschen meines Respektes verdient. Viele Leute hätten schon vor einigen Schnitten gesungen, wie die Vögel im Frühling.
Sein Schrei musste jemanden aufmerksam gemacht haben, denn Schritte kamen immer näher. Mehrere Personen kamen auf uns zu.
Ich musste mich schnell entscheiden. Ihn heute töten, ohne eine Antwort oder ihn am Leben lassen und vielleicht erst nach langer Zeit oder nie wieder die Möglichkeit bekommen, ihn zu töten.
Mein Herz wollte Tod, aber mein Verstand wollte Antworten.
Ich hatte schon lange nicht mehr auf mein Herz gehört, es wurde mir an dem Tag genommen, an dem mir mein Vater genommen wurde.
Ich hörte auf meinen Verstand.
Mein Messer steckte ich zurück an seinen Platz, bevor ich mich in Richtung des Ausgangs bewegte. Ich gab mir keine Mühe leise zu sein, es war mir egal, wer mir entgegenkommen würde. Entweder man ließ mich gehen oder ich würde noch mehr Blut an meinen Händen haben.
Ich lief den Stimmen entgegen.
"Ich hoffe, du hast ihn nicht getötet", rief mir Kijans Stimme entgegen, noch bevor wir uns gegenüber standen.
"Er wollte mir nicht verraten, was ich wissen wollte, also nein, er lebt noch", antwortet ich zähneknirschend und immer noch wütend.
Mit einem Wink schickte er die beiden Männer an seiner Seite in die Höhle, vermutlich sollten sie sich ein Bild von den Verletzungen machen, die ich Yashar zugefügt hatte.
Unterdessen wollte ich mich wieder auf den Weg zu meiner Höhle machen, doch Kijan hinderte mich daran, indem er meinen Arm festhielt.
"Warte. Es tut mir leid. Ja, ich wusste, dass er dein Bruder ist. Und ich wusste auch, dass er deinen Vater umgebracht hat. Aber ich brauche ihn noch ein Weile lebendig."
Ich wollte wirklich nicht mit ihm reden und wandte den Kopf stur in geradeaus, an ihm vorbei.
"Dein Glück, dass er nichts gesagt hat"; entgegnete ich und versuchte erneut meinen Weg fortzusetzen, doch er hielt mich weiterhin fest.
Ein Teil von mir wollte sich einfach losreißen und seinen Weg fortsetzen, der andere Teil von mir wollte isch anhören, was Kijan zu sagen hatte.
"Bitte Sav, hör mir zu. Ich werde dir deine Rache geben. Wenn es so weit ist, wirst du die Person sein, die sein Leben beendet, aber bis dahin muss er am Leben bleiben. Er hat Antworten. Antworten, die dem Kaiser den Kopf kosten könnten."