Kapitel 3: Eine friedliche Rebellion
Am nächsten Morgen hatten wir uns alle in Charlottes und meinem Zimmer versammelt, um zu besprechen, wie wir vorgehen würden.
Charlotte begann mit dem, was wir bereits am Tag zuvor geklärt hatten: „Wir werden also zunächst dieser Carry Bries einen Besuch abstatten. Sie soll eine Gruppe anführen, die sich wohl lautstark gegen die Hovers beschwert und vorhat, etwas zu unternehmen. In meinen Augen ist sie die Hauptverdächtige.“ Wir hielten alle die Aussage für richtig und nickten ihr zustimmend zu.
„Habt Ihr auch in Erfahrung bringen können, wo sich diese Frau aufhalten soll?“, fragte Alec sie und ließ sich neben mir auf mein Bett fallen, woraufhin sich Patrick räusperte und sich von Charlottes Bett nach vorne zu seinem grauen Rucksack beugte, in dem er rumzuwühlen begann. Dabei knarrte das Bett laut und eine Staubwolke kam zum Vorschein, woraufhin Alec die Nase rümpfte.
„Ich hoffe, wir müssen nicht noch eine Nacht hier verbringen. Im ganzen Haus stinkt es nach fauligen Eiern und ich glaube bereits eine ganze Mäusefamilie entdeckt zu haben“, gab er mit angewidertem Gesichtsausdruck von sich.
„Wir dürfen die Sache nicht überstürzen, Alec. Ich denke, Vorsicht ist immer noch der beste Weg zur Lösung!“, antwortete ich daraufhin missbilligend und zuckte trotzig mit den Schultern.
Patrick nickte mir zufrieden zu und hob dann einen knittrigen vergilbten Zettel in unser Blickfeld.
„Einer der Personen, mit denen wir geredet haben, um etwas über Carry Bries in Erfahrung zu bringen, hat uns verraten können, wo sie sich des Öfteren aufhält. Eine rote Scheune auf der Weststraße soll der Versammlungsort ihrer Gruppe sein. Dies sollte unser erster Anhaltspunkt sein, den wir untersuchen.“ Überrascht blickte Charlotte zu ihm. „Wann konntest du dies denn in Erfahrung bringen?“
„Während du am Marktstand warst und mit der Verkäuferin über die Preise diskutiert hast“, erwiderte er trocken und man konnte erkennen, dass Charlotte leicht rot wurde. Ein Drucksen ertönte neben mir und ich erkannte die hochgezogenen Mundwinkel in Alecs Gesicht, welches mich ebenfalls zu einem Lächeln verleitete.
„Wie auch immer“, versuchte sie nun vom Thema abzulenken.
„Wir sollten uns demnach zur Weststraße begeben und nach dieser Scheune Ausschau halten.“
„Und wie denkst du danach vorzugehen? Mit ihr reden und darauf hoffen, dass sie uns einfach erzählt, dass sie den mächtigsten Menschen in diesem Land gedroht hat?“, fragte ich sie.
„Ehrlich gesagt, ja. Entweder das oder wir finden jemand anderen, der uns etwas dazu sagen kann.“
Schnaubend tat ich ihre Antwort ab, woraufhin mir skeptische Blicke zugeworfen wurden.
„Hast du eine bessere Idee, Amber?“, fragte sie mich, doch ich schüttelte nur frustriert den Kopf. „Nein, habe ich nicht.“
Damit stand ich auf und schnappte mir meinen Rucksack vom Boden.
„Da unsere Prinzessin anscheinend der Meinung ist, dass jetzt alles besprochen sei, sollten wir uns vielleicht auch auf den Weg machen.“
Nicht weiter auf Alecs bissigen Kommentar eingehend, begab ich mich nach draußen, außerhalb des Gasthauses. Der Wirt bedankte sich überschwänglich, als er mich auf meinem Weg erblickte, wobei sein grauer Bart zu beiden Seiten schwankte. Mit einem peinlich berührten Lächeln verabschiedete ich mich und genoss die kühle Morgenluft auf meinem Gesicht.
„Ich möchte noch eine Sache gesagt haben“, unterbrach die Stimme von Charlotte kurze Zeit später die Ruhe und ihr Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf. Ungeduldig wartete ich.
„Seid vorsichtig. Paragnom ist dafür bekannt, wie unglücklich die Menschen mit ihrem Schicksal sind und wie ihr alle bestimmt schon bemerkt haben dürft, ist die Mehrzahl hier nicht gerade von uns angetan und uns gegenüber sehr hilfsbereit. Und die Personen, zu denen wir uns jetzt aufmachen, sind in dem Bezirk bekannt dafür, dass sie uns und die Herrscher ablehnen. Vermutlich schrecken sie nicht davor zurück, gefangen genommen zu werden und ich stufe sie daher als gefährlich ein. Ich möchte also von euch, dass ihr auf euch aufpasst, auch wenn wir uns eigentlich gegenseitig beschützen sollen. Seid einfach vorsichtig.“
Sie blickte jeden einzeln ernst in die Augen, was ihre Aussage noch verstärkte, woraufhin ich ihr ebenso ernst zustimmend zunickte.
„Gut, dann sollten wir uns auf den Weg machen.“
Und damit ging sie voran und wir folgten ihr.
Während Patrick neben ihr herging, lief Alec neben mir und berührte meinen Ellenbogen.
„Kann ich dich um was bitten?“ Fragend blickte ich ihn an, nachdem ich etwas Abstand von ihm genommen hatte. „Sei so freundlich und versuche das nächste Mal nicht so offensichtlich unzufrieden mit dem Plan von Charlotte zu sein, ja? Du kannst dich glücklich schätzen, dass sie versucht, vor dir die Fassung zu bewahren, aber das kann ich leider nicht von Patrick und mir sagen.“ Belustigt starrte ich in Alecs Gesicht, welches einen erstaunlich ernsten Ausdruck trug und überrascht nickte ich nur.
„Inwiefern werdet ihr anders behandelt?“ Statt dass ich eine befriedigende Antwort bekam, schüttelte er nur seinen Kopf, klopfte mir auf die Schulter und ging voran. Unzufrieden stieß ich die Luft aus meinen Lungen und stapfte den Anderen hinterher.
„Hier soll es also sein?“ Mit gehobenen Augenbrauen bedachte Alec die vor uns stehende Bruchbude. Die rote Farbe an den Holzwänden war beinahe vollkommen abgeblättert und das Strohdach schien auch nur noch mehr schlecht als recht zu halten. Alles in allem sah das ganze Gebäude wie ein Ort aus, der bei der kleinsten Bewegung zusammenbrechen würde.
„Seid ihr sicher, dass man uns nicht nur hierhergelockt hat, damit wir dort drinnen unseren jämmerlichen Tod finden, während das ganze Gebäude zusammenbricht?“
„Hast du etwa Angst, Alec?“ Empört gab er ein Schnauben an Patrick weiter, der ihn mit einem höhnischen Grinsen herausfordernd anblickte.
„Hört mit dem Unsinn auf!“ Charlottes scharfe Stimme ließ die beiden sich anspannen und schlucken, während ich ebenfalls zweifelnd auf das Gebäude starrte.
„Denkt daran, was ich gesagt habe: Sollte Carry Bries sich in diesem Gebäude aufhalten, kann es potenziell gefährlich werden, also passt auf euch auf, das gilt für jeden von euch!“ Erneut ging ein Nicken durch die Runde und Charlotte vorangehend, betraten wir das instabil aussehende Gebäude. Im selben Moment hörte ich ein Klicken neben mir und ich drehte mich verwirrt zu Alec um, der eine Pistole in der Hand hielt und diese entsicherte.
„Spinnst du?“, fuhr ich ihn mit leiser, aber scharfer Stimme an, woraufhin er mich jedoch nur verwirrt anblickte, während ich panisch den Kopf in alle Richtung wand, ob es jemand mitbekommen hatte, doch niemand achtete auf uns.
„Was ist dein Problem, Amber?“
„Noch wissen wir nicht, was uns dort drinnen erwartet, aber wenn du da mit geladener Waffe hineinstürmst, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie uns als Feind sehen, also pack das Ding weg!“ Alec starrte mich ungläubig an und wollte vermutlich wieder etwas Schnippisches darauf erwidern, als sich eine Hand auf seine legte, in welcher er die Waffe hielt.
„Amber hat recht. Solange wir nicht als Bedrohung angesehen werden, sollten wir uns mit Waffen zurückhalten, wir müssen ihnen schließlich nicht unbedingt einen Grund dazu geben.“ Geschlagen sicherte Alec die Pistole wieder und steckte sie weg, worauf Patrick ihm zufrieden zunickte und wieder voranging.
„Ich hasse es, wenn er Recht hat“, murrte er frustriert.
Ich wusste nicht, was ich im Inneren erwartet hatte. Vielleicht einen Raum voller bewaffneter Menschen, die sich lautstark über das System aufregten und darüber diskutierten, wie sie es am besten ändern konnten, doch bewahrheitete sich nichts davon. Stattdessen wurden wir nur mit vereinzelten Menschen konfrontiert, die mehr verelendet, als kampfbereit wirkten und mehr schwiegen, als dass sie über irgendetwas diskutierten.
Perplex stand ich da und sah mich um. Es war ein Anblick, den ich nicht erwartet hatte und von dem ich mir sogar noch mehr wünschte, er wäre mir erspart geblieben. Es war kein Wunder, dass sich diese Menschen gegen das System stellten. Wahrscheinlich war es ihnen tatsächlich einfach nur egal, was mit ihnen passierte, solange sie etwas für die nachfolgenden Generationen tun konnten.
Doch im Gegensatz dazu war das Innere des Raumes genauso, wie ich es im Kopf gehabt hatte. Die Wände sowie der braune Boden waren vollkommen verdreckt, wobei letztere bei jeder Bewegung begann zu knarren. Eine Treppe, dessen Stufen äußerst morsch wirkten führte in eine weitere Etage, welche jedoch mit Holzbrettern versperrt wurde, um den Zutritt zu versperren und wahrscheinlich eventuelle Gefahren vorzubeugen.
Der Raum war mit Holzbänken – und Tischen verziert und an der hinteren Wand befanden sich zwei Türen, die zu weiteren Räumen führten. Die Tür auf der linken Seite stand offen und ich konnte so etwas wie eine Pinnwand in dem Raum erkennen.
„Nun, das ist nicht ganz das, womit ich gerechnet hätte. Was sollen wir jetzt machen, Ma’am?“, fragte Alec Charlotte, die jedoch, ohne ihm zu ende zuzuhören, schnurstracks auf einen Mann zuging, der noch von allen, am lebendigsten wirkte.
Zweifelnd folgte ich ihr schnell, versuchte währenddessen den Geruch von faulem Fleisch in der Luft zu ignorieren und die Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten, als die Menschen um uns herum begriffen, wer oder besser gesagt was wir waren.
„Wir suchen Carry Bries. Ist sie hier?“, fragte Charlotte gerade heraus, was ihr jedoch nur ein abfälliges Schnauben einbrachte.
„Ich wüsste nicht, dass dich das etwas angeht.“ Mit stechend grünen Augen starrte er zu ihr empor und richtete sich bedrohlich auf.
„Ihr seid hier nicht erwünscht, selbst wenn Carry hier wäre, würden wir euch nicht zu ihr lassen, also verschwindet von hier!“
Auch wenn sie wohl versuchte, gefasst zu bleiben, konnte man Charlotte ansehen, wie aufgebracht sie war. Plötzlich ertönten laute schwere Schritte und ein junger Mann mit dunkelblonden schulterlangen Haaren tauchte neben ihm auf. Mit einem beruhigenden Lächeln legte er ihm seine Hand auf die Schulter und das Gesicht des bärtigen Mannes hellte sich sofort auf.
„Du bist zurück, Nathan!
„Ja, bin ich, worum geht es hier?“
Der Mann blickte uns mit einem höflichen Lächeln ins Gesicht.
„Wir suchen Carry Bries. Im Laufe einer Untersuchung müssen wir etwas mit ihr besprechen, können Sie uns also sagen, wo sie sich aufhält?“, antwortete Charlotte ihm, blickte dennoch nicht in sein Gesicht, sondern hielt stets den Augenkontakt mit dem anderen Mann, der sie nur abwertend musterte.
„Dürfte ich wissen, um was für eine Untersuchung es sich handelt? Ich bin mir sicher, dass Carry nichts damit zu tun hat.“
„Ich befürchte, dies ist nicht möglich, tut mir sehr leid.“ Etwas in dem Blick des Mannes veränderte sich, dennoch bemühte er sich allem Anschein nach, die Fassung zu wahren.
„Wenn das so ist tut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass sie sich derzeit nicht hier aufhält. Sie müssen verstehen, dass Carry mir sehr nahesteht und ich sie daher sehr gut kenne. Sie würde niemals etwas tun, was Menschen gefährdet.“
Ich hörte Alec neben mir schnauben und auch der Blick des Mannes wandte sich ihm bedrohlich zu.
„Haben Sie etwas gegen diese Aussage, Mister?“ Schelmisch blickte Alec dem
Mann in die Augen. „Nun, ich finde es etwas widersprüchlich zu hören, dass
diese Frau niemanden etwas antun würde und dennoch eine Organisation
gegründet hat, die sich gegen unser System verschworen hat.“
„Veränderungen müssen nicht immer gewaltsam ablaufen. Genau das ist es ja,
was Carry hiermit erreichen möchte und aus diesem Grund hat sie diese Gruppe
auch gegründet. Um den Menschen beizubringen in Frieden miteinander zu
leben und dadurch diese vergiftete Gesellschaft zu heilen.“ Ein untypisches
glucksen ertönte aus Charlottes Mund ertönte.
„Und inwiefern sehen sie dieses in Frieden miteinander leben?“
„Jedes Individuum wird gleich behandelt mit der ihm zustehenden Freundlichkeit und Liebe und das wir tun, was in unserer Macht steht, um anderen Menschen zu helfen auf gewaltlose Art und Weise, nicht wie ihr Mutanten es versucht zu tun. Diese Art und Weise wird nur noch mehr Hass und Gift bei den Menschen dieser Welt bringen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass wir keinen Menschen helfen würden?“
„Natürlich nicht! Sie verbreiten Gift durch das ganze Land mit euren Regeln und Maßnahmen. Sie verletzen Menschen nur, weil sie nicht der gleichen Ansicht sind wie ihr oder eure sogenannten Herrscher. Wir versuchen nur eure Fehler wiedergutzumachen!“, erboste sich der bärtige Mann und Charlottes Augen wandelten sich zu Schlitzen.
„Die Herrscher wissen, was gut für unser Volk ist. Ihre Vorfahren haben unser Leben möglich gemacht, sie sind unsere Retter! Und jeder, der dies anders sieht wird auf die Liste gesetzt!“ Mit einem Mal sprang der Mann von seinem Platz auf und kam ihr gefährlich nahe.
„Dann setze mich doch einfach auf diese blöde Liste! Sieh dich doch um, was denkst du, habe ich noch zu verlieren oder die anderen hier? Nichts, rein gar nichts! Wenn Carry uns nicht gefunden hätte, wären wir alle elendig an Hunger gestorben. Sie hat uns einen Ort zum Leben gegeben, einen Ort an den wir hingehören und immer wiederkommen können. Ihr verdächtigt sie? Dann werden wir euch niemals sagen, wo sie sich aufhält und wenn es das letzte ist, was ich tun werde.“
„Okay, jetzt beruhigt euch bitte. Ich verstehe, dass Ihnen an Ms. Bries etwas liegt und Sie Angst haben, dass ihr etwas zustoßen könnte, wenn Sie tatsächlich etwas mit unserer Untersuchung zu tun hat. Aber wenn sie wirklich so ein Mensch ist, wie Sie behaupten, dann haben Sie doch überhaupt nichts zu verlieren.
Wir möchten nur mit ihr reden und wenn sich herausstellt, dass wir völlig unnötig mit ihr gesprochen haben, sind wir sofort wieder weg und werden Sie nicht mehr belästigen, okay?“
Ich hatte mich schnell zwischen die beiden gestellt und starrte dem Mann eindringlich in seine grünen Augen. Zu meiner Beruhigung verschwanden die Zornesfalten auf seinem Gesicht und ich wurde misstrauisch gemustert. Unter seinem Blick wollte ich am liebsten das Weite suchen, doch ich blieb standhaft an meinem Platz stehen und versuchte ihm so zu versichern, dass er mir vertrauen konnte.
Doch bevor er noch irgendeine Entscheidung treffen konnte, legte der blonde Mann erneut seine Hand auf seine Schulter und versuchte, ihn zu beruhigen.
„Lass es bitte gut sein, Jordan. Diese Menschen versuchen nur ihre Arbeit zu machen. Sie sehen nicht, was wir sehen, denn sie sind ebenfalls vergiftet.
Aber sie haben Recht. Carry wird nichts damit zu tun haben. Sie dürfte jeden Moment erscheinen und dann können wir endlich dieses Missverständnis klären.“ Erleichtert atmete ich aus und mein Körper entspannte sich augenblicklich.
„Vielleicht sollten wir alles Weitere an einem anderen Ort besprechen, um folgende Auseinandersetzungen zu vermeiden.“ Zustimmend lächelte ich ihm zu und auch Charlottes Körper hinter mir begann sich zu entspannen.
Der blondhaarige Mann bewegte sich in Richtung der Türen und ich blickte kurz zu den Anderen. Charlotte blickte mich skeptisch an, warf dann einen kurzen Blick zu dem bärtigen Mann und folgte dem Anderen dann.
Alec war der Nächste der sich fortbewegte, während er mir beim Vorbeigehen kurz seine Hand auf meine Schulter legte. Doch Patrick bewegte sich keinen Schritt weiter. Er starrte mich nur mit einem seltsamen Blick an, als könnte er direkt in mein Innerstes sehen und ich fühlte mich auf der Stelle unwohl in meiner Haut. Um diesem zu entfliehen machte ich mich ohne weiter auf ihn zu achten auf den Weg zu den Anderen.
Der Raum den ich nun betrat erschien mir seltsam fröhlich. Die Wände waren sauber gehalten und selbst wenn auch der Boden hier bei jeder Bewegung knarrte, bauschte sich nicht auf der Stelle eine so große Staubwolke auf, dass ein Allergiker daran erstickt wäre. Auch hatte man den Geruch von faulendem Fleisch hier ein Ende gesetzt und ihn mit einem blumigen Geruch ausgewechselt, was vermutlich durch die vielen Pflanzen im Raum hervorgebracht wurde.
„Ich möchte mich für Jordans Benehmen entschuldigen. Wir haben ihn erst vor einer kurzen Weile von der Straße geholt, deshalb ist er noch nicht vollständig mit unseren Vorsätzen vertraut“, erklärte der Mann und reichte Charlotte erstaunlicherweise seine knochige Hand.
Diese jedoch erwiderte die Geste nicht, sondern blickte nur mit ernstem Gesichtsausdruck zu ihm empor.
„Auch, wenn Sie das sagen ändert das leider nichts daran, dass wir diese Handlung mit Konsequenzen strafen müssen. Wir werden ihn auf die Liste setzen. Sorgen Sie dafür, dass nichts mehr von ihm kommt, dann wird das auch keine weiteren Folgen haben.“ Sichtlich unzufrieden ließ er wieder die Hand sinken, nickte dennoch geschlagen.
„Trotz der Tatsache, dass wir wohl keinen so guten Start hatten, möchte ich mich ordentlich vorstellen. Mein Name ist Nathan Menson, in Ihren Vorstellungen könnte man mich wohl als rechte Hand von Carry Bries sehen.“ Überrascht wandte ich meinen Blick Alec zu, welcher sofort in seiner Tasche rumwühlte und schließlich den zerknitterten Zettel herausholte, auf dem der ältere Mann die Verdächtigen aufgezeichnet hatte. Ich stellte mich zu ihm, um ebenfalls nochmal alle zu wiederholen und erfuhr eine weitere Überraschung als ich einen weiteren bekannten Namen erblickte.
„Jordan Worn. Ist das der Name des Mannes, der sich uns gegenüber wie ein hungriger Wolf verhalten hat?“, fragte Alec nachdem ich ihm den Namen gezeigt hatte.
Verwirrt nickte Nathan und Alec reichte ihm den Zettel, was ich jedoch mit einem misstrauischen Blick beäugte.
„Kommen Ihnen weitere Namen hier bekannt vor, Mr. Menson?“ Patrick und Charlotte standen neben uns und schienen nicht zu begreifen, was hier vor sich ging.
„Ich kenne jeden einzelnen Namen der Menschen, die hier verzeichnet sind. Das sind alles Menschen, die Carry erreicht und aufgenommen hat.“ Seufzend atmete ich aus.
„Könnte uns jemand aufklären?“, erboste sich Charlotte, die frustriert in unsere Gesichter schaute.
„Das sind die Namen, die uns der Mann aufgeschrieben hat, aller derjenigen, die angeblich so starke Hassgefühle den Hovers und Mutanten gegenüber hegen sollen, dass Sie diese kaum in Griff halten können und doch sind wir hier bei einer Organisation gelandet, die Gewaltlosigkeit und Frieden predigt. Verstehst du, worauf wir hinauswollen?“
„Du bist der Meinung, wir wurden hinters Licht geführt?“ Ich zuckte daraufhin nur mit den Schultern.
„Sprechen Sie davon, dass diese Menschen gewaltbereit sein sollen? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“ Sichtlich geschockt versuchte Nathan zu verstehen, was hier vor sich ging.
„Nun, wenn ich Jordan betrachte, dann erscheint mir dies nicht als allzu wahr“, erklärte Patrick mit zweifelndem Gesichtsausdruck, woraufhin Nathan wie wild mit dem Kopf zu schütteln begann.
„Vielleicht erschien er Ihnen als ziemlich aggressiv, aber so ist er nicht. Er hat ein hartes Leben hinter sich. Das haben wir alle und jeder von uns war einst so, aber Carry hat uns verändert. Sie hat jedem von uns einen Platz zum Leben gegeben und uns gezeigt, wie viel Menschen doch durch Gewaltlosigkeit, Freundlichkeit und Frieden erreichen können und was für wundervolle Gefühle dies in uns auslöst. Weder ich, noch jemand anders würde es jemals wagen, ihr Vertrauen zu missbrauchen, das versichere ich Ihnen!“ Unentschlossen blickte ich zu den Anderen, doch keiner von ihnen verzog auch nur die Miene.
„Wissen Sie, so etwas haben wir schon oft gehört und im Endeffekt waren sie die schlimmsten von allen. Ich möchte damit nicht sagen, dass Sie lügen, aber ich kann es auch nicht abstreiten. Wir werden nachforschen, unserer Arbeit nachgehen und auf diese Weise herausfinden, ob Sie die Wahrheit sagen, oder nicht.“ Er nickte auf Charlottes Frage, während diese ihren Blick mir zuwandte.
„Zeige ihm bitte den Brief, Amber.“ Zunächst blickte ich sie nur verwirrt an, bis ich begriff, dass sie die Drohung meinte und ich nahm sogleich meinen Rucksack ab und zog diese hervor. Dann überreichte ich sie Nathan, welcher diese mit zusammengekniffenen Augen durchlas. Mit verwirrtem Blick schaute er zu uns empor.
„Wegen diesem Stück Papier sind Sie hier? Wegen diesen geschmierten Worten sind Sie extra nach Paragnom gekommen?“ Alec drängelte sich nach vorne und schien ihn mit seinem Blick zu durchbohren.
„Ja, genau aus diesem Grund. Es ist unser Job, ihnen zu dienen und diesem werden wir nachkommen. Sprich, wenn sie uns sagen, dass wir den Verantwortlichen dieser Drohung finden sollen, dann tun wir das auch. Die Hovers höchstpersön-“ „Alec!“ Meine laute Stimme unterbrach ihn und erschrocken starrte er mich an.
„Ich denke nicht, dass es nötig ist, dass er das weiß, findest du nicht auch?“ Bedrohlich starrte ich in seine blauen Augen, die sich zu Schlitzen verengten und mich misstrauisch beäugten.
„Sie hat recht, Alec. Das sind vertrauliche Informationen, die niemanden außer uns etwas angehen“, stimmte Charlotte ihm zu, während sie sich durch ihre kurzen blonden Haare fuhr.
„Wie auch immer, haben Sie eine Idee, von wem diese Drohung stammen könnte? Erkennen Sie die Handschrift?“ Trotz der Tatsache, dass sein Gesicht plötzlich kreidebleich wurde, als er erneut auf den Zettel blickte, schüttelte er den Kopf.
„Ich habe keine Ahnung.“ Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, als ich laute Geräusche von dem Scheuneninnenraum vernahm und Nathan sich sofort nach draußen begab. Wir folgten ihm und uns begegnete ein Knäuel von Menschen im Zentrum des Raumes.
Um etwas mehr erkennen zu können, näherte ich mich den Menschen und drängelte mich dank meiner Größe durch diese hindurch.
Ich konnte eine Frau in der Mitte erkennen. Sie trug einen leuchtend roten Mantel, dessen Qualität überhaupt nicht zu diesem Ort passte. Sie hatte lange blonde Locken, die ihr bis zur Brust reichten und ein blasses Gesicht, welches dennoch ein paar schmutzige Flecken aufwies. Auf ihren blutroten Lippen war ein freundliches und herzliches Lächeln abgebildet, während sie die Menschen um sich herum begrüßte.
„Du bist zurück, Carry!“
„Wir haben dich vermisst!“, hörte ich die Menschen rufen und ich begriff, dass dies unsere Zielperson war. Carry Bries.
Ich war vollkommen fasziniert von der Schönheit und Freundlichkeit, die diese Frau ausstrahlte, doch als ich näher ging, wurde meine Faszination durch eine Person unterbrochen, die ich an diesem Ort zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet hatte. Neben Carry Bries stand mürrisches Gesicht ziehend, welches nicht in diese vor Freuden verzückte Menschenmenge passte, Chase Wood.
Der Junge, den ich aufgrund seines Auftretens gerade so vor einer Reise in die Hauptstadt bewahren konnte.