Wochen später
„Reichst du mir bitte die Schere?“, murmelte Catalina leise und sah mit gerunzelter Stirn auf meinen Hinterkopf. Wir saßen in der Küche, die direkt an den großen Salon und die Terrasse grenzte. „Ich habe noch nie jemanden getroffen dessen Haare derart stur und widerspenstig sind“, schmunzelte sie und strich zum hundertsten Mal meine Haare mit dem Kamm glatt. „Jedes Mal, wenn ich sie zurechtlege, stehen sie wieder in alle Richtungen ab, es ist zum verrückt werden.“
„Entschuldige“, antwortete ich tonlos und versuchte möglichst still zu sitzen. Alle paar Wochen nahm Catalina sich vor, mich und meine störrigen Haare zu glätten und die unerwünschten Kanten und Makel auszumergeln, doch jedes Mal blieben ihre Versuche erfolglos. Zwar verhielt ich mich seit langem ruhig, folgsam und gefügig, aber meine Haare schienen meine Disziplin nicht zu teilen.
„Irgendwann werde ich sie dir alle abschneiden!“, scherzte Catalina und kämmte die losen Strähnen zu Boden.
„Was immer du willst.“ Ich seufzte und ballte die Hände unter dem Umhang zu Fäusten. Es war nicht schwer gewesen Catalina von meinem Wohlwollen zu überzeugen. Es war sogar verblüffend leicht gewesen. Zu Anfang hatte sie jedes freundliche Wort aus meinem Mund belächelt, doch nach und nach hatte sie mir geglaubt, mir vertraut. Während sie mich früher keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, durfte ich heute frei in ihrem Haus umherstreunen. Ihr Essen bringen, sie umsorgen und bespaßen. Ich hatte mir all diese Privilegien verdient. Und mit welchen Mitteln, zu welchen Preis? Mit heuchlerischen Worten, Geduld und dem Opfer meines freien Willens.
„Wie geht es Isoke?“, fragte mich Catalina plötzlich, sie wusste welch wunden Punkt sie damit traf. „Ich weiß, ich sollte mich persönlich mit ihm beschäftigen, aber die Zeiten haben sich geändert.“
„Er lebt“, stieß ich knapp hervor und biss die Zähne zusammen. Ich spürte wie Catalina hinter mir schwer atmete und nickte. Sie wusste, dass es zu Isokes Zustand keine andere Beschreibung gab, jedenfalls keine die ohne Beschuldigungen einherging. Sie hatte ihn lange nicht mehr zu sich geholt, an die frische Luft und die Sonne, aber am ärgsten setzte ihm ihre Abwesenheit zu. Zu Beginn hatte er noch seine Liebe beteuert, aber nachdem ihn Catalina keines Blickes mehr gewürdigt hatte, hatte er auch das aufgegeben. Nun saß Isoke den ganzen Tag mir starren Zügen auf dem schmutzigen Boden und starrte die Fugen und Risse in der Steinmauer an. Er aß nicht und trank nur, wenn ich ihn dazu aufforderte.
„Es tut mir leid was mit ihm geschieht“, murmelte Catalina traurig und nahm den Umhang von meinen Schultern. Haare fielen zu Boden und sie deutete mit dem Kinn zu einer schmalen Tür vor mir. „Ich weiß nicht was ich mit ihm anstellen soll.“
Ich stand auf und nahm den Besen aus der Abstellkammer. „Er braucht dich“, stellte ich nüchtern fest und begann meine Strähnen zu einem Haufen zusammen zu kehren. „Ohne deine Gesellschaft wird er nicht überleben.“
Catalina seufzte schwer und sah gedankenverloren aus dem Fenster. „Vielleicht hast du Recht.“
„Isoke, iss!“ Ich hockte am Rand unserer Zellen und streckte ihm auffordernd den Teller mit der warmen Brühe entgegen. Catalina hatte sie selbst und aus dem Gemüse ihres Gartens zubereitet.
„Ich habe keinen Hunger“, lautete seine tonlose Antwort.
„Du musst essen, also bitte: Iss!“
„Weswegen?“
„Du musst bei Kräften und am Leben bleiben.“
„Damit du nicht allein bist? Keine Sorge, sie wird dich nicht so leicht aufgeben wie mich. Du bist doch ihre Rettung, schon vergessen?“ Seine Worte bekamen einen bitteren Unterton und er wandte zornig den Blick von mir ab. „Wozu soll ich am Leben bleiben, wenn ich für immer hier unten sitze.“
Ich seufzte und stellte den Teller wieder ab. „Sie hat heute nach dir gefragt.“
Isoke sah schlagartig zu mir und runzelte misstrauisch die Stirn. „Weshalb sollte sie das tun?“
„Sie macht sich Sorgen.“
„Aber nicht genug, um selbst mit mir zusprechen.“
„Sie sagt, die Zeiten hätten sich geändert“, gab ich zu und zuckte mit den Achseln, „Aber beweist das nicht, dass sie dich nicht vergessen hat?“
„Es beweist nur, dass sie noch von meiner Existenz weiß. Von der Belastung die ich für sie darstelle.“ Isoke rollte sich auf seinen Decken zusammen und wandte mir den Rücken zu. „Es tut mir Leid Jad.“
Ich schüttelte wortlos den Kopf, erstaunt wie nah mir Isokes Schicksal ging. Ich hasste ihn für seine Taten, aber auf irgendeine verdrehte Art konnte ich ihn auch verstehen. „Gute Nacht“, murmelte ich leise und rollte mich ebenfalls zum Schlafen zusammen. Isoke antwortet nicht mehr.