21. Kapitel
Nathalie erwachte schweissgebadet, aus dem seltsamen Traum und einen Moment lang, wusste sie nicht, wo sie war. Sie hatte immer noch das Gefühl, auf der blumenreichen Wiese zu sein, die sie im Traum gesehen hatte und da war auch Marc gewesen… nein damals noch nicht Marc, sondern Kangi. Das, was sein und ihr altes Ich, da erlebt hatten, war wunderschön, doch die Sehnsucht nach Jonathan, war dennoch stärker gewesen. Was in aller Welt, hatte ihr dieser Traum bloss genau sagen wollen? Obwohl…, war die Antwort nicht offensichtlich?
Und dennoch… sie hatte auch eine unglaublich intensive Bindung zu Marc gefühlt. Ihre Liebe war einst wahrlich stark gewesen, doch irgendwas musste diese Liebe verändert haben, musste ihren Lebensweg verändert haben. Was nur war das gewesen? Ab welchem Moment, hatte Jonathan mehr Raum in ihrem Herzen eingenommen, als einst Kai? War das erst in diesem Leben passiert, oder schon viel früher? Irgendwie kam es Nathalie vor, als wäre es schon früher gewesen. Mit offenen Augen starrte sie eine Weile an die dunkle Decke ihres Zimmers. Es war 2 Uhr nachts, die Strassenlaternen, vor ihrem Haus, brannten noch und warfen ihr mildes Licht, durch die würzige Dunkelheit, des bald erwachenden Sommers. Auf der Strasse jedoch, war es still.
Niemand schien mehr unterwegs zu sein und durch das offene Fenster, vernahm man nur noch die sanften Klänge, der Natur. Seufzend schlug das Mädchen die Decke zurück und ging zum Fenster. Sie stützte ihre Ellenbogen auf das breite Fensterbrett, schaute und lauschte, hinaus in die Nacht. Einige Sterne leuchteten durch die Äste der Bäume vor dem alten Haus und der Asphalt schimmerte gräulich, im Licht der Laternen. Etwas war anders, etwas war magisch an dieser Nacht und Nathalie fragte sich, was es wohl war. Sie dachte darüber nach, Jonathan nochmals anzurufen, doch dieser würde sowieso wieder nicht abheben. Tiefer Trauer zog ihr Herz zusammen, wenn sie daran dachte, wie er sich, seit ihrem Weggang aus Amerika, ihr gegenüber, verhalten hatte. Hatte er es überhaupt verdient, dass sie noch immer so an ihm hing oder hatte Marc doch recht gehabt, als er gesagt hatte, Jonathan mache alles kaputt? Nein, das konnte nicht stimmen, sie hatte es gefühlt, dieser Traum war eine wunderbare Offenbarung gewesen.
Sie hatte sich, trotz der Bindung zu Marc, für Jonathan entschieden und das würde sich nicht so einfach ändern.
In ihr drin, machte sich eine seltsame Unruhe breit, ein Gefühl der Spannung und Erwartung zugleich. Es kam ihr vor, als ob der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits sehr dünn geworden wäre, als ob sie nur durch diesen Vorhang hindurchgehen müsste, um die Anderswelt zu erblicken.
Auf einmal zuckte sie zusammen, denn sie vernahm das Krächzen einer Krähe, welche ganz nahe neben ihr auf einem der Bäume, gelandet war. Eine Krähe zu so später Stunde? Was hatte das zu bedeuten?
Automatisch versuchte Nathalie mit dem schwarzen Vogel Kontakt aufzunehmen. Dessen glänzende Augen, blickten sie nun direkt an und sie versuchte mit ihm zu reden. „Hallo kleiner Vogel, noch zu so später Stunde unterwegs, kannst du auch nicht schlafen?“ frage sie ihn im Geiste. Die Krähe fixierte sie nun mit ihren Augen und auf einmal glaubte Nathalie, eine Antwort in ihrem Inneren zu vernehmen. „Ich habe nicht vor zu schlafen, ich wollte dich besuchen.“ „Du wolltest mich besuchen? Aber warum?“ „Wer kann das schon genau sagen, einfach so ein… Gefühl, darum bin ich jetzt hier. Willst du etwas mit mir fliegen?“ „Mit dir fliegen?“ „Ja, du hast das schon mal gemacht, hab ich recht?“ Nathalie dachte an ihr Erlebnis mit dem Adler zurück und erwiderte: „Ja, du hast recht, aber wohin willst du denn mit mir fliegen?“ „Das wird sich noch zeigen.“ „Du weisst es also auch nicht?“ „Nicht so richtig, aber etwas in meinen Genen scheint mich dazu zu treiben und ich bin sicher, wir werden unser Ziel finden.“
Nathalie konnte nicht anders, sie musste kurz auflachen. „Eine Krähe, die von Genen spricht, das ist schon ziemlich ungewöhnlich.“ „In deinem Leben ist doch eigentlich nichts mehr gewöhnlich, habe ich recht?“ fragte die Krähe und hielt ihren Kopf leicht schief, während sie die junge Frau weiterhin eingehend musterte. „Tja, da hast du wohl wirklich recht. Vermutlich bilde ich mir das alles eh nur ein.“ „Das was ihr Menschen Einbildung nennt, ist gar nicht so weit weg, von dem was täglich zwischen Himmel und Erde passiert. Nur weil ihr es nicht sehen könnt, heisst es nicht, dass es nicht existiert.“ „Das würde in den Ohren einiger Menschen, ziemlich seltsam klingen. Vielleicht bin ich auch einfach verrückt und alle lassen mich einfach in dem Glauben, dass ich etwas Besonderes bin.“
„Du bist etwas Besonderes, aber nicht, weil du besonders weise bist, sondern weil du das Erbe der Animalrider in dir trägst, das können die wenigsten von sich behaupten.“ „Ach ich bin nicht weise, toll das auch mal zu hören! Warum aber, ärgert es mich dann?“ „Ihr Menschen seid eben einfach seltsam,“ erwiderte die Krähe spöttisch. „Ach? Wir sind seltsam?“ „In der Tat! Welche Kreatur auf Erden würde sonst all die Schätze, die diese herrliche Welt bietet, so mit Füssen treten.“ „Oh besten Dank!“ „Gern geschehen.“ „Du bist ein ziemlich frecher Vogel, weisst du das?“ „Ich, ein frecher Vogel? Nur weil ich die Wahrheit spreche.“ „Nun ja… auf alle Menschen treffen deine Beschreibungen nun auch wieder nicht zu. Ausserdem… bist du eigentlich nur hier, um mich zu beschimpfen?“ „Du fühlst dich beschimpft, das tut mir leid, es war nicht meine Absicht, das zu tun. Ich bin eben einfach…“ „Du bist eben einfach ehrlich okay, doch was genau willst du von mir? Du fragtest, ob ich mit dir fliegen will? Warum?“ „Weil es Zeit wird, dass du eine Wahrheit erfährst, die dir auf deinem weiteren Weg helfen wird. Ich bin eins deiner Totemtiere und deshalb, komm bitte mit mir!“
„Aber ich weiss wirklich nicht, ob ich das nochmals schaffe. Damals beim Adler ist es einfach passiert. Ob ich diesen Zustand nochmals herbeiführen kann?“ „Du kannst, glaub mir, du kannst!“ Nathalie hatte so ihre Zweifel, dennoch versuchte sie ihr bestes, um ihre Seele mit jener der Krähe zu verbinden. Sie holte einen Stuhl und rückte ihn näher ans Fenster. Sie glaubte, dass sie im Sitzen entspannter war, um sich in den benötigten Bewusstseinszustand zu versetzen. Sie versuchte, wie bei der Meditation, ihren Atem zu beruhigen und konzentrierte sich ganz auf das Verschmelzen mit der Krähe. Ihr Körper würde wieder zurückbleiben, deshalb hüllte sie sich sicherheitshalber in eine wärmende Decke, damit ihr Körper, am offenen Fenster, nicht anfing zu frieren.
Schliesslich wurde Nathalie immer ruhiger und während sie all ihre Sehnen und Trachten darauf ausrichtete, mit der Krähe zu verschmelzen, gelang es ihr auf einmal und sie fand sich wieder, im um so vieles leichteren Körper, des schwarzen Vogels! „Gut gemacht!“ sprach dieser anerkennend, dann lass uns also losfliegen!“
Nathalie fühlte einen leichten Ruck, als sich der Vogel voller Anmut, in den Himmel erhob. Einmal mehr, blickte sie tief beeindruckt hinunter auf ihr heimatliches Haus, welches nun immer kleiner und kleiner wurde. Sie fühlte deutlich den Wind, der durch ihre weichen Federn strich. Ohne jegliche Mühe, flogen sie höher und höher, bis sie schliesslich weit über der Stadt schwebten. Die junge Frau, glaubte zu träumen, sie ritt auf dem Wind, sank manchmal ein Stück hinab, stieg dann wieder hoch hinauf. Die Stadt verschwand und sie kamen in ein eher hügliges Gebiet. Es war dunkel hier und nur ab und zu durchdrang ein Licht diese Dunkelheit. Es war nun bereits der Kanton Appenzell, der da unter ihnen lag. Es gab ein paar Berggipfel und eine Menge Hügel hier.
Auf einen der höheren Hügel, flogen sie nun zu und Nathalie erblickte die Silhouette eines dichten, unberührten Wald unter sich. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Wie oft schon hatte sie sich gewünscht ein Vogel zu sein und Orte zu besuchen, welche ihr als Mensch niemals zugänglich gewesen waren. „Dort unten befindet sich eine uralte Höhle,“ sprach die Krähe erklärend. „Höhlen sind oft wichtige Tore in die Anderswelt, vor allem, wenn sie kaum zuvor, von einem Menschen betreten wurden. Diese Höhle ist so versteckt, so ursprünglich, dass wir dort Verbindung mit alter Weisheit aufnehmen können. Dort, siehst du sie!" In diesem Moment tauchte vor ihnen eine, in zerklüftetem, grauem Gestein eingefügte Höhle auf. Sie war rundherum mit Moos bewachsen und ein kleiner Wasserfall stürzte von oben in ein kleines Becken, vor der Grotte, hinab.
„Dies ist ein magischer Ort,“ sprach die Krähe und Nathalie spüre in allen Fasern, ihres nun viel feinfühligeren Körpers, diese Magie. Der Vogel flog nun durch den kleinen Wasserfall und landeten in der Höhle dahinter...