Tom flüchtete erschrocken vor sich selbst in den Waschraum, der neben den Umkleidekabinen gelegen war und zu dem nur Kämpfer und Leute ihres Teams Zutritt hatten. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht und gurgelte einige Male, doch der saure Geschmack, den er auf der Zunge hatte, wollte nicht verschwinden. Was zur Hölle war da gerade mit ihm passiert. Wieso ist er bei Janniks Anblick, der so vertraut mit Ari umging, plötzlich derart durchgedreht. Er blieb mit rasendem Herz, seinem Spind im Rücken, sitzen bis er wieder dran war. Als Peter ihn zum zweiten Mal an diesem Abend zum Ring begleitete starrte er beherrscht gerade aus, um weder Ari noch Jannik zu sehen, oder noch schlimmer zusammen zu sehen. Auch sein zweiter Kampf stellte sich schon bald als wenig herausfordernd dar. Sein Gegner war nicht schwach oder ungeschickt, aber er wirkte noch erschöpft von seinem ersten Kampf und leicht unkonzentriert. Tom hatte leichtes Spiel und wich allen Angriffen aus, während er selbst wirkungsvolle Treffer platzierte. Der Gong läute und die Kontrahenten zogen sich auf ihre jeweilige Seite des achteckigen Kampfplatzes zurück. Tom sammelte sich, doch er merkte schnell, dass es vergebens war. Ari trat nicht durch die gepolsterte, aus einem Drahtgeflecht bestehende Tür, um zu ihm zu kommen. Sein Herzrasen beschleunigte sich parallel zu dem wiederaufkeimenden schlechten Gewissen. Er hätte sie fast geschlagen. Hätte er wirklich? Nein, er hatte sich doch noch gefangen. Scheiße, Mann. Was wenn sie jetzt echt Angst vor mir hat? Was wenn, wenn sie mir das nicht verzeihen kann?
Der Gong schrillte durch sein Schuldbewusstsein und zwang ihn sich wieder auf seinen Gegner zu konzentrieren. Der blutete bereits aus zahllosen kleinen Wunden und seine Jochbeine waren deutlich angeschwollen. Tom blendete alles aus. Er wollte nur noch raus, schnell diesen Kampf beenden und weg hier. Er nahm sich nicht zurück und ließ harte Schläge auf den jungen Mann vor sich niederprasseln, bis er zu Boden ging.
„Eins", begann der Ringrichter anzuzählen. Der Mann versuchte sich auf die Beine zu kämpfen, während der Referee jede Zahl, die er laut ausrief mit der typischen Bewegung begleite, bei der er seinen rechten Arm erhob und nach unten sausen ließ. Bei „Fünf" verließ ihn alle Kraft und er sank halb besinnungslos auf die Matte. Der Kampfrichter beendete den Kampf und rief Tom als Sieger aus. Die Türen wurden geöffnet und die Angehörigen des Besiegten strömten herein, um ihm aufzuhelfen. Tom drehte sich um, bereit das Oktagon zu verlassen, als der Ringrichter ihn ansprach.
„Geh nicht zu weit weg, der Abend ist noch nicht für dich beendet. Halt dich bereit, es wird nicht lange dauern." Tom nickte, als er überrascht Ari sah. Doch sie kam nicht zu ihm, sondern ging an ihm vorbei, und warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Irritiert sah er ihr nach. Sie ließ sich neben seinem geschlagenen Gegner nieder, der noch auf dem Boden kauerte, nur gehalten von zwei anderen, die ihn stützten.
„Hey, ich bin Sanitäter, soll ich ihn kurz durchchecken?", fragte sie die beiden, die dankbar nickten. Tom bemerkte, dass er sie mit offenem Mund anstarrte. Er schüttelte kurz den Kopf, um sich selbst von dem Bann zu befreien und verließ endlich den Ring. Von draußen beobachtete er Ari, die sich um seinen Gegner kümmerte, wie sie es zuvor stets bei ihm getan hatte. Er wusste nicht was er davon halte sollte, doch die Scham über sein vorheriges Verhalten würde immer mächtiger. Doch zum ersten Mal, hatte er auch tiefsten Respekt für das Mädchen übrig, das selbstlos sofort zu einem Verletzten eilte, egal, ob sie ihn kannte, oder er ihr freundlich gesinnt war oder ablehnend. Ziemlich spät, wie ihm sofort klar war. Er hatte sie die ganze Zeit, seit Monaten, nur abweisend behandelt, hatte sie sogar angeblafft, dass sie gefälligst abhauen solle, während er sie doch schon eine ganze Weile als selbstverständlich wahrgenommen hatte. Und da war noch etwas, dass er erst jetzt deutlich einordnen konnte, als er sie mit dem anderen Kerl sah. Eifersucht. Fuck. Nicht so schlimm wie bei Jannik. Aber schlimm genug.
Ari schien seinen Blick zu spüren, denn sie sah immer wieder kurz und unsicher zu ihm rüber, während sie den Jungen das Blut aus dem Gesicht wischte und die aufgeplatzte Haut mit Pflasterstrips zusammenklebte. Auch als sie fertig war, und den Ring verließ, kam sie nicht zu ihm, sondern ging direkt zu Jannik. Der hatte sich sichtlich fern von Tom gestellt und beäugte ihn argwöhnisch, als Ari sich wieder zu ihm gesellte und von eine Glas nippte, dass Jannik gerade noch in der Hand gehalten hatte. Tom wandte den Blick ab, drauf und dran, zurück in die Kabine zu gehen und zu warten und während dessen seine immer schlechter werdende Laune in Kraft für den nächsten Kampf zu kanalisieren. Wie ferngesteuert drehte er sich dann doch wieder zu den beiden um, und ging langsam und beherrscht auf sie zu. Sofort änderte sich Janniks Haltung und er schob Ari demonstrativ hinter sich. Als er das sah und den implizierten Vorwurf erkannte, wollte heißer, roter Zorn Toms Gedanken einfärben, doch er kämpfte ihn angesträngt nieder. Diese kleine ... fuck. Beherrsch dich! Als ob er wirklich auf Ari losgehen würde. Nach der Aktion vorhin, war allerdings klar, dass Jannik diese Karte spielen würde.
„Wie kommst du nach Hause?", sprach er Ari gezielt und betont ruhig an.
„Ich bringe sie heim", antwortete Jannik für Ari, als die gerade den Mund aufmachen wollte. Tom schloss für voll zwei Sekunden die Augen. Er spürte eine Ader an seinem Hals pochen, doch erneut würde er sich zu etwas so Dummen hinreißen lassen. Er hatte sich unter Kontrolle. Abgehackte nickte er und atmete hörbar durch die Nase ein, seine Hände so fest zu Fäusten geballt, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
„Wenn ihr irgendwas passiert", richtete er sich mit bedrohlich leiser Stimme an seinen Sparringspartner, „mache ich dich kalt!"
Nach diesen Worten drehte er sich um und ging zu den Umkleideräumen zurück. Er wollte keine Reaktion darauf hören oder sehen. Ganz bestimmt wollte er nicht dem missbilligenden Blick von Ari begegnen. Er ließ sich wieder vor seinem Spind fallen, stützte die Ellenbogen auf seine Beine und ließ den Kopf in seine Hände sinken. Was für ein scheiß Tag. Und dabei hatte er diesen Abend so herbeigesehnt. Wie zur Hölle hatte es nur in so einem Desaster enden können?
Tom musste tatsächlich nicht lange auf Kampf drei warten. Peter holte ihn keine halbe Stunde nach seiner emotionalen Ansprache an Jannik ab und begleitete ihn wie immer. „Wenn du den gewinnst", sagte er gut gelaunt, als hätte er die ganze Scheiße, die zuvor passiert war, nicht mitbekommen, „steigst du eine Klasse auf. Das heißt, auch mehr Kohle und größere Herausforderungen in Zukunft." Tom nickte bloß. Das alles ging ihm gerade herzlich am Arsch vorbei. Er wollte nur noch nach Hause und allein sein.
Sein letzter Gegner für diesen Abend war ein massiger Kerl, mit kahlrasiertem Schädel und tief sitzenden, kleinen Augen. Bis auf eine leicht aufgeplatzte Lippe und einigen noch schwach schimmernden Blessuren am Oberkörper, hatte er seine Vorrunden scheinbar ähnlich leicht und unbeschadet überstanden, wie Tom. Er beobachtete Tom aufmerksam, während er sich seinen Zahnschutz in den Mund schob, als wolle er bereits seine Schwachstellen ausfindig machen. Die erste der drei fünfminütigen Runden begann, wie die meisten Kämpfe: die Kontrahenten umkreisten einander erst distanzierten und versuchten abwechselnd immer wieder vorsichtige Vorstöße aufeinander, um die Bewegungen und den Stil des jeweils anderen zu studieren. Tom kam in den Sinn, dass es wahrscheinlich clever gewesen wäre, die anderen Kämpfe zu beobachten. Das wäre möglich gewesen, doch üblicherweise hielten sich alle Kämpfer, wenn sie nicht dran waren, in den Kabinen oder im Aufwärmungsraum auf, um sich dort in Ruhe vorzubereiten. Auch der Glatzkopf schien es so gehalten zu haben. Damit hatte zumindest keiner einen Vorteil.
Ein harter Tritt brachte Tom aus dem Gleichgewicht und ließ ihn straucheln. Nur um Haaresbreite gelang es ihm einem rechten Haken gegen sein Kinn auszuweichen. Das Manöver zwang ihn allerdings in die Defensive. Der Glatzkopf erkannte seinen Vorteil und stürzte sich sofort auf ihn. Tom hielt schützend die Oberarme vor den Kopf, um die Schläge abzublocken und versuchte sich aus der Klammer zu winden, die der massige Kerl versuchte anzusetzen. Keuchend schlug Tom auf eine ungeschützte Stelle an der Seite des Mannes und entglitt gerade so und nur dank einer oft trainierten Drehung dem eisernen Griff, bei der er zugleich versuchte seinen Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Doch der stand wie ein Felsen in der Brandung. Er musste konzentriert bleiben, schalt er sich selbst.
Die erste Runde verlief nur semioptimal. Er schaffte es einige Treffer zu landen, doch musste selbst viel mehr einstecken und war bald schweißgebadet. Kurz bevor der Gong die Runde beendete, kassierte er noch einen saftigen Faustschlag gegen sein Ohr, der ihn Sternchen sehen ließ. Taumelnd zog er sich in seine Ecke zurück, während sein Gegner noch so frisch wie am Anfang des Kampfes wirkte.
Ein kurzer, aber massiger Schatten baute sich vor Tom auf und hielt ihm die Trinkflasche mit Strohhalm vor die Nase. Es war eindeutig nicht Ari, die zu ihm gekommen war. Was hatte er auch erwartet. Peter sah ihm ernst ins Gesicht. „Was ist denn auf einmal los? Hast du keine Lust mehr?"
Tom winkte ab und nahm den Strohhalm zwischen die Lippen. Er nahm den Mundschutz nicht heraus. Vor allem um nicht antworten zu müssen. „Reiß dich zusammen Junge. Du kannst gewinnen!", versucht sein alter Trainer ihn zu motivieren. Tom schielte unauffällig zur Seite, um die Leute außerhalb des Rings sehen zu können, doch er konnte Ari nicht entdecken. Ob sie schon weg war? Und sich von Jannik nach Hause bringen ließ? Ungewollt erschienen Bilder vor seinem inneren Auge, wie Jannik sie an ihrer Haustür verabschiedete und ihr zur Verabschiedung einen Kuss gab. Ihm wurde heiß und kalt vor Hass, als er irgendwo hinter sich ihre Stimme zu hören meinte. Er wiederstand dem Drang sich umzudrehen nur mühsam. Fuck! Beherrsch dich, konzentrier dich! Du wolltest sie nicht hier haben, jetzt hast du deinen Willen.
Doch die Konzentration ließ sich einfach nicht wie sonst herbei zwingen und die zweite Runde begann, wie die letzte aufgehört hatte. Unwillkürlich fragte er sich bei jedem Treffer, den er einsteckte, ob sie auch draußen bleiben würde, wenn er ernsthaft verletzt werden würde. Noch gelang es Tom sich immer wieder hastig aus der Reichweite des Glatzkopfes zu bringen, bevor der ihn zufassen und in einer mit Sicherheit endgültigen Klammer festsetzen konnte. Endlich brach ein eigener Vorstoß erfolgreich durch und er wischte, den Kahlköpfigen hart mit einem Tritt aus einem Drehsprung heraus, der ihn mit dem Rücken gegen das Gitter taumeln ließ. Tom setzte sofort mit einigen Angriffskombinationen aus Faustschlägen gegen Kopf und Oberkörper und einem abschließendem Roundhouse Kick wie aus dem Bilderbuch nach. Doch sein Gegner fing sich schnell wieder und wehrte Tom mit einem Schlag in die Magengegend ab, der ihn keuchend nach Luft schnappen ließ. Und sofort war der Glatzkopf über ihm und schickte ihn mit einem harten Schlag gegen den Kopf zu Boden, der ihm alle Kraft aus den Gliedmaßen presste.
„Eins", begann der Referee. „Zwei."
Tom schüttelte die Benommenheit ab und kam auf die Beine. Der Schiedsrichter zog sich schnell zurück. Tom schmeckte Blut im Mund, als er zu seinem Gegner aufsah, der ihn abschätzig betrachtete. Er grinste und winkte ihn großspurig mit seiner Hand heran. Der andere verzog sein Gesicht zu so einer Art Lächeln, das jedoch nur das schwarze Gummi entblößte, das seine Zähne schützte. Trotzdem kam er schnell auf Tom zu. Der duckte sich unter dem Schlag hindurch, brachte sich gewandt hinter ihn und trat ihm die Beine weg. Oder versuchte es vielmehr. Denn sein Gegner wankte gerade mal ein bisschen und erwischte Tom seinerseits so übel mit dem Ellenbogen, dass er nach hinten umkippte.
Erneut am Boden, hörte er den Kampfrichter nur wie aus weiter Ferne zählen. Der Gong rettete ihn, als die „Sechs" noch in der Luft hing. Mühsam versuchte er sich aufzurichten, als Peter schon bei ihm war und ihm im wahrsten Sinne unter die Arme griff. Doch nicht nur er. Auch Ari war da und nahm sein Gesicht sanft beide Hände. Vorsichtig hob seinen Kopf an und leuchtete ihm mit irgendwas in die Augen. Die tränten und er sah verschwommene Konturen, doch die Sorge in ihrem Gesicht ließ sich nicht leugnen. Trotzdem rollte eine Welle der Erleichterung durch seine Eingeweide. Entlastet atmete Tom langsam aus und spürte zähflüssigen, und ziemlich sicher rotgefärbten Speichel über seine Lippen tropfen. Ari wischte ihm routiniert alles Blut und Schweiß aus dem Gesicht und presste ihm ein kaltes Eisen gegen die geschwollene Haut an seinem rechten Auge. Sie sagte kein Wort und vermied direkten Augenkontakt, als sie ihm sein Trinkgefäß reichte. Aber sie war da. Bei ihm. Und sie strahlte eine Ruhe aus, die sich sofort auf Tom übertrug. Als Ari und Peter schließlich den Ring verließen, fühlte Tom sich wieder stärker, als wäre ihm eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen worden.
Und ihm wurde deutlich bewusst: er wollte nicht verlieren. Schon gar nicht vor Aris Augen. Bereit für die letzte Runde richtete er sich zu voller Größe auf, und erzielte endlich den gewohnten Tunnelblick, um ihn seinem Gegner seine volle Aufmerksamkeit zu schenken, als wären sie ganz allein in dieser Halle. Alle Geräusche schienen zu verstummen und er hörte nur seine eigene Atmung und die des Kahlköpfigen. Langsam kam er auf Tom zu und beobachtete ihn. Tom stand still, bis er auf Schlagreichweite heran war. Instinktiv wich er nach hinten und seitwärts aus, als ein Tritt erst auf seine Brust, dann seinen Oberschenkel zielte. Er tänzelte um ihn herum, um das Gitter nicht im Rücken zu haben und holte aus. Er erwischte seinen Gegner nicht, doch der wich genauso aus, wie Tom es wollte: nach hinten und hatte nun statt ihm die 2,5 Meter hohe Begrenzung des Oktagons im Rücken. Tom täuschte einen Tritt auf den Schenkel an, sprang aber stattdessen in die Höhe, auf den Glatzkopf zu. Er stützte sich noch im Flug mit einer Hand auf dessen Schulter ab, während der den Kopf hob und ließ seine andere hoch erhobene Faust mit solcher Wucht auf sein Gesicht nieder krache, dass er das Knacken deutlich hörte, als die Nase seines Kontrahenten brach. Ein Schwall Blut spritzte durch die Nasenlöcher. Der Glatzkopf ging zu Boden. Tom landete neben ihm sicher auf den Füßen und setzte mit drei rasend schnellen Schlägen nach, bis der Referee bei ihm war und ihn zurück riss.
Ein Anzählen war nicht mehr nötig. Der Glatzkopf war K.O. und Tom atmete auf. Er wusste, er hatte scheiß Glück gehabt, denn noch eine volle Runde, hätte er auf keinen Fall überstanden. Es hatte schnell gehen müssen, solange die winzige Kraftreserve aus der Pause noch nicht verpufft war. Nachdem sein knapper Sieg ausgerufen wurde, verließ er den Ring und sah sich Ari gegenüber, die ihn musterte. Jedoch nur aus rein fachlichen Interesse, wie es Tom schien. Es versetzte ihm einen leichten Stich.
„Willst du nicht nach dem anderen sehen?", fragte er und ärgerte sich schon über seine Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Ari beugte sich etwa zu Seite und sah an ihm vorbei. Dann schüttelte sie Kopf. „Nein, ist glaube nicht nötig. Er hat ein paar Leute um sich", erwiderte sie nüchtern, als hätte sie Toms Frage ernst- und seinen zynischen Unterton gar nicht wahrgenommen. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf Tom, der sich plötzlich sehr unwohl fühlte. Nachdenklich legte sie den Kopf auf die Seite.
„Wenn ich es nicht besser wüsste", sagte sie und bewies, dass sie Toms Unterton sehr wohl bemerk hatte, „würde ich fast glauben, du bist eifersüchtig." Wie um ihre eigene Frage zu beantworten schüttelte sie langsam den Kopf. Tom wurde flau im Wagen und sein Mund war ausgetrocknet. Sein Instinkt riet ihm zur Flucht, doch bevor sein Körper sich richtig bewegen konnte, lag Aris Hand auf seinem Unterarm und fesselte ihn an Ort und Stelle, als hätte sie ihn festgefroren. Offen und gelassen, frei von jedem Vorwurf oder auch nur leisester Furcht, sah sie ihm in die Augen.
„Aber das wäre natürlich Quatsch. Zumal ich allein deinetwegen hier bin."
Tom erwiderte ihren Blick erstarrt und noch immer stumm. Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen, doch ihre Augen waren eher von Traurigkeit erfüllt.
„Wenn du mich brauchst, werde ich sofort da sein. Ich werde dich immer bevorzugen, wir sind schließlich... sowas wie Freunde, richtig?" Ernst, aber auch, als würde sie um Erlaubnis bitten, fuhr sie fort, ohne eine Antwort abzuwarten. „Aber wenn du mich nicht brauchst, dafür aber jemand anderes, dann muss ihm helfen. Weil ich es kann, verstehst du? Das wäre sonst wie unterlassene Hilfeleistung und damit könnte ich nicht leben. Und das muss einfach okay sein!"
Tom schluckte sichtlich, doch er nickte betroffen. „Klar, sicher. Wer bin ich auch, dir irgendetwas vorzuschreiben...", sagte er und spielte damit auch auf seinen Ausbruch am Anfang dieses Abends an, als er sie wie ein Kind nach Hause ins Bett schicken wollte. Sie lächelte und knuffte ihn sanft gegen die Schulter.
„Und nächstes Mal, wenn du mich aus der Reserve locken oder irgendwie auf die Probe stellen willst, dann finde bitte einen anderen Weg, als dich absichtlich treffen und verprügeln zu lassen, okay?"
Ihre Worte trieben Tom die Röte auf die Wangen. Nicht nur, da sie ihn ertappt hatte, obwohl er die Treffer nicht wirklich absichtlich kassiert hatte, sondern auch, weil sie scheinbar so sehr in seine Kampfkunst vertraute, dass sie glaubte, er hätte gewollt eingesteckt und war trotzdem in der Lage noch zu gewinnen. Ari drückte leicht seinen Arm.
„Ich bin nur nicht zu dir gekommen, weil es nicht nötig schien und ich dir deinen Freiraum lassen wollte. Du hast ja ziemlich deutlich gemacht hast, dass du mich nicht dort haben willst." Sie zögerte kurz, dann fügte sie mit bedeutungsschwerer Stimme an: „Aus keinem anderen Grund!"
Tom sah, erfüllt von seinem schlechten Gewissen zu Boden und wusste nicht was er sagen sollte. Ari ließ ihn los und wandte sich um, um zu gehen. Doch dieses Mal hielt er sie zurück und griff bewusst behutsam nach ihrer Hand. Überrascht sah sie auf, während er ihrem Blick kaum standhielt.
„Danke", brachte er endlich hervor, wenn auch sehr leise und mit kratziger Stimme. „Und es tut mir unendlich leid. Vorhin das, ich wollte nicht.... Ich würde dir nie wehtun wollen." Er ließ ihre Hand los, damit sie sich nicht irgendwie genötigt fühlte und senkte beschämt den Blick.
„Ich weiß", flüsterte sie und trat an ihn heran. Sie legte den Kopf an seine nackte Brust und die Arme lose um seinen immer noch schweißfeuchten Rücken. „Ich weiß", murmelte sie noch einmal. Verlegen, aber unsagbar erleichtert erwiderte er die Umarmung sanft und ließ eilig los, als sie Anstalten machte sich zurück zu ziehen.
„Ich werde jetzt gehen", sagte sie leise.
„Okay."
„Bis dann, Tom."
„Bis dann, Ari."