Das Heulen des Windes, das von den Höhlenwänden widerhallte, hörte sich an wie das infernalische Lachen eines Dämons, der wusste, dass ihm die Beute, die er gefangen hatte, nicht entkommen würde. An einer Wand lehnte der regungslose Körper Konstantinovs. Sowohl die Abdeckung des Bioports an seiner Armbeuge, als auch die der Brustplatte seines Anzuges waren aufgeklappt. Verschiedene Kabel führten vom Anzug zu einem Analysegerät mit dem die Vitalparameter kontrolliert wurden. Der Expeditionsarzt Punit Korrapati betrachtete die Anzeigen und wechselte zwischen ihnen hin und her, als Gunnardson näher kam. »Wie geht es ihm?«, fragte er.
»Er wird durchkommen. Bei der Sedierung haben Sie haben ihm zwar eine höhere Dosis als Nötig verabreicht, aber sein Körper verkraftet es. Ich schätze, er wird in etwa ein bis zwei Stunden erwachen.«
»Gut. Informieren Sie mich bitte, wenn es soweit ist.«
»Natürlich doch.« Gunnardson drehte sich um und ging zum Höhleneingang. Sonnenlicht drang nur schwach durch die Staubwolke herein und tauchte somit einen kleinen Bereich der Höhle in tiefes rot. Auf einem größeren Stein hatte die Expedition die Funkstation errichtet und versuchte in regelmäßigen Abständen Kontakt mit Aloria herzustellen. Monifa war mit der Hörwache an der Reihe und beendete einen weiteren Versuch als Gunnardsaon neben sie trat.
»Immer noch nichts?« Die junge Biologin schüttelte nur den Kopf.
»Alles was ich höre ist statisches Rauschen. Irgendwie scheint der Sturm das Signal zu blockieren.«
»Das liegt an der Statischen Aufladung der Wolke. Mich würde es nicht wundern, wenn sich daraus noch ein starkes Gewitter entwickelt.«
»Wie lange, denken Sie, werden wir hier festsitzen?«
Gunnardson zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Die Stürme können Stunden oder Wochen dauern.« Monifa stieß ein wütendes Schnauben aus. Wie konnte Gunnardson nur so ruhig sein? Sie waren von quasi verloren und hatten jeglichen Kontakt mit der Kolonie verloren. Wenn ihnen etwas passieren würde… Sie brachte diesen Gedanken nicht zu Ende. Alles würde gut werden, das versuche sie sich zumindest einzureden.
Einen Moment schwiegen beide und blickten auf ihr provisorisch eingerichtetes Lager in der Höhle. Die Leuchtbojen, die sie an den Wänden aufgestellt hatten verbreiteten zwar einen kalten Lichtschimmer, aber dennoch reichte er nicht aus um die Höhle vollends zu erhellen. Besonders wenn sie auf den Stollen sah, der tiefer in den Tafelberg führte, hatte Monifa das Gefühl, dass sich die Dunkelheit verdichten würde. Es kam ihr vor als hätten sie durch das Betreten der Höhle ein gefräßiges Tier geweckt, das nun in dem Stollen lauerte um sie bei bester Gelegenheit anzugreifen. Energisch schüttelte sie den Kopf, um das Bild zu vertreiben. Korrapati saß immer noch bei dem bewusstlosen Konstantinov und überwachte dessen Vitalwerte. Bolívar De La Fuente führte eine angeregte Diskussion mit Almas El-Hashem über die negativen Auswirkungen von Prospektionsarbeiten auf archäologische Untersuchungen. Da beide jeweils der festen Überzeugung waren jeweils den richtigen Standpunkt zu vertreten, drehte sich die Diskussion im Kreis.
Die beiden Gonaii saßen an einer anderen Höhlenwand und vertrieben sich die Zeit mit einem Spiel. Einer von ihnen hatte mit seinem Stab ein Feld in den Staub gezeichnet, auf dem sie kunstvoll geschnitzte Steinskulpturen gestellt hatten, die in abwechselnden Zügen bewegt wurden. Chung Eun-Ho saß im Lotussitz zwischen den Spielern und beobachtete das Geschehen. Monifa stieß Gunnarson an und deutete auf den Theologen.
»Meinen Sie, er findet dort die göttliche Einsicht?«, fragte sie nahezu frech.
»Ich glaube, sie schätzen den Orden der zweiten Genesis in dieser Beziehung falsch ein.«, antwortete Gunnardson.
»Wie meinen Sie das? Ist es nicht Ziel des Ordens die Existenz Gottes zu belegen und somit jede Naturwissenschaft als göttlichen Willen abzustrafen?«
Gunnardson lachte leise. »Ich glaube Sie übertreiben. Der Orden gehört zwar der Kirche an, jedoch geht er der ganzen Sache eher philosophisch nach. Er stellt sich die Frage wie Gott zu anderen Lebewesen auf anderen Planeten steht und wie er sie erschaffen hat. Sehen Sie sich die Gonaii doch an. Können diese Wesen, wie der Mensch, von Adam abstammen? Oder wurden die Gonaii aus dem Paradies verbannt? Den naturalistisch geprägten Glauben der Marsianer und den Missionsgedanken des Ordens muss ich ja nicht explizit erwähnen, oder?«
»Nein, aber dennoch erscheint es mir seltsam, dass sie sich mit solchen Fragen beschäftigen. Die Wissenschaft kann genug und wird mit der Zeit genug Erklärungen für diese Entwicklung liefern, warum mischt sich die Kirche da ein?«
»Weil es immer Menschen geben wird, die die Antwort bei Gott suchen. Eine plausible Begründung kann ich ihnen leider nicht geben.« Erneut breitete Schweigen zwischen ihnen aus.
»Darf ich Sie etwas persönliches Fragen, Gunnardson?«
»Selbstverständlich.«
»Wie kommt’s, dass Sie so viel über den Orden wissen? Sind Sie auch ein Ordensbruder?«
»Nein, aber ich habe lange mit einigen Vertretern zu tun gehabt. Ich war einer der Begleiter der Mukunga-Expedition und da habe ich ausführliche Gespräche mit den Ordensbrüdern geführt.« Monifa nickte bestätigend. Sie kannte die Geschichte dieser besagten Expedition. Mukunga war ein Hochplateau, das jeder Gonaii-Stamm auf seinen Wanderungen über den Planeten passierte, aber nie betrat. Laut der marsianischen Mythologie kamen die Urstämme von den Sternen und besiedelten den Planeten. Als ihre Lebenszeit sich dem Ende neigte, zogen sie sich auf das Plateau zurück um dort ihre letzte Ruhe zu finden. Damit diese nicht gestört wurde, verbaten sie ihren Kindern das Betreten dieses Plateaus. Der Orden der zweiten Genesis war überzeugt in diesem Ort einen Beweis für die Existenz Gottes gefunden zu haben und entsandte eine eigene Expedition mit der Aufgabe das Plateau zu erkunden. Die meisten Teilnehmer kamen ums Leben als sie ein Rudel Ograpakas auf sich aufmerksam machten und von den fleischfressenden Reptilien gejagt wurden. Die Expedition war ein Misserfolg und führte fast zur Auslöschung des Ordens, da dieser hochrangige und einflussreiche Mitglieder verloren hatte. Seitdem war Mukunga auch für die Terraner ein verbotener Ort. Die Tatsache, dass Gunnardson zu den wenigen Überlebenden zählte, beruhigte sie etwas.
»Sie können sich etwas ausruhen. Ich werde hier weiter machen.«, brach er das Schweigen. Monifa nickte dankend und ging in eine ruhige Ecke, von welcher sie sowohl den Stollen als auch den Höhleneingang sehen konnte. Das letzte was sie vor dem Einschlafen sah, war die Silhouette Gunnardsons, der neben dem Funkgerät stand und aus der Höhle auf den Sturm blickte.