„Ding Dong."
Ari griff träge nach ihrem Handy. Über dem Nachrichten-Symbol klebte eine kleine rote 1 und meldete eine ungelesene Nachricht. Es war fast Ein Uhr nachts. Ein flaues Gefühl regte sich in ihrem Magen. Sie tippte auf das Symbol und die App sprang auf. Als sie den Namen des Absenders laß wurde ihr Mund trocken. Der kurze Text enthielt nur einen Straßennamen. „Rosa Lux.Str"
Ari zog die Brauen zusammen. Nur ein Straßenname. Gleich bei ihr um die Ecke.
„Oh Fuck."
Sie sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, dass er zurück rollte und gegen ihr Bücherregal stieß, doch Ari kümmerte es nicht. Sie stürzte aus ihrem Zimmer, schlitterte über das Parkett durch den Flur, griff gerade noch rechtzeitig nach dem Türrahmen zum Schlafzimmer ihrer Mutter und zog sich rutschend in den kleinen Raum. Aus der Bewegung heraus schlug sie mit der Faust auf den Lichtschalter, bis sie vor dem alten Kleiderschrank zum Stehen kam. Sie riss die Türen auf und zerrte die rote Tasche aus dem untersten Fach. Hektisch zog sie den Reißverschluss an der Seite auf und griff nach der separaten Erste-Hilfe-Tasche, der die wichtigsten Materialien enthielt. Die kleine grüne Tasche unter den Arm geklemmt, rannte sie zur Wohnungstür, erinnerte sich gerade noch daran Schuhe anzuziehen und nach ihrem Schlüssel zu greifen und hastete die Treppen hinunter, ohne auch nur in Betracht zu ziehen auf den Fahrstuhl zu warten.
Nicht schon wieder. Dieser Idiot. Katrin liegt kaum zwei Wochen im Krankenhaus und er zieht die Scheiße schon wieder ab.
Es roch nach Regen. Die Nacht war warm und schwül. In ihrer Eile fiel Ari nicht mal auf, dass sie nur im Tanktop und ihren kurzen Schlafanzughöschen zur Rosa-Luxemburg-Straße rannte. Die Straßen waren still und leer. Neben den alten Laternen waren nur noch wenige Fenster erleuchtet. Sie jagte auf eine Kreuzung zu und hielt nach einem Straßenschild Ausschau. Als sie es an der Hausfassade des Eckgebäudes erkannte und den ersehnten Namen las, fegte sie ungebremst um die Ecke.
Die Straße war verflucht lang und Ari hatte keine Ahnung auf welcher Seit sie suchen sollte. Die Bordsteine wurden von parkenden Autos überwuchert wie Unkraut und ließen keinen Blick auf die gegenüberliegende Seite zu. Dem Mädchen stand der Schweiß auf der Stirn und ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Rippen.
„Tom", rief sie mit sich überschlagender Stimme und scherte sich nicht um die Ruhestörung, die sie verursachte. Sie kämpfte die aufkeimende Panik nieder und fokussierte ohne anzuhalten ihren Blick auf das Pflaster des Fußweges und jeden Schatten der auch nur annähernd die Form einer menschlichen Gestalt haben konnte. Sie rannte und rief seinen Namen, bis am Ende der Straße angelangte. Japsend und den Tränen nahe, sprintete sie auf die andere Seite, und lief in die entgegengesetzte Richtung.
Als sie ihn schließlich fand, wäre Ari fast über ihn gestolpert. Thomas saß mit dem Rücken an eine Mauer gelehnt, im Schatten eines Müllcontainers. Seine Beine lagen ausgestreckt auf den Gehweg, die Arme hingen schlaf zu beiden Seiten seines Körpers. In der rechten Hand hielt er noch sein Handy.
Ari ließ sich neben ihm fallen und hielt ihr Ohr dicht an seinen Mund. Sie hielt die Luft an, schloss die Augen und blendete ihre Umgebung samt Geräusche ganz und gar aus. Leiser Atem. Etwas beruhigt stieß sie die Luft aus, griff nach seiner Hand und drückte sie sanft,
„Tom, hörst du mich? Ich bin da, ich hab dich", stammelte sie, hin und hergerissen zwischen Angst, Ärger und Erleichterung.
„Ari...", hauchte er schwach, „wurde ja auch Zeit."
Sie lachte schwach. Die kleine Spitze nahm ihr eine Last von der Schulter. Sie tastete vorsichtig seinen Kopf ab und spürte sofort klebrige Feuchtigkeit an den Fingerspitzen.
„Tom, ich brauch' Licht, kannst du dich ein Stück bewegen?"
Er stöhnte, versuchte sich aber zu erheben. Ari griff nach seinem Arm und bemühte sich ihn zu halten. Sie schleifte ihn mehr, als dass er sich selbst bewegte, in den orangen Lichtkegel der nächsten Straßenlaterne. Ari kniete sich auf das raue Pflaster und bettete seinen Kopf vorsichtig auf ihren Oberschenkeln. Tom rechte Gesichtshälfte war voller Blut, das Auge zugeschwollen, seine Lippe und beide Wangenknochen aufgeplatzt. Ari öffnete die Erste-Hilfe-Tische und zog steril verpackte Mullbinden und eine Sprühflasche mit Desinfektionslösung heraus. Während sie sein Gesicht abtupfte bemerkte sie noch einen Cut über der rechten Augenbraue und ein Platzwunde am Hinterkopf.
„Oh Mann, du siehst ja wieder zauberhaft aus", murmelte sie, während sie ihm das Blut abwischte.
„Will doch nicht, dass du aus der Übung kommst."
Ari hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, lächelte aber über seine Worte. Wenn er scherzten konnte es nicht so schlimm um ihm stehen.
„Ich weiß schon gar nicht mehr wie du eigentlich aussiehst...", wisperte sie mit belegter Stimme. Mit ruhigen Händen verpackte sie seine Verletzungen unter Wundkompressen und Pflasterstrips und wickelte abschließend einen blütenweißen Verband um seinen Kopf.
„Wo tut es noch weh?", fragte sie fester Stimme und strich ihm unbewusst über den Kopf. Tom deute wortlos auf seine Brust.
„Ich nehme an, du willst nicht ins Krankenhaus."
„Ja."
„Dann wirst du mit zu mir kommen müssen. Bis zu dir ist es zu weit und ich denke nicht, dass du die Treppen schaffst. Aber du musst mir helfen, ich kann dich nicht tragen."
Tom atmete tief ein, als wolle er sich gegen den Schmerz wappnen.
„Wir schaffen das", versprach Ari optimistisch, griff Tom unter die Arme und drückte ihn vorsichtig in eine aufrechtsitzende Position. Tom stöhnte erstickt und ballte die Hände zu Fäusten. Es tat Ari weh, ihm Schmerzen zuzufügen, doch wenn er ihr verbot einen Krankenwagen zu rufen, musste er da durch. Quälend langsam und unter qualvollem Keuchen, half sie ihm auf die Beine. Sie warf sich seinen Arm um die Schulter und schlang ihren um seine Taille. Er stützte sich schwer auf sie und Ari wankte unter seinem Gewicht. Doch sie biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf ihr Ziel.
Taumelnd schleppte sie ihn die leeren Straßen entlang ohne einmal anzuhalten, obwohl sie merkte wie schwer ihm jeder Schritt fiel. Doch sie fürchtete, wenn sie inne hielten, würde sie ihn nicht noch einmal dazu bewegen können, aufzustehen.
„Wir haben's gleich geschafft", versuchte sie den verletzten Mann anzutreiben, als sie in ihre Straße einbogen. Die letzten Meter erschienen ihr endlos. Tom strauchelte mit jedem Schritt mehr und sein Arm hing schlaff und schwer über ihrer Schulter. Als sie endlich vor ihrer Haustür angelangten, war Ari schweißgebadet und ächzte vor Anstrengung. Doch Toms rasselnder Atem bereitete ihr mehr Sorge. Sie lehnte sich mit der freien Schulter gegen die Tür. Ohne ihn loszulassen, fummelte Ari den Schlüssel vom Bund ihrer Hose, schloss auf und drückte die schwere Holztür mit der Schulter auf. Sie bugsierte Tom in den Hausflur und wusste die Barrierefreiheit des Gebäudes zum ersten Mal, seit sie hier wohnte, richtig zu schätzen.
Das Licht sprang automatisch an, als der Bewegungsmelder die beiden registrierte und erhellte den großzügigen Eingangsbereich. Es waren nur weniger Meter auf beigen Fließen zum Fahrstuhl und Ari streckte den die Hand nach dem Rufknopf aus, noch bevor sie ihn berühren konnte. Als sie auf den Schalter drückte, öffneten sich sofort die Metalltüren. Ari seufzte erleichtert und zerrte Tom in die schmale Kabine. Sie wählte ihre Etage und gleich darauf die Taste zum Schließen der Türen. Leise summend setzte sich der Lift in Bewegung und Ari nahm beide Arme zur Hilfe um Tom auf den Beinen zu halten. Sie sah zu ihm hoch und stellte besorgt fest, das Tom Augen geschlossen waren. Er atmete durch den Mund und sein Gesicht war grau und schimmerte feucht.
„Bleib bei mir, wir sind fast da."
Sie vermied den Blick in den Spiegel auf der Rückseite des Fahrstuhls. Als die Türen sich wieder öffneten, schleifte sie ihn zur einzigen Tür auf der Etage, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Sie stieß sie mit dem Fuß auf und schleppte Tom, ohne die Tür zu schließen und mit letzte Kraft in ihr Zimmer. Das Licht war noch an und alle Türen offen. Behutsam manövrierte sie ihn bis zu ihrem Bett und ließ sie sich mit ihm darauf sinken. Ihre Beine hingen über die Kante, doch sie brauchte erst einmal einen Moment und atmete mit geschlossenen Augen tief durch. Schließlich erhob sie sich wieder, krabbelte ans Kopfende, packte Tom unter den Armen und zog ihn Stück für Stück hoch. Sie schob ihm ihr Kissen unter den Kopf und betrachte ihn besorgt.
Er sah übel aus. Viel schlimmer als all die Male zuvor, die sie ihn zusammengeflickt hatte. Toms Atem ging flach und seine Augen waren noch immer geschlossen. Sie griff nach seiner Hand.
„Sprich mit mir, Tom. Bist du noch bei mir?"
Er öffnete seinen Mund einen spaltbreit, doch es kam kein Laut heraus.
„Komm schon, gib mir ein Zeichen."
Er drückte ihre Finger, nur ganz zaghaft, doch das reichte ihr. Ari stand auf und überlegte, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie ihm eine Elektrolyt-Infusion verpasst, doch ihre Mutter hatte leider nichts dergleichen zu Hause und sie wagte es nicht in die Klinik zu fahren und Tom allein zu lassen. Sie verließ ihr Zimmer, schloss die noch immer sperrangelweit offen stehende Wohnungstüre und ging weiter in die Küche. Aus dem Schrank holte sie zwei 0,5 Liter Becher und füllte beide mit kühlem Wasser aus der Leitung. Auf dem Rückweg in ihr Zimmer löschte sie das Licht im Schlafzimmer ihrer Mutter.
Tom hatte sich leicht auf die Seite gedreht und sah sie aus müden Augen an. Ari stellte einen Becher auf ihr Nachtschränkchen und setzte sich mit dem zweiten in der Hand auf die Bettkante.
„Du brauchst Flüssigkeit", sagte sie nur und hielt ihm das Gefäß an die aufgesprungenen Lippen. Tom schlürfte einige winzige Schlucke und schluckte schwer. Sie setzte ab und stellte den Becher ab, dann griff sie sich ihr Glas und trank es in einem Zug leer.
„Okay, lass mich dich noch mal durch checken."
Tom reagierte nicht auf ihre Worte, doch das hatte das Mädchen auch nicht erwartet. Sie schob sein Shirt hoch und runzelte beim Anblick der zahlreichen dunklen Flecken missbilligend die Stirn. Mit spitzen Fingern tastete sie ihn ab. Auf der linken Seite breite sich ein riesiger Bluterguss aus und tauchte seine Haut in etliche Rot- und Violettschattierungen. Die Haut fühlte sich hart und erhitzt an. Einige Rippen waren definitiv geprellt, die ein oder andere vielleicht auch gebrochen.
„Atme tief ein", bat sie sanft und lauschte aufmerksam, als er ihren Worten nachkam. Es klang normal. Wären seine Lungen durch angeknackste Knochen punktiert wurden, hätte er längst unter akuter Atemnot gelitten. Ari holte die bewährte Salbe und schmierte Toms Hämatome sachte ein. Sie starrte auf ihre Finger, die beinahe zärtlich über seine Haut strichen. Es zählt nicht. Das letzte Mal, als sie ihn berührt hatte und es gezählt hat, war fast ein Jahr her.
Er beobachtete sie schweigend und Ari fragte sich, was er dachte. Doch seine Mine war unergründlich. Vermutlich nicht zuletzt, da er dank seiner Verletzungen kaum in der Lage schien, auch noch einen Muskel zu rühren. Sie vermied es ihm in die Augen zu sehen und konzentrierte sich ganz auf ihre Aufgabe. Als sie fertig war, hielt sie ihm sein Wasser noch einmal an den Mund und Tom trank gehorsam einige Schlucke.
Sie stellte den Becher wieder hin und erhob sich vom Bett. Er folgte jeder ihrer Bewegungen mit den Augen, blieb aber stumm. Ari räusperte sich und sah ihn schließlich doch an.
„Also gut", begann sie und verschränkte die Arme vor der Brust, um sich selbstsicher zu geben. „Mehr kann ich gerade nicht für dich tun, fürchte ich. Ich hoffe, alles was dir jetzt noch fehlt ist Ruhe. Es ist fast ein Glück, dass du dich nicht wehren kannst, denn ich hab ehrlich gesagt Angst dich allein zu lassen. Deshalb werd' ich neben dir schlafen, falls die Nacht irgendwas ist. Komm damit klar."
Zu ihrer Überraschung verzog Tom den Mund zu einem leichten Grinsen.
„Okay, keine Widerworte. Sehr gut."
Sie ließ ihren Blick über ihn schweifen und sah, dass Tom noch immer Schuhe trug.
„Oh, ähm, ich zieh dir die mal aus", stotterte sie etwas verlegen und begann die Senkel zu lösen. Sie streifte ihm die schwarzen Vans und seine Socken von den Füßen, stopfte die Strümpfe in die Sneaker und stellte sie gemeinsam mit ihren eigenen Schuhen neben den Schreibtisch. Dann löschte sie das Licht und schloss die Tür. Bleiches Mondlicht fiel durchs Fenster und tauchte den Raum in Schwarz-Weiß. Barfuß tappte sie zurück zum Bett, hielt jedoch vor dem Fenster noch einmal inne. Sie kippte es an, damit etwas frische Luft nach innen drang und ließ das Rolle herunter.
Vorsichtig legte sich schließlich ebenfalls auf die Decke und achtete darauf Tom nicht zu nahe zu kommen, obwohl sie nichts lieber getan hätte, als nach seiner Hand zugreifen.
„Nacht", flüsterte sie ins Halbdunkel.
„Nacht", antwortete er ebenso leise.
〜 〜 〜
Tom lag schweigend und reglos in Aris Bett. Jeder Muskel, jeder Knochen, einfach jede Stelle seines Körper schmerzte und obwohl er bis jenseits seiner bekannten Grenzen erschöpft war, konnte er nicht schlafen. Aris Duft umfing ihn und er spürte ihre Gegenwart überdeutlich. Es war ewig her, seit er sich ihr zum letzten Mal so nah gefühlt hatte. Und gleichzeitig so unerreichbar fern. Er lauschte ihrem Atem und wusste, dass sie ebenfalls noch wach war. Vielleicht teilten sie sogar ähnliche Gedanken.
Als er ihr mit letzter Kraft die Nachricht geschrieben hatte, wusste er nicht wie dieser Abend ausgeht. Er hatte für eine Weile das Bewusstsein verloren, doch ihre Stimme, die seinen Namen rief, hat ihn zurück in die Wirklichkeit geholt. Natürlich war sie gekommen. Er hatte nie daran gezweifelt. Sie hatte ihn zu sich nach Hause und in ihr Bett gebracht. Er musste furchtbar aussehen. Doch er war zu fertig, um noch Kraft für falschen Stolz übrig zu haben. Er brauchte sie und er wusste, dass Ari ihn niemals hängen lassen würde.
Als sie seinen Brustkorb untersuchte und ihn später mit der kühlenden Salbe einrieb, fragte er sich für einen kurzen Moment, wie masochistisch er am Ende vielleicht veranlagt war. Wäre er nicht verletzt, hätte sie keinen Grund mehr ihn zu berühren. Er wusste nicht, ob er das ertragen konnte. Auch wenn es eigentlich nicht zählte. Tom war klar, dass er sich selbst betrog. Er wollte wegen der Kämpfe nicht mit ihr zusammen sein, doch benutzte die daraus resultierenden Verletzungen, um weiterhin die bitter-süße Qual ihrer Hände auf seiner Haut zu erleiden.
Er fragte sich wie bescheuert er eigentlich war und wusste doch, dass er rein gar nichts an seiner Situation ändern würde. Zumindest nicht solang seine Mutter krank war. Sein Kopf schmerzte von der sinnlosen Grübelei und er erwog seine hübsche Krankenschwester nach Schmerzmitteln zu fragen. Gerade als er den Mut zusammengefasst hatte, um die Worte zu formulieren, erschütterte eine leichte Bewegung das Bett.
Tom öffnete vorsichtig die Augen und sah, das Ari aufstand. Sie ging zum anderen Ende des Raum, schob einen Vorhang beiseite und öffnete eine Glastür, die sich dahinter verborgen hatte. Sie ließ die Tür offen und verschwand aus seinem Sichtfeld. Nach einigen Sekunden vernahm Tom das charakteristische Geräuschpaar eines entzündeten Feuerzeugs, gefolgt von einem langen Ausatmen. Ari rauchte. Tom selbst hatte ewig keine Zigarette mehr angefasst. Seit er wieder ernsthaft mit dem Training begonnen hatte. Doch jetzt war ihm danach. Er wünschte, er könnte einfach aufstehen, sich zu dem rothaarigen Mädchen gesellen und mit ihr rauchen. Wie zwei ganz normale Freunde.
Doch er blieb liegen und beobachtete stattdessen voller Sehnsucht das Glimmen in der Spiegelung der Fensterscheibe. Als Ari zurückkam, brachte sie den leichten Geruch nach Vanilletabak mit. Sie schloss leise die Tür, blieb aber stehen. Tom wagte nicht sich zu rühren und kniff die Augen zusammen. Sie atmete tief und leicht zittrig wieder aus. Weint sie? Bestürzt begann sein Herz schneller zu schlagen.
„Es kotzt mich so", hört er ihr leise Stimme. „Du machst dir keine Vorstellung, wie sehr mich das ankotzt."
Sie schniefte. Tom biss sich auf die Lippen. Was meint sie? Was kotzt sie an? Ich- in ihrem Bett? Er lauschte auf ihre leisen Schritte und fühlte sich schwach und hilflos. Er wollte ihr nicht zur Last fallen. Sie hatte ihm ihre Nummer doch geradezu aufgedrängt. Und jetzt, da er ihre angebotene Hilfe freiwillig annahm, kotzte es sie an?
„Ich hasse das", wisperte sie hinter ihm. Doch sie klang eher traurig, als wütend. Er spürte sie hinter sich stehen und wäre fast zusammen gezuckt, als ihre Finger sachte durch sein Haar strichen.
„Diese ganze verdickte Situation. Es kotzt mich an, dass ich einfach nicht aufhören kann dich so zu sehen, wie vor einem Jahr. Dass ich dich immer noch will und du scheinbar nicht mal mehr weißt, wer ich bin."
Tom blieb stumm und reglos, obwohl vermeinte, dass sie sein Herz schlagen hören musste, so hart wie es gegen seine Rippen hämmerte, als wolle es sich aus ihm befreien. Er wollte nach ihrer Hand greifen, sie in seine Arme ziehen, küssen und sagen, dass er sie mehr liebte alles auf der Welt. Doch er konnte nicht. Denn es gab etwas was er mehr liebte. Seine Mutter, die im Krankenhaus lag und deren Versicherung nicht mehr zahlte. Tom brauchte das Geld und es war ihm wert das Risiko einzugehen, dafür ständig krankenhausreif geschlagen zu werden. Und er durfte sich von niemanden davon abhalten lassen. Selbst wenn er sich dafür selbst das Herz aus der Brust riss.