„Papa?“, rief Tevin laut und sprang leichtfüßig die Stufen der Terrasse hinauf, die das Haus davor bewahrte im Schlamm zu versinken. Bei den meisten umstehenden Häusern kroch er bis zu den Fenstern hinauf und verkrustete sich zu einer harten, braunen Schale. Jedes Jahr wurden die Häuser der Regenlande bauchiger und die Schlammschicht an ihren Fassaden dicker. Der Himmel war wie zu jeder Jahreszeit stahlgrau, doch wenn man die Ohren spitze konnte man es in der Ferne donnern hören. Der Regen kam.
„Ich bin zu Hause!“, verkündete Tevin erneut und stieß breit grinsend die Haustür auf. Er ließ Tasche und Jacke achtlos am Eingang fallen und sah sich gespannt um. Das Haus war still, keine Kerze brannte und die Asche im Kamin war kalt. Tevin runzelte die Stirn, sein Lächeln verrutschte während er langsam den Wohnbereich betrat. „Hallo?“, fragte er zögernd in die Stille und strich im Vorbeigehen über die alte, verscharrte Kommode. Letztes Jahr hatte sein Vater jeden Stuhl und Tisch, sogar diese Kommode mit Kerzen und Sternen verziert. Girlanden hatten die Decke verhangen und ein helles, heißes Feuer den Raum derart aufgeheizt, dass sie alle Türen und Fenster aufreißen mussten. Elf Kerzen hatten auf seinem Kuchen gebrannt und elf kleine, aber mit viel Liebe verpackte Geschenke in seinem Zimmer gewartet.
Vielleicht versteckt er sich, überlegte Tevin und dachte an einen Freund, bei dessen Geburtstag sich all seine Verwandte und Freunde hinter Vorhängen und Möbeln versteckt hatten, um ihn beim Hineinkommen zu erschrecken. „Du weißt schon, dass der Sinn dieses Spiels ist, irgendwann herauszukommen?“, lachte er und sah sich weiter in der kleinen Wohnung um, „Oder soll ich dich suchen?“ Er ließ sich auf die Knie sinken und spähte mit verschmitzten Lächeln unter den Überzug des Wandtisches. Enttäuscht ließ er den Stoff fallen.
Sein Blick wanderte zu der Sitzecke am Fenster, wo zwei Sessel, voller Kissen und Decken standen, und ein Stapel Bücher den Boden bedeckte. Hatte sich in den Schatten etwas bewegt? Auf leisen Sohlen schlich Tevin näher heran, setzte einen Fuß vor den anderen und achtete sorgfältig darauf, sich nicht durch das Rascheln seiner Kleider bemerkbar zu machen. Er war nur noch fünf Schritte von den verschlissenen Möbeln entfernt, als er aus seiner leichtgebückten Haltung auf- und auf die Sessellehne sprang. „Hab ich dich!“, rief er triumphierend und riss die Decke zu Boden.
Ein schwarzer Schatten sprang ihn unverhofft an und krallte sich im Stoff seines Hemdes fest. Mit einem überraschten Aufschrei fiel Tevin zurück auf den Boden und stöhnte, als sein Kopf auf das harte Holz schlug. „Was machst du denn? Hör auf du kleines Monster“, fluchte er und zog das Fellknäul von sich hinunter. Sein Kater, oder besser gesagt, der Kater seiner Mutter sah ihn mit schrägen, finsterer Augen an und bleckte die spitzen Zähne. Er fauchte, kratze und trat wild um sich, bis Tevin ihn fluchend frei ließ.
„Du Monster“, murmelte dieser und beobachtete wie sich das Tier mit schmalen Augen unter den Sessel zurückzog. „Sieh dir an, was du mit meinem Hemd gemacht hast!“, warf er dem Kater vor und strich sich den Stoff über der Brust glatt. Feine Risse und Schnitte hatten das dünne Leinen und die Haut darunter zerfetzt. „Wenn du noch mehr unserer Sachen zerreißt wird dich mein Vater über alle Berge jagen.“ Er sah kopfschüttelnd zu den Schatten unter dem Sessel, von wo ihn zwei leuchtende Augen zornig anfunkelten.