"Na, wen habe wir denn da?"
Wie hatte er uns gesehen? Wir standen immer noch im Schatten des Tunnels und der Besitzer der Stimme konnte uns unmöglich gesehen haben.
Er musste uns gehört haben.
Dann konnten wir uns ebenso gut ihm gegenüber stellen.
Ich trat erhobenen Hauptes aus dem Schatten, innerlich auf einen Kampf eingestellt.
Wir hätten nicht mal einen Hauch einer Chance gehabt, zu entkommen. In der riesigen Steinhalle die sich scheinbar endlos ausdehnte standen hunderte Wachen in doppelten Reihen.
Das hätten wir unmöglich geschafft.
Da wir mit kämpfen nicht weiter kamen, setzte ich lieber auf meinen weiblichen Charme.
Ich trat noch ein paar Schritte weiter aus dem Schatten heraus, direkt ins Licht. Ich befand mich dem Besitzer der Stimme direkt gegenüber. Und er sah ganz anders aus als ich erwartet hatte.
Kein verkrüppelter, verrückter, mit Narben übersäter, hässlicher, nach Macht gierender Mann stand da. Nein.
Mir gegenüber stand ein mehr als attraktiver, schwarzhaariger, großer und ebenso gut trainierter Kerl wie Yaro. Vielleicht sogar noch ein bisschen besser. Seine Haut war ebenmäßig und seine gebräunte Haut harmonierte perfekt mit seinen tintenschwarzen Haaren und seinen intensiv grünen Augen. Seine Kleidung passte zu seinem Aussehen und seiner Ausstrahlung, er trug ein schwarze Raulederhose, einen schwarzen Brustpanzer über einem schwarzen anliegenden Lederhemd und schwarze Stiefel. Auf seinem Rücken waren Zwillingsschwerter festgeschnallt und an seinem Gürtel hingen einige Wurfmesser und ein kleiner silberner Dolch mit einem Smaragd am Griff.
Doch ich ließ mich von seinem Äußeren nicht täuschen. Er hatte uns hier festgehalten und er verlangte etwas von uns. Er kalkulierte eiskalt, das sah ich an seinem Blick, außerdem standen die Wachen hier sicher nicht umsonst. Er musste entweder wahnsinnig reich oder wahnsinnig einflussreich sein. Oder wahnsinnig gerissen.
Oder vielleicht alles zusammen.
Ich straffte meine Schultern noch ein bisschen mehr.
"Ich bin Sav und der da hinter mir ist Yaro. Aber das weißt du bestimmt, denn du hast uns ganz offensichtlich gezielt entführt."
Ich hatte keine Ahnung was ich da redete, aber ich hoffte es funktionierte. Keine Ahnung ob wir nur zufällig am falschen Ort oder ob wir das Ziel waren.
"Du wagst es mich zu duzen?" er schrie es gebieterisch, aber ich sah es in seinen Augen und an seiner Haltung, dass er es nicht so ernst meinte wie er es gesagt hatte. Er wirkte eher belustigt von der ganzen Szene.
Ich entspannte ich mich ein wenig, blieb aber trotzdem aufmerksam. Man wusste ja nie...
"Sav, wie wäre es wenn wir uns erstmal an den Tisch setzen und ein bisschen reden während des Essens? Du...ihr," er sah Yaro hinter mir an," habt bestimmt Hunger. Folgt mir."
Er wartete keine Antwort ab, ich hätte ihm auch keine gegeben und wandte sich nach links. Schnellen Schrittes ging er in einen weiteren Gang, der neben dem Tunnel lag, aus dem wir gekommen waren. Ich beschleunigte meine Schritte um neben ihm zu gehen, während Yaro mir folgte wie ein Hündchen. Er schien sich in der gesamten Situation eher unbehaglich zu fühlen, ich dagegen begann es hier langsam, aber sicher zu mögen. Man musste schließlich nicht erst lange für sein essen arbeiten, was in meinem Fall klauen hieß, aber auch das war anstrengend genug. Ich hatte einen Riesenhunger, wie gesagt, ich war nie richtig satt.
Der Tunnel durch den wir jetzt gingen, war viel besser ausgeleuchtet und sowohl höher, als auch breiter als der Unsrige. Überall hingen Fackeln und aller zehn Meter stand eine Wache in schwarz-silberner Rüstung an den Wänden. Ich war keineswegs eingeschüchtert von ihnen, allerdings würden wir hier niemals rauskommen, ohne zu sterben, sollte man uns weiter hier festhalten. Wobei das vielleicht gar nicht mal so schlimm war, hier gab es Essen und keiner meiner Feinde würde mich hier finden, ich wusste ja selbst nicht mal wo ich mich befand.
Zumindest nicht wo im Land des Kaisers oder ob überhaupt im Land des Kaisers. Wo ich mich gerade befand, wusste ich.
In einem Saal, den selbst die Könige beneiden würden. Nur der des Kaisers war prunkvoller und größer.
Der Saal erstreckte sich schier endlos und besaß dazu noch mehrere Etagen. Die Tafel war zwar klein, für uns aber dennoch ausreichend. Hier drin könnten mehrere Tausend Platz finden.
"Wundert euch nicht über den vielen Platz, ich speise gern zusammen mit meinen Soldaten und Wachen. Ich bin zwar ihr König, dennoch bin ich mit ihnen verbunden wie kein anderer König mit seinen Soldaten. Setzt euch."
Er selbst nahm am Kopfende platz. Ich setzte mich links neben ihn an die Längsseite, Yaro rechts.
Der Tisch war voll von Essen und ich aß so viel ich konnte. Man wusste ja nie, wann man das nächste Mal etwas bekam.
"Jetzt hätte ich aber mal eine Frage: wo sind wir?" sagte ich, nachdem ich den letzten Bissen runtergeschluckt hatte und glaubte, wenn ich noch nehr essen würde, würde ich auf der Stelle platzen.
"Da ich mit euch zusammen arbeiten will und euch als Verbündete gewinnen möchte, werde ich es euch sagen. Wir befinden uns an der Ostgrenze des Kaiserreiches, in der Nähe der Grenzstadt Kailiri. Ich weiß, dass du dich dort auskennst, Sav. Erinnerst du dich an den Bergkamm?"
Mehr musste er nicht sagen, damit ich wusste wo genau wir uns befanden. Wir waren nicht weit von meiner Familie entfernt, aber dennoch so weit, dass ich es nicht zu Fuß erreichen konnte.
"Ich möchte, dass ihr euch mir anschließt, deshalb lasse ich euch alle Freiheiten die ihr braucht. Jeder von euch bekommt eine eigene Höhle. Kleidung und alles was ihr sonst noch so braucht bekommt ihr ebenfalls. Wir haben einen Trainingsraum und eine Waffenkammer, die euch frei zur Verfügung steht. Nehmt euch was ihr braucht. Ich werde euch später noch ein bisschen herum führen. In den Ställen stehen Pferde für euch, damit du deine Familie besuchen kannst, Sav."
Irgendwie hatte ich das Gefühl er legte es eher darauf an mich zu ködern, Yaro schien ihm nicht wichtig zu sein. Er erwähnt ihn nie und bemerkte ihn nur am Rande.
Aber warum hatte er ihn dann überhaupt gefangen genommen?