Viele tausend Jahre ist es nun her, dass die Götter über Dere wandelten. Dies lehrt uns die Kirche der Zwölfe.
Vor langer Zeit, damals, als Die Menschen noch ein fernes Gedankenspiel des Herren Praios waren, herrschten andere Völker über diese Welt. Sie waren riesige, mächtige Gestalten von großer Kraft und mit langem Leben. Doch neben solchen, welche unseren göttlichen Herren dienten, gab es auch jene, welche sich ihrer erhabenen Herrschaft entziehen wollten. Zu ihnen gehörten die Trolle, klobige, einfältige Wesen, die das Geheimnis des Stahls nicht entschlüsseln konnten. Doch durch ihre übermenschlichen Kräfte benötigten Sie keine Schwerter oder Äxte, um ihre Gegner zu fällen. Diesen Wesen erschien eines Tages ein Dämon in der Gestalt eines Gottes. Mit seiner Illusion täuschte er die tumben Riesengeschöpfe und machte sie sich untertan. Er lehrte sie dunkle Magie, auf dass sie in seinem Namen die bekannte Welt unterjochten und ihm zu Füßen legten. Der Name dieses Dämons ist längst in Vergessenheit geraten, doch wisset dies: Seine Magie, zwar unrein und beschmutzt, jedoch äußerst mächtig, überdauert bis zum heutigen Tage. Wehe dem, der seinen Hort am Rande der Welt findet und die Katakomben seiner Diener öffnet, denn sie seien verdammt, bis ans Ende aller Zeiten als Schatten ihrere selbst auf Dere umherzuwandern.
-aus dem "Zyklus des Lichts des einzig Wahren", geschrieben im Jahre 324 vor Bosparans Fall, unbekannter Autor
Drunter, nach links, drüber, wieder drunter, jetzt nach rechts, dann wieder drüber und zwischen die anderen klemmen... fertig!
Vollkommen zufrieden mit sich selbst und seiner Arbeit betrachtete Olaf seinen Knoten, den er mit dem dicken Tau zustande gebracht hatte. Dieser war der dreiundzwanzigste, den er nun perfekt beherrschte. Noch sieben und Kapitän Efferdson würde ihm zu einem vollwertigen Matrosen erklären! Mit federnden Schritten lief er unter Deck, um dem Zimmermann zu zeigen, was er bereits zustande gebracht hatte. Fast wäre er mit dem stummen Ugo zusammengestoßen, der gerade mit grimmiger Miene durch das Zwischendeck schlurfte. Seine bemalten Arme sahen furchterregend aus, so wie sich dort Drachen, Greifen und andere mythische Geschöpfe im ewigem Kampf miteinander darauf abzeichneten. Fast wirkte es, als würden sie jeden Moment von seinen Armen herabspringen, um in die echte Welt hinauszutreten. Olaf erschauerte und flitzte an Ugo vorbei. Dieser schien ein bisschen zu wanken und ihn gar nicht zu bemerken. Wohl etwas zu viel vom Rum erwischt, dachte Olaf bei sich und grinste. Den Gang hinunter, die dritte Tür nach rechts und schon war er in [Name des Schiffszimmermanns hier]'s Arbeitszimmer, aus dem stetig das markante Geräusch einer Säge erklang, die durch dickes Holz schnitt. Der Schiffsjunge blieb kurz stehen, um durchs Schlüsselloch zu spähen und seufzte kurz. Abgesehen von einem sehr deutlich zu erkennenden Ellenbogen, der in sein Sichtfeld geriet und dann immer wieder verschwand, konnte er nichts sehen. Nie konnte er mehr erkennen. Vielleicht sollte er mal jemanden fragen, wie man richtig durch Schlüssellöcher guckte, um mehr sehen zu können. Mit einem durchaus nicht zu unterschätzenden Kraftaufwand drückte er die solide Ahorntür auf. "Meister Elgeryn! ich hab es geschafft!"
Schweigend setzte Jasper Elgeryn seine Arbeit fort und schien Olaf nicht zu beachten. dieser schwang sich auf ein nebenbei stehendes Fass und wartete geduldig. Meister Elgeryn war immer schon so gewesen. Zuerst kam die Arbeit, und dann wurde geredet. Wer ihn störte, konnte sich darauf gefasst machen über Bord geworfen zu werden. Müßig ließ Olaf seinen Blick durch das Zimmer schweifen und beobachtete die glimmende Flamme in der Öllampe, die von der niedrigen Decke hing und den Raum in unstetes, flackerndes Licht hüllte. Eigentlich wäre es überhaupt nicht nötig gewesen, eine Lampe anzuzünden, da es hellichter Tag draußen war - es hatte gerade erst die Phexenstunde geschlagen. Doch Jasper nahm die Beleuchtung bei seiner Arbeit sehr ernst. Dort, wo er stand hatte sich bereits ein kleiner Haufen Sägespäne am Boden gesammelt und auch auf seinen Hosenaufschlägen blieben die hartnäckigen Sprengsel hängen. Der Raum war voll mit angefangenen und reparaturbedürftigen Werksgegenständen geräumt, ein kaputter Sessel hier, ein paar noch nicht fertig zugeschliffene Keile dort. Auch waren Fässer mit Wasser, Öl und anderen Flüssigkeiten hier gelagert, über die ein großes Fischernetz gespannt war, um sie an Ort und Stelle zu halten. Überhaupt verwunderte es Olaf immer, wie Meister Elgeryn in diesem vollgestopftem Raum seine Arme frei bewegen, geschweige denn mit Säge und Brettern arbeiten konnte.
Nach ein paar Minuten war die Arbeit soweit beendet, dass der Zimmermann eine Pause einlegen konnte. Sich die Späne von der Kleidung klopfend, drehte er sich zu Olaf um. "Na, wenn dass mal nicht der kleine Kletteraffe ist.", brummte er mit seinem tiefen Bariton. "Du hast es also geschafft, dich nicht auf dem Weg hierher zu verlaufen?"
"Nein!" erwiderte Olaf, den Sarkasmus in der Stimme des stämmigen Kerls ignorierend, "ich habe gerade den horasischen Palstek zum fünfzehnten mal hintereinander fehlerlos geknüpft!" Vor Stolz schwellte ihm die Brust und er fühlte sich sogleich um ein paar Halbfinger größer.
"Den horasischen Palstek, hm?" Nachdenklich strich sich der Zimmermann mit den schwieligen Händen durch den Bart. "Ist das der zwanzigste der dreißig Knoten oder der einundzwanzigste?"
"Der dreiundzwanzigste!"
Wie konnte Meister Elgeryn dass denn nicht wissen? Er war schließlich für das Handwerk an bord verantwortlich!
"Oh, du bist schon so weit? Vielleicht sollte ich mal mit dem Käpten über deine Fortschritte sprechen, hm? Weißt du was, Olaf? Wenn du mir in die Kombüse läufst und den Smutje überredest, mir seine Rumration für heute zu überlassen, zeige ich dir heute noch den Tulamididenbund! Na, ist das eine Abmachung?"
Kaum hatte Jasper zu Ende gesprochen, war Olaf bereits losgerannt. Noch während der paar Herzschläge, die es dauerte bis er bei der Küche angekommen war, legte er sich im Geiste die passenden Worte zurecht, mit denen er den stets unzufriedenen Koch dazu überrreden konnte, einmal von seinem Rum zu lassen und kramte dabei in seiner Hosentasche herum.
KAus der Kombüse drang der Geruch nach Barakudasuppe. Woher um alles in der Welt hatte Oswin in dieser Gegend Barakuda gefangen? Sie befanden sich nördlich des Kaiserreichs! Hier in den Gewässern von Nostria gab es doch nur Hechte oder Thunfische, aber keineswegs tropische Exoten wie diesen!
Auf leisen Sohlen schlich Olaf zur Schwingtür der Schiffsküche und öffnete sie so leise, wie es ihm möglich war. Diesem Geheimnis würde er jetzt auf dem Grund gehen!
Die Kapitän der Esmeralda war stets stolz auf die gute Ausstattung seines Zweimasters gewesen. Auch die Küche an bord war da keine Ausnahme. Ganze Schränke voll mit zweckmäßigen, aber hochwertigen Utensilien und Regale voller exotischer Gewürze waren hier ein völlig normaler Anblick. Von der Decke hingen geräuchertes Fleisch und Fisch sowie getrocknete Kräuter. Vor einem dampfendem Kochtopf stand Oswin Timpski, der Schiffskoch und stierte hinein, als würde das Geheimnis des ewigen Lebens darin liegen. Mit seinen fettigen, schwarzen Haaren und dem struppigen, ungepflegten Bart sah Herr Timpski weniger wie ein Löffelschwinger und mehr wie ein Pirat aus, doch seine Kochkünste sprachen durchaus für sich. Selbst in seiner Heimat, dem Bornland, war Oswin Timpski von Gourmets hoch geschätzt. Zumindest, wenn man seinen Erzählungen glauben durfte. Die Luft anhaltend, um nicht bemerkt zu werden, stahl Olaf sich an dem mürrischen Miesepeter vorbei an das Hackbrett, auf dem die Reste eines zurechtgeschnittenen Fischs lagen. Mit flinken Fingern stibitzte Olaf ein Stückchen und nahm es genau unter Augenschein. Die Textur und Musterung des Innenlebens passte überhaupt nicht zu dem eines Barakudas. Olaf schnupperte an dem Fisch. Ganz klar: Das war ein Hecht! Wie beim Namenlosen hatte Oswin es geschafft.... "Na,genug herumgeschnüffelt, du kleiner Rabauke?" Vor Schreck zuckte Olaf zusammen und wirbelte herum. Aus einem zornfunkelnden Auge starrte der Koch direkt in seine Seele. Na ja, vielleicht auch nur bis in die vorderen Reihen seiner Gedankengänge, aber es fühlte sich doch sehr unngenehm an, als sich Timpskis Mundwinkel verächtlich nach oben zog und er drohend die Hand hob. Mit dem Kochlöffel, den er in der anderen Hand hielt, tippte er nacheinander auf seine Finger, während er mit breitem bornländischen Akzent zu sprechen begann:
"Also gut Kleiner. So, wie ich das sehe haben wir nun drei Möglichkeiten. Entweder du lieferst mir eine verdammt gute Erklärung dafür, dass du dich ohne Erlaubnis in meine Küche geschlichen und meine Zutaten entwendet hast, oder ich werde dir die Beine strammziehen, bis du drei Tage nicht mehr laufen kannst." Als er beim dritten Finger ankam, schenkte Timpski Olaf ein dreckiges, aber von überraschend weißen Zähnen eingerahmtes Grinsen. "Vielleicht werde ich das heutige Abendessen des Kapitäns auch einfach mit etwas Frischfleisch, dass ich rein zufällig in meiner Küche gefunden habe, verfeinern. Was darf es also sein?"
Olaf schenkte ihm sein unschuldigstes und liebenswertestes Lächeln. "Ich habe mich nur gefragt, was für ein Künstler da gerade am Werke ist, um einen herkömmlichen Hecht in einen Barakuda zu verwandeln. Ein wahrer Magier muss da am Werke sein, habe ich mir gedacht, und da konnte ich mich einfach nicht mehr beherrschen und musste dem Geheimnis auf den Grund gehen!"
Oswin ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen, konnte aber ein kleines Lächeln ob der offensichtlichen Schmeichelei nicht ganz verhindern. Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du nicht so dämlich Grinsen würdest, hätte ich dir das vielleicht sogar abgekauft, Knirps." Dann wurde sein Blick nachforschender. "Warum bist du hier? Doch sicher nicht, um mir Honig ums Maul zu schmieren? Extrarationen gibt’s dafür nämlich nicht."
Schnell legte Olaf seine Argumente zurecht, bevor er mit Händen und Füßen zu reden begann: "Oh, nie im Leben würde ich versuchen, mir einen Vorteil für mich selbst herauszuschinden, wenn es so viele andere Bedürftige an Bord gibt! Nehmt doch mal den armen Jasper zum Beispiel! Der schuftet sich jeden Tag unter Deck zu Tode, sieht fast niemals das Praiosauge am Himmel stehen, macht seinen Buckel krumm und kriegt doch nur die selbe erbärmliche Menge an Rum wie jeder andere gewöhnliche Matrose hier an Bord." Olaf überlegte kurz, ob er sich theatralisch den Handrücken auf die Stirn legen sollte entschied sich dann aber rasch dagegen. "Ich würde ihm ja meine Ration abgeben, wenn ich eine hätte. Doch leider ist es mir vergönnt, anderen etwas gutes zu tun." Dann sah er Oswin begeistert in die Augen. "Ihr hingegen, der allseits geliebte Oswin Timpski, Chefkoch der Sonderklasse, habt hier doch Zugang zu allerlei Getränken! Sicher könntet Ihr für den schmerzgekrümmten Zimmermann Jasper eine kleine Sonderration herausschlagen!" Für kurze Zeit schien Oswin Timpski tatsächlich über das Ansuchen nachzudenken. Olaf konnte sein Glück schon gar nicht fassen, doch dann schüttelte der Koch mit dem Kopf. "Hör mal, Olaf. Ich mag dich, aber die Rumrationen sind unantastbar. Befehl des Kapitäns. Wenn Jasper etwas extra haben möchte, müsste ihm schon jemand etwas von seinem eigenen Anteil geben. Und wer würde das schon tun?" Er drehte sich um und widmete sich wieder der Suche nach dem Sinn des Lebens am Grunde seines Suppentopfs. Ein frecher und nicht gerade Traviagefälliger Gedanke schlich sich in Olafs Gedanken. Doch da er schon immer mehr auf der Seite des Fuchsgottes als auf der Patronin der Hauswirtschaft gestanden hatte, nahm er ihn gerne an. Außerdem kam man bei Oswin Timpski mit Mut weiter als mit Charisma.
"Oh, ich wüsste da schon jemanden", sagte er so beiläufig wie möglich, während er noch etwas von dem Hecht stibitzte. "jemanden, der keinesfalls will, dass etwas über seine geheimen Kochrezepte von den Dächern gepfiffen wird. Insbesondere was die Bearbeitung von He- oh, Verzeihung, von Barakudas betrifft".
Timpski drehte sich noch nicht mal um. "Solltest du das tun, dann bekommst du von mir kein Essen mehr. Und das die nächsten drei Monate."
"Das würde Käpten Efferdson niemals zulassen!" hielt Olaf dagegen. "Und mich verhungern zu lassen, lässt auch niemanden euer Geheimniss vergessen. Wenn Ihr hingegen auf meinen Vorschlag eingeht, könnt Ihr euch sicher sein, dass Jasper keine Ausrede finden wird, sollte mal etwas in eurer Kombüse zu reparieren sein. Ihr seht also, Ihr habt nur Vorteile aus diesem Handel!" schloss er triumphhierend.
Timpski warf Olaf einen zornfunkelnden Blick zu, doch einen Herzschlag später warf er den Kopf in den Nacken und stieß ein bellendes Lachen hervor.
"Bei allen Zwölfen, du bist vom rechten Schlag, Olaf!" rief er, "Du wirst es als Feilscher noch weit bringen! Weißt genau, wie weit du gehen kannst damit die Leute das tun, was du von ihnen willst!" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Sag Jasper, er kann meine Ration für heute nehmen, weil du mich zum Lachen gebracht hast. Den Fusel, den wir hier haben, kann man eh nur zum Topf schrubben verwenden! Aber", - bei diesen Worten wurde Oswin Timskis Miene schlagartig wieder Ernst - "solltest du auf die Idee kommen, meine Küchengeheimnisse zu verraten, wirst du in der Suppe landen und langsam geköchelt." Dann war der finstere Moment vorbei und Oswin fuchtelte mit den Händen. "Und jetzt verschwinde aus meiner Küche, du Lausebengel! Du hast schön genug Chaos angerichtet."
"Zu Befehl!" rief Olaf, deutete einen Salut an und flitzte wieder wieder in Richtung Lagerraum. Wenn das so weiter ging, würde er fünfundzwanzig der dreißig Knoten beherrschen, noch bevor die Esmeralda im Hafen von Nostria anlegen würde. Was Käpten Efferdson sich wohl von dieser Reise versprach? Olaf hatte lediglich Gerüchte über eine Exedition, ja von einer Abenteuerfahrt gehört. Doch wohin sie Segeln sollten, war ihm ein Rätsel. Doch so viel war klar: Egal wohin es die Mannchaft der Esmeralde auch verschlagen würde, der Käpten würde wissen was zu tun war. Das wusste er immer.
Olaf drückte die Tür zum Lagerraum auf.
"Ich habe gute Neuigkeiten, Meister Elgeryn!"