22. Kapitel
Als ich aus meiner tiefen Ohnmacht erwachte, schaute ich erstaunt um mich. Ich lag auf warmen Fellen, in einem Zelt in dessen Mitte ein wärmendes Feuer brannte. Als ich nach oben blickte, sah ich durch den Rauchabzug des Zeltes, den funkelnden Sternenhimmel. Es war warm und geborgen hier und tiefe Dankbarkeit erfüllte mich, denn ich war gerettet worden! Neben meinem Fell-lager stand ein Teller mit Früchten und Getreidefladen und ein Becher mit Wasser. Gierig machte ich mich darüber her. Ich war unglaublich hungrig und fühlte mich gesundheitlich schon viel besser. Jemand musste mich gepflegt und wieder aufgepäppelt haben. Wer das wohl gewesen war? Ich erinnerte mich dumpf an den jungen, freundlichen Mann, der mich in der Höhle gefunden hatte. War er es gewesen?
Sogleich wurde meine Frage jedoch beantwortet, denn die Haut vor dem Eingang wurde zurückgeschlagen und der junge Mann trat ein. Er hatte langes, schwarzes Haar rehbraune Augen und einen vollen Mund. Allerdings war er etwas älter als Kangi und seine Haut war ein wenig heller. Gekleidet war er in einen ärmellosen Wams aus weichem, glänzendem Fell und einer dazu passende Hose aus braunem Leder. Als er sah dass ich wach war, breitete sich ein strahlendes Lächeln über sein ebenmässiges Gesicht aus. „Du hast dich also erholt! Das freut mich sehr! Da bin ich ja gerade noch zur rechten Zeit gekommen! Mein Name ist übrigens Patani, ich war einst Schüler beim Fischotter- Klan.“ „Dann war Mutter Ptan (Ptan bedeutet auf indianisch Otter) deine Mentorin?“ „Ja.“ „Ich mochte den Fischotterklan immer sehr. Ich staunte immer über seinen Zusammenhalt und die grosse Liebe, mit der der Nachwuchs aufgezogen wurde.“ „Das stimmt, das ist auch etwas vom Wichtigsten, dass man uns mit auf den Weg gab. Mutter Ptan ermahnte uns auch stets zur Hilfsbereitschaft und darum war es für mich klar, dass der Otter Klan und ich uns um dich kümmern.“ „Ich danke euch von Herzen!“ sprach ich voller Dankbarkeit. „Ohne euch wäre ich wohl gestorben.“ „Das stimmt, du warst dem Tode sehr nahe.“ „Wie lange bin ich schon hier?“ „Schon fünf Tage. Wir haben dich mit Medizin versorgt und dich so gut es ging, mit flüssiger Nahrung aufgepäppelt. Warum warst du denn so allein in jener Höhle? Hast du keine Familie, oder wenigstens einen Klan, der zu dir hält?“ Trauer ergriff mich, als mir Patani diese Frage stellte. „Leider nicht, denn mein einstiger Liebster Kai wurde verbannt und so ging ich mit ihm. Dann jedoch… starb er und darum war ich ganz allein. Ausserdem musste ich mich verstecken, denn ich wurde vom Schlangenklan verfolgt.“ „Vom Schlangenklan?“ Patani runzelte die Stirn. „Irgendwie kommt mir diese Geschichte bekannt vor. Hiess es nicht Schwarzer Zahn habe ein Sternenkind umgebracht und Kai rächte dieses?“ „Ja, so ungefähr. Der Sohn von Schwarzer Zahn, Braunhaut wollte deshalb Rache und obwohl er und seine Anhänger einst versprachen Kangi lebend ziehen zu lassen, haben sie uns bei den Klippen aufgelauert und… Kangi wurde von ihnen… getötet!“ Tränen stiegen mir in die Augen, als ich das erzählte. All die Schrecken, die ich vor kurzem erlebt hatte, kamen wieder in mir hoch und schliesslich begann ich bitterlich zu weinen. „Ich… war so allein, immer lebte ich in der Angst, dass Braunhaut und seine Getreuen mich finden und auch töten würden. Ich wusste nicht, wie man sich allein in der Wildnis durchschlägt und dann kam da dieser… Wolfsbruder, welcher so voller Hunger war, dass er mich töten und fressen wollte. Ich konnte ihn dann töten und ich… hätte ihn beinahe ganz aufgegessen, weil ich so schrecklich hungrig war. Dann wurde ich auch noch krank… Ich… es war einfach schrecklich! Doch du…“ Ich drückte mit tiefer Zuneigung Patanis Arm „hast mich gerettet und gesund gepflegt, das werde ich dir niemals, niemals vergessen und auch deinem Klan nicht. Ich werde ewig in eurer Schuld stehen.“ „Das war doch selbstverständlich!“ gab der junge Mann zurück. „Wir müssen doch alle zusammenhalten, wenn wir in der neuen Welt bestehen wollen. Egal welchem Klan wir angehören. Erhol dich jetzt erst mal vollends und dann werden wir sehen wie es weitergeht.“ Mit diesen Worten legte er kurz den Arm um mich und drückte mich leicht. „Ruh dich aus, ich werde später nochmals vorbeischauen,“ sprach er liebevoll und dann verliess er das Zelt. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich nicht mehr allein sein würde, niemals mehr!“
Nathalie war wie paralysiert, als ihr die Wahrheit über Jonathan und sie so klar offenbart wurde. Sie erinnerte sich nun an jede Einzelheit und sie erkannte, dass sie damals ihr Herz an Patani- Jonathan verschenkt hatte. Damals als Kai sie, wenn auch ungewollt, verlassen hatte, war Patani es gewesen, der sich ihrer angenommen hatte. Er hatte die Lücke gefüllt die Kai hinterlassen hatte und dank ihm hatte sie nach der schrecklichen Tragödie doch noch ein erfülltes Leben gelebt. Die vielen glücklichen Stunden mit Patani und beim Fischotterklan, hatten ihre Wunden zu heilen vermocht, hatten ihr gezeigt was wahre Erfüllung ist. Seither hatte auch Jonathan sie durch mehrere Leben begleitet, doch sie waren nie mehr zusammengekommen. Nun jedoch in diesem Leben, hatten sie es wieder geschafft. Sie wusste das Jonathan sie seit jenem Moment in der Höhle unsterblich liebte und er liebte sie noch immer. Doch er wusste nicht, was sie wusste. Er wusste nicht, wieviel sie verband und dass er einst Kais Platz eingenommen hatte. Das Schicksal, das Grosse Geheimnis, was auch immer es sein mochte, wollte dass sie zusammenwaren und nun wusste Nathalie, dass sie alles dafür tun würde, um Jonathan zurück zu gewinnen. Zuerst jedoch musste sie mit Marc reden. Er und sie waren damals in der alten Zeit, auf schreckliche Weise auseinandergerissen worden und sie hatte gedacht, dass niemand ihn jemals ersetzen konnte. Doch dann kam Jonathan, damals Patani und tat es dennoch. Sie musste Jonathan unbedingt nochmals versuchen anzurufen, Auch Wandernder Bär musste wissen, was ihr Vater Krähe für eine Wahrheit offenbar hatte. Dann konnte er vielleicht endlich erkennen, dass Jonathan und Nathalie füreinander bestimmt waren und hielt nicht mehr an den alten Geschichten fest. So wie es aussah war Wandernder Bär doch nicht alles gezeigt worden, was er hätte wissen sollen. Nathalie war unendlich dankbar, dass die Krähe ihr die Wahrheit offenbart hatte. Das veränderte einfach alles und ihr Herz wurde leichter und leichter.