Wisst ihr was Demenz ist? Demenz ist Mist. Richtiger Mist.
Schritt für Schritt vergisst du alles. Den Namen deiner Kinder, deines Ehepartners und irgendwann dich selbst...
Als Schülerin der Krankenpflege war ich täglich mit diesem Krankheitsbild konfrontiert. Meinen ersten bewussten Kontakt mit einer Dementen werde ich nie vergessen...
Ich tanzte zur Frühschicht auf der kardiologischen Station an. Meist war ich gut gelaunt. Auch an diesem Tag. Wir begannen mit der "Waschrunde". Nein...wir holten nicht die Schmutzwäsche sondern gingen zu den Patienten und wuschen die, die Hilfe bei der Pflege brauchten. Ich wurde ins letzte Zimmer geschickt.
Dreimal klopfte ich kurz an die Tür und betrat den Raum. Die Gardinen waren schon zurück gezogen und die Sonne ging gerade auf. Doch nanu?! Wo war denn die Patientin? Ich ging zum integrierten Bad und klopfte. Keine Antwort. Vorsichtig schaute ich hinein, doch es war keiner da. Irritiert sah ich mich um. Zwei Betten waren leer und ordentlich gemacht. Nur bei einem Bett war das nicht der Fall. Sofort ging ich hin und hob die Decke an. Eine etwa 80jährige Frau saß mit angezogenen Beinen komplett unter ihrer Schlafdecke und zitterte wie Espenlaub. Als sie mich sah bekam sie große Augen. Sie legte einen Finger auf die Lippen und zeigte mir somit, dass ich leise sein sollte. "Willst du mit unter die Decke? Sonst sieht dich das Krokodil." Verdutzt hob ich die Augenbrauen. "Kro-ko-dil?" Sie nickte hektisch und wirkte auf mich eher wie ein eingeschüchtertes Kind als eine alte Frau. Mir fiel die Dienstübergabe ein, in welcher gesagt wurde, dass diese Frau Demenz hat. Es machte klick. Wahrscheinlich war sie gerade geistig in ihrer Kindheit und sah wirklich ein imaginäres Krokodil. Ich schaute mich um. Kein Krokodil weit und breit. "Wo ist denn das Krokodil?", fragte ich sie mit beruhigender Stimme. "Auf dem Baum." Sie deutete mit den Fingern Richtung Fenster. Mein Blick ging dorthin wo sie zeigte. Ein Krokodil auf dem Baum. Wir waren im 3. Stock. Kein Baum weit und breit. Großartig. Einfach großartig. Was nun? Ich zeigte zum Fenster. "Der Baum?" Man, kam ich mir blöd vor. Doch sie nickte wieder. Dann ging ich zum Fenster. Die Patientin illerte hinter ihrer Decke hervor und beobachtete mich. Zielstrebig öffnete ich das Fenster, klatschte laut mit den Händen und rief: "Tschtschtschtsch...", so wie ich es zu Hause machte, um die Vögel vom Kirschbaum zu verscheuchen. Das wiederholte ich mehrmals und schloss danach das Fenster. Lächelnd drehte ich mich zu der Patientin um und sagte: "So. Das Krokodil ist weg." Insgeheim dachte ich, dass sie sich total verarscht vorkam, doch sie strahlte mich an, zog ihre Decke vom Kopf runter und bedankte sich herzlich.
Das Krokodil auf dem Baum sollte nicht meine letzte seltsame Erfahrung mit Dementen sein. Später versteckte ich mich auch vor kleinen grauen Soldaten, hinderte einen Patienten vom Balkon zu springen, weil er ein imaginäres Trampolin sah und schlüpfte in die Rolle der Chefsekretärin, um meinen Patienten davon zu überzeugen, dass die Mittagspause vorgezogen wurde und er beruhigt essen könne. Doch dies schreibe ich euch später ;)