Sassy fand gleich neben dem überwucherten Eingang des westlichen Gebäudes einen alten Mann, er stand einfach zitternd in der Ecke. Es musste sich in seiner Blütezeit wohl um einen Festsaal gehandelt haben, darauf deutete die alte Tafel in der Mitte des Raumes zumindest hin. Sie hörte noch weitere Stimmen flüstern und ein paar Kinder weinen. Sie fragte sich, wie sie jeden Einzelnen zur Mitte des zentralen Tempels geleiten sollte. "Für einen Vampir scheinst du deine Umgebung nicht zu gut zu betrachten", eine spöttische Stimme ließ sie herumfahren. "Was", fassungslos starrte sie den Besucher an, "Ein... was macht einer wie du hier?" Spöttisches Lachen war die Antwort, die sie bekam, der junge Elf fuhr sich durch sein seidiges, langes schwarzes Haar. Seine Augen blitzten golden auf und seine Gesichtszüge wirkten zu schön um wahr zu sein. Er strahlte eine unglaubliche Arroganz und Selbstverliebtheit aus, aber auch Güte. "Ich bin auf der Suche nach etwas", erklärte er sich nun doch, "und wenn du fertig bist, mich zu betrachten, dann möchte ich dir einen Vorschlag machen!" Sassy schüttelte sich kurz, dies war der erste Elf, dem sie je begegnete. Sie hatte von der überragenden Schönheit gehört, aber im Vergleich zu diesem Wesen wirkte ihr hübscher Bruder Sethos wie ein Bauerntrampel. Der Elf hatte sich ihr so leichtfüßig genähert, dass sie ihn nicht einmal wahrgenommen hatte. "Kannst du nicht mehr sprechen?", fragte dieser sie und schien auf eine Reaktion zu warten, "Willst du mich etwa küssen oder was soll das werden?"
Sassy verdrehte die Augen: "Nein, danke! Was schlägst du vor? Wer bist du überhaupt?"
"Der Mann deiner Träume?", witzelte der Elf, "Nein, du kannst mich Allister nennen. Ich suche nach einem anderen Elf, er muss hier sein, sein Name ist Ezra Androlien! Wenn du ihn findest, bring ihn zu mir, schick mir aber auch alle Menschen, die Hilfe benötigen, ich kann sie hinter die Barriere bringen!" Sassy betrachtete ihn misstrauisch: "Warum sollte ich dir glauben? Wer sagt das du kein Ginn bist?" Allister lachte übertrieben ausgedehnt: "Die würden so eine Schönheit nicht verkörpern können! Gut, ich gebe dir etwas, damit du weißt, dass ich es bloß gut mit dir meine!" Er zog einen Schwertgriff unter seinem Mantel hervor und hielt ihn Sassy hin: "Nimm schon!" Sassy fragte sich ob es sich hierbei um einen blöden Witz handeln sollte. Ein Griff, ohne Klinge. Sah sie aus wie ein Schrotthändler oder wollte der Elf sie einfach nur komplett verarschen. "Was soll ich mit dem Müll?", fragte sie genervt. "Das ist kein Müll", der Elf schien sie zu belächeln, "Das ist ein Artefakt. Verstehst du? Darin liegt viel Macht! Man nennt es die Klinge des Lichts! Einst gedacht, um Illutia zu schützen, kann es nur jemand führen, der es verteidigen möchte! Aber ich bin wie gesagt nur hier, um meine Angelegenheiten zu klären!" Sassy nahm den Griff in die Hand, er fühlte sich eigenartig warm an, ihre Haut begann zu kribbeln. Eine leise Melodie schien aus dem inneren zu kommen. "Das ist schon mal mehr, als es bei mir gemacht hat, also viel Glück damit!", witzelte Allister und lehnte sich lässig an die Wand, "Hast du vor weiter nur hier zu gaffen oder beginnst du mit der Evakuierung?"
Sassy murmelte einige Schimpfwörter und begann dann am Rande des Raums entlang zu schleichen. Ein Ginn hatte sich am Ende der Tafel gemütlich gemacht, der Griff schien auf einmal leicht zu vibrieren. Sassy nahm ihn noch einmal in die Hand, plötzlich schoss eine Klinge aus strahlendem Licht aus dem Griff. Gebannt starrte Sassy auf das nun vollständige Schwert. "Hey Vampirmädchen, du bekommst Gesellschaft!", brüllte Allister ihr von hinten zu. Der Ginn hatte sich erhoben und aus den Wänden kroch ein Schanolorkus. Der Ginn rannte brüllend auf sie zu, das Schanolorkus schoss aus der Luft nach unten zu ihr. Sassy riss das Schwert hoch, welches den Ginn mühelos durchteilte. Auch das Schanolorkus zerschnitt sie mühelos. Beide Dämonen verglühten durch das Licht und zerfielen zu Staub.
"Lauft", brüllte Sassy den Menschen zu, "Alle zum Ausgang!" Die Menschen krochen aus ihren Verstecken und eilten zu Allister. "Wie kann ich Euch das je danken", eine Mutter mit ihrem Kind blieb kurz stehen und lächelte Sassy zu. Sassy schickte sie weiter, ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit. Sie waren nicht alleine.
Die Decke wurde durchbrochen und einige Trümmer begruben die Tafel unter sich. Aus ihnen stieg ein gehörnter alter Bekannter. "Treplew", entfuhr es Sassy. "Was zur Hölle ist ein Treplew?", brüllte Allister, "Und warum fällt es vom Himmel?" Sassy starrte angespannt auf den Umriss des bösen Bruders von Finn: "Vom Himmel? Der kommt eher aus der anderen Richtung! Bring die Menschen weg! Schnell! Und dann musst du in den östlichen Flügel, da ist ein... Bekannter von mir, er versucht auch zu helfen!" Allisters Lachen war zwar fehl am Platz, aber er konnte es sich nicht verkneifen: "Klär mal deinen Beziehungsstatus, Süße, ich bin frei! Man sieht sich, irgendwann will ich mein Artefakt zurück!" Der Elf geleitete die flüchtenden Menschen wie versprochen aus der Gefahrenzone.
"Nun zu uns", knurrte Sassy, "Beim letzten Mal warst du leider zu beschäftigt für einen Kampf!" Treplew schritt pfeifend auf sie zu, die Melodie eines Trauermarsches. "Schöne Waffe hast du da, aber das wird dir nichts nützen!", er fuhr seine Klauen aus und raste auf sie zu. Sassy hoffte nur, dass sie diesmal schnell genug war und klammerte sich unsicher an den Griff ihres Schwerts. Dann geschah etwas Magisches: Das Schwert schien sich von selbst zu bewegen, Sassy wurde einfach mitgerissen. Es blockte alle Angriffe von Treplew. Dann schlug es unglaublich schnell immer wieder zu und zwang ihn in die Defensive. Auch ihr Gegner schien überrascht von der Macht dieser Waffe zu sein, er konnte nicht mehr in die Offensive gehen.
Was Sassy aber noch mehr überraschte war, dass Treplew plötzlich vor ihr kniete. Und das Schwert seinem eigenen Willen weiterfolgte, sie konnte es nicht mehr gegen Treplew erheben. "Warte, töte mich nicht", flehte Treplew, Sassy fiel sofort auf, dass er nicht mehr so wahnsinnig klang. "Bitte hör mich an", flehte er weiter, "Ich bin ein Opfer der Umstände! Es tut mir leid, dass ich jetzt schon zum zweiten Mal versucht habe dich umzubringen... Das war nicht so gemeint!" Sassy musste sich eingestehen, dass sie Mitleid mit ihm hatte. Auch wenn sie sich fragte, wie das sonst gemeint gewesen war. Sie hatte gesehen, wie er sich über die Jahre immer mehr in diesen abscheulichen Charakter gedrängt gefühlt hatte. Der Schänder, den Namen hatte er sich wohl kaum selbst gegeben. "Bitte, verschone mich, ich verspreche dir nichts mehr zu unternehmen, um dich zu töten", Treplews Stimme klang fast schon weinerlich. Sassy verstaute den Griff an ihrem Gürtel, dann streckte sie Treplew sie Hand aus und half ihm auf. Dieser nahm diese Geste dankbar an und schloss sie in die Arme: "Du bist zu gütig! Und so voller Energie..." Sassy konnte spüren, wie ihr förmlich alle Kraft durch diese Berührung geraubt wurde. Sie war auf den Wahnsinnigen reingefallen. Verspielt, ausgeliefert und kraftlos sackte sie in sich zusammen.
"Ich denke so können wir uns besser unterhalten!", raunte eine Stimme irgendwo in Sassys Kopf. Langsam öffnete sie ihre müden Augen, um sich umzusehen. Ein viel zu heller, weißer Raum blendete sie. Sie saß auf einem weißen Sessel vor einem weißen Tisch, der Boden, die Wände, alles trug dieselbe Farbe. "Du erkennst mich vielleicht nicht...", ihr Gegenüber schaute sie fragend an. Ein Elf, noch ein Elf. Zwei an einem Tag waren eindeutig zwei zu viel. Diesmal hatte er blondes langes Haar, das ein wenig grau schimmerte. Die Gesichtszüge erinnerten sie sehr an Allister, aber auch an... "Treplew!", entfuhr es ihr, erschrocken griff sie nach ihren Waffen, aber keine davon war noch an ihrem Körper. "Deswegen dachte ich, es ist auf einer anderen Bewusstseinsebene sicherer – für uns beide", erläuterte Treplew ihr.
"Du bist nicht Finns Bruder, ihr wart nur gemeinsam hier!", stellte Sassy fest, "Der Doktor hat das aus dir gemacht, oder?" Treplew erhob sich und begann auf und ab zu laufen: "Mein Name war einst Ezra Androlien, der Elf den du getroffen hast, mein kleiner Bruder Allister, er sucht nach mir! Aber er darf mich so nicht finden! Was soll meine Familie denken? Ich bin eine tickende Zeitbombe! Die Stimme, die Stimme des Dunklen... Sie ist noch in meinem Kopf! Ich kann ihr nicht entkommen!" Sassy begann zu verstehen, warum Treplew, oder Ezra, einerseits mit Alpha zusammen die Menschen geschützt hatte, andererseits nun bereit war seinen Ziehbruder, und auch sie, zu töten. Der Dunkle hatte seine Seele vor vielen Jahren mit Hilfe des Doktors und seiner Experimente gebrochen. Seine Stimme hatte so viele Menschen in den Wahnsinn getrieben. "Es tut mir leid, wie kamst du hierher?", fragte Sassy, und meinte was sie sagte aufrichtig, was Treplew nicht entging. "Ein Dunkler Wanderer kam in unsere Welt", Treplew starrte traurig auf die Tischplatte, "Ich muss dir nicht erzählen, wer das war. Er wollte meinen Bruder, tötete unsere Eltern, aber ich habe mich ihm entgegen gestellt. Daraufhin hat er mich mitgenommen, um unsere Welt zu verschonen. Er gab mir diesen Namen, Treplew, ich sollte von dort an sein Sohn sein, nicht mehr Ezra. Wenn ich aufhöre zu dienen, wenn ich seine Befehle missachte... Er wird zurückkehren, auf welche Art auch immer. Er wird sich Allister holen und ihn in die Dunkelheit stürzen! Das darf nicht passieren und Allister muss hier verschwinden! Er hatte schon damals große Heilkräfte, darum will der Dunkle ihn, um diese umzukehren auf welche Art auch immer. Was für eine Zerstörung das anrichten könnte..." Sassy war nun wirklich betroffen. Der irre Treplew beschützte in Wahrheit nur seine Familie, wie Finn immer die Seine beschützt hatte. "Ich kann nicht länger standhalten...", das Abbild des schönen Treplews begann sich zu verzerren, "Es tut mir leid… ich muss... muss töten..."
Die Illusion verschwand, Sassy fand sich auf dem staubigen Boden des früheren Festsaals wieder. Treplew stand mit dem Rücken zu ihr direkt daneben. Leise sprang sie auf und suchte verzweifelt nach dem Griff des Artefakts, aber er lag vor Treplew. Sie zückte die beiden Dolche und machte vorsichtig einen Schritt auf den Gehörnten zu. "Treplew?", ihre Stimme klang dünn und unsicher, "Bist du noch da?" Langsam drehte dieser sich um, als Sassy seine Augen sah, war ihr klar das der Dunkle von ihm Besitz ergriffen hatte. Sie waren Pechschwarz, nichts war darin mehr zu sehen, schon gar nichts Menschliches mehr. "Du hast schon zu lange in unseren Angelegenheiten geschnuppert", grölte seine, jetzt wieder total wahnsinnige, Stimme. Er fuhr seine Klauen aus und ging auf Sassy los. Blendendes Licht warf ihn zurück und ließ ihn aufschreien. Sassy war mehr als nur überrascht, wer ihr schon das zweite Mal an diesem Tag zur Hilfe geeilt war. Treplew startete einen weiteren Versuch, aber auch diesmal wurde er von einem Blitz aus Licht gegen die Wand geschleudert. "Dämonen, unwürdige Kreaturen", fauchte Allister, dann drehte er sich in aller Seelenruhe zu Sassy um, "Du scheinst alleine ziemlich aufgeschmissen zu sein!" Sassy starrte auf Treplew, der wieder auf sie losgehen wollte. Knapp bevor er sie erreichte, hob Allister die Hand und er wurde wieder von einem Blitz aus Licht gegen die Wand geschleudert. "Was... Wieso bist du schon wieder hier?", fragte Sassy überrascht. "Dein Freund ist ein Arschloch, sag ihm das bei Gelegenheit!", knurrte Allister, "Er braucht keine Hilfe und wollte mit seiner widerlichen Machete auf mich losgehen, was für ein Dummkopf! Also dachte ich, ich sehe mal was auf der schöneren Seite dieser Anlage los ist, und gut war das! Dieses Untier hätte dich sonst wahrscheinlich aufgespießt und gefressen!" Sassy dachte darüber nach, ob sie dem eigenartigen Elf sagen sollte, wer sein Gegner war. Treplew aber zog sich zurück. Allisters Macht schien, wie Treplew erzählt hatte, außergewöhnlich zu sein. Beiläufig strich er über die Schrammen und Kratzer, die sie sich zugezogen hatte. Diese verschwanden einfach, ohne, dass er sich dafür anstrengen musste. Der Wert dieser Kraft musste unschätzbar sein, er konnte noch so viel Gutes tun, aber wenn der Dunkle auch nur ein Fünkchen Macht über ihn hätte... "Du solltest hier verschwinden!", riet Sassy ihm, "Hier gibt es nichts mehr für dich! Der, den du suchst, ist nicht hier!" Allister starrte sie nun misstrauisch und überrascht an: "Woher willst du das wissen?" Sassy seufzte und hob den Griff des Artefakts auf: "Hier, nimm es wieder! Ich weiß es und jemand wie du sollte in Sicherheit sein!" Allister schüttelte den Kopf: "Behalte es, Vampirmädchen. Ich habe so das Gefühl, dass wir uns wiedersehen werden, dann kannst du es mir geben! Du brauchst es hier nötiger als ich!"